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Ein Plädoyer für freien Handel

Zu Unrecht fürchten Umweltschützer negative Auswirkungen ökonomischer Freizügigkeit. Von einfallsreichen Strategien profitieren Umwelt und Wirtschaft gleichermaßen.

Den Wirtschaftswissenschaftlern ist der Widerstreit scheinbar unversöhnlicher Interessen wohlvertraut: Bei jedem Handel muß man nachgeben, um durch Kompromiß überhaupt einen gewissen Vorteil zu erzielen. Darum kann es sie nicht überraschen, daß das Ziel optimalen Umweltschutzes manchmal mit dem Streben nach maximalem Gewinn beim Austausch von materiellen Gütern und Dienstleistungen kollidiert.

Es macht Ökonomen denn auch mißtrauisch, wenn Politiker prophezeien, beide Anliegen würden einander künftig harmonisch und segensreich unterstützen. Doch was sie zu Recht beunruhigt, ist die – oft von Logik und Fakten ungetrübte – Heftigkeit, mit der ökologisch engagierte Gruppen seit kurzem den Freihandel attackieren, insbesondere das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), das 1947 zur Ordnung und Regelung des Welthandels abgeschlossen wurde und dem inzwischen 92 Vollmitglieder sowie 30 Staaten mit Sonderstatus angehören.

Vielleicht ist die Antipathie der Umweltschützer gegen den globalen Austausch unvermeidlich. Seit der englische Nationalökonom Adam Smith (1723 bis 1790) die Vorzüge der durch freie Märkte von selbst herbeigeführten Arbeitsteilung entdeckte, steht der internationale Handel im Mittelpunkt des ökonomischen Denkens (Bild 3). Da es aber für das Streben nach schonender und nachhaltiger Nutzung aller Ressourcen – einschließlich der Gemeingüter Boden, Wasser, Luft und Artenvielfalt – normalerweise keine Märkte gibt, müssen sie eigens geschaffen werden.

Während also die international tätige Wirtschaft Interventionen von Regierungsseite als Einmischung empfindet, verlangt der Umweltschutz geradezu danach. Außerdem werden die Vorteile des Handels von Firmen und multinationalen Konzernen genutzt und lobend hervorgehoben; hingegen vertreten üblicherweise gemeinnützige Organisationen, die Gewinninteressen als rücksichtslosem Profitstreben generell mißtrauen, die Ziele des Umweltschutzes. Drittens schließlich ist der Handel ein uraltes Gewerbe, und seiner Pflege widmen sich Institutionen mit langjähriger Erfahrung; die Bewahrung der irdischen Lebensgrundlagen ist dagegen ein neues Betätigungsfeld für nationale und internationale Einrichtungen, die sich gerade erst gebildet haben und noch entwickeln.


Attacken auf GATT

Im letzten Jahr brach unter Umweltschützern offene Empörung aus, als ein unparteiisches GATT-Schlichtungsgremium zugunsten Mexikos und des Freihandels sowie gegen die USA und das Wohlergehen der Delphine entschied. Die USA hatten gegen den Import mexikanischen Thunfischs ein Embargo verhängt, weil die Fische mit Beutelnetzen gefangen worden waren, in denen Delphine qualvoll und in größerer Zahl verenden als nach amerikanischem Recht zulässig (Bild 1 links). Doch das GATT-Gremium entschied, die USA dürften Mexikos Handelsrechte nicht durch einseitig vorgeschriebene Fangmethoden beschneiden.

Diese Entscheidung gab den Kampagnen der Umweltschützer gegen GATT und freien Handel erst richtigen Auftrieb. Auch sonst herrscht kein Mangel an GATT-Gegnern: Neuerdings halten manche Kritiker das Abkommen für wirkungslos und hinfällig. Aber die Angriffe der Umweltschützer, die es umgekehrt für geradezu allmächtig ausgeben, sind ganz anderer Art.

