Elektromagnete höchster Leistung
Werkstoffe und Konstruktionen werden aufs äußerste strapaziert, wenn Magnetfelder von einigen Dutzend Tesla erzeugt werden sollen. Davon profitieren aber nicht nur Materialwissenschaft und die Ingenieurtechnik, sondern auch die physikalische Grundlagenforschung und die Industrie mit vielfältigen Anwendungen.
Der 3. Dezember 1992 begann zunächst wie jeder andere Arbeitstag. Seit einigen Monaten untersuchten wir nun schon, wie ein starkes Magnetfeld die Supraleitfähigkeit – das völlig widerstandsfreie Fließen elektrischen Stroms in bestimmten Materialien – zusammenbrechen läßt. Der zu Anfang jenes Jahres von uns entwickelte und gebaute Hochleistungselektromagnet von der Größe eines kleinen Farbeimers hatte inzwischen Tausende von Magnetfeldpulsen erzeugt; jeder war millionenmal stärker als das Erdmagnetfeld und setzte in einem faustgroßen Volumen eine Energie frei, die der eines explodierenden Dynamitstabes entsprach.
Wie gewöhnlich kühlten wir den Magneten mit flüssigem Stickstoff, um den elektrischen Widerstand in den Drahtwicklungen zu vermindern. Die in diesem Versuch zu untersuchende Probe, einer der damals neuentdeckten Hochtemperatur-Supraleiter, befand sich bereits im Zentrum des Magneten. Wir verriegelten die Tür des stählernen Bunkers, in dem die Anordnung mitsamt ihrer Energieversorgung und allen unseren Meßgeräten aufgebaut war. Mit einer Einschalt- und Ladesequenz fuhren wir die Spannung auf 7600 Volt hoch. Einer von uns drückte auf den Startknopf.
Ein ohrenbetäubender Knall und eisige, aus den Lüftungsöffnungen des Bunkers zischende Stickstoffschwaden ließen keinen Zweifel: Unser Experiment war katastrophal gescheitert.
Sobald wir uns von dem Schrecken erholt hatten, begutachteten wir den Schaden. Es hätte schlimmer kommen können. Für unsere ersten Versuche 1988 hatte uns ein großzügiger Kollege in Belgien sein Labor und die erforderliche Stromversorgung zur Verfügung gestellt; als der Magnet zerbarst, wurden große Metallteile wie Geschosse durch den Raum geschleudert. Dieses Mal jedoch war das Stahlgehäuse unversehrt geblieben – allerdings hatten die durch das Feld erzeugten mechanischen Kräfte die acht Befestigungsbolzen abgerissen und ihn trotz seines Gewichts von 30 Kilogramm einen Salto vollführen lassen. Bei seinem Aufprall wurden einige Gerätschaften zerstört und eine 1,5 Zentimeter dicke Aluminium-Fußbodenplatte verbogen. Die Probe des supraleitenden Materials freilich war spurlos verschwunden.
Warum halsen sich Forscher wie wir überhaupt derartige Probleme auf? Die Konstruktion immer stärkerer Elektromagnete ist zunächst eine Herausforderung an sich, trägt aber auch zur Entwicklung neuartiger Werkstoffe – Leiter wie Nichtleiter – bei, deren mechanische und elektrische Eigenschaften immer weitere Rekordwerte erreichen. Zudem sind Hochleistungsmagnete in vielen Labors unentbehrliche Hilfsmittel für die Forschung. Die Anwendungen extrem starker Magnetfelder decken die gesamte Bandbreite des Elektromagnetismus ab und reichen von der Herstellung leistungsfähigerer Dauermagnete bis zur Ergründung des komplexen Verhaltens von Elektronen in modernen Materialien.
