Dezember 2003: Ein Universum voll dunkler Rätsel
Seit 1964 treffen sich Wissenschaftler alle zwei Jahre bei den so genannten Texas-Konferenzen, um astronomische Beobachtungen zu diskutieren, die für die Kosmologie von Bedeutung sind. Diese Zusammenkünfte hatten in Austin (Texas) begonnen, inspiriert durch die kurz vorher erfolgte Entdeckung der Quasare. Was diese weit entfernten, ungeheuer leuchtstarken »quasistellaren Objekte« mit Energie versorgt, war damals noch ein Rätsel; heute vermutet man dahinter Galaxienkerne, die unter ihrer eigenen Schwerkraft zu extrem massereichen Schwarzen Löchern kollabiert sind und gierig umgebende Materie verschlucken. Im Dezember 1978 fand die Texas-Tagung in München statt. Aus den Konferenzpapieren lässt sich recht gut der Stand der Kosmologie vor 25 Jahren ablesen. Für mich war diese Tagung der Einstieg in die kosmologische Forschung.
Schon damals waren sich fast alle Kosmologen einig, dass ein akzeptabler Rahmen für die Theorie des Kosmos durch das »Urknallmodell« vorgegeben war – wie es sein prominentester Gegner, der britische Astronom Sir Fred Hoyle, zunächst abfällig tituliert hatte. In diesem Modell entwickelt sich die kosmische Materie und Strahlung aus einem nahezu strukturlosen, heißen und dichten Frühzustand zu dem komplexen Universum, das wir heute beobachten. Dem gleichmäßigen Anfangszustand sind kleine Störungen überlagert, die schließlich durch ihre Eigengravitation zu Galaxien und Galaxienhaufen werden. Diese Vorstellungen lassen sich mathematisch mit einfachen Lösungen der Einstein’schen Allgemeinen Relativitätstheorie präzisieren. Diese so genannten Friedman-Lemaître-Modelle geben viele Beobachtungen befriedigend wieder. Nicht mehr als zwei Zahlen – die heutige Ausdehnungsrate und die mittlere Massendichte des Kosmos – schienen ausreichend, um die Modelle festzulegen und damit nach Meinung vieler Kosmologen das Universum durch und durch zu kennen.
Es gab damals noch hitzige Diskussionen um die korrekte Messung der Expansionsrate, der Hubble-Konstanten. Um sie zu messen, bestimmt man die Entfernung kosmischer Objekte sowie ihre Fluchtgeschwindigkeit, gegeben durch die Rotverschiebung ihrer Spektrallinien. Entweder 50 oder 100 mit kleinen Unsicherheiten von jeweils zehn Prozent, das war die Streitfrage – ausgedrückt in der etwas eigenwilligen Einheit der Astronomen von Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec. Anschaulich bedeutet eine Hubble-Konstante von 50, dass eine Galaxie in 100 Megaparsec Entfernung sich scheinbar mit einer Geschwindigkeit von 5000 Kilometer pro Sekunde von uns entfernt. Nur schwache Charaktere plädierten in dieser Debatte für einen Mittelwert, obwohl den Streithähnen klar war, dass die Suche nach einem verlässlichen extragalaktischen Entfernungsmaßstab noch eine Weile weitergehen würde.
In den letzten Jahren hat ein neuer Versuch, die kosmische Entfernungsskala zu bestimmen, viele Anhänger gefunden und den Streit geschlichtet. Dabei macht man sich die riesige Leuchtkraft bestimmter Typen von Sternexplosionen zu Nutze, der Supernovae von Typ Ia (abgekürzt SNIa). Im Spektrum dieser explodierenden Sterne findet man keine Hinweise auf Wasserstoff, nur die Linien höherer Elemente wie Helium und Kohlenstoff. Der Stern, der sein Dasein durch diese Explosion beendet, hat wahrscheinlich schon eine lange Entwicklungszeit hinter sich, und sein Wasserstoffvorrat ist verbraucht. Vermutlich handelt es sich um einen »Weißen Zwerg« – einen kompakten Sternenrest mit dem Radius etwa der Erde und der Masse der Sonne. In der Explosion wird radioaktives Nickel erzeugt, dessen Zerfall die Energie für die Leuchterscheinung liefert. Die Leuchtkraft dieser Supernova steigt rasch an, erreicht innerhalb einiger Stunden ein Maximum und fällt dann wieder ab. Maximum und Abfall der Lichtkurve gestatten eine genaue Bestimmung der Leuchtkraft. Mit dieser Methode ergibt sich für die Hubble-Konstante der Wert 70 mit einer Genauigkeit von zehn Prozent.
