Einsatz von Nützlingen
Noch vor 30 Jahren hätte die Vorstellung, Kulturpflanzenschädlinge durch gezieltes Ausbringen ihrer natürlichen Gegenspieler zu bekämpfen, unter Gärtnern und Bauern als naiver Wunschtraum gegolten. Eine immer mehr industriell orientierte Nahrungsmittelproduktion schien nur mit synthetischen Insektiziden möglich. Zu den wenigen Ausnahmen gehört die Anwendung des Bakteriums Bacillus thuringiensis seit Beginn der sechziger Jahre gegen Schadschmetterlinge in Garten- und Weinbau, Land- und und Forstwirtschaft: Bei der Sporenbildung des 1911 in Thüringen entdeckten Mikroorganismus entsteht ein kristallines Protein; werden nun Sporen von den Raupen gefressen, wandelt es sich in den Verdauungssäften in ein Gift um, das die Darmwand zerstört. Außerdem produzieren auskeimende Sporen Stoffwechselgifte und setzen infektiöse Bakterien frei.
Inzwischen ist zum einen die sprichwörtliche chemische Keule spezifischer wirkenden synthetischen Substanzen gewichen, zum anderen die biologische Schädlingsbekämpfung ein Wirtschaftszweig mit beachtlichen Zuwachsraten geworden. In einigen Ländern Europas sind außer dem genannten Bakterium auch bestimmte Pilze zugelassen: Verticillium lecanii gegen Weiße Fliegen, Thripse und Rostpilze, Beauveria brongniartii gegen Scarabaeidenlarven, Beauveria bassiana gegen viele Insektenarten und Metarhizium anisopliae gegen im Boden lebende Käferlarven und Schmetterlingsraupen. Mit einem Granulose-Virus kann man in Deutschland dem Apfelwickler begegnen.
Besonders erfolgreich aber sind tierische Gegenspieler der Schädlinge geworden: Waren 1983 in der Bundesrepublik nur drei solcher Arten im Handel, sind es mittlerweile rund 60.
Erfolge unter Glas
Nützlinge lassen sich mit gutem Erfolg besonders in Gewächshäusern, Innenräumen und anderen Formen des geschützten Anbaus verwenden. Die Tiere können nicht abwandern, und gemäß den meist recht konstant gehaltenen Temperatur- und Feuchtewerten lassen sich geeignete Arten auswählen. Während viele Chemikalien beim Ausbringen Schutzmaßnahmen wie Masken, Anzüge, Handschuhe und Stiefel erfordern, unter Umständen Blättern und Blüten schaden und darauf Rückstände bilden sowie Boden, Luft, Wasser und Erntegut belasten können, zudem oft auch nützliche Insekten töten, entfallen solche Probleme bei Einsatz von Insekten, Milben oder Nematoden. Überdies ist eine fatale Nebenwirkung chemischer Insektizide, die Resistenzbildung, fast ausgeschlossen.
Allerdings gibt es auch Nachteile: Insbesondere bei hohem Befall oder starkem Zuflug gelingt eine rasche Bekämpfung nicht mit allen Nützlingsarten. Um Überraschungen bei den komplexen Wechselbeziehungen zwischen Beute und Räuber beziehungsweise Parasitoid auszuschließen, sind verschiedene Maßnahmen wie regelmäßige Kontrollen der Bestände und frühzeitiger Einsatz der Nützlinge oder größere Mengen davon erforderlich. Das erhöht noch die zum Teil erheblichen Kosten dieser Form des Pflanzenschutzes.
Der Durchbruch der biologischen Schädlingsbekämpfung im Erwerbsgartenbau gelang mit der Schlupfwespe Encarsia formosa, einem höchst wirksamen Gegenspieler der Weißen Fliege (Bild 1): Schon seit 1848 schädigt eine 1,5 bis 2 Millimeter große Art dieser Mottenschildläuse Gemüse- und Zierpflanzen unter Glas; eine weitere Art tauchte 1986 auf. Die Weibchen legen etwa 0,1 Millimeter lange, gelblichgrüne Eier an Blattunterseiten ab. Daraus schlüpfen die Nymphen genannten Larven, die sich maximal zwei Zentimeter weit entfernt festsetzen und Pflanzensaft saugen. Dabei scheiden sie Honigtau aus, auf dem sich wiederum vor allem bei hoher Luftfeuchte Schwärzepilze ansiedeln und als sogenannter Rußtau die Photosynthese einschränken.
