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Nanomaschinen: Ein lichtgetriebener Molekülmotor

Durch Verschmelzung von Kraftmikroskopie und organischer Chemie ist es erstmals gelungen, eine künstliche molekulare Maschine zu schaffen, die Licht in Bewegung umsetzt.


Technologischer Fortschritt war in den letzten Jahrzehnten vielfach ein Synonym für Miniaturisierung. Sie sorgte für immer schnellere Schaltkreise, höhere Leistungen und geringeren Verbrauch von Ressourcen. Inzwischen nähert sich diese Entwicklung mit Riesenschritten Dimensionen, bei denen Funktionseinheiten und Bauelemente nur mehr aus einzelnen Molekülen bestehen. Wir befinden uns an der Schwelle zum Reich der Nanotechnologie.

In ihr ist die Natur schon lange Meister. Die Erbsubstanz DNA, Enzyme und andere Proteine bilden in einem äußerst effizienten, aber auch hochkomplexen Zusammenspiel eine molekulare Maschinerie, die sogar in der Lage ist, sich selbst zu kopieren und im Laufe der Evolution weiter zu optimieren. Sie für nanotechnologische Zwecke zu nutzen liegt daher nahe. Wissenschaftler arbeiten weltweit intensiv daran – mit einigem Erfolg.

Künstliche, von Menschenhand entworfene molekulare Maschinen zu kreieren ist dagegen immer noch eine gewaltige Herausforderung. Auch hier kann es nicht schaden, sich von der Natur inspirieren zu lassen. So weiß man eine Menge über Bewegungsvorgänge einzelner Biomoleküle und kennt die physikalisch-chemischen Prinzipien, die dahinter stecken. Beispielsweise geht Retinal, die lichtempfindliche Komponente des Sehpigments Rhodopsin in der Netzhaut, bei Lichteinfall aus einer geknickten in eine gestreckte Form über. Bei dieser so genannten Cis-trans-Umwandlung setzt das Biomolekül die Energie eines Photons innerhalb weniger billionstel Sekunden in eine atomare Bewegung um.

Es klingt verlockend, diesen Vorgang sowohl zur Steuerung als auch zum Antrieb künstlicher Molekülmotoren zu nutzen. Allerdings ist das Retinal selbst zu kompliziert aufgebaut und zu empfindlich. Das künstlich hergestellte Molekül Azobenzol dagegen kann ebenfalls bei Bestrahlung in einer reversiblen Cis-trans-Umlagerung seine Gestalt und damit zugleich seine Länge ändern, ist aber wesentlich stabiler. Luis Moroder und Dieter Oesterhelt vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried gelang es schon vor einiger Zeit, Azobenzol-Moleküle zu langen fadenförmigen "Polymeren" zu verknüpfen, in denen die photoaktiven Einheiten wie Perlen auf einer Schnur aneinander gereiht sind.

Ein solches Polymer kann ebenfalls reversibel zwischen einer langen Poly-trans- und einer kurzen Poly-cis-Form hin- und hergeschaltet werden – und zwar selektiv je nach Wellenlänge des Anregungslichts. Solche lichtinduzierten Gestaltänderungen von Azobenzol und anderen photoaktiven Molekülen werden schon seit längerem beispielsweise für optische Speichermaterialien genutzt.

Dagegen ist es bisher nicht gelungen, die mechanische Antwort eines einzelnen Moleküls für einen Motor auszunutzen oder auch nur die beim Verkürzen verrichtete Arbeit zu messen oder zu speichern. Das liegt daran, dass eine geeignete Apparatur dafür alles andere als leicht zu konstruieren ist. Bei unseren Versuchen griffen wir auf das Einzelmolekül-Kraftspektroskop zurück, mit dem sich in den vergangenen zehn Jahren schon wertvolle Informationen über die Mechanik einzelner Moleküle gewinnen ließen. Es besteht im Wesentlichen aus einer sehr feinen, wenige Mikrometer großen Blattfeder, die auf etwa einen zehntel Nanometer genau bewegt werden kann. Ihre Verbiegung lässt sich mit einem Laserstrahl ermitteln, der von ihrer verspiegelten Rückseite reflektiert wird. Auf diese Weise gelingt es, je nach Steifigkeit der verwendeten Feder Kräfte von wenigen billionstel Newton (Piconewton) zu messen. Das entspricht einem Gewicht von weniger als einem milliardstel Gramm.

