Eine Impfung gegen die Alzheimer-Krankheit?
Die Zahl der bekannten Substanzen, welche die Bildung der verhängnisvollen Proteinfasern im Gehirn von Patienten mit krankhaftem Altersschwachsinn hemmen können, ist in wenigen Jahren auf über ein Dutzend angewachsen. Jüngste Erfolgsmeldung: eine Impfung, welche die Krankheit völlig verhindert – zumindest bei Mäusen.
Es war das erste und bisher einzige positive gesundheitliche Forschungsergebnis für die Tabakindustrie. Im Herbst 1996 berichteten Michael Zagorski und seine Mitarbeiter von der Case Western Reserve University in Cleveland (Ohio), daß der wichtigste Bestandteil des blauen Dunstes, das als Nervengift und Suchtstoff berüchtigte Nikotin, möglicherweise der häufigsten Form des Altersschwachsinns vorbeugt: der Alzheimer-Krankheit. Jedenfalls hemmt es die Bildung der als Amyloid bezeichneten Proteinfasern, denen die meisten Wissenschaftler die Hauptschuld an den Zerfallssymptomen im Hirn von Alzheimer-Patienten zuschreiben.
Schon zuvor hatten epidemiologische Studien ergeben, daß Raucher ein geringeres Alzheimer-Risiko haben. Mit Fördergeldern von den amerikanischen Gesundheitsbehörden und von Philip Morris, dem weltweit größten Tabakkonzern, suchte Zagorskis Team nach der Ursache dieses Phänomens. Wie sich zeigte, können sich sowohl Nikotin selbst als auch sein wichtigstes Stoffwechselprodukt Cotinin an das Alzheimer-Beta-Peptid (meist kurz Ab genannt) binden. Dadurch wird dieser natürliche Inhaltsstoff von Nervenzellen in seiner normalen löslichen Form stabilisiert, in der er großenteils schraubenartig zu sogenannten alpha-Helices gewunden ist. Dies hindert ihn zugleich daran, sich zu den verhängnisvollen Fasern aneinanderzulagern, die überwiegend die wellblechartige beta-Faltblatt-Struktur haben (siehe Spektrum der Wissenschaft, Mai 1999, S. 16).
Daß Stoffe, die sich an die native Form eines Proteins binden, dessen Verklumpen zu Amyloidfibrillen hemmen, konnten auch Jeffrey Kelly und seine Mitarbeiter am Scripps-Forschungsinstitut in La Jolla (Kalifornien) zeigen. Statt mit Ab arbeiteten sie allerdings mit dem Protein Transthyretin, das zum Transport des Schildrüsenhormons Thyroxin im Blut dient. In seiner faserig entarteten Form verursacht es vermutlich die familiäre Amyloid-Polyneuropathie und die systemische Altersamyloidose, bei denen das Nervensystem beziehungsweise innere Organe durch Amyloid-Ablagerungen geschädigt werden.
Kelly und seine Mitarbeiter gingen davon aus, daß Transthyretin seine normale Struktur zunächst einmal aufgeben muß, bevor es die anders gefaltete, pathologische Fibrillenform annehmen kann. Deshalb suchten sie nach Substanzen, die das Protein in seiner natürlichen Gestalt stabilisieren. Hilfreich dabei war, daß Transthyretin im löslichen Zustand ein sogenanntes Tetramer bildet: Vier identische Proteinmoleküle schließen sich zu einem Komplex zusammen. Wird die Auftrennung der Tetramere in Einzelmoleküle unterbunden, ist auch die Amyloidbildung blockiert. Diesen hemmenden Effekt hat naheliegenderweise der natürliche Ligand des Transthyretins, nämlich das Thyroxin. Aber auch andere organische Moleküle erwiesen sich als potente Inhibitoren – darunter insbesondere die Flufenaminsäure, die schon länger als fiebersenkendes Schmerzmittel medizinisch verwendet wird.
Amyloidfasern spielen außer bei der Alzheimer-Demenz auch beim Diabetes (der Zuckerkrankheit), beim Rinderwahnsinn und bei der ihm verwandten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit des Menschen eine Rolle. In jedem dieser Fälle ist es ein anderes Protein, das zu Fasern verklumpt, und keines davon lagert sich im natürlichen Zustand zu einem größeren Komplex zusammen. Deshalb bleibt die Flufenaminsäure als Amyloid-Inhibitor wohl auf den Spezialfall Transthyretin beschränkt.
Ein breiteres Anwendungsspektrum versprechen Substanzen, die direkt in die Bildung der für Amyloid typischen beta-Faltblätter eingreifen. So haben verschiedene Arbeitsgruppen Peptide entwickelt, die sich von der Aminosäuresequenz des beta-Peptids ableiten, aber doch soweit davon abweichen, daß sie sich nicht zu ausgedehnten Faltblättern zusammenlegen können. Wie ein Inhibitor, der dem Substrat eines Enzyms ähnlich sieht und von diesem gebunden, aber nicht abgebaut werden kann, so gehen diese Peptide zwar mit Ab die für die Amyloidbildung typischen Wechselwirkungen ein, führen die Reaktion aber dann in die Sackgasse (Nature Medicine, Bd. 4, S. 822, 1998). Sogar ausgereifte Amyloidfasern scheinen sich nach Zugabe eines solchen Peptids auf bisher ungeklärte Weise wieder aufzulösen.
