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Eichen statt Buchen? Auswirkungen eines Klimawandels auf die Wälder des Alpenraumes

Computersimulationen verdeutlichen, wie sich die Zusammensetzung der Waldvegetation in der Schweiz infolge einer Temperaturerhöhung, wie sie prognostiziert wird, verändern dürfte.

In der Umweltpolitik sind Entscheidungen mangels fundierten Wissens häufig anhand von Risikoabwägungen zu treffen. Dies zeigt sich insbesondere in der Debatte um den Klimawandel: Auch wenn sein Verlauf und die Auswirkungen unter Wissenschaftlern noch umstritten sind und weiterer Forschungsbedarf besteht, müssen Gegenmaßnahmen bereits jetzt eingeleitet werden, um den befürchteten langfristigen Folgen entgegenzuwirken.

Für Risikoabschätzungen wiederum sind Modelle, Szenarien und Prognosen wichtige Entscheidungsgrundlagen. An der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf (Schweiz) haben Felix Kienast und Bogdan Brzeziecki untersucht, wie sich eine postulierte Klimaänderung auf die Waldvegetation im Alpenraum auswirken könnte.

Die beiden Forscher schätzten mittels computergestützter Modelle die Risiken für die Vegetation ab. Sie analysierten insbesondere, ob sich bei einer Erhöhung der mittleren Jahrestemperatur das ökologische Potential von Lebensräumen und damit auch die Artenzusammensetzung der Vegetation ändern könnten. Ein derartiger Vorgang hätte vor allem für den praktischen Naturschutz Konsequenzen, weil dann möglicherweise die Zielsetzung für Schutzgebiete aufgrund der vorhergesagten Vegetationsdynamik modifiziert werden müßte.

Als Ausgangsbasis für eine entsprechende Risikoanalyse sind flächendeckende Angaben über die potentiell natürliche Vegetation unter den heutigen Klimabedingungen erforderlich. Weil jedoch der Mensch seine Umgebung im Laufe der Jahrtausende in eine intensiv genutzte Kulturlandschaft verwandelt hat, lassen sich diese nur indirekt erschließen. Kienast und Brzeziecki simulierten deshalb zunächst anhand von möglichst ungestörten Waldgesellschaften, welche Waldtypen man unter den verschiedenen, von Relief, Klima, Boden und Muttergestein abhängigen Standortbedingungen zu erwarten hätte (Bild links). Ein Vergleich mit der tatsächlich vorhandenen Waldvegetation ließ Gebiete mit eher naturnahen beziehungsweise eher naturfernen Wäldern erkennen.

Wie gut sich bestimmte Vegetationsbereiche einer Klimaänderung anpassen können, zeigte die anschließende Risikoanalyse. Kienast und Brzeziecki verglichen die postulierte räumliche Verteilung naturnaher Waldgesellschaften, diesmal unter veränderten Klimabedingungen, mit der realen Waldvegetation. Sie erhielten so einerseits Gebiete, in denen die erwarteten Baumarten bereits vorhanden sind, und andererseits solche, in denen sie fehlen; in diesen wäre im Falle eines Klimawandels mit großen Veränderungen zu rechnen.

Die Forscher verwendeten zwei verschiedene Modelltypen. Ein statisches Gleichgewichtsmodell erlaubte, die zu erwartende Waldvegetation mittels verschiedener Standortfaktoren zu schätzen. Die flächendeckenden Daten konnten mit geographischen Informationssystemen schnell verarbeitet und als Karten dargestellt werden. Die Wahrscheinlichkeit, auf diese Weise die richtige Vegetationseinheit vorherzusagen, beträgt immerhin 50 bis 80 Prozent, was im Vergleich zu anderen Untersuchungen als gut zu bewerten ist. Mit dem zweiten Modelltyp, einem dynamischen Waldentwicklungsmodell, simulierten die Wissenschaftler die zeitabhängige Entwicklung einzelner Baumarten in bestimmten Gebieten; dabei bezogen sie Prozesse wie Verjüngung, Wachstum und Absterben mit ein.

Beide Modelle lieferten ähnliche Ergebnisse (Bild rechts). Infolge einer Klimaerwärmung würde sich demnach das ökologische Potential im kollin-montanen Gürtel so ändern, daß Eichen-Hainbuchen-Wälder sich gegenüber den jetzt dort vorhandenen Buchenwäldern als konkurrenzfähig erwiesen. Ob letztere dabei weitgehend verschwänden, ist indes höchst ungewiß, denn bei genügend großem Wasserangebot würden auch Buchen vom erhöhten Wärmeangebot profitieren und besser wachsen. Auf ungünstigen Böden und bei großem Wasserverlust durch erhöhte Verdunstung dürfte diese Baumart hingegen absterben. Im hochmontanen und subalpinen Bereich würden Laubbäume in den Nadelholzgürtel vordringen.

Wie groß ist demnach die Chance, daß Waldbestände sich an veränderte Klimabedingungen anpassen können? Eine mögliche Antwort darauf gab die anschließende Risikoanalyse: Zur Zeit sind 70 bis 75 Prozent des Waldes in der Schweiz von der Artenzusammensetzung her mäßig bis gut an die naturnahen Verhältnisse angepaßt, die restlichen Bestände hingegen schlecht. Bei moderatem Anstieg der Jahresmitteltemperatur (um 1,1 bis 1,4 Grad) sinkt der Anteil mäßig bis gut angepaßter Bestände dem Modell zufolge um 5 bis 10 Prozent, bei starkem Anstieg (um 2,2 bis 2,8 Grad) sogar um 10 bis 30 Prozent. Demnach haben also immerhin 40 bis 65 Prozent aller Schweizer Wälder vom Artenspektrum her eine gute Chance, sich einem starkem Temperaturanstieg anzupassen. Der erhöhte Anteil schlecht angepaßter Bestände bedeutet aber nicht zwangsläufig, daß diese Wälder im Laufe der Zeit abstürben, wie die heutigen Fichten-Monokulturen im Schweizer Mittelland belegen. Aber immerhin stellt eine nicht standortgerechte Bestockung ein erhöhtes Risiko für mechanische Schäden, Trockenstress und Pathogene dar.

Risikoanalysen sind keine Prognosen, sondern dienen dazu, ökologische Auswirkungen von Umweltveränderungen aufgrund der vorhandenen Datenbasis abzuschätzen. Für die Wälder im Alpenraum lassen sich anhand der vorliegenden Ergebnisse solche Gebiete ermitteln, die schlecht an Temperaturerhöhungen angepaßt sind, was eine fortwährende Überprüfung der Naturschutzziele erforderlich macht. Verdichtete sich der Verdacht auf einen Klimawandel, könnte hier durch gezielte Eingriffe die Artenzusammensetzung verändert und somit das Risiko eines Zusammenbruchs von Beständen erheblich vermindert werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1995, Seite 114
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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