Bereits Ende der zwanziger Jahre erkannte Edward R. Speyer von der Forschungsstation Cheshunt nördlich von London, daß die nur 0,7 Millimeter lange Encarsia formosa die Nymphen durch Aussaugen der Körperflüssigkeit oder durch Anstechen mit ihrer Legeröhre und Eiablage zu töten vermag; ihre Larven fressen die des Schädlings dann von innen her leer. Diese Schlupfwespe ist mittlerweile europaweit der wichtigste Nützling mit der größten Einsatzfläche.
Eine erste Massenzucht hatte man 1935 bis 1949 in Großbritannien unternommen; die Tiere wurden in sieben Länder vertrieben. Aufkommende synthetische Insektizide ließen die Produktion dann unwirtschaftlich werden. Doch das weltweit angewandte Kontaktgift Dichlor-diphenyl-trichlorethan (DDT) erwies sich als sehr beständige Verbindung, die in der Nahrungskette angereichert und im Körperfett gespeichert wird (seit 1972 ist es in der Bundesrepublik verboten). Überdies kamen Resistenzen gegen solche Substanzen bei der Weißen Fliege auf, und so begann in den sechziger Jahren der neuerliche und erfolgreiche Encarsia-Einsatz.
Zuchtbetriebe versenden nun bereits parasitierte – also vom Nützling befallene – Nymphen des Schädlings auf Kartonstreifen, die möglichst tief an den Blattstielen der Pflanzen angebracht werden, oder auf Stickern, die besonders bei Jungpflanzen in das Substrat gesteckt werden. Vor allem vorbeugender und regelmäßiger Einsatz ermöglicht, Gemüse- und Zierpflanzen zu schützen. Hersteller empfehlen für befallene Bestände zweimal fünf Schlupfwespen je Quadratmeter alle 14 Tage; für schädlingsfreie reicht nach meinen Untersuchungen ein Tier auf dieser Fläche wöchentlich etwa von der dritten Woche nach dem Umpflanzen an zur Vorsorge.
Ähnlich große Bedeutung hat bei der Bekämpfung der ebenfalls an Pflanzen saugenden Spinnmilben die Raubmilbe Phytoseiulus persimilis. Ihre Eignung dafür hatte Guido Dosse von der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim (seit 1967 Universität) in den fünfziger Jahren entdeckt. Das bis 0,7 Millimeter große Tier jagt unter den Blättern von Zierpflanzen, Gurken, Auberginen, Bohnen und Tomaten nach Beute (Bild 2). Es kann täglich etwa fünf erwachsene Spinnmilben oder 20 Jungtiere aussaugen. Erst wenn eine befallene Pflanze wieder beutefrei ist, wechseln die Räuber auf eine andere; ihre Eier bleiben zurück, und ausschlüpfende Jungtiere ernähren sich noch von vereinzelten Spinnmilbeneiern.
Die Forschung konzentrierte sich zunächst auf diese beiden Paare von Schädling und Nützling, und zwar speziell zum Schutz von Gurken und Tomaten im Anbau unter Glas. Andere Schädlinge mußten zunächst mit chemischen Präparaten bekämpft werden. Inzwischen steht aber eine Vielfalt weiterer Nützlinge gegen Thripse, Blattläuse und Minierfliegen zur Verfügung (Bild 3; die genannte Fliegenfamilie hat ihren Namen erhalten, weil sich ihre Larven durch pflanzliche Gewebe fressen und dabei Gänge und Höhlen – vergleichbar zu Minen – hinterlassen).
So erforderten Weihnachtssterne bis vor etwa zwei Jahren bei ausschließlichem Einsatz synthetischer Insektizide während ihrer viermonatigen Vegetationszeit bis zu 27 Applikationen (bei neuen Mitteln sind es immer noch zwei bis zehn). Einigen Gärtnern gelingt es indes nun, ihre Pflanzen ausschließlich mit Nützlingen zu schützen. Ähnliche Erfolge gelingen häufig bei Kulturen von Aubergine, Bohne, Gurke, Paprika, Tomate und anderen Gemüsen sowie weiteren Zierpflanzen.
Allein in Baden-Württemberg wurden 1997 auf 92 Hektar Gemüse- und 49 Hektar Zierpflanzen-Anbaufläche unter Glas Nützlinge freigelassen, das sind immerhin 75 beziehungsweise mehr als 10 Prozent solcher Kulturen in diesem Bundesland. Zusätzlich wurden Nützlinge und Präparate von Bacillus thuringiensis auch auf mehr als 70 Hektar Gemüsekulturen im Freiland eingesetzt.
Trotz derartiger Fortschritte können verschiedene in den Kulturen lebende Schädlinge wie bestimmte Nackt- und Gehäuseschnecken sowie Wurzelläuse oder im Herbst zufliegende Schadwanzen und Zwergzikaden, aber auch in großen Mengen einfallende Blattläuse oder Thripse noch nicht biologisch bekämpft werden. Insektizide und Molluskizide sind dann häufig die letzte Möglichkeit.
Spärlicher Einsatz im Freiland
Für den Schutz offen zugänglicher Kulturen haben Nützlinge bisher längst nicht die Bedeutung wie unter Glas erlangt. Immerhin wurde 1978 gezeigt, daß die Schlupfwespe Trichogramma brassiae die Larven des Maiszünslers Ostrinia nubilalis zuverlässiger bekämpfen kann als Bacillus-thuringiensis-Präparate. Die Larven des Falters überwintern in den Maisstoppeln und verpuppen sich gegen Ende Mai; bereits im Juni sind die Vollinsekten geschlüpft, und die Weibchen legen Eier auf den Blattunterseiten von Maispflanzen ab. Eine Woche später schlüpfen die Raupen, die Blätter, Stengel und Kolben anfressen (Bild 4). Die Schlupfwespe legt nun ihre Eier in die des Falters. Ihre Larven ernähren sich vom Inhalt des Wirtseis, verpuppen sich in der Eihülle und schlüpfen dann als Vollinsekten aus.
Seit 1985 hat der Nützling die Bakterien-Präparate auch aus Kostengründen in diesem Bereich verdrängt. Sie muß-ten nämlich zwischen den hohen Maispflanzen mit teuren Stelzenschleppern ausgebracht werden, während man die Schlupfwespe mühelos und preiswert zu Fuß verteilen kann – auf Kärtchen, die man mittels eines Bügels über ein Maisblatt streift, oder in Kapseln, die man zwischen den Pflanzenreihen auswirft.
Trichogrammen wurden 1997 in Deutschland auf gut 6000 Hektar mit Saat-, Körner- und etwas Silomais eingesetzt; davon entfielen mehr als 4500 Hektar auf Baden-Württemberg. Den richtigen Zeitpunkt bestimmt die Biologische Bundesanstalt mit Unterstützung der Pflanzenschutzdienste der Länder, denn der Beginn des Maiszünsler-Fluges verschiebt sich je nach Temperaturverlauf im Frühjahr und Frühsommer; auch in den einzelnen Befallsgebieten kann er differieren.
Bedeutung haben im Freiland noch Fadenwürmer gegen die Larven des Gefurchten Dickmaulrüßlers und des Gartenlaubkäfers sowie gegen Ackerschnecken (Bild 5). Im Obstbau wurden im letzten Jahr zudem auf etwa 50 Hektar von Hobbygärtnern bewirtschafteten Flächen andere Trichogramma-Arten gegen Apfelschalen-, Apfel- und Pflaumenwickler verwendet.
Vielfach wird mit den biologischen Verfahren aus Überzeugung in den Umweltschutz investiert. Der Trichogramma-Einsatz gegen Fruchtwickler etwa kann doppelt bis mehrfach so teuer kommen wie der eines Insek-tizids. Mehrkosten bei der Bekämpfung des Maiszünslers belaufen sich auf bis zu 100 Mark pro Hektar. Trotzdem setzen viele Landwirte die Schlupfwespen auch ohne eine finanzielle Unterstützung durch ihre Bundesländer oder Landkreise ein.
