'Eine universelle Lösung gibt es nicht'
Interview mit Thomas Rambold, Chief Technology Officer des Siemens-Bereichs Information and Communication Networks zu den vorgestellten Breitband-Verfahren.
Spektrum der Wissenschaft: Siemens baut für Telekommunikationsunternehmen rund um den Globus Netzwerke aller Art. Welche Technologie wird Ihrer Meinung nach künftig Haushalte und Internet koppeln?
Thomas Rambold: Die Antwort mag Sie überraschen: Eine universelle Lösung gibt es nicht. Die optimale Technologie hängt nämlich davon ab, welche Infrastruktur der jeweilige Anbieter nutzen kann oder selbst besitzt, um die sogenannte letzte Meile von einem seiner Verbindungsknoten bis zum Endkunden zu überbrücken. So besitzt die Deutsche Telekom ein dichtes Netz aus Kupferleitungen,während beispielsweise in den USA Koaxial-Kabelanschlüsse leicht erreichbar sind. Im ersten Fall bieten sich DSL-Verfahren als geeignete Wahl an, im zweiten die digitalen Kabelmodems. Für Betreiber ohne existierendes Netzwerk sind zum Beispiel Funk- oder Radarstrecken, Satelliten oder Mobilfunk die wirtschaftlichste Lösung.
Spektrum: Demnach setzen die Netzbetreiber auf einen Technologie-Mix?
Rambold: Ja, zumindest Kupfer- und Koaxial-Kabel sowie die drahtlose Übertragung werden auf absehbare Zeit Bestand haben. Dazu kommen Glasfaserkabel für solche Teile des Gesamtnetzes, die Datenraten von Hunderten von Megabit bis zu Gigabit pro Sekunde übermitteln müssen. Fiber-to-the-home, also optische Fasern bis zum Endkunden, dürften der hohen Kosten wegen noch länger auf sich warten lassen, auch wenn diese Technik ungeheure Fortschritte macht.
Spektrum: Gibt es eigentlich außer dem Kabelnetz der USA noch weitere grundlegende Unterschiede zwischen Amerika und Europa?
Rambold: Ja, die tatsächliche Länge der letzten Meile mißt in Europa etwa 0,8 bis drei Kilometer, während es in Amerika mindestens acht sind. Leider sinkt bei DSL-Verfahren die übertragbare Bandbreite und damit die Übertragungsrate mit zunehmender Entfernung. In den USA lassen sich mit dieser Technik deshalb in der Regel nur Datenraten von ein bis zwei Megabit pro Sekunde erreichen, während in Europa ohne weiteres drei bis vier möglich sind.
Spektrum: Ist ein Haus schon ans Kabelnetz angeschlossen, so kann man aber doch noch weit mehr Daten übertragen?
Rambold: Ja, Kabel schafft prinzipiell mehrere hundert Megabit und sogar Gigabit pro Sekunde. Allerdings wurde es als sternförmiges Verteilnetz konzipiert und überträgt deshalb optimal Daten vom Anbieter zum Kunden. Schwieriger ist es, ähnliche Datenmengen in der Gegenrichtung zu transportieren.
Spektrum: Bei all den schwindelerregenden Übertragungsraten stellt sich mir die Frage, ob das überhaupt sein muß. Wieviel Bandbreite braucht der Mensch?
Rambold: Lassen Sie mich mit einem persönlichen Beispiel antworten. Von meinem Arbeitsplatz zu Hause bin ich durch ISDN mit meinem Büro verbunden, mir stehen also maximal 128 Kilobit pro Sekunde zur Verfügung. Das klingt für manchen Internetsurfer viel, doch wenn ich Graphiken oder Präsentationsfolien benötige, dauert der Transfer recht lange. Eine rund 30mal schnellere ADSL-Verbindung über die herkömmliche Telephonleitung wäre schon eine große Erleichterung. Für hochaufgelöste Bilder oder gar Videofilme reichte das aber auch nicht unbedingt. Alles in allem denke ich, daß sich für den Privatmann, der professional arbeiten will, der optimale Bereich unterhalb von zehn, aber oberhalb von zwei Megabit pro Sekunde einpendeln wird.