»Die Wissenschaft von den zwei Zahlen«
Der Kehrwert der Hubble-Konstanten ist eine für die Ausdehnung des Weltalls charakteristische Zeit. Sie beträgt gemäß der SNIa-Messung etwa 14 Milliarden Jahre. Das bedeutet: Vor rund 14 Milliarden Jahren begann die heute beobachtete Expansion. Damals waren alle Galaxien eng beisammen, und das Universum muss wesentlich anders als heute ausgesehen haben.
Die ältesten Sterne in den Kugelsternhaufen dienen den Astronomen zur Festlegung einer zweiten charakteristischen Zeit. Das Alter dieser Sterne wird auf 10 bis 14 Milliarden Jahre geschätzt. Diese Werte haben sich in den letzten 25 Jahren häufig verändert; noch vor einigen Jahren schien das Sternalter das kosmische Expansionsalter weit zu übertreffen. Die einfachen Urknallmodelle drohten an diesem inneren Widerspruch zu scheitern. Inzwischen sind die Sternmodelle und die Beobachtungen verbessert worden und alles ist wieder im Lot.
In den kosmologischen Modellen vom Friedman-Lemaître-Typ ist das Produkt von Weltalter – näherungsweise gemessen durch das Sternalter – und Hubble-Konstante eine einfache Funktion der Materie und Energie im Kosmos. Vor 25 Jahren sprach man deshalb von der Kosmologie als der »Wissenschaft von den zwei Zahlen«: Messungen der Hubble-Konstanten und des Sternalters (oder der Hubble-Konstanten und der Materiedichte) sollten ausreichen, um das kosmologische Modell völlig festzulegen. Heute wissen die Kosmologen, dass es nicht so einfach geht, denn neben der Materiedichte bestimmen noch andere Dichteparameter die Geschicke des expandierenden Universums. Hinweise darauf finden sie in der Hubble-Relation der SNIa, die für hohe Rotverschiebungen Abweichungen vom gleichförmigen Expansionsgesetz zeigt. Diese Abweichungen werden als Beschleunigung der kosmischen Ausdehnung interpretiert.
1978 schien es noch, als betrage die mittlere Dichte der Materie nur etwa zehn Prozent der so genannten kritischen Dichte, bei welcher das Universum euklidisch, das heißt flach wäre. Diese Bilanz der kosmischen Energie und Materiedichte hat sich in den letzten 25 Jahren völlig verändert. Tatsächlich gelangen in den letzten Jahren Messungen der kosmischen Mikrowellenstrahlung, die eigentlich all die mühsamen astronomischen Versuche, die kosmologischen Modelle zu vermessen, überflüssig erscheinen lassen. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass die gesamte kosmische Geschichte im Strahlungshintergrund eingeprägt ist. Die Astronomen müssen nur noch lernen, dieses himmlische Dokument zu lesen.
Stützpfeiler der Urknalltheorie
Im Jahre 1964 entdeckten Arno Penzias und Robert Wilson eine Strahlung im Mikrowellenbereich – eine Wärmestrahlung mit einer Temperatur von 2,73 Kelvin (Grad über dem absoluten Nullpunkt). Beide Forscher erhielten dafür 1978 den Physik-Nobelpreis. Diese kosmische Hintergrundstrahlung ist ein wichtiger Stützpfeiler des Urknallmodells. Die Expansion des Kosmos bedeutet ja, dass in der Vergangenheit der Strahlungshintergrund heißer und komprimierter war als heute. Der Schluss scheint nahezu zwangsläufig, dass die kosmische Entwicklung mit einem heißen, dichten Frühzustand begonnen hat, in dessen Gluthitze Galaxien und Sterne nicht bestehen konnten, sondern als untrennbares Gemisch aus Strahlung und Materie vorlag.