Mitunter verschärft sich die Situation sogar noch. Weil sich neue Schädlinge wie der Kalifornische Blütenthrips, die Baumwollblattlaus und die Anden-Minierfliege dauerhaft in Gewächshäusern einnisteten, stiegen die Kosten für den Nützlingseinsatz in der Gurkenkultur einige Jahre stetig an. Zum Beispiel lagen sie 1989 auf der Insel Reichenau im Durchschnitt bei 35, vier Jahre später immerhin bei 87 Pfennig pro Quadratmeter. Jedoch können die Gesamtkosten beim Nützlings- im Vergleich zum Insektizideinsatz wegen der vielfach beachtlichen Arbeitszeitersparnis niedriger sein.
Forschung und Beratung
Um die Wirkungssicherheit zu erhöhen, müssen die Lebensumstände von Schädlingen und Nützlingen samt ihren Wechselwirkungen gut bekannt sein. So erforschten Joop van Lenteren und seine Mitarbeiter an der Landwirtschaftlichen Universität Wageningen (Niederlande) die biologischen Zusammenhänge von Weißen Fliegen und Encarsia formosa. Sie fanden in Zuchtversuchen die kritische Temperatur heraus, ab der sich die Schlupfwespe schneller vermehrt als der Schädling, testeten ihre Spezifität gegenüber anderen Beutetieren und entwickelten überdies Simulationsmodelle für den gezielten Einsatz dieser Nützlinge im Gewächshaus.
Verschiedene Teams stellten vergleichbare Untersuchungen mit der Spinnmilbe Tetranychus urticae und der Raubmilbe Phytoseiulus persimilis an. Das verstärkte Vorkommen von einheimischen Schädlingen wie Thrips tabaci sowie verschiedener insektizidresistenter Blattlausarten in Gewächshäusern erforderten Studien weiterer Schädlings-Nützlings-Paarungen. Ein großes Problem sind überdies neue, aus anderen Ländern eingeschleppte und gegen die herkömmlichen Insektizide resistente Schädlinge wie die Florida-Minierfliege Liriomyza trifolii und die Anden-Minierfliege Liriomyza huidobrensis sowie der Kalifornische Blütenthrips Frankliniella occidentalis. Insbesondere verschiedene Schlupfwespen gegen die Minierfliegen und Raubmilben sowie bestimmte Blütenwanzen gegen die exotischen Thripse haben sich bereits als geeignete Gegenspieler erwiesen.
Wichtig ist stets die Kostenreduzierung. Deshalb entwickelte ich Verfahren, um Nützlinge gegen Blattläuse kostengünstig direkt im Gewächshaus zu vermehren. Räuberische Gallmücken befallen auch solche Blattläuse, die nicht der jeweiligen Kultur schaden; beispielsweise läßt sich die Getreideblattlaus auf Winterweizen, Wintergerste und Mais inmitten von Gurken, Paprika, Gerbera, Rosen und anderen Gemüse- und Zierpflanzen vermehren und dient den Nützlingen als Wirt. Die sind dann in Massen vorhanden, wenn andere Blattlausarten die Kulturpflanzen befallen.
Alle relevanten Erkenntnisse der Forschung sollten umgehend den Gärtnern vermittelt werden. Vor allem bei Problemfällen wie dem Auftreten mehrerer Schädlingsarten brauchen sie Hilfe vor Ort. Regelmäßige Betriebsbesuche können allerdings die Experten der Ämter für Landwirtschaft allein nicht schaffen; deshalb werden in Baden-Württemberg spezielle Beratungsdienste jeweils zur Hälfte von Betrieben und vom Land finanziert. Solche Einrichtungen gibt es mittlerweile auch in einigen anderen Bundesländern.
Bei der Vielzahl der Methoden, die mittlerweile für die biologische Schädlingsbekämpfung zur Verfügung stehen, würde ein flächendeckendes Service-Netz die Behandlungsfläche sicherlich steigern; und auch eine Anschubfinanzierung für den Einsatz von Nützlingen wäre ökologisch höchst sinnvoll.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1998, Seite 91
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