Als wichtige Bestandteile etwa von Elektromotoren ermöglichen stärkere Dauermagnete den Bau kleinerer, leichterer und zugleich leistungsfähigerer Antriebsaggregate, beispielsweise für mobile Roboter oder für Laufwerke von Laptops. Bei Lautsprechern gab es gleichfalls einen Entwicklungssprung; Mitte der achtziger Jahre kamen als innovative Produkte kleine und leichte Hi-Fi-Stereo-Kopfhörer für tragbare Radio- und Kassettenabspielgeräte auf den Markt, nachdem Samarium-Kobalt-Magnete verfügbar wurden.
Dauermagnete sind sogenannte magnetisch harte Werkstoffe; neuartige Materialien werden immer wieder mittels sehr starker, gepulster Elektromagnete daraufhin untersucht, ob sie sich stärker und dauerhafter magnetisieren lassen als herkömmliche. Weichmagnetische Materialien hingegen, wie sie für Tonbänder sowie für Computer-Festplatten und Disketten gebraucht werden, müssen ihre Magnetisierung leicht ändern.
Starke gepulste Magnete lassen sich auch für ausgefallenere Zwecke wie Magnetschwebebahnen oder die Beschleunigung von Projektilen nutzen; bei Kernfusionsexperimenten schließen sie das heiße Plasma ein, das ansonsten jede Art von materieller Gefäßwandung zerstören würde. Zu den interessantesten Anwendungen gehören jedoch empfindliche physikalische Experimente unter sonst nicht zugänglichen Bedingungen. Zur Beschreibung solcher Versuche müssen wir jedoch etwas ausholen.
Permanent- und Elektromagnete
Der Magnetismus ist ebenso wie die Schwerkraft eine der Grundkräfte der Natur, die im Alltag erfahrbar sind – man denke nur an die Schnappverschlüsse von Möbeltüren, an die runden Klötzchen, mit denen man Photos, Notizzettel und Kinderzeichnungen an blechernen Tafeln oder anderen Eisenmetallgegenständen befestigt, sowie an die Kompaßnadel, die vom schwachen Magnetfeld der Erde ausgerichtet wird.
Permanentmagnete erhalten ihre Eigenschaft durch das Zusammenspiel der winzigen Magnetfelder, von denen alle Elektronen infolge ihres Eigendrehimpulses oder Spins umgeben sind. Ob sich ein Elektron wirklich dreht, ist ungewiß; diese Vorstellung ist eher formal und soll ausdrücken, daß das Teilchen – wäre es eine kleine, negativ geladene Kugel – rotieren müßte, um das beobachtete Magnetfeld zu erzeugen. Jedem Elektron schreibt man ein magnetisches Moment zu, das in die gleiche Richtung weist wie der Spin, der durch Drehachse und -richtung festgelegt ist.
Jeder Festkörper enthält etwa 1024 Elektronen pro Kubikzentimeter. Allerdings sind die einzelnen magnetischen Momente in den meisten Stoffen völlig ungeordnet, so daß sich die Felder gegenseitig aufheben. In Permanentmagneten jedoch weist ein Teil von ihnen (in der Regel sind es ein bis zehn Prozent) innerhalb kleiner Bereiche – nach dem französischen Physiker Pierre-Ernest Weiss (1865 bis 1940) Weiss-Bezirke genannt – in dieselbe Richtung; jeder stellt gleichsam einen mikroskopisch kleinen Dauermagneten dar. Mit dem richtigen Werkstoff und durch geeignete Bearbeitung lassen sich die Felder der einzelnen Weiss-Bezirke gleichmäßig und dauerhaft ausrichten; man erhält damit einen makroskopischen Dauermagneten, der um so stärker ist, je mehr magnetische Momente der Elektronen parallel orientiert sind.
Magnete waren zwar schon den Griechen und Römern der Antike bekannt, doch daß Elektrizität und Magnetismus zwei Erscheinungsformen einer einzigen Kraft – eben des Elektromagnetismus – sind, weiß man erst seit 175 Jahren. Der französische Physiker André-Marie Ampère (1775 bis 1836) stellte 1821 fest, daß bewegte elektrische Ladungen Magnetfelder hervorrufen (Spektrum der Wissenschaft, März 1989, Seite 114). Er erkannte, daß eine stromdurchflossene Drahtspule von Magnetfeldlinien umgeben ist, die sich bogenförmig von einem zum anderen Ende der Spule erstrecken wie bei einem Dauermagneten. Das Feld eines solchen Elektromagneten ist im Zentrum der Spule am stärksten (weswegen wir unsere Supraleiter-Proben dort plazieren).