Der kosmische Strahlungshintergrund war 1978 natürlich wohl bekannt, allerdings war noch nicht klar, ob das Spektrum wirklich den von Max Planck für eine ideale Wärmestrahlung vorhergesagten Verlauf zeigte. Dazu waren Messungen außerhalb der Erdatmosphäre, also mit einem Satelliten, notwendig. Der Antrag an die Nasa, den Satelliten Cobe (Cosmic Background Explorer) zu bauen, war gerade gestellt und auf der Münchener Texas-Tagung allseits begrüßt worden. Im November 1989 schließlich wurde Cobe in seine Umlaufbahn gebracht und vermaß zwei Jahre lang das Spektrum der Hintergrundstrahlung in verschiedenen Himmelsrichtungen. Die Temperatur der Wärmestrahlung wurde sehr präzise zu 2,728 ± 0,002 Kelvin bestimmt. Im Rahmen der Messgenauigkeit wurden keine Abweichungen von der Planck’schen Form des Strahlungsspektrums gefunden. Der Strahlungshintergrund entspricht damit nahezu ideal der Vorstellung einer strukturlosen, gleichförmigen Urexplosion.
In der Frühzeit des Universums enthielt die kosmische Hintergrundstrahlung genügend viele energiereiche Lichtquanten (Photonen), um alle Wasserstoffatome in ionisiertem Zustand zu halten. Dies war auch dann noch der Fall, als die mittlere Strahlungstemperatur bis auf etwa 3000 Kelvin abgesunken war. Jene Zeit, etwa 400000 Jahre nach dem Urknall, entspricht einer Rotverschiebung von z = 1100; das heißt, der mittlere Abstand zweier Galaxien, die sich mit der kosmischen Expansion bewegten, betrug nur 1/1100 des heutigen Abstands. Damals hatte noch etwa ein Milliardstel der Photonen im Strahlungshintergrund eine größere Energie als die Ionisationsenergie des Wasserstoffs von 13,6 Elektronenvolt. Das reichte aus, um die vorhandenen Wasserstoffkerne an der Verbindung mit den Elektronen zu hindern. Die Materie bestand aus einem ziemlich homogenen, heißen Plasma aus Atomkernen und Elektronen, in dem die Strahlung durch Streuung der Photonen an den frei beweglichen Elektronen gefangen blieb.
Mit weiterer Abkühlung infolge der Expansion entstanden in diesem heißen Urbrei erste Strukturen. Bei Temperaturen unterhalb von 3000 Kelvin begannen die freien Elektronen, sich mit den Atomkernen zu Wasserstoff und Helium zu verbinden. In dieser Epoche der so genannten Rekombination wurde das Universum durchsichtig, denn die Photonen wurden an den nun gebundenen Elektronen kaum noch gestreut. Dies geschah in relativ kurzer Zeit: Die Rekombinationsphase dauerte etwa 40000 Jahre, entsprechend einem Rotverschiebungsintervall von z = 80. Im Spektrum des Strahlungshintergrunds hat dieser Prozess überhaupt keine Spuren hinterlassen. Die Energie der Photonen und die Strahlungstemperatur müssen somit auch während der 40000 Jahre perfekt der kosmischen Expansion gefolgt sein. Deshalb blieb die Form der Planck’schen Kurve unverändert. Für mich bildet die Bestätigung des Expansionsverhaltens während der Rekombinationsphase ein besonders überzeugendes Indiz für die Gültigkeit des einfachen Urknallmodells.
Aus der kosmischen Hintergrundstrahlung lässt sich aber noch weit mehr herauslesen. Eigentlich sollten sich ja schon vor der Rekombinationszeit erste schwach ausgeprägte Massenkonzentrationen als Vorläufer der Galaxien gebildet haben. Das müsste sich in Unregelmäßigkeiten des Strahlungshintergrunds widerspiegeln. Vor 25 Jahren hatte man aber trotz intensiver experimenteller Suche und ständig gesteigerter Sensitivität der Messinstrumente nichts dergleichen gefunden – bis auf ein Signal, das einer Temperaturschwankung von rund 3 × 10-3 Kelvin entsprach. Das konnte man aber auch als Folge der Eigenbewegung der Erde gegenüber dem Strahlungshintergrund interpretieren. Abgesehen davon war der kosmische Mikrowellen-Himmel strukturlos. Dieses Resultat passte zwar zu den theoretischen Modellen, stand aber im Gegensatz zu astronomischen Beobachtungen.