Am 20. April 1992 erschien in der "New York Times" eine Anzeige mehrerer Umweltgruppen, die einen neuen Tiefpunkt an Panikmache und Unterstellungen markierte; damit wollte man bewußt nicht den Intellekt ansprechen, sondern Emotionen wecken. Die Rede war von "gesichtslosen GATT-Bürokraten", die einen "klammheimlichen Angriff auf die Demokratie" vorhätten. Diese verschleierte Anspielung auf Pearl Harbor (dem japanischen Überfall vom 7. Dezember 1941 fiel ein Großteil der dort ankernden US-Pazifikflotte zum Opfer) ist typisch für die Taktik, bei Kontroversen um den Freihandel auf Japan einzuschlagen.

Solche Anspielungen werden unentwegt wiederholt – etwa auch in den endlosen Debatten im US-Kongreß über die ergänzenden Umweltschutz-Vereinbarungen zum Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (North American Free Trade Agreement, NAFTA) zwischen Kanada, den Vereinigten Staaten und Mexiko. Auch der Abschluß der sogenannten Uruguay-Runde von GATT-Gesprächen, die nun ins siebente Jahr gehen, ist von dieser Feindseligkeit überschattet: Die Umweltschützer widersetzen sich der Gründung der multilateralen Organisation des Handels, die endlich wirksame Regeln für Ein- und Ausfuhren sowie eine längst erforderliche Organisationsstruktur für GATT schaffen soll.

Es ist geradezu tragisch, daß die Fürsprecher zweier großer Themen der neunziger Jahre – Liberalisierung der Wirtschaftsbeziehungen und Umwelt – einander bekriegen, denn der Konflikt ist größtenteils unbegründet. Gelegentlich treten zwar wirklich unversöhnliche philosophische Differenzen auf, etwa wenn manche Umweltschützer die Autonomie der Natur behaupten, während den meisten Wirtschaftswissenschaftlern die Natur als Dienerin der Menschheit erscheint. Doch die meisten Differenzen beruhen auf Mißverständnissen. Man muß allerdings erst einmal die krassesten Irrtümer analysieren und verwerfen, um an die eigentlichen Probleme heranzukommen.


Ein Scheinkonflikt?

Umweltschützer fürchten oft, der Freihandel erhöhe das Wirtschaftswachstum, und dieses schädige die Lebensgrundlagen. Diese Furcht ist grundlos. Wachstum ermöglicht den Regierungen, Steuern zu erheben und Mittel für vielerlei Vorhaben bereitzustellen – unter anderem auch für den allgemeinen Schutz der Umwelt. Ohne solche Einnahmen läßt sich selbst mit den edelsten Motiven wenig erreichen.

Wofür gibt die Gesellschaft diese zusätzlichen Einnahmen aus? Das hängt davon ab, wie wachsender Reichtum den Wunsch nach einer besseren Umwelt beeinflußt. In reichen Ländern gibt es heute mehr Gruppen, die sich für die Lösung von Umweltproblemen engagieren, als in armen. Wirtschaftsfördernde Maßnahmen, etwa die Liberalisierung des Handels, dürften im allgemeinen dem Umweltschutzgedanken eher nützen als schaden.

Wer voraussagen möchte, wie Wachstum sich ökologisch auswirken wird, muß freilich mit berücksichtigen, wie es den Anfall schädlicher Stoffe beeinflußt. Wachstum verändert nicht nur die Nachfrage nach sauberer Umwelt, sondern auch das Angebot an Verschmutzung, die mit Wachstum einhergeht. Der ökologische Nettoeffekt wird somit von der Art des Wirtschaftswachstums abhängen. Wie etwa Gene M. Grossman und Alan B. Krueger von der Universität Princeton (New Jersey) dargelegt haben, ist praktisch überall in der Welt die städtische Schwefeldioxid-Belastung mit wachsendem allgemeinem Wohlstand gesunken – außer in den Ländern, wo das jährliche Pro-Kopf-Einkommen unter 5000 US-Dollar lag. Kurz, die Umweltschützer irren, wenn sie befürchten, daß der Handel über das Wachstum unweigerlich die Verschmutzung erhöhe.

Erfolgreiches Wirtschaften hat weitere ökologisch positive Effekte. Zum Beispiel ermöglicht ein freierer Handel den Import umweltschonender Techniken und Produkte, die anderswo erhältlich sind; so können etwa die Energieverbraucher Strom und Wärme statt aus schwefelreicher heimischer Kohle aus schwefelarmer Importkohle beziehen.