Unabhängig voneinander hatten Ampère und sein britischer Fachkollege Michael Faraday (1791 bis 1867) bis 1825 die mechanischen Kräfte untersucht, die auf stromdurchflossene Drähte in einem Magnetfeld wirken. Auf diesen beruhen alle Elektromotoren, vom winzigen Synchronmotor einer Quarzuhr bis zum riesigen Antriebsaggregat einer Elektrolokomotive. Und eben diese Kräfte zerstörten am 3. Dezember 1992 unseren Hochleistungsmagneten.
Ampère und Faraday erkannten des weiteren, daß Magnetfelder auch Kräfte auf sich bewegende Ladungen ausüben. In der Praxis handelt es sich dabei meist um Elektronen, die sich in Metallen frei und in Isolatoren in bestimmten Bereichen um ihre jeweiligen Atomkerne bewegen. Magnetfelder wechselwirken mit beiden Arten von Bewegungen. Ferner bewirkt ein externes Feld, daß sich die magnetischen Momente gleichmäßig ausrichten. Außer der Bahnbewegung wird also auch der Spin der Elektronen beeinflußt.
Dies macht starke Magnete zu sehr guten Versuchswerkzeugen. Supraleitfähigkeit beispielsweise entsteht durch die Paarung von Elektronen mit entgegengesetzt orientierten Spins. Die mit einer bestimmten Bindungsenergie zusammengehaltenen Elektronenpaare durchwandern das Material widerstandsfrei. Ein ausreichend starkes Magnetfeld kann allerdings so viel Energie zuführen, daß die Paarbindung aufbricht und die Supraleitfähigkeit zerstört wird. Dieses Phänomen nutzt man, um das Verhalten solcher Materialien bei tiefen Temperaturen im nicht-supraleitfähigen Zustand zu untersuchen. Weil aber viele Hochtemperatur-Supraleiter selbst in außerordentlich starken Magnetfeldern den Strom noch verlustfrei transportieren, helfen hier nur die äußerst leistungsfähigen gepulsten Elektromagnete weiter.
Je größer die Feldenergie ist, desto energiereichere elektronische Eigenschaften lassen sich untersuchen. Bestimmte Effekte sind überhaupt nur mittels extrem starker Magnetfelder zu erzeugen. Dabei können sich die elektrischen Eigenschaften der Substanzen unter Umständen dramatisch ändern – etwa wenn die Supraleitfähigkeit zusammenbricht oder ein Isolator sich in einen Leiter verwandelt. Solche Übergänge treten zudem recht unvermittelt auf, nämlich sobald die Feldenergie die für den Effekt maßgebende Energie (etwa die Bindungsenergie der Elektronenpaare) der untersuchten Probe erreicht beziehungsweise mit dieser in Resonanz tritt.
Eine weitere Anwendung findet man in der Halbleiterphysik. Mit zunehmender Miniaturisierung – einzelne Strukturen von Speicherchips und Mikroprozessoren werden bald nicht mehr viel größer als 0,1 Mikrometer sein (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1996, Seite 70) – machen sich Quanteneffekte immer stärker bemerkbar. So können die Leitungselektronen nicht mehr jede beliebige Energie annehmen, sondern ähnlich wie die in der Hülle eines Atoms gebundenen nur noch diskrete Energiewerte, die ein Magnetfeld verändern oder in mehrere Unterniveaus aufspalten kann.