Schwingungen im frühen Kosmos
Im Modell wird die Materie als gleichförmig verteilt idealisiert – aber tatsächlich beobachten wir, dass die leuchtende Materie in scharf umgrenzten Galaxien organisiert ist. Beides lässt sich nur vereinbaren, wenn man die Entstehung der Galaxien als Entwicklungsprozess betrachtet, in dem die heute beobachteten Strukturen aus anfänglich sehr kleinen Schwankungen der Materie- und Strahlungsverteilung entstanden sind. Die zunächst nur schwach ausgeprägten Inhomogenitäten der kosmischen Ursuppe treten auf Grund ihrer eigenen Schwerkraft im Laufe der Zeit immer deutlicher hervor, bis sie sich von der allgemeinen Expansion abtrennen und schließlich zu dichten Objekten zusammenballen.
Diese einleuchtende Idee hatte schon vor 25 Jahren viele Anhänger. Das Problem war nur, dass lange Zeit keine Spuren der Anfangsschwankungen gefunden wurden. Erst mit einem Instrument an Bord des Cobe-Satelliten gelang es im Jahre 1992, eine fleckige Struktur am Himmel aufzuspüren – Winkelbereiche von etwa zehn Grad Ausdehnung mit Temperaturabweichungen von maximal 30 millionstel Kelvin. Die Kosmologen atmeten erleichtert auf. Allerdings reichten die von Cobe registrierten Signale nicht aus, um ohne weiteres die Entstehung von Galaxien zu erklären. Selbst die maximal mögliche Verstärkung der Inhomogenitäten – um einen Faktor 1100 von der Rekombinationszeit bis heute – hätte nur zu Schwankungen der Materiedichte im Prozentbereich geführt und den Kosmos in einem allzu gleichförmigen Zustand belassen.
Doch aus diesem Dilemma bot sich ein Ausweg, der vor 25 Jahren noch nicht erkennbar war: Die Kosmologen postulierten die Existenz der Dunklen Materie. Im Gegensatz zur »normalen, leuchtenden Materie treten die hypothetischen Teilchen der Dunklen Materie mit Strahlung nicht in direkte Wechselwirkung. Deshalb können sie gleichsam durch das Nadelöhr der winzigen Hintergrundstrahlungsschwankungen schlüpfen und sich zu größeren Gebilden zusammenballen. So vermag die Dunkle Materie Schwerkraftzentren vorzugeben, in denen die normale Materie sich ansammelt.
Diesem Szenario zufolge bildeten sich in der Dunklen Materie schon kurz vor der Rekombinationszeit erste, schwach ausgeprägte Massenkonzentrationen. Das »normale« Plasma aus Photonen (Strahlungsquanten) und Baryonen (Partikeln wie Proton und Neutron) folgte diesen Kondensationen, doch der Tendenz der Baryonen zum Zusammenballen stand der Strahlungsdruck der Photonen entgegen, der die Plasmawolken auseinander zu treiben suchte. Im Widerstreit dieser Kräfte begannen die Plasmawolken zu schwingen – wie Schallwellen in einem Gas. Die größte schwingende Plasmawolke war bis zur Rekombinationszeit gerade einmal von einer Schallwelle durchlaufen worden. Noch größere Wolken konnten noch keinen Druck aufbauen, sondern folgten einfach der Schwerkraft und zogen sich langsam zusammen. Kleinere Wolken oszillierten mit höherer Frequenz. Alle Schwingungen waren in Phase – perfekt synchronisiert durch den Urknall.
Bei der Kontraktion und Verdichtung wurde das Photonengas heißer; während der Verdünnung, beim Auseinanderlaufen, kühlte es sich ab. Zur Rekombinationszeit verließen die Photonen die Plasmawolken – und finden sich heute mit etwas unterschiedlichen Temperaturen in den Detektoren der Astronomen wieder. Die Temperaturschwankungen der dichteren und dünneren Plasmawolken zeigen sich demnach als wärmere und kühlere Bereiche des Strahlungshintergrunds am Himmel.
Von Cobe zu WMAP
Die Messresultate des Satelliten Cobe passten zwar im Prinzip zu diesem Modell, aber den Instrumenten an Bord mangelte es an der nötigen Sehschärfe: Ein Messpunkt entsprach einem Bereich von mehreren Grad Ausdehnung am Himmel. Beim Blick zur Erde wäre ganz Bayern für Cobe nur ein Messpunkt gewesen.