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie umgekehrt Handelshemmnisse der Umwelt schaden können, führte Robert C. Feenstra von der Universität von Kalifornien in Davis an: Als die USA in den achtziger Jahren den Import japanischer Automobile beschränkten, forcierten die Japaner im Gegenzug den Exportanteil großer Wagen, um ihre Einnahmen trotz geringerer Stückzahl zu steigern. Doch die großen Autos verschwendeten Treibstoff. Somit erhöhten die protektionistischen Maßnahmen im Endeffekt die durchschnittliche Luftverschmutzung durch Importfahrzeuge in den Vereinigten Staaten (Bild 2).

Obwohl die irrigen Einwände gegen den Freihandel sich leicht widerlegen lassen (was nicht heißt, daß sie in der öffentlichen Auseinandersetzung keine Rolle mehr spielen), gibt es echte Konflikte zwischen ökonomischer Freizügigkeit und ökologischen Erfordernissen. Um sie zu verstehen und aufzulösen, unterscheiden die Wirtschaftswissenschaftler zweierlei Umweltprobleme: die des jeweiligen Landes und die grenzübergreifenden.


Umweltprobleme – hausgemacht oder international

Falls etwa Bolivien einen seiner Seen verschmutzt, ist dies ein hausgemachtes Problem; wenn aber ein Fluß verschmutzt wird, der von Bolivien nach Brasilien fließt, bekommt die Angelegenheit internationalen Charakter.

Die wohl wichtigsten Beispiele für grenzüberschreitende Umweltbelastung sind der saure Regen, bei dem die Schwefeldioxid-Emissionen eines Landes sich in einem anderen niederschlagen, sowie Kohlendioxid und andere Treibhausgase, die unabhängig vom Emissionsort zur globalen Erwärmung beitragen (Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1988, Seite 82, und Juli 1993, Seite 30).

Warum rufen hausgemachte Umweltprobleme auch anderwärts Besorgnis hervor? Der wichtigste Grund ist der Glaube, daß unterschiedliche Umweltschutzstandards die Wettbewerbsfähigkeit beeinflussen. Unternehmer befürchten, in Ländern mit weniger strikten Regelungen hätte die Konkurrenz einen Vorteil. Solche Unterschiede werden als unfair angeprangert, und man fordert andere Staaten auf, ihre Standards auf das Niveau der eigenen anzuheben. Die ökologisch Engagierten wiederum wollen, daß diese Anhebung schon vor der Deregulierung des Handels stattfindet, denn andernfalls würden die benachteiligten Wirtschaftszweige des eigenen Landes die heimischen Standards abzumildern suchen und mühsam errungene Erfolge im Umweltschutz zunichte machen. Und schließlich verweisen Gewerkschaften auf die Gefahr, daß Fabriken in die Länder mit den niedrigsten Umweltstandards verlagert würden und damit heimische Arbeitsplätze verlorengingen.

Auch wenn Umweltschützer mit Unternehmern und Gewerkschaften in Fragen der Wettbewerbsfähigkeit in gewisser Weise verbündet sind, folgen sie doch bei zwei Problembereichen eigenen Strategien. Erstens möchten einige von ihnen ihre ethischen Vorstellungen mittels Handelssanktionen durchsetzen – etwa indem sie für Beschränkungen des Thunfisch-Imports aus Mexiko und anderen Ländern eintreten, die durch Thunfischfang mit Beutelnetzen Delphine töten. Zweitens fürchten manche, daß die durch frühere GATT-Vereinbarungen festgelegten und von der Uruguay-Runde verstärkten Regeln sogar ihre Freiheit einschränken würden, im eigenen Lande den Umweltschutz zu fördern, weil im Rahmen von GATT Regulierungen, die zwischen Mitgliedern dieses Abkommens strittig sind, für ungesetzlich erklärt werden können.


Soziales Dumping

Die Umweltschützer haben gewiß Grund zur Sorge. Aber nicht alle Befürchtungen sind berechtigt und nicht alle Lösungsvorschläge vernünftig.

Der Wettbewerbsfähigkeit zuliebe hat man die unzulässige Forderung erhoben, niedrigere Umweltstandards des Auslands als sogenanntes soziales Dumping zu behandeln: Die betreffenden Länder werden beschuldigt, ihre Exporteure dadurch unfair zu subventionieren – was wiederum durch Importzölle ausgeglichen werden soll.

