Ein Schwarzes Loch auf frischer Tat ertappt
Um zu beobachten, wie Schwarze Löcher Materie verschlucken und dabei enorme Mengen Energie freisetzen, eignen sich stark veränderliche Röntgen-Doppelsterne am besten.
Zu Beginn eines Ausbruchs erhöht solch ein Objekt innerhalb einer Woche seine Röntgen-Leuchtkraft um das Millionenfache, seine optische Leuchtkraft um das Hundertfache. Nach ungefähr einem Jahr klingt der Ausbruch ab; bis zur nächsten Aktivität kann es dann bis zu hundert Jahren andauern. Andere stellare Röntgenquellen zeigen weder so extreme noch so lange andauernde Ausbrüche.
Die Astronomen schätzen, daß es innerhalb des Milchstraßensystems einige tausend noch unbekannte dieser stark veränderlichen Röntgen-Doppelsterne gibt. Bisher konnten erst etwa zwei Dutzend von ihnen „auf frischer Tat“ bei einem Ausbruch ertappt werden. Jeder von ihnen enthält ein kompaktes Objekt – ob Neutronenstern oder Schwarzes Loch –, das Gas von seinem Partnerstern abzieht.
Unter diesen Röntgen-Doppelsternen hat kein anderer den Wissenschaftlern bisher so viele Erkenntnisse gebracht wie die Quelle GRO J1655-40. Diesen Namen verdankt der Doppelstern seiner Entdeckung im Jahre 1994 durch Nasa-Forscher mithilfe des Gammastrahlungs-Satelliten GRO (Gamma Ray Observatory). Seitdem beobachteten die Astronomen Variationen in der periodischen Umlaufgeschwindigkeit des Begleitsterns – Anzeichen für eine schnelle Rotation des mutmaßlichen Schwarzen Loches. Auch entdeckten sie Indizien für Gasfontänen, sogenannte Jets, die das System fast mit Lichtgeschwindigkeit ausstößt. Durch die Messung der Umlaufgeschwindigkeit des Begleitsterns – genauer: deren Komponente in Blickrichtung – konnten die Astronomen eine untere Grenze für die Masse des kompakten Objektes berechnen: 3,2 Sonnenmassen – sehr wahrscheinlich enthält GRO J1655-40 damit tatsächlich ein Schwarzes Loch.
Eine genauere Abschätzung der Masse dieses Schwarzen Loches hing von zwei weiteren Meßgrößen ab: dem Winkel zwischen Blickrichtung und Bahnebene des Begleitsterns sowie der Masse des Begleitsterns. Diese konnten aus den winzigen Schwankungen der Helligkeit des Begleitsterns bestimmt werden, wie sie bei jedem Umlauf auftreten. Der Stern, den das Schwarze Loch in dessen Richtung verformt, leuchtet nämlich während seines Umlaufs am hellsten, wenn er dem Beobachter seine Breitseite zuwendet. Einen Viertelumlauf später zeigt der Stern seine Schmalseite mit entsprechend geringerer Helligkeit. Ein glücklicher Zufall vereinfachte unsere Aufgabe: Sowohl die Bahnebene des Sterns als auch die Akkretionsscheibe sehen wir fast genau von der Seite. So konnten die Astronomen die bisher genaueste Massenabschätzung eines Kandidaten für ein Schwarzes Loch vornehmen: 7,0 Sonnenmassen.
Anders als man es von anderen stark variablen Röntgen-Doppelsternen kennt, zeigte GRO J1655-40 in den Jahren 1994 und 1996 kurz hintereinander zwei Ausbrüche. Der Doppelstern verstärkte seine sichtbare Helligkeit etwa sechs Tage vor dem Ausbruch der Röntgenstrahlung vom 25. April 1996. Theoretiker interpretierten dies als die Zeit, die das Gas innerhalb der Gasscheibe braucht, um von ihrem äußeren Rand nach innen zu strömen. Aus der Form des Röntgenspektrums konnte gefolgert werden, daß sich das Schwarze Loch mit fast 90 Prozent seiner maximal möglichen Rate drehte.
Vier Monate später wiesen Ronald A. Remillard vom Massachusetts Institute of Technology und seine Kollegen mit dem Satelliten Rossi X-Ray Timing Explorer gelegentliche periodische Schwankungen in der Röntgen-Helligkeit nach. Mit 300 Schwingungen pro Sekunde sind sie die schnellsten, die jemals bei einem Schwarzen-Loch-Kandidaten festgestellt werden konnten. Sehr wahrscheinlich sind diese Oszillationen auf Schwingungen der Akkretionsscheibe zurückzuführen, die durch Rotation des Schwarzen Loches angeregt werden. Einige Monate nach Beginn des Ausbruchs beobachteten die Astronomen zwei Jets, die sich zu beiden Seiten des Objektes in entgegengesetzte Richtungen mit 92 Prozent der Lichtgeschwindigkeit fortbewegten. Die Jetgase können nur am inneren Rand der Akkretionsscheibe beschleunigt worden sein, wo die Bahngeschwindigkeit ähnlich hohe Werte erreicht. Inzwischen ist GRO J1655-40 erneut in einen Ruhezustand zurückgekehrt. Nun strömen die Gase vom Begleitstern wieder gleichmäßig in die Akkretionsscheibe und von da weiter ins Schwarze Loch. Anders als während der Ausbrüche verschwinden nun 99,9 Prozent der verfügbaren Energie aus unserem Universum – auf Nimmerwiedersehen hinter dem Ereignishorizont.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1999, Seite 31
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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