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Von der Genomik zur Proteomik: Eine zweite Chance für Deutschland?

Während Deutschland bei der Genomsequenzierung nur am Rande mitspielte, hat es jetzt die Chance, weit intensiver an der ungleich schwierigeren Aufgabe der Proteom-Analyse mitzuwirken.


Im Laufe des Human-Genom-Projekts erkannten die beteiligten Wissenschaftler, dass die bloße Ansammlung von DNA-Sequenzen in Datenbanken nur ein erster Schritt auf dem Weg zum globalen Verständnis der menschlichen Biologie sein kann. Da es die Proteine sind, welche die Stoffwechselreaktionen in der Zelle ausführen, will die "Funktionelle Genomik" nun die Funktionen einer großen Anzahl von Proteinen sozusagen im Fließbandverfahren bestimmen. Den wichtigsten Schlüssel zum Erfolg bildet hier die so genannte Proteom-Analyse, die eine ganze Reihe von Techniken umfasst. Diese erlauben es zum ersten Mal, die Moleküle direkt im großen Maßstab zu erfassen und zu charakterisieren. Weltweit werden bereits hohe Summen in die Proteom-Analyse investiert.

Interessanterweise besaß Deutschland schon Mitte der neunziger Jahre eine sehr starke Stellung auf diesem Forschungsfeld, da hiesige Wissenschaftler viele der grundlegenden Techniken entwickelt haben, beispielsweise die biologische Massenspektroskopie und neue Verfahren der Gel-Elektrophorese. Wie so oft haben die zuständigen politischen Organisationen die Entwicklungen aber nicht rechtzeitig gefördert, und auch die Industrie hatte die Bedeutung noch nicht erkannt. Glücklicherweise ist die Proteom-Analyse jedoch kein lineares und begrenztes Unterfangen – anders als die Sequenzierung des Genoms –, und deshalb bleibt dieses Gebiet für viele Jahre aktuell.

Wir Forscher haben zahlreiche verschiedene Ansätze, die eine funktionelle Analyse der Proteine in menschlichen Zellen in großem Maßstab erlauben. Bei der "klassischen" Proteom-Analyse vergleichen wir mit Hilfe der zwei-dimensionalen Gel-Elektrophorese die Proteinkollektion zum Beispiel eines Gewebes im gesunden und im kranken Zustand. Raffiniertere, erfolgreichere Strategien ergänzen mittlerweile diesen Ansatz. Zum Beispiel können wir mit Antikörpern, die sich an bestimmte interessante Proteine heften, diese Eiweißmoleküle samt ihren Wechselwirkungspartner aus einem Zellextrakt "herausfischen" (Affinitätsreinigung genannt). Die mitgefangenen Eiweißmoleküle lassen sich wieder gel-elektrophoretisch nach dem Molekulargewicht auftrennen. Die Massenspektroskopie erlaubt uns schließ-lich die Identifizierung selbst geringster Mengen von ihnen. Mit solchen Strategien können wir wichtige Proteinwechselwirkungen in großem Umfang erfassen.

Ferner versetzen uns diese Affinitäts-Experimente in die Lage, auch Proteine zu untersuchen, die in der Zelle nur in geringen Mengen vorliegen, beispielsweise regulatorische Moleküle, die sich als Steuerungselemente an bestimmte DNA-Sequenzen heften. Nicht zuletzt bleibt bis auf weiteres die Proteom-Analyse die einzige Möglichkeit, den "Feinschliff" zu bestimmen, den die Zelle nach der Synthese an den Proteinen vornimmt. Angehängt werden beispielsweise Phosphat-Reste, Zuckerketten und andere Seitengruppen. Diese Modifizierungen gehen nicht direkt aus der im Gen enthaltenen Information hervor, bestimmen aber dennoch die Funktion und Aktivität des Proteins entscheidend.

Die Proteom-Analyse verlangt eine stark interdisziplinäre Ausrichtung, da sie die schon lange etablierte Zellbiologie und Biochemie mit jungen Feldern wie Molekularbiologie, Bioinformatik und Massenspektrometrie vereint. In Deutschland sind Zellbiologie und Biochemie relativ stark vertreten, da man sich nicht, wie in den schneller reagierenden USA, fast vollständig den neuen, genetischen Methoden zugewandt hat. Diese "Beharrlichkeit" könnte sich jetzt als ein Vorteil erweisen.

Was ist nun notwendig, damit wir nicht den Zug der Proteom-Analyse verpassen? Wie immer ist sowohl die Qualität als auch die Quantität der Förderung entscheidend. Deutschland kann vielleicht nicht genauso viele Mittel in diesen Bereich stecken wie das Ausland. Jedoch sollten die Universitäten die Möglichkeiten erhalten, ihre Studenten in den neuen Methoden der Funktionellen Genom-Analyse – und damit auch in der Proteom-Analyse – umfassend auszubilden. Dazu gehört nicht zuletzt eine wesentlich bessere Ausstattung mit modernen Geräten. Zusätzlich könnten Zentren für Funktionelle Genom-Analyse gegründet werden – an der Universität Odense haben wir damit bereits gute Erfahrungen gesammelt.

Als Vorbild sollte man sich das Engagement der USA, aber auch von kleinen Staaten wie Finnland vor Augen führen, die jetzt drei Prozent ihres Brutto-National-Produkts in die Forschung investieren – mehr als doppelt so viel wie Deutschland. Schon jetzt ist abzusehen, dass wieder die biotechnologischen und pharmazeutischen Unternehmen die meisten Ressourcen für die Proteom-Analyse bereitstellen werden. Die Forschungs- und Bildungspolitiker sollten sich bewusst sein, dass entscheidende Technologien für die Proteom-Analyse in Deutschland entwickelt wurden. Wissen und Können sind hier bereits in hohem Maße vorhanden – ein unschätzbarer Vorteil für die Forschung, den wir nicht verschenken sollten.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2000, Seite 40
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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