Doch international unterschiedliche Regulierungen sind völlig normal. Selbst wenn zwei Länder dieselben umweltpolitischen Ziele verfolgen, werden die jeweils bekämpften Umweltbelastungen und die davon betroffenen Industrien in der Regel nicht identisch sein. In Mexiko ist der soziale Anreiz, verfügbare Mittel zur Bekämpfung der Cholera auszugeben statt für weniger Blei im Benzin, größer als in den USA.

Andererseits wird ein bestimmtes Umweltgut von einem armen Land unter Umständen höher geschätzt als von einem reichen. Stellen wir zum Beispiel den Wert, der einem See zugemessen wird, den Kosten gegenüber, ihn von den eingeleiteten Abwässern eines Chemiebetriebs zu reinigen. In Indien ist ein solcher See vielleicht das Trinkwasserreservoir einer unterernährten Bevölkerung, deren Sterblichkeit mit wachsender Verschmutzung steil ansteigen würde. In den USA konsumieren eventuell nur wenige Menschen das Wasser, und sie alle hätten die Mittel, sich mit privat gekauften Filtern zu schützen. In diesem Falle würde wahrscheinlich Indien reines Wasser dem profitablen Betrieb der Chemiefirma vorziehen.

Die Konsequenzen unterschiedlicher Standards sind offensichtlich: In jedem Land wird es relativ weniger von denjenigen Industriezweigen geben, deren Schadeffekte dort mehr gefürchtet sind als in anderen Ländern. Selbst ohne internationalen Austausch würden Branchen schrumpfen, deren Umweltverschmutzung man bestraft. Dies ist ein Ergebnis des Prinzips, alle Verschmutzer für den angerichteten Schaden zahlen zu lassen. Es wäre darum widersprüchlich, die Folgen zu kritisieren, die unsere negative Bewertung der Umweltschäden für eine bestimmte Industrie hat: Wir würden uns damit weigern, die Folgen unserer umweltpolitischen Prioritäten zu tragen.

Dennoch wollen manche staatlich regulierend gegen soziales Dumping vorgehen. US-Senator Daniel L. Boren von Oklahoma, der das Gesetz zur Abschreckung internationaler Umweltverschmutzung (International Pollution Deterrence Act) von 1991 eingebracht hat, forderte, die Vereinigten Staaten sollten entsprechende Importzölle erheben, weil "in den USA einige Produzenten, etwa die Kohle- und Stahlindustrie, gemessen am Bruttoinlandsprodukt 250 Prozent mehr für Umweltschutz ausgeben als diejenigen in anderen Staaten... Wenn ich für meinen Bundesstaat wichtige Industrien betrachte, sehe ich, wie andere Nationen, die Umwelt und öffentliche Gesundheit für wirtschaftlichen Gewinn aufs Spiel setzen, unfaire Vorteile genießen". Und US-Vizepräsident Al Gore schreibt in seinem Buch "Wege zum Gleichgewicht. Ein Marshallplan für die Erde" ("Earth in the Balance: Ecology and the Human Spirit"): "Genauso wie staatliche Subventionen für eine bestimmte Industrie manchmal als unfaire Verletzung der Handelsgesetze gelten, sollte auch eine schwache und unwirksame Schadstoffkontrolle unter die Definition unfairer Handelspraktiken fallen."

Diese Forderungen zeigen einen Mangel an wirtschaftlicher Logik und politischem Realitätssinn. Die sogenannte Subventionierung ausländischer Erzeuger durch niedrigere Umweltstandards wird ja nicht wirklich gewährt, sondern nur rechnerisch unterstellt. Senator Boren zufolge ergibt sich die Höhe solcher Subventionen aus "den Kosten, welche der ausländische Hersteller aufzubringen hätte, wenn er dieselben Auflagen erfüllen müßte wie ein Produzent der gleichen Güter in den USA". Jeder, der sich mit dem Berechnen von Dumpingpreisen auskennt, weiß jedoch, daß die amerikanische Umweltbehörde (Environmental Protection Agency, EPA) mit praktisch jeder gewünschten Schätzung aufwarten kann. Unweigerlich würden zynische politische Interessen die Kalkulationen diktieren.