Mittlerweile befindet sich der amerikanische Satellit WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) in seiner Beobachtungsposition in 1,5 Millionen Kilometer Entfernung von der Erde (Spektrum der Wissenschaft 5/2003, S. 8). Dieser Satellit verbessert die Winkelauflösung auf 15 Bogenminuten. Erste Resultate wurden kürzlich veröffentlicht: Wie schon bei vorhergehenden Ballonmessungen lässt sich in den gemittelten Temperaturschwankungen eine Abfolge von wohl definierten Maxima identifizieren. Das erste Maximum entspricht der größten akustischen Schwingung – sie erfasst den Bereich, den eine Schallwelle vom Urknall bis zur Rekombinationszeit zurücklegen konnte. Diese Länge lässt sich daraus zu ungefähr 220000 Lichtjahren berechnen.
Signale eines flachen Universums
Am Strahlungshimmel erscheint diese Schwingung als Signal mit einer Winkelausdehnung von etwa einem Grad. Der Winkel, unter dem man eine bestimmte Strecke sieht, wird durch die Krümmung des Raumes festgelegt. Bei positiver Krümmung nimmt dieselbe Strecke einen größeren Winkel ein als bei Krümmung null, bei negativer Krümmung einen kleineren. Der gemessene Wert passt zur Krümmung null – das Universum gehorcht der euklidischen Geometrie, es ist flach. Krümmung null heißt zugleich, dass der Parameter der gesamten Massen- und Energiedichte tot den kritischen Wert eins erreicht (siehe Glossar). Die genaue Analyse ergibt tot = 1,02 ± 0,02.
In der akustischen Schwingung folgt auf die Verdichtung eine Verdünnung; sie erscheint im Diagramm, weil dort das Quadrat der Schwankungen aufgetragen ist, als zweites Maximum. Je mehr baryonische Materie vorhanden ist, desto deutlicher wird die Plasmawolke durch die Gravitation der Dunklen Materie verdichtet. Die relative Höhe der Maxima ermöglicht die Festlegung der baryonischen Materie auf 4,5 Prozent der kritischen Dichte (B = 0,045) und der Dunklen Materie auf 27 Prozent (m = 0,27). Diese Werte stehen in Einklang mit anderen astronomischen Messungen; die Unsicherheiten betragen jeweils weniger als zehn Prozent.
Schon jetzt lässt sich das überraschende Ergebnis festhalten, dass baryonische und Dunkle Materie zusammen bei weitem nicht den Wert tot = 1 erreichen. Es muss also eine weitere Komponente geben, die für dieses Defizit geradesteht. Sie muss sehr gleichmäßig verteilt sein und darf keine Klumpung auf der Skala von Galaxienhaufen oder darunter aufweisen. Eine aus irgendwelchen Teilchen, wenn auch noch unbekannten, bestehende Materie kommt dafür nicht in Frage. Vielmehr muss eine nahezu konstante kosmische Energiedichte vorhanden sein, welche die fehlenden siebzig Prozent beisteuert.
Nun haben die Kosmologen zwar das einfache Urknallmodell ziemlich genau vermessen, doch ihre Arbeit ist damit noch längst nicht zu Ende. So einfach die Geometrie des Kosmos erscheint, so geheimnisvoll bleibt seine materielle Zusammensetzung. Nur fünf Prozent der Materie und Energiedichte im Kosmos sind uns bekannt: die normale baryonische Materie, aus der die Elemente und auch wir selbst aufgebaut sind. Dies ist durch die Analysen des Strahlungshintergrunds besonders deutlich geworden. Es gab aber schon vorher Hinweise durch andere astronomische Beobachtungen.
So wurden die Häufigkeiten der leichten Elemente – Deuterium, Helium und Lithium – mit immer höherer Präzision bestimmt. Diese Elemente entstanden in den ersten Minuten nach dem Urknall in genau berechenbaren Mengen, die von der Dichte der Baryonen abhängen. Daraus lassen sich im Rahmen des kosmologischen Modells die heute erwarteten Häufigkeiten ermitteln und mit den gemessenen Werten vergleichen. Das führt auf Schätzungen für die baryonische Materie von etwa fünf Prozent der kritischen Dichte.
Viel Dunkle Materie – und noch mehr Dunkle Energie
Die Astronomen wiederum fanden heraus, dass in den Galaxien dunkle Massen die Bewegung der Sterne wesentlich prägen. Während die leuchtende Materie in den Galaxien nur 0,5 Prozent der kritischen Dichte erreicht, steigt der Beitrag durch die Dunkle Materie auf etwa 1,5 Prozent. Die Galaxien selbst sind meist in größere Strukturen eingebunden. Diese Galaxienhaufen eignen sich besonders, um noch mehr kosmische Masse in die Bilanz einzubringen. Die Geschwindigkeiten der Galaxien in diesen Haufen sind so groß, dass sie auseinander fliegen müssten, falls nicht zusätzliche dunkle Massen vorhanden sind, die sie zusammenhalten. Die exakten Daten erzwingen einen hohen Anteil an Dunkler Materie für diese Objekte. Damit werden 15 Prozent der kritischen Dichte erreicht.
