Ehekrach schon vor der Vermählung
Das GMD-Forschungszentrum Informationstechnik soll in die Fraunhofer-Gesellschaft verlagert werden. Doch keiner der ungleichen Partner möchte seinen Prinzipien – Grundlagen- oder anwendungsorientierte Forschung – untreu werden.
Ist es eine Fusion zweier gleichberechtigter Partner oder die plumpe Einverleibung des "besseren" Kleinen in den "mächtigeren" Großen? Gutwillige sprechen von "Integration": Das GMD-Forschungszentrum Informationstechnik – die frühere Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung – soll von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren in die Fraunhofer-Gesellschaft für angewandte Forschung (FhG) wechseln und mit den dort schon vorhandenen einschlägigen Instituten einen großen Bereich für Informations- und Kommunikationstechnik (IuK) bilden. Während das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) von "der größten Forschungsorganisation in der Informations- und Kommunikationstechnik in Europa" schwärmt, sprechen GMD-Forscher von "feindlicher Übernahme" und "Zwangsehe". Das gemeinsame Ziel indes ist klar: Informationstechnische Forschung in Deutschland soll gestärkt werden und zugleich den Bedarf der Wirtschaft besser befriedigen.
Das Drama begann am 29. September 1999 mit einer Presseerklärung von Forschungsministerin Edelgard Bulmahn: Das BMBF beabsichtige das Zusammenführen von GMD und FhG, um die "Kompetenzen beider Einrichtungen auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnik zu bündeln und Synergien durch eine gemeinsame strategische Ausrichtung sowie eine enge Verzahnung der Institute zu ermöglichen". Genauer: Die GMD und die einschlägigen Fraunhofer-Institute bilden einen neuen Unternehmensbereich der FhG mit über 20 Instituten, 2500 Mitarbeitern und einem Jahresetat von 400 Millionen Mark. Der Vorstandsvorsitzende der GMD, Dennis Tsichritzis, übernimmt als Vizepräsident und Stellvertreter des FhG-Vorstandsvorsitzenden die Leitung der Sparte Informations- und Kommunikationstechnik.
Doch von Beginn an lief in diesem Unternehmen alles schief, was nur schief laufen konnte. Außer der Ministerin und ihrem Staatssekretär Uwe Thomas, einem industriellen Berater und einem Beamten des BMBF sowie Tsichritzis und FhG-Präsident Hans-Jürgen Warnecke kannte vorher niemand den Plan – auch nicht die Vorstände der beiden Einrichtungen und die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, die an Konzepten für ihren Strategiefonds arbeitete. Heute rechtfertigt Warnecke den Mangel an rechtzeitiger Information und sachlicher Vorbereitung mit der Furcht, alles hätte schon im Vo-raus zerredet werden können (siehe Interview). Der angerichtete Schaden ist jetzt zu besichtigen.
Die Partner misstrauen sich, ihre Chefs reden nicht mehr miteinander. Die Institutsleiter der GMD drohen mit Abwanderung, weil die FhG ihr Prinzip der wirtschaftsnahen Forschung und Entwicklung durchsetzen wolle und das Prinzip der wissensorientierten Grundlagenforschung, das die GMD bisher verfolgte, zu gering achte. In der Belegschaft und vor allem in der Verwaltung der GMD im Schloss Birlinghoven in Sankt Augustin bei Bonn breitet sich Existenzangst aus. Die Geschäftsführung forderte vom Aufsichtsrat, die Fusion auszusetzen. Dieser empfahl trotzdem, den Zusammenschluss vorzubereiten, aber um ein Jahr auf den 1. Januar 2002 verschoben, verbunden mit einer dreijährigen "Schonfrist" für die GMD-Institute. Zweimal sah sich die Forschungsministerin gezwungen, die aufgeregten Mitarbeiter der GMD mit ausführlichen Briefen zu beruhigen.
Diese Auseinandersetzungen führen den viele Jahrzehnte währenden Streit in der deutschen Forschungslandschaft fort, ob Wissenschaft nur dann etwas wert sei, wenn sie unmittelbar wirtschaftlichen Nutzen bringe und sich überwiegend von ihren Erträgen finanziere, oder ob es auf Dauer nicht auch ergiebig sei, wenn auf den ersten Blick "nutzlose" Grundlagenforschung mit öffentlichen Mitteln gepflegt werde.
Die GMD mit ihren acht Forschungsinstituten und 1300 Mitarbeitern erhält derzeit von Bund und Ländern als "institutionelle Förderung" jährlich rund 130 Millionen Mark, die sie unter anderem für langfristige anspruchsvolle Grundlagenforschung verwendet. Dazu kommen rund 50 Millionen Mark für Projekte vor allem aus der Wirtschaft, aber auch von Bund, Ländern und der Europäischen Union. Die GMD hat also eher potenzielle Märkte im Visier, baut aber auch ihre aktuelle anwendungsnahe Forschung und die Pflege von Unternehmensgründungen aus. Die FhG dagegen orientiert ihre Forschung an schon identifizierten Märkten und erhält staatliche Mittel nur in strenger Relation zu ihren wirtschaftlichen Erfolgen. Die Aufwendungen für ihre zehn IuK-orientierten Institute mit 1200 Mitarbeitern belaufen sich auf 356 Millionen Mark, davon stammen 130 Millionen Mark aus der Wirtschaft.