Arbeitsplatz oder Umweltschutz?

Immerhin mag es politisch sinnvoll sein, den Umweltschützern die Sorge zu nehmen, Fabriken könnten zu geringer regulierten Standorten abwandern. Die Regierungen könnten dies ohne Überschreitung ihrer Kompetenzen und ohne Einschränkung des Freihandels erreichen, indem sie verlangen, daß in ihrem Land beheimatete Unternehmen auch anderwärts die höheren Standards einhalten. Die Staaten mit niedrigeren Standards hätten gegen einen solchen Akt guten Bürgersinns seitens der ausländischen Investoren wohl kaum Einwände.

Die Umweltschützer haben noch einen anderen Grund, wirtschaftliche Freizügigkeit abzulehnen: Sie möchten mit dem Instrument der Handelspolitik anderen Gemeinwesen ihre Werte aufzwingen. Viele fordern etwa Sanktionen gegen Länder, die Beutelnetze für den Thunfischfang oder Tierfallen mit Beinklammern erlauben. Doch mit solchen Strafen überzöge vermutlich der ausübende Staat seine Machtbefugnisse. Die in Frage stehenden Werte sind – anders als die Menschenrechte – nicht allgemein anerkannt, sondern eher von persönlichen Neigungen diktiert. Man fragt sich, ob den Gegnern der Beutelnetze die Delphine wichtiger sind als die Bevölkerung von Mexiko, deren Wohlstand durch produktiveren Fischfang wüchse (Bild 1 rechts). Um das Wahlkampf-Manifest von US-Präsident Bill Clinton zu zitieren: Sollten wir nicht zuerst an die Menschen denken?

Beginnen solche Wertvorstellungen erst einmal auf den Freihandel einzuwirken, ist zudem der Weg offen für eine endlose Kette von Forderungen. Die amerikanischen Umweltschützer sorgen sich um Delphine; die Inder haben ihre heiligen Kühe. Radikale Tierschützer, die keine Spezies einer anderen vorziehen, werden generell Schlachthöfe verdammen.

Die moralische Militanz der Umweltschützer in den industrialisierten Gesellschaften beginnt inzwischen selbst ihre engsten Verbündeten in den weniger entwickelten Ländern zu desillusionieren. Diese werfen den reichen Nationen "Öko-Imperialismus" vor und sprechen der westlichen Welt ein Monopol auf Tugendhaftigkeit ab. In einem Leitartikel des zur Zeit radikalsten Umweltmagazins Indiens, "Down to Earth", hieß es kürzlich: "In der gegenwärtigen Weltlage wird der Handel ausschließlich von den nördlichen Ländern als Instrument genutzt, die Umweltsünder unter den Nationen zu disziplinieren. Gewiß, wenn Indien oder Kenia den USA mit der Einstellung des Handels drohten, würde es diese kaum stören. Aber Tatsache ist, daß die nördlichen Länder auf das globale Ökosystem den größten [schädlichen] Einfluß ausüben."

Wenn viele Staaten sich auf dieses Spiel einließen, würde das wiederholte Aufheben von Handelsrechten die Offenheit des Austauschs von Gütern sowie die Vorhersehbarkeit und Stabilität der internationalen Märkte untergraben. Einige Umweltschützer behaupten, jedes Land solle die Freiheit haben, bei seinen Handelspartnern auf bestimmten Produktionsmethoden zu bestehen. Doch sie übersehen, was unweigerlich die Folge wäre: Eine Büchse der Pandora voll Protektionismus würde sich öffnen. Nur selten sind Produktionsmethoden eines Industriezweigs in zwei Ländern identisch.

Es gibt sicherlich bessere Wege, ethischen Präferenzen andernorts Gehör zu verschaffen. Die US-Umweltschutzorganisationen etwa könnten sich im Nachbarland Mexiko dafür einsetzen, die Regierung dort von ihren Ansichten zu überzeugen. In reichen Ländern mit großen Märkten, von denen die betreffenden armen Länder oft abhängen, vermögen auch private Boykott-Aktionen viel auszurichten. Wie schon die häufigen und sehr teuren Anzeigen der Umweltgruppen gegen GATT zeigen, sind ihre Ressourcen weit größer als die der finanzschwachen Länder, deren Politik sie bekämpfen.

