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Elektronische Restauration bildnerischer Frühwerke

Die Technik der Wiederherstellung und Interpretation von Werken der bildenden Kunst wird durch Zeichnungen extrem junger Meister vor gänzlich neue Aufgaben gestellt.

Die noch vor kurzem ungeahnten Möglichkeiten der digitalen Bildmanipulation (Spektrum der Wissenschaft, April 1994, Seite 82) mit ihrem Potential zur kaum nachweisbaren Fälschung haben den legitimen Zweck dieser Technik in den Hintergrund treten lassen: Hintergrundaufhellung, Wiederherstellung zerrissener Teile, Retuschen und Glättung von Unvollkommenheiten des Materials sind Mittel, uns die Intentionen eines Künstlers besser zu verdeutlichen, als der alterungsbedingte Zustand seines Werks es könnte – und möglicherweise auch besser, als sie der längst verstorbene Meister mit den Möglichkeiten seiner Zeit zu realisieren vermochte.

Allerdings treffen solche Ansätze im Bereich der bildenden Kunst noch weithin auf Mißtrauen bis hin zur offenen Ablehnung. Hingegen nimmt man beispielsweise in der Musik keinen Anstoß mehr daran, daß etwa moderne Blechblasinstrumente viel reinere Töne erzeugen können, als der Komponist jemals gehört hat.

Unser Institut befaßt sich mit einer besonders schwierigen Klasse von Bildwerken: Sie genießen wenig Anerkennung seitens ihrer Umwelt, weil ihre Schöpfer durchschnittlich erst sechs Jahre alt sind, und befinden sich demzufolge häufig in einem beklagenswerten Erhaltungszustand.

Typischerweise ist ein solches in Multi-Media-Technik gefertigtes Werk, achtlos mit Tesafilm an einer Kühlschranktür befestigt, der direkten Sonneneinstrahlung, extremen Schwankungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit, Küchendünsten, Nahrungsmittelspritzern und aggressiven Attacken der ignoranten Geschwister ausgesetzt (Bild 1 links oben). Schlimmer noch: Säurefreies, archivfestes Papier wird in der Szene lediglich in Ausnahmefällen verwendet, was zerstörerischen Umwelteinflüssen Tür und Tor öffnet.

Bereits der erste Schritt der elektronischen Restauration ist problematisch: Die meisten Firmen, die im Besitze eines geeigneten Scanners waren, brachen angesichts von Vorlagen mit rezenten Tomatenketchup-Spuren ihre Kontakte zu unserem Institut ab. Liegt jedoch das Bild erst in der Bitmap-Form vor, ist die elektronische Entfernung des sogenannten Gilbs sowie homogener Staub- und Fettschichten durch Einstellen geeigneter Parameter für Helligkeit und Kontrast relativ einfach. Wachsmalfarben sind einigermaßen lichtecht, so daß sie als Referenz für das ursprüngliche Aussehen dienen können. Dagegen sind Wasser- und Filzstiftfarben meist ausgeblichen und müssen künstlich intensiviert werden.

Glücklicherweise pflegen die Künstler nur ein sehr begrenztes Sortiment an Farben zu verwenden, so daß die mathematische Farbrekonstruktionsfunktion zwar mühsam zu finden, aber eindeutig bestimmt ist. Eine Mikrotexturanalyse, unterstützt durch einen einfachen Degustationstest, beseitigt letzte Zweifel, ob es sich um authentische braune Wachsmalfarbe oder nachträglich aufgebrachte Nuß-Nougat-Creme handelt. (Letztere findet sich häufig auf derartigen Kunstwerken, wird aber, von Ausnahmen abgesehen, nicht als Mittel zur Erzeugung eines besonderen künstlerischen Eindrucks eingesetzt.)

Die weiteren Restaurationsarbeiten bestehen im wesentlichen darin, verlorengegangene Bildteile in der Farbe ih-rer Umgebung wieder aufzufüllen. Gelegentlich sind ganze Linien wiederherzustellen; mit sogenannten Spline-Funktionen erzielt man einen harmonischen Übergang zum erhalten gebliebenen Linienfragment.

Die durch Austrocknung hochgradig gefährdeten Skulpturen junger Künstler erfordern den Einsatz dreidimensionaler Darstellungstechniken. Wir haben mit gutem Erfolg Methoden des Rapid Prototyping (siehe die Rubrik "Entwicklung & Technologie" in diesem Heft ab Seite 90) verwendet, um der Nachwelt dauerhafte Kopien vergänglicher Werke aus Zahnpasta oder flüssigkeitsdurchtränktem Papier zu erhalten.

Unser ehrgeizigstes Projekt hat zum Ziel, die Beschränkung der Ausdrucksmöglichkeiten zu überwinden, die durch das begrenzte Werkzeugangebot und die noch mangelhafte Koordination von Hand und Auge entsteht. Dies erfordert, die ursprüngliche Absicht des Künstlers zu ermitteln – entweder über die klassischen Interviewtechniken ("Soll das ein Baum sein?") oder durch Vergleich mit Werken derselben Schaffensperiode.

Die Schöpferin des Gemäldes in Bild 2 unten beispielsweise hatte nicht genug erdige und graue Farbtöne in ihrer Palette, um ihre Intentionen zu verwirklichen, hätte sie jedoch ohne Zweifel benutzt, wären sie verfügbar gewesen. Ebenso offensichtlich ist, daß die dicken grünen Striche den Eindruck hochgewachsenen Grases in freiem Feld erwecken sollten. Ich bereicherte daher die dunklen Bildteile durch einen elektronisch erzeugten Verlauf zwischen braun und grau und fügte für das Gras feinere Linien hinzu, als man mit einem Filzstift erzeugen kann. Durch Löschen von Linien, welche die Künstlerin durch Ausstreichen wiederrufen hatte, sowie durch minimale Änderung von Proportionen in Richtung Realismus entstand das Werk (Bild 2 oben), das ihre Absichten fraglos getreuer wiedergibt als das Original.

Kleinliche Kritiker haben oft Zweifel an der Zulässigkