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Porträt: Ein Denker zwischen zwei Kulturen
Bernulf Kanitscheider ist ein Geisteswissenschaftler, dessen Interesse dem Weltbild der Naturwissenschaft gilt. Aus den Erkenntnissen der empirischen Forschung zieht er begriffliche Konsequenzen für naturphilosophische und wissenschaftstheoretische Probleme, aber auch für Ethik, Moral und individuelle Glückssuche.
Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor Kanitscheider, woher kommt Ihr für einen Philosophen ungewöhnlich starkes Interesse an den Naturwissenschaften?
Bernulf Kanitscheider: Ich habe als Philosophiestudent wie üblich mit dem Studium der Klassiker angefangen, empfand aber bald ein gewisses Ungenügen an metaphysischen Systemen. Ich merkte, dass vor allem die Vertreter der analytischen Philosophie und der modernen Logik einen ganz anderen Denkstil bevorzugen. Über die Nähe der Logik zur Mathematik entstand schließlich meine Liebe zur Physik.
Spektrum: An diesem Bildungsweg fällt auf, dass Sie für sich anscheinend das Problem der »zwei Kulturen« gelöst haben. Wie stehen Sie zu der oft konstatierten Kluft zwischen Geistes- und Naturwissenschaften?
Kanitscheider: Ich möchte zwei Varianten des Problems unterscheiden. Zum einen gibt es ein psychologisches Bildungsproblem. C. P. Snow hat das in seinem berühmten Essay von 1959 beschrieben: Wenn sich Akademiker abends zu einer gehobenen Unterhaltung treffen, dann wird im Wesentlichen über Themen aus dem klassischen Bildungsbereich gesprochen, und jeder Naturwissenschaftler bemüht sich zu demonstrieren, dass er kein Banause ist, sondern sich in Geschichte und Literatur gut auskennt – von Shakespeare bis zurück zu Homer.
Hingegen habe ich noch keinen Geisteswissenschaftler getroffen, der versucht, den Naturwissenschaftlern zu zeigen, dass er etwas mit dem Begriff des Elektrons oder der Entropie anfangen kann – kurz, dass er naturwissenschaftliche Bildung besitzt. Hier herrscht eine offensichtliche Asymmetrie, die bis zum heutigen Tage andauert.
Doch tiefer liegt ein systematisches Problem. Dabei geht es um den Schlüsselbegriff des Geistes. Deutsche Geisteswissenschaftler haben seit Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder die Position vertreten, es gebe einen Hiatus – einen unüberbrückbaren Graben, der den Begriff des Geistes von allen biologischen, neurologischen, physiologischen Analysen trennt.
Doch wie ich meine, vermag die moderne analytische Philosophie des Geistes diesen Graben zu überbrücken. Das hängt mit meiner realistisch-naturalistischen Weltauffassung zusammen: Die Natur des Geistes fällt nicht aus der rationalen, wissenschaftlichen Analyse heraus, sondern der menschliche Geist ist ein hochinteressantes Phänomen, das von beiden Seiten, von ...
Bernulf Kanitscheider: Ich habe als Philosophiestudent wie üblich mit dem Studium der Klassiker angefangen, empfand aber bald ein gewisses Ungenügen an metaphysischen Systemen. Ich merkte, dass vor allem die Vertreter der analytischen Philosophie und der modernen Logik einen ganz anderen Denkstil bevorzugen. Über die Nähe der Logik zur Mathematik entstand schließlich meine Liebe zur Physik.
Spektrum: An diesem Bildungsweg fällt auf, dass Sie für sich anscheinend das Problem der »zwei Kulturen« gelöst haben. Wie stehen Sie zu der oft konstatierten Kluft zwischen Geistes- und Naturwissenschaften?
Kanitscheider: Ich möchte zwei Varianten des Problems unterscheiden. Zum einen gibt es ein psychologisches Bildungsproblem. C. P. Snow hat das in seinem berühmten Essay von 1959 beschrieben: Wenn sich Akademiker abends zu einer gehobenen Unterhaltung treffen, dann wird im Wesentlichen über Themen aus dem klassischen Bildungsbereich gesprochen, und jeder Naturwissenschaftler bemüht sich zu demonstrieren, dass er kein Banause ist, sondern sich in Geschichte und Literatur gut auskennt – von Shakespeare bis zurück zu Homer.
Hingegen habe ich noch keinen Geisteswissenschaftler getroffen, der versucht, den Naturwissenschaftlern zu zeigen, dass er etwas mit dem Begriff des Elektrons oder der Entropie anfangen kann – kurz, dass er naturwissenschaftliche Bildung besitzt. Hier herrscht eine offensichtliche Asymmetrie, die bis zum heutigen Tage andauert.
Doch tiefer liegt ein systematisches Problem. Dabei geht es um den Schlüsselbegriff des Geistes. Deutsche Geisteswissenschaftler haben seit Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder die Position vertreten, es gebe einen Hiatus – einen unüberbrückbaren Graben, der den Begriff des Geistes von allen biologischen, neurologischen, physiologischen Analysen trennt.
Doch wie ich meine, vermag die moderne analytische Philosophie des Geistes diesen Graben zu überbrücken. Das hängt mit meiner realistisch-naturalistischen Weltauffassung zusammen: Die Natur des Geistes fällt nicht aus der rationalen, wissenschaftlichen Analyse heraus, sondern der menschliche Geist ist ein hochinteressantes Phänomen, das von beiden Seiten, von ...
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