Freilich haben auch Mikroelektronik-Institute der FhG in den achtziger Jahren sowohl an grundlegenden Innovationen als auch an deren Transfer in marktfähige Produkte gearbeitet. Im folgenden Jahrzehnt jedoch sei die Fraunhofer-Gesellschaft "näher an den Markt gerückt", stellt eine jüngst erschienene Geschichte dieser Forschungsorganisation fest (Spektrum der Wissenschaft 12/99, S. 122). "Mit dieser Veränderung des technologischen Umfeldes hat sich der zweite Weg für die Institute als ertragreicher erwiesen." Vom Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) erntete sie dafür großes Lob: Die FhG sei "der ungewissen Entwicklungsdynamik der Informationstechnik besser angepasst ... als die Großforschung".
Genau diese Sicht erscheint aber vielen Wissenschaftlern der GMD als falsch und ärgerlich. Deutschland brauche in der Informations- und Kommunikationstechnik nicht weniger, sondern mehr Grundlagenforschung, meint Martin Reiser, der das Institut für Medienkommunikation der GMD leitet (siehe Interview). Sofern die Grundlagenforschung mit Anwendung und Ergebnistransfer eng verbunden, aber nicht beschädigt werde, hätten auch die kritischen GMD-Wissenschaftler nichts gegen eine intensive Kooperation mit den Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft.
Doch die Zweifel, dass die FhG dies überhaupt wolle, sind groß und nicht unbegründet. In der ministeriellen Pressemitteilung vom September 1999 hieß es noch: "Die FhG wird die GMD nicht einfach in ihre bisherige Struktur eingliedern." Sie werde sich entsprechend dem Evaluierungsbericht vom Februar 1999 (Spektrum der Wissenschaft 4/1999, S. 104) "neu gliedern". Dagegen wehrte sich die Hauptkommission des Wissenschaftlich-Technischen Rates der FhG im Februar: "In keinem Fall darf das Unternehmensziel der FhG an Profil verlieren." Alle Institute der erweiterten Gesellschaft würden nach einheitlichen Regeln geleitet, federführend bei der Zusammenführung sei die FhG.
Damit waren auch die "Eckpunkte eines gemeinsamen Verständnisses zur Zusammenführung von GMD und FhG" vom 30. Januar überholt. Tsichritzis und Warnecke hatten darin – im Ton freilich ziemlich herablassend – bestätigt, die GMD dürfe "auch stärker prospektive, ideengetriebene Forschung im Vorfeld sich erst entwickelnder, potenzieller Märkte" betreiben, müssten sich aber überwiegend an dem Fraunhofer-Modell der Vertragsforschung für Unternehmen orientieren. Für die Projekte der "Forschung für neue Märkte" soll aus Mitteln der GMD ein Fonds gebildet werden, der künftig allen Fraunhofer-Instituten zur Verfügung stünde.
Die Kehrtwende bei der GMD kam im März mit dem Brief der Geschäftsführung an die Mitarbeiter: "Es besteht ... auf Seiten der GMD kein Vertrauen mehr darin, dass diese Eckpunkte dauerhaft implementiert werden. Die dazu notwendige Veränderungsbereitschaft der FhG ist nicht zu erkennen." FhG-Hauptkommission und Warnecke hätten deutlich gemacht, dass es "sich nicht um eine Fusion unter Gleichen, sondern um eine Eingliederung der GMD in die FhG nach deren Modell und Funktionsweise handelt". Die Fusion solle aufgeschoben, stattdessen eine "Phase der Kooperation der betroffenen Fachinstitute" beginnen.
Doch GMD-Aufsichtsrat und FhG-Senat hielten sich – nach einer massiven internen Intervention des BMBF – in ihren Beschlüssen vom 7. und 11. April nur zu einem Teil daran: Die Fusion zu Anfang 2002 wurde zwar festgezurrt. Aber die Institutsleiter beider Organisationen sollen auch ein Kooperationsmodell entwickeln, das an die jeweiligen Stärken der Institute anknüpft. Gewissermaßen als Trostpflaster wird in Aussicht gestellt, das BMBF könne dann gemeinsame Projekte und Strategien mit zusätzlichen Mitteln fördern. Auch sollen externe Moderatoren gemeinsam mit den Vorständen bis zum September 2000 Empfehlungen zur Kooperation "im Bereich IuK der erweiterten FhG" ausarbeiten.
Der internationale wissenschaftliche Beirat der GMD hat bereits im Dezember 1999 festgestellt, dass in Deutschland vergleichsweise wenig Mittel für Grundlagenforschung in der Informations- und Kommunikationstechnik bereitstehen. Der Streit um GMD und FhG biete eine einzigartige Möglichkeit, die Stärken der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung der FhG mit der Spitzen-Grundlagenforschung der GMD zu vereinigen. Dabei solle nicht eine Einrichtung über die andere gestülpt, sondern eine neue Lösung gefunden werden.
Das erfordert eine starke Politik. Verspielt das BMBF diese Chance?
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2000, Seite 92
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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