Diese Phänomene sind eingehend zu untersuchen, indem man ein Feld variabler Stärke anlegt und dessen Auswirkungen auf bestimmte physikalische Eigenschaften des Materials mißt, beispielsweise auf den elektrischen Widerstand oder die Lichtabsorption; so läßt eine plötzliche Erhöhung der Absorption auf eine Resonanz zwischen der bei dieser Feldstärke erreichten Aufspaltung der Energieniveaus und der Energie des eingestrahlten Lichts schließen. Solche Experimente haben dazu beigetragen, sowohl das Verhalten winziger Halbleiterelemente besser zu verstehen als auch bisher unbekannte Magnetfeldeffekte zu entdecken.
Extreme Anforderungen
Doch was genau ist nun eigentlich ein starkes Magnetfeld? Die Kraftwirkung eines solchen Feldes wird durch die magnetische Flußdichte beschrieben und in Tesla gemessen (frühere Einheit Gauß; 1 Gauß = 10-4 Tesla). Das relative schwache Feld der Erde hat eine Flußdichte von etwa 50 Mikrotesla (millionstel Tesla). Haftmagnete für Pinnwände erreichen einige hundertstel Tesla. Die stärksten Permanentmagnete wie die aus Samarium-Kobalt oder Neodym-Eisen-Bor haben Flußdichten von 0,3 bis 0,4 Tesla – einige wenige reichten aus, einen Kühlschrank emporzuheben.
Künftig lassen sich womöglich noch höhere Flußdichten von Dauermagneten erreichen, doch liegt die Grenze des physikalisch Möglichen wohl im Bereich von drei Tesla – einfach deswegen, weil die Dichte der Elektronen mit ausrichtbarem magnetischem Moment begrenzt ist. Vergrößert man Permanentmagnete, so erhöht sich lediglich die räumliche Ausdehnung des Feldes, ohne daß es stärker würde. Höhere Flußdichten lassen sich folglich nur mit Elektromagneten erzeugen, deren Magnetismus auf der Bewegung von elektrischen Ladungen beruht.
In unserem Labor haben wir bis zu 73 Tesla, also mehr als das Einmillionenfache des irdischen Magnetfeldes erreicht. (Zum Vergleich: An der Oberfläche von Neutronensternen beträgt die magnetische Flußdichte 108 Tesla.) Dazu muß man durch die Spule einen Stromstoß schicken, der – wenn auch nur für einen Augenblick – 15000 Einhundert-Watt-Glühlampen aufleuchten lassen würde.
Nun sind die magnetischen Kräfte, die auf stromdurchflossene Drähte einwirken, proportional zum Produkt aus Stromstärke und Flußdichte. Deshalb wirkt auf die Spulenwindungen explosionsartig ein Druck von etwa 14000 Kilogramm pro Quadratzentimeter (das 35fache des Drucks, der 4000 Meter unter der Meeresoberfläche herrscht). Gleichwohl überstehen die Magnete zumeist mehrere tausend solcher Stromstöße – aber die sich von Zeit zu Zeit ereignenden Explosionen haben durchaus einen gewissen sprengtechnischen Reiz.
Im Prinzip ist der Leistung von Elektromagneten keine obere Grenze gesetzt – ein unendlich hoher Stromfluß würde ein unendlich starkes Magnetfeld erzeugen. Doch die Praxis läßt dies nicht zu: Ab etwa 50 Tesla übersteigen die auf die Spule einwirkenden Kräfte die Zugfestigkeit der Drähte aus gehärtetem Kupfer. Somit ist der Bau von Magneten mit extrem hohen Flußdichten stets ein Prüfstein für die Entwicklung und Erprobung neuer hochfester Leitermaterialien.
Doch gilt es noch ein weiteres Problem zu lösen: Der hohe Stromstoß erhitzt die Spule enorm. Außer Supraleitern weisen sämtliche Materialien einen elektrischen Widerstand auf, durch den ein Teil der elektrischen Energie in Wärme umgewandelt wird – bei einem unserer Magnete immerhin mehr als zehn Millionen Watt, was ausreichte, um die fünf Kilogramm Kupferdraht in weniger als einer Sekunde zu schmelzen.