Spektrum: Und für den Angestellten in einer Firma?
Rambold: Hier ist die Skala nach oben offen. In Unternehmen wird der Bedarf an Bandbreite in den nächsten Jahren vor allem aufgrund der elektronischen Geschäftsabwicklung mit Kunden, Zulieferern und Partnern explodieren. Sachbearbeiter, die Gigabit-pro-Sekunde-Leitungen brauchen, werden dann keine Seltenheit mehr sein.
Spektrum: Stichwort Funk. Welche Datenmengen wird man drahtlos übertragen können? Wird es tragbare Bildtelephone geben?
Rambold: Ja, sicherlich. Mit den Mobilfunksystemen der dritten Generation mit UMTS können Handys ab 2002 bis zu zwei Megabit pro Sekunde an Daten übertragen, das ist rund 200mal mehr als heute. Eine Videoübertragung per UMTS-Handy demonstrieren wir zum Beispiel auf der CeBIT 2000 in Hannover. Für Geschäftszentren, Firmenniederlassungen oder Innenstadtbereiche werden Hochfrequenz-Funkstrecken nach dem LMDS-Verfahren mit etwa 100 Megabit pro Sekunde eingerichtet werden. Darüber hinaus gibt es erste innovative Lösungen, Radar zu nutzen, das auch Gebäude problemlos durchdringt und keinerlei Störungen durch Regen oder Bäume unterworfen ist. Übertragungsraten werden dabei zwischen 10 und 40 Megabit pro Sekunde liegen.
Spektrum: Warum dann nicht gleich per Satellit ins Internet?
Rambold: Das ist meines Erachtens weniger sinnvoll. Denn angesichts der rasanten Entwicklung des Internets müßten extrem viele Satelliten positioniert werden, was sehr teuer ist. Ganz abgesehen davon, lassen sich Satelliten nicht flexibel an schnell wechselnde Anforderungen anpassen.
Spektrum: Man kann sie nicht einfach wieder zurückholen, um sie zu warten, zu reparieren oder neu zu konfigurieren?
Rambold: Auch das, aber vor allem ist der Ausbau des Datenverkehrs im Internet nicht mehr so gut und langfristig planbar wie früher bei der Telephon-Infrastruktur. Auch unterscheidet sich das Surfen extrem vom Telephonieren. Eine typische Internet-Session dauert 30 Minuten, ein durchschnittliches Telephongespräch kaum eine. Kurz gesagt: Es ist billiger und einfacher, bereits verlegte optische Fasern besser auszunutzen, als Satelliten ins All zu schießen.
Spektrum: Was tun nun Firmen, die für die künftige Netz-Infrastruktur sorgen?
Rambold: Wir konzentrieren uns vor allem auf die vier Bereiche der Telekommunikation, die derzeit am stärksten wachsen, nämlich Mobilfunk, Datenübertragung mit Internet-Protokoll, Multiplex-Verfahren und Dienstleistungen beziehungsweise Anwendungen mit noch mehr Kundennutzen. Spätestens mit UMTS wird jedes Handy ohne Einschränkung Internet-fähig, und auch in Industrie und Haushalt werden immer mehr Geräte über Internet-Protokoll miteinander kommunizieren – vom Kühlschrank bis zu Maschinen in Industrieanlagen
Spektrum: Das setzt voraus, daß die Netze leistungsfähig, zuverlässig und sicher sind.
Rambold: Richtig, da gibt es noch einiges zu tun. Beispielsweise gelingt es Netzrechnern nicht zufriedenstellend, Verkehrsströme vorauszuberechnen und die Kapazitäten entsprechend zu lenken. Auch bieten sie den Nutzern noch zu wenig Komfort. An solchen Themen arbeitet die Branche derzeit mit Hochdruck.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2000, Seite 93
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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