Dasselbe Ergebnis erhält man aus einer Analyse der Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen. Ein 100 Millionen Grad heißes Gas zwischen den Galaxien sendet diese Strahlung aus. Damit das Gas nicht entweicht, muss es durch die Schwerkraft zusätzlicher, nicht sichtbarer Massen gebunden werden. Viele Galaxienhaufen wirken außerdem als Gravitationslinsen – das heißt, sie lenken die Lichtstrahlen ab, die von weiter entfernten Galaxien durch den Haufen zu uns gelangen, und verzerren so das Bild der Quellgalaxie. Die Art der Verzerrung erlaubt Rückschlüsse auf die Massenverteilung in den Galaxienhaufen. Auch diese Beobachtungen führen auf den gleichen Anteil an Dunkler Materie.
Zwar addiert sich die auf der Größenordnung von Galaxienhaufen geklumpte Materie zu einem Wert von etwa 15 Prozent der kritischen Dichte – allerdings mit so beachtlichen Unsicherheiten, dass aus den Beobachtungen nur ein Wertebereich zwischen zehn Prozent und dreißig Prozent abgeleitet werden kann. Die Messungen des kosmischen Strahlungshintergrunds ergeben 27 Prozent für die Dunkle Materie – eine schöne Übereinstimmung.
Die Physiker wissen noch nicht, woraus die Dunkle Materie besteht, doch es sind Experimente im Gang oder im Aufbau, die wohl in wenigen Jahren ein geeignetes Elementarteilchen finden werden (Spektrum der Wissenschaft 10/2003, S. 44). Außerdem bleibt noch die gewaltige Deckungslücke in der kosmischen Energiebilanz von etwa siebzig Prozent der kritischen Dichte.
Die Physiker neigen dazu, dieses Defizit durch die Energie eines speziellen Feldes oder des Vakuums auszugleichen. Sie greifen damit Einsteins – von ihm selbst bald wieder aufgegebenen – Versuch auf, eine »kosmologische Konstante« namens L (Lambda) einzuführen. Eine derartige konstante Feldenergie beschleunigt die kosmische Expansion, während die Massen im Kosmos durch ihre Schwerkraft die Expansion abbremsen. Seit in den SNIa-Messergebnissen tatsächlich ein Beschleunigungseffekt identifiziert wurde, wird diese »Dunkle Energie« ernsthaft untersucht (Spektrum der Wissenschaft 3/2001, S. 32).
Das Problem der kosmologischen Konstanten führt uns zwanglos auf die wachsende Verbindung von Kosmologie und Elementarteilchenphysik. Vor 25 Jahren war davon noch wenig zu hören, doch mit dem »inflationären Universum", das 1980/81 aufkam, begannen intensive Forschungen in diesem Bereich.
Bei den extrem hohen Dichten und Temperaturen im frühesten Universum müssen nicht nur Quanteneigenschaften der Materie in Betracht gezogen werden, sondern das ganze Universum verhält sich in einem gewissen – noch etwas verschwommenen – Sinn als ein einziges Quantenobjekt. Nur eine künftige Theorie, die Quantenmechanik und Gravitation umfasst, kann weitergehende Aussagen über den Anfang des Universums treffen. Vorläufig werden viele hochinteressante Spekulationen durchgespielt. Sie bilden sozusagen den ausgefransten Rand der Kosmologie, der den harten Kern an gesicherten Tatsachen umspielt (Spektrum der Wissenschaft 12/2002, S. 28).
Ob diese Ansätze den Kosmos besser erklären als das einfache Modell, ergänzt durch ein paar spezielle Anfangsbedingungen, das werden wohl erst die nächsten 25 Jahre zeigen. Jedenfalls hat sich hier ein beliebter Tummelplatz für Theoretiker entwickelt. Bemerkenswert sind etwa Überlegungen, die durch die Stringtheorie – eine mögliche fundamentale Theorie – motiviert sind: Die Raumzeit könnte demnach in Wirklichkeit mehr als vier Dimensionen haben, von denen einige nicht notwendig unmerkbar klein aufgerollt, sondern »groß« sein könnten. In diesen »großen« Extradimensionen wäre allein die Gravitation wirksam, während die üblichen Quantentheorien sich in der normalen vierdimensionalen Raumzeit abspielten (Spektrum der Wissenschaft 10/2000, S. 44).