Nun sind diese Entdeckungen zwar wichtig und vielversprechend, weil sie belegen, daß die Amyloidbildung gestoppt und vielleicht sogar rückgängig gemacht werden kann. Doch wird niemand im Ernst Rauchen oder Nikotinkonsum als Mittel gegen die Alzheimer-Demenz empfehlen – dazu sind die Suchtgefahr und die Giftwirkung viel zu groß. Und Peptide eignen sich von Haus aus schlecht als Medikamente. Da sie bei oraler Einnahme sofort zu Aminosäuren abgebaut würden, müßten sie regelmäßig gespritzt werden. Außerdem bergen sie die Gefahr, eine Allergie oder eine andere unerwünschte Immunreaktion auszulösen.
Immerhin sind die gewonnenen Erkenntnisse ein guter Ausgangspunkt für die Suche nach besseren Wirkstoffen. Indem man die Wechselwirkung zwischen den bekannten Inhibitoren und den Amyloidbildnern genauer studiert, kann man allgemeine Informationen darüber gewinnen, wie ein Hemmstoff beschaffen sein muß, um möglichst gut beispielsweise zu Ab zu passen. Diese Einsichten lassen sich dann zum Entwurf ebenso wirksamer, aber pharmakologisch geeigneterer Substanzen heranziehen. Trotzdem dürfte der Weg zu einem marktfähigen Medikament noch lang und steinig sein.
Um so faszinierender ist deshalb eine mögliche Alternative, die Dale Schenk und 24 Kollegen bei der Firma Elan Pharmaceuticals in San Francisco (Kalifornien) jüngst gefunden haben: eine Schutzimpfung gegen die Alzheimer-Krankheit (Nature, Bd. 400, S. 173). Die Forscher arbeiteten mit einem Mäusestamm, der als Tiermodell für die präsenile Demenz etabliert ist. Die genveränderten Tiere stellen eine Mutante des menschlichen Amyloid-Vorläuferproteins (APP) her, aus dem durch enzymatische Spaltung das amyloidbildende beta-Peptid entsteht. Sie entwickeln deshalb ähnliche Faserablagerungen im Gehirn wie menschliche Alzheimer-Patienten. Wurden solche Mäuse im Alter von sechs Wochen, also bevor sich die ersten Anzeichen ihrer "Alzheimer"-Erkrankung zeigten, mit synthetischem menschlichen Ab geimpft, so blieben die Symptome bei den meisten Tieren völlig aus und traten bei den übrigen nur sehr abgeschwächt auf.
Aufgrund der Impfung bildeten die Mäuse Antikörper gegen Ab und prägten die Fremdsubstanz dauerhaft in ihr immunologisches Gedächtnis ein. Ihr Immunsystem war deshalb in der Lage, die aus dem APP freigesetzten beta-Peptide, die bei unbehandelten Tieren zur Amyloidbildung und Erkrankung geführt hätten, sofort zu erkennen und zu eliminieren oder zumindest so abzuschirmen, daß sie nicht zu Amyloidfasern verklumpen konnten.
So eindrucksvoll die Wirkung dieser Impfung im Tierversuch auch sein mag, läßt sich das Ergebnis aber nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen. So stellt Ab für die genveränderte Maus ein schädliches Fremdprotein dar, und die Impfung hilft dem Immunsystem des Nagers nur bei der Erkennung eines "Eindringlings", dessen Bekämpfung eine natürliche Abwehrreakti-on ist. Im menschlichen Organismus hingegen gehört Ab zum normalen Proteininventar und spielt vermutlich eine wichtige, bisher unbekannte Rolle. Da das Immunsystem körpereigene Proteine normalerweise nicht angreift, ist es äußerst fraglich, ob eine Impfung mit Ab beim Menschen wirksam wäre. Außerdem steht zu befürchten, daß die Ausschaltung eines wichtigen körpereigenen Moleküls unerwünschte Nebenwirkungen hat. Man müßte vermutlich einen Schritt weiter gehen und durch ausgeklügeltere Tricks eine Immunreaktion gegen Frühstadien der Faserbildung provozieren, in der sich vielleicht vier bis sechs Moleküle des beta-Peptids aneinandergelagert haben.
Aber selbst wenn das gelingt, steht nicht fest, daß dadurch auch der Ausbruch der Alzheimer-Krankheit verhindert wird. Bisher ließ sich nämlich nicht direkt beweisen, daß Ablagerungen von Ab-Fasern wirklich die Ursache und nicht nur eine Begleiterscheinung der Demenz sind. Experimentell abgesichert ist nur, daß sie bei Primaten (nicht aber bei Mäusen) neurotoxisch wirken, also Nervenzellen in ihrer Umgebung absterben lassen. Auch viele weitere Indizien sprechen dafür, daß Amyloid-Plaques ein wichtiges Glied im Degenerationsprozeß des Gehirns von Alzheimer-Patienten bilden.
Unter diesen Umständen sollte eine Impfung oder medikamentöse Behandlung, welche die Amyloidbildung blockiert, auch die anderen neurologischen Symptome der Krankheit wie die neurofibrillären Bündel verhindern. Sofern der betreffende Wirkstoff nicht nur spezifisch Ab, sondern die Amyloidstruktur generell erkennt und ihren Aufbau verhindert, könnte er gleichzeitig vor anderen Krankheiten schützen, die auf der Ablagerung schädlicher Proteinfasern beruhen
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1999, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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