Licht bewegt eine Feder

Allerdings ist der gesamte Aufbau extrem empfindlich gegenüber äußeren Einflüssen. Insbesondere können die Lichtpulse, welche die Polymerfäden zur Gestaltänderung anregen, auch von sich aus schon die Blattfeder verbiegen. Um diese Störung zu vermeiden, koppelten wir den Lichtstrahl in einer bestimmten Geometrie so in einen Objektträger aus Spezialglas ein, dass er an der inneren Glasoberfläche totalreflektiert wurde und lediglich direkt dahinter ein zur Blattfeder hin rasch abfallendes "evaneszentes" Feld erzeugte. Dieses reichte aus, um die Polymerfäden in unmittelbarer Nähe der Oberfläche anzuregen, während der Einfluss des Lichts auf die Blattfeder selbst vernachlässigbar blieb.

Für unseren Versuch klebten wir die photoaktiven Polymermoleküle der Martinsrieder Kollegen durch eine geeignete chemische Reaktion mit einem Ende an die Federspitze. Diese brachten wir dann dicht an den Objektträger und warteten einige Sekunden, bis das zweite Ende eines einzelnen Polymerstrangs eine chemische Bindung mit der eigens dafür vorbehandelten Glasoberfläche einging. Die Apparatur war so empfindlich, dass wir direkt überprüfen konnten, ob tatsächlich genau ein Molekül zwischen Blattfeder und Objektträger eingespannt war.

Durch Bestrahlen mit Licht unterschiedlicher Wellenlänge brachten wir das Azobenzol-Polymer schließlich dazu, abwechselnd zu schrumpfen oder sich zu strecken (Bild oben). Das Fadenmolekül verkürzte sich sogar dann noch, wenn es um mehrere hundert Piconewton vorgespannt war. Es verbog die Blattfeder um einen Betrag, der dem Bewegen eines Gewichts von etwa zehn milliardstel Gramm um zwei millionstel Millimeter entsprach. Danach entspannten wir das Molekül wieder, indem wir den Abstand zwischen Blattfeder und Unterlage verringerten, und schalteten es optisch in die gestreckte Form zurück.

Auf diese Weise wandelte das Azobenzol-Polymer im zyklischen Betrieb wie ein kleiner Motor den Treibstoff Licht in mechanische Arbeit um und versetzte so die Blattfeder in Bewegung. Zwar ging bei unserer experimentellen Anordnung insgesamt noch der größte Teil der Lichtenergie verloren. Dennoch konnten wir demonstrieren, dass eine opto-mechanische Energieumwandlung prinzipiell mit sehr hoher Effizienz möglich ist.

Mit diesem Experiment sind wir bis an die Grenze der denkbaren Miniaturisierung von mechanischen Geräten vorgestoßen. Ob und in welcher Form unser lichtgetriebener Nanomotor praktisch einsetzbar ist, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Dennoch wurde ein Meilenstein erreicht: der Anschluss des molekularen Reichs an die für die technische Nutzung relevante makroskopische Welt. Ein einzelnes Molekül hat eine Feder bewegt, die mit der Lupe noch erkennbar ist! Damit wird nicht nur denkbar, sondern sogar sehr wahrscheinlich, dass dereinst künstlich hergestellte Moleküle als Komponenten komplizierterer integrierter Systeme fungieren, in denen sie Pumpen und Ventile antreiben, Informationen speichern oder sogar noch komplexere Aufgaben erfüllen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2002, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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