Etwas handfester erscheinen Gedankenspiele, in denen nicht der Urknall selbst betrachtet wird, sondern das hochverdichtete heiße Plasma unmittelbar danach. Im Lichte mutmaßlicher Elementarteilchentheorien, die als »große Vereinigung« oder GUT (Grand Unified Theory) bezeichnet werden, versuchen die Physiker die kosmische Frühphase etwa ab 10-35 Sekunden nach dem Urknall genauer zu beschreiben. Bei diesen Energien sollen die starke, die schwache und die elektromagnetische Kraft zwischen den Elementarteilchen zu einer einzigen Grundkraft verschmelzen. Diese Vorstellung gewann an Gewicht, als es gelang, die Vereinheitlichung von schwacher und elektromagnetischer Kraft, das so genannte elektroschwache Modell, 1983 am Cern, dem europäischen Laboratorium für Teilchenphysik in Genf, experimentell zu bestätigen.
Quantentheorie und Kosmologie
Ein interessanter Aspekt der großen Vereinigung ist, dass die Kopplungskonstanten, welche die Stärke der zwischen den Teilchen herrschenden Kräfte festlegen, und die Massen der Elementarteilchen nicht länger fest vorgegebene konstante Werte erhalten, sondern von der Energie abhängen. Bei sehr hohen Energien soll die Welt durch eine GUT von hoher Symmetrie beschrieben werden. Die Massen der Elementarteilchen sind in dieser Theorie gleich null und alle Kopplungskonstanten sind gleich groß. Beim Übergang zu weniger symmetrischen Systemen verändern sich die Kopplungskonstanten, und die Elementarteilchen erhalten Massen, die vom Grundzustand – vom »Vakuum« – der neuen Theorie bestimmt werden. Im frühen Universum kamen alle diese »Phasenübergänge« vor. Durch Abkühlung und Expansion wurde der anfangs heiße und symmetrische Kosmos Schritt für Schritt unsymmetrischer, aber auch reicher an Struktur. Schade nur, dass nahe dem Urknall keine Beobachter existierten, die hier ultimative Kenntnisse gewonnen hätten.
Die Idee, die Naturkonstanten seien irgendwie zufällig in der Geschichte des Universums so geworden, wie wir sie vorfinden, hat die philosophische Einstellung der Kosmologen verändert. Könnte es nicht in einem unendlichen Universum, so fragen sie, kausal getrennte Bereiche geben, in denen die Naturkonstanten ganz verschiedene Werte annehmen? Und wie wird unser Teiluniversum ausgewählt? Natürlich so, dass unsere Existenz möglich wird! Diese Neubelebung des »anthropischen Prinzips« hat eine Reihe von Anhängern gefunden. Aus der Vielzahl derartiger Spekulationen möchte ich speziell das Szenarium des inflationären Universums etwas eingehender schildern.
In den Entwürfen zu einer GUT treten bestimmte Feldgrößen auf, so genannte skalare Higgs-Felder, die durch ihre Wechselwirkungen dafür sorgen, dass aus einer einzigen Urkraft die heute beobachtete Hierarchie der fundamentalen Kräfte entsteht. Obwohl der experimentelle Nachweis derartiger Felder noch aussteht, wird ein Bild nahe gelegt, in dem auch das frühe Universum von skalaren Feldern erfüllt ist. Falls nun die Energiedichte eines skalaren Feldes im Kosmos dominiert und falls die kinetische Energie des Feldes vernachlässigbar ist – das Feld also zeitlich nicht variiert –, so wirkt diese Energiedichte wie eine kosmologische Konstante, die zu einer heftigen Beschleunigung der kosmischen Expansion führt. Durch diese so genannte Inflation verdoppelt sich etwa alle 10-35 Sekunden der Abstand zweier Teilchen. Zwischen 10-35 Sekunden und einigen 10-32 Sekunden wächst durch die inflationäre Expansion der Abstand zweier Teilchen um den Faktor 1029. In diesem kurzen Zeitraum wäre er im Standardmodell nur auf das Hundertfache angewachsen.
Unendlich viele Universen?