Dem kann man auf unterschiedliche Weise begegnen. Dabei haben sich zwei Gerätetypen herausgebildet: mit Gleichstrom betriebene, die aufwendig gekühlt werden müssen, und gepulste.
Bei letzteren sucht man entweder Überhitzung zu vermeiden, indem man Strom für weniger als eine Sekunde zuführt, oder man nimmt die Zerstörung von vornherein in Kauf. Dann spielt die Materialfestigkeit keine Rolle – diese Magnete sind nur für einen einzigen Stromstoß ausgelegt, und innerhalb weniger Mikrosekunden werden sie von einer mechanischen Stoßwelle, die sich fast mit Schallgeschwindigkeit ausbreitet, zerrissen.
An der Erforschung und Entwicklung von äußerst starken Gleichstrom-Elektromagneten sind der hohen Kosten wegen nur wenige staatlich geförderte Institutionen beteiligt. Die zum Betrieb erforderlichen Kraftwerke würden ausreichen, eine Kleinstadt mit Strom zu versorgen. In gewaltigen Rohrsystemen wird vollentsalztes Kühlwasser unter Hochdruck durch die Magnete geleitet, die für mehrere Stunden ununterbrochen in Betrieb sein können. Kürzlich wurden im neuen amerikanischen Nationalen Laboratorium für die Erforschung starker Magnetfelder in Tallahassee (Florida) 30 Tesla erreicht – ein Rekord für Gleichstrommagnete konventioneller Art (also ohne supraleitende Spule).
Bei supraleitenden Elektromagneten hingegen gibt es kein Überhitzungsproblem. Ihre Betriebstemperatur liegt meist bei 4,2 Kelvin (-269 Grad Celsius), erzielt durch Eintauchen in flüssiges Helium. Ihr Hauptnachteil liegt allerdings darin, daß das Magnetfeld ab einer bestimmten Stärke die eigene Supraleitfähigkeit beeinträchtigt. Deshalb ließen sich mit diesem Typ bislang nur etwa 20 Tesla erreichen.
In einigen Forschungszentren hat man auch eine Hybridanordnung geschaffen, wobei sich der konventionelle Gleichstrommagnet innerhalb eines größeren, supraleitenden Magneten befindet. So erzielten Experten am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge 38,5 Tesla und damit den Weltrekord für alle Arten von Gleichstrommagneten.
Noch stärkere Felder lassen sich mit selbstzerstörenden gepulsten Magneten erzeugen. Eine derartige Konstruktion erreichte nahezu 1000 Tesla mit Hilfe von Sprengstoffen, die das Magnetfeld symmetrisch in ein winziges Volumen um die Spule herum zusammendrückten; dabei verdampfte die gesamte Apparatur. Die Sprenganordnung ähnelte dem Implosionsmechanismus, mit dem das Kernspaltmaterial einer Atombombe zur Zündung der nuklearen Kettenreaktion komprimiert wird; es ist deswegen kaum verwunderlich, daß sich die beiden auf diesen Magnettyp spezialisierten Forschungseinrichtungen in Los Alamos (Neu-Mexiko) und in Arsamas (Rußland) befinden, die jahrzehntelange Erfahrung mit der Konstruktion von Kernwaffen haben.
Ein vom Megagauß-Laboratorium in Tokio entwickeltes Modell eines selbstzerstörenden Magneten hat den großen Vorteil, daß die Probe bei der Explosion im allgemeinen unversehrt bleibt. Die Bauweise ist dabei bemerkenswert einfach: Die Spule besteht lediglich aus einer einzigen Kupferwindung, die in den wenigen Mikrosekunden bis zum Zerreißen ein Magnetfeld von 150 Tesla erzeugt. Die Meßapparatur ist bei den Experimenten hauptsächlich durch herumfliegende Metallsplitter gefährdet; man sucht sie mit sorgsam angeordneten Sperrholzplatten aufzufangen.
Konfigurationen für vielfachen Einsatz mögen zwar im Normalbetrieb weniger spektakulär sein, bieten jedoch erhebliche Vorteile. Wegen ihrer 10000fach längeren Pulsdauer (zwischen 10 und 100 Millisekunden) ermöglichen sie weitaus vielfältigere Experimente, die Pulsform ist gezielter zu steuern, und die Intervalle zwischen den Pulsen lassen sich bis auf 20 Minuten verkürzen. Damit gewinnt man insgesamt zuverlässigere und aussagekräftigere Meßdaten. Zudem sind apparativer Aufwand und Betriebskosten weitaus geringer, wodurch dieser Typ auch für kleinere Arbeitsgruppen erschwinglich wird. Nachteilig ist allerdings die extrem hohe mechanische Belastung des Magneten durch sein eigenes Feld.
Trickreiche Konstruktionen
Auf verschiedene Weise lassen sich Elektromagnete für wiederholte Stromstöße wappnen. Unsere Variante beruht auf einer sorgfältig gewählten Anordnung verschiedener Drahttypen.
Ideales Drahtmaterial müßte hochfest, äußerst dehnbar und nahezu widerstandsfrei sein. In der Realität läßt sich jedoch die Festigkeit nur auf Kosten von Leitfähigkeit und Dehnbarkeit erhöhen. Darum kombinieren wir Drähte mit verschiedenen Eigenschaften und passen sie den Bedingungen im Magneten an.
Die Spule besteht aus 14 konzentrischen Lagen mit jeweils etwa 30 Wicklungen (Bild 4 links). Zwar nimmt das Magnetfeld von der Mitte nahezu linear nach außen hin ab, doch ist die Materialbelastung in der vierten Lage von innen am größten, weil die Zugspannung proportional zum Produkt aus der lokalen Feldstärke, der elektrischen Stromdichte im Draht und dem Radius der entsprechenden Lage ist.
Deshalb verwenden wir für die mittleren Schichten das festeste verfügbare Leitermaterial, einen Kupfer-Niob-Verbundwerkstoff. Er hält einem Druck von 11600 Kilogramm pro Quadratzentimeter stand – mehr als viele Stahlsorten, die für solche Anwendungen ohnehin zu spröde und nicht annähernd leitfähig genug wären. Die Festigkeit dieses zuerst am MIT eingesetzten Materials beruht darauf, daß mikroskopisch feine Niobfasern in hoher Dichte im Kupfer eingebettet sind.
Der für die innerste Spulenlage verwendete Draht muß sehr biegsam sein. Wir haben deshalb dafür einen Kompositwerkstoff aus Kupfer, Nickel und Berylliumoxid ausgewählt. Die sieben äußeren Lagen schließlich sind sowohl beim Wickeln als auch während der Stromstöße der geringsten Belastung ausgesetzt, tragen jedoch am meisten zum elektrischen Gesamtwiderstand der Spule bei, weil sie insgesamt viel mehr Draht enthalten als die inneren Wicklungen. Wir verwenden deshalb dafür Kupfer-Aluminiumoxid, das sehr leitfähig ist, in großen Mengen zur Verfügung steht und immer noch dreimal reißfester ist als normales Kupfer.
So aufgebaute Spulen sind für die auftretenden Belastungen optimiert. Wenn die mechanischen Kräfte einen bestimmten Grenzwert überstiegen, würde das Material dauerhaft verformt; ist der am stärksten belastete Leiter jedoch dehnbar genug, stützt er sich an der benachbarten Lage ab. Gemeinsam mit Phil Snyder von der Universität Princeton (New Jersey) haben wir diese Konfiguration zuvor im Rechner simuliert. Außer der Entwicklung geeigneter Materialien ist die günstigste Verteilung der einwirkenden Kräfte die größte Herausforderung bei der Entwicklung und dem Bau von Rekordmagneten.
Unsere Kollegen am Labor für gepulste Magnete in Leuven (Belgien) verfolgen eine andere Strategie: Sie verwenden jeweils nur ein einziges Leitermaterial, verstärken aber jede Spulenlage durch eine dicke Schicht aus hochfesten Glasfasern. Damit erzielten sie kürzlich ähnlich hohe Flußdichten-Spitzenwerte wie wir.
Auch unsere Magnete sind mechanisch verstärkt, freilich nur von außen. Die Spule befindet sich in einem Stahlbehälter, und der Zwischenraum ist dicht mit etwa einen Millimeter großen Kügelchen aus stabilisiertem Zirkoniumdioxid gefüllt – einer Variante der Schmucksteine, die häufig als Diamantimitation verwendet werden (Bild 4 rechts). Dieses Material gehört zu den festesten bekannten Isolatoren. Die Preßfüllung aus diesen Kügelchen verhindert, daß ein Materialversagen an einer einzigen Stelle – beispielsweise der Bruch des Spulendrahtes – eine fatale Kettenreaktion auslöst. Die Explosion am 3. Dezember 1992 war der letzte Totalverlust eines Magneten; nachfolgende Störfälle verliefen weitaus glimpflicher, und Fehler lassen sich nun einfach durch Abwickeln des Drahtes lokalisieren und wieder beheben.
Trotz dieser Vorkehrungen bleibt jedes Experiment ein heikles Unterfangen. Zunächst wird der Magnet mit flüssigem Stickstoff auf 77 Kelvin gekühlt. Dadurch erhöht sich die Zugfestigkeit des Leiters um etwa 15 Prozent; zugleich verringert sich der elektrische Widerstand auf die Hälfte bis ein Viertel des ursprünglichen Wertes, wodurch weniger Energie in Form von Wärme verlorengeht. Dennoch steigt die Temperatur in der Spule während eines Stromstoßes um etwa 200 Kelvin – der Magnet wird also in nur 0,01 Sekunden auf Raumtemperatur erwärmt. (Ohne Kühlung würde die gesamte Spule fast augenblicklich schmelzen.) Nach einem Puls dauert es etwa 20 Minuten, bis der heftig brodelnde Stickstoff zur Ruhe gekommen ist und das Aggregat wieder auf Betriebstemperatur abgekühlt hat.
In den nächsten zehn Jahren werden sich wohl mit gepulsten Magneten Flußdichten von 100 Tesla und mehr erreichen lassen. Womöglich sind dann – wie bei der bisherigen Leistungssteigerung – gänzlich unerwartete physikalische Phänomene zu beobachten; aus der weiteren Werkstoffentwicklung könnten sich noch stärkere Dauermagnete ergeben, und auch eine verblüffende, scheinbar widersinnige Theorie ließe sich überprüfen – daß nämlich in bestimmten Materialien die Supraleitfähigkeit nach ihrer Zerstörung durch ein starkes Magnetfeld mit noch stärkeren Feldern wiederhergestellt werden kann.
Mit festeren Leitermaterialien wären des weiteren Hochleistungsmagnete für Plasma-Fusionsreaktoren herzustellen, so daß sich deren Energieausbeute wesentlich verbessern würde. Schließlich könnten elektromagnetische Kanonen größere Geschoßgeschwindigkeiten erzielen; entsprechende Forschungsarbeiten laufen am Sandia-Nationallaboratorium in Albuquerque (Neu-Mexiko): Diese sogenannten rail guns sollen eines Tages robuste Kleinsatelliten in den Weltraum schießen – oder doch, wie ursprünglich geplant, als Antisatelliten-Waffe dienen.
Literaturhinweise
- Magnetisches Verhalten von Hochtemperatur-Supraleitern. Von David J. Bishop, Peter L. Gammel und David A. Huse in: Spektrum der Wissenschaft, April 1993, Seiten 46 bis 53.
– Seventy-Two Tesla Non-Destructive Pulsed Magnetic Fields at AT&T Bell Laboratories. Von G. S. Boebinger, A. Passner und J. Bevk in: Physica B, Band 201, Seiten 560 bis 564, Juli/August 1994.
– Permanent Magnet Materials and Their Design. Von Peter Campbell. Cambridge University Press, 1994.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1996, Seite 58
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