Eine Kosten-Nutzen-Analyse ergibt, daß eine Regierung mit einseitigem Aufkündigen der Handelsrechte anderer Staaten schwerlich eigene Vorstellungen durchzusetzen vermag. Solche Sanktionen lassen sich allerdings multilateral verhängen, um allgemein akzeptierte Werte zu verteidigen. Dafür ist – wie etwa die Ächtung der bis vor kurzem in Südafrika praktizierten Apartheid gezeigt hat – auch breite Zustimmung zu erhalten. Steht die große Mehrheit hinter dem Anliegen, kann GATT die Handelsrechte des beschuldigten Landes durch ein förmliches Verfahren suspendieren.


Hemmende Bestimmungen

Die Umweltschützer befürchten auch, daß die gegenwärtigen und künftigen GATT-Regelungen sogar ökologisch motivierte Vorschriften behindern, die ausschließlich der jeweils heimischen Produktion und Konsumtion gelten. Im Prinzip erlaubt GATT einem Land zwar, jede Bestimmung durchzusetzen, die ausländische Lieferanten nicht diskriminiert. Man darf zum Beispiel Airbags für Automobile fordern – vorausgesetzt, das gilt für alle Autohersteller. GATT gestattet sogar Einschränkungen der Freizügigkeit aus Sicherheits- und Gesundheitsgründen. Doch andererseits gelten gemäß dem Abkommen drei Arten von Handelsbeschränkungen als unberechtigt: wenn die wahre Absicht und die Konsequenz einer Beschränkung nicht Schutz der Umwelt, sondern Protektionismus zugunsten der eigenen Wirtschaft sind, wenn Beschränkungen, mit denen ein bestimmtes umweltpolitisches Ziel durchgesetzt werden soll, überzogen sind und wenn Standards festgelegt werden, die nicht wissenschaftlich begründet sind.

Für das erste Problem ist der erst kürzlich beigelegte sogenannte Bierkrieg zwischen der kanadischen Provinz Ontario und den USA ein Beispiel. Vor fünf Jahren hatte Ontario eine Steuer von 10 Cent auf jede Dose Bier eingeführt – vorgeblich, um der Verschandelung von Städten und Landschaft durch weggeworfene leere Dosen zu begegnen. Die USA argumentierten, das Gesetz richte sich in Wirklichkeit gegen ihre Firmen, die Bier in Aluminiumdosen lieferten, während die örtlichen Brauereien Flaschen benutzten – Ontario hatte nämlich Dosen für Säfte und Suppen nicht besteuert, was die heimischen Hersteller getroffen hätte.

Das zweite Problem läßt sich meist schwieriger lösen, denn es ist unmöglich, für bestehende Einschränkungen billigere Alternativen zu finden, die exakt den gleichen Umweltschutz bewirken. Darum muß ein Schlichtungsausschuß implizit oder explizit die Kosten, die einerseits durch Störung des Handels, andererseits durch tiefer gesteckte ökologische Ziele entstehen, gegeneinander aufrechnen. Vermutlich werden Umweltschützer und Handelsexperten sich nicht darüber einigen, welche Gewichte der Ausschuß den gegensätzlichen Interessen beimessen soll.

Drittens mißtrauen die Umweltschützer oft den wissenschaftlichen Gutachten, mit denen über Handelssanktionen gegen ein bestimmtes Produkt entschieden werden soll. Eigene Behauptungen beweisen zu müssen ist immer lästig, wenn man die politische Macht für einseitige Maßnahmen hat. Doch die Handelsexperten haben die besseren Argumente. Angenommen, die amerikanischen Obstbauern sprühen das Pestizid Alar auf ihre Äpfel, die europäischen aber nicht, und nun beginnen die europäischen Konsumenten, Alar als gefährliches Gift zu brandmarken. Darf die Europäische Union dann den Import von amerikanischen Äpfeln einfach ohne irgendeine wissenschaftliche Fundierung der Bedenken stoppen? Zugegeben, die Wissenschaft ist nicht unfehlbar: Verschiedene Studien können durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Doch ohne wissenschaftliche Kontrolle wäre die Versuchung unwiderstehlich, nach Gutdünken zu verfahren oder gar die Befürchtungen anderer Menschen auszunutzen.

In jedem Falle möchten die gemäßigten Umweltschützer, daß GATT die Schlichtung von Streitfällen transparenter organisiert; außerdem verlangen sie mehr Mitspracherechte bei Bestimmungen, die den Umweltschutz betreffen. Diese Forderungen scheinen vernünftig und könnten erfüllt werden.


Internationale Gerechtigkeit

Nicht alle Umweltprobleme sind lokaler Natur; einige – wie die Verstärkung des atmosphärischen Treibhauseffekts und die Ausdünnung der stratosphärischen Ozonschicht – haben wahrhaft globales Ausmaß. Sie werfen erst recht Fragen auf, die gemeinsame und multilaterale Antworten verlangen. Solche Lösungen müssen allerdings nicht nur wirkungsvoll, sondern auch gerecht sein. Offensichtlich vermögen die reichen Länder mit ihrer wirtschaftlichen Macht Vereinbarungen durchzusetzen, die zwar höchst effektiv sind, aber auf Kosten der ärmeren Länder gehen.

Stellen wir uns zum Beispiel vor, ein Abkommen würde Brasilien auffordern, seine Regenwälder nicht weiter abzuholzen, während die Industrieländer weiter Kohlendioxid emittieren dürften – und zwar mit folgender Begründung: Es koste Brasilien weniger, einen Baum stehenzulassen, der pro Jahr ein bestimmtes Quantum Kohlendioxid absorbiert, als es die USA oder Deutschland kosten würde, dasselbe Quantum durch Verbrennen von weniger Erdöl einzusparen. Rein ökonomisch gesehen ist das Argument korrekt; doch da Brasilien, das ärmere Land, allein die Rechnung präsentiert bekäme, wäre die Lösung zweifellos ungerecht.

Bevor eine Staatengruppe gegen ein Land, das einer multilateralen Vereinbarung nicht beigetreten ist, Handelssanktionen verhängt, müßte man prüfen, ob die Vereinbarung wirklich fair ist. Die damit bedrohten Nicht-Mitglieder sollten das Recht haben, ihre Einwände vor einem unparteiischen Gremium vorzutragen. Dadurch wären die Starken gezwungen, ihre Handlungen, so tugendhaft sie ihnen selbst immer scheinen mögen, auch nach außen überzeugend zu begründen.

Sicherlich lassen sich zwei Ziele wie freier Handel und geschützte Umwelt nicht ohne Schwierigkeiten gleicherweise verfolgen. Doch derlei Konflikte sind mit gutem Willen und dem Mut zu organisatorischen Neuerungen durchaus lösbar. Die Aversion vieler Umweltschützer gegen GATT und freien Handel ist unbegründet; sie sollten ihre Vorurteile endlich aufgeben. Ihr an sich bewundernswertes moralisches und intellektuelles Engagement wäre beim Brückenschlag zwischen ökonomischer Freizügigkeit und ökologischer Zukunftssicherung besser am Platz.

Literaturhinweise

- Perspektiven einer neuen internationalen Handelspolitik. Herausgegeben von Benno Engels. Deutsches Übersee-Institut, Hamburg 1993.

– Reform des Welthandelssystems? Perspektiven zum GATT und zur Uruguay-Runde. Von Knut Ipsen und Ulrich R. Haltern. Peter Lang Verlag, Frankfurt 1991.

– Umweltschutz und freier Warenverkehr im EWG-Vertrag und GATT. Von Achilles Skordas. Apelt Verlag, Steinbach 1986.

– "Circumventing" Democracy: The Political Morality of Trade Negotiations. Von Robert E. Hudec in: New York University Journal of International Law and Politics, Band 25, Heft 2, Seiten 401 bis 412, September/Oktober 1993.

– Environmental Impacts of a North American Free Trade Agreement. Von Gene M. Grossman und Alan B. Krueger in: The Mexico-U.S. Free Trade Agreement. Herausgegeben von Peter M. Garber. MIT Press, 1993.

– Trade and Environment: Does Environmental Diversity Detract from the Case for Free Trade? Von Jagdish Bhagwati und T.N. Srinivasan. Vervielfältigtes Typoskript, Yale-Universität, New Haven (Connecticut) 1993.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1994, Seite 33
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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