Die inflationäre Phase herrschte, solange das Skalarfeld eine von null verschiedene potenzielle Energie hatte – im Fachjargon spricht man vom »falschen« Vakuum. Sie ging zu Ende, sobald das Feld im »richtigen« Vakuum sein Energieminimum erreicht hatte. In der Endphase wurde die Energiedichte des falschen Vakuums freigesetzt; der inflationierte Bereich füllte sich mit einem Gas heißer Teilchen und Strahlung. Von diesem Zeitpunkt an entwickelte sich der Kosmos wie im Urknallmodell. Die gewaltige Aufblähung bewirkt, dass die Krümmung fast null wird, der Kosmos also sehr genau die kritische Energiedichte aufweist.
Das ist ein schönes Ergebnis des Inflationsmodells. Besonders wichtig ist aber die Vorhersage eines Spektrums von Dichtefluktuationen, das aus Quantenfluktuationen des Skalarfelds berechnet werden kann – in Übereinstimmung mit den gemessenen Fluktuationen des Strahlungshintergrunds. Beachtenswert scheint mir auch, dass im Inflationsmodell nicht die ganze Raumzeit, sondern nur ein winziger Anfangsbereich der Keim ist, aus dem unser Kosmos entsteht. Die gesamte Struktur könnte aus vielen kausal getrennten Bereichen bestehen, teils mit, teils ohne Inflation, mit ganz verschiedenen Werten der Naturkonstanten. Auf diese Weise würden unendlich viele Universen entstehen, in einem kontinuierlichen Prozess, ohne Anfang und Ende. Solche Bilder mögen sehr attraktiv erscheinen, es ist aber schwierig, sie quantitativ physikalisch zu beschreiben. Wir werden sehen, was in 25 Jahren davon geblieben ist (siehe »Paralleluniversen« von Max Tegmark, Spektrum der Wissenschaft 8/2003, S. 34).
Das größte Rätsel: die Dunkle Energie
Durch die Vermessung der Hintergrundstrahlung ist aus Einsteins »größter Eselei« – so bezeichnete er selbst die Einführung der kosmologischen Konstanten – eine respektable physikalische Größe geworden, die gegenwärtig und in Zukunft die Expansion des Universums bestimmt. Die Quantentheorie könnte eine Deutung dieser Größe als Energie des Vakuums liefern. Der leere Raum ist, quantentheoretisch betrachtet, ein komplexes Gebilde, durchzogen von einem Geflecht aus fluktuierenden Feldern, die zwar nicht direkt beobachtet werden können, aber zur Energie des Grundzustands beitragen. Die Theoretiker können einige dieser Beiträge ganz gut abschätzen, erhalten jedoch einen Wert, der um 108 Größenordnungen den Wert übertrifft, den die astronomischen Beobachtungen nahe legen. Andere Beiträge, die noch nicht berechnet werden können, würden vielleicht diesen Wert ausbalancieren, aber dieser Ausgleich müsste dann mit unvorstellbarer Präzision bis auf 108 Stellen nach dem Komma erfolgen.
Es ist ein ungelöstes Rätsel der Quantenphysik, wie das zugehen könnte. Somit bleiben uns zunächst nur tastende Versuche, unsere Unkenntnis mathematisch zu präzisieren, indem wir die potenzielle Energie eines skalaren Feldes mit passenden Eigenschaften beschreiben. Mittlerweile hat sich das unbekannte Skalarfeld als beliebtes Lasttier der Kosmologen etabliert. Auch der schöne Name »Quintessenz« ist für diese kosmische Energiedichte erfunden worden. Er geht auf die Naturphilosophie des Aristoteles zurück, der damit das fünfte Element, den Äther, bezeichnete.
Tatsächlich bleibt es ein Rätsel, warum diese Dunkle Energie überhaupt vorhanden ist und warum sie gerade jetzt die kosmische Expansion bestimmt. Bleibt die Dunkle Energie konstant, so wird die kosmische Expansion sich immer weiter beschleunigen und nie aufhören. Die Verknüpfung mit dem Konzept der Feldenergie bietet aber auch die interessante Möglichkeit, dass in der Zukunft durch das zeitliche Verhalten des Feldes überraschende Wendungen in der kosmischen Entwicklung auftreten. Astronomische Beobachtungen stoßen hier auf ein tiefes Problem der Elementarteilchentheorie. Schöner könnte die Verbindung von Quantenphysik und Kosmologie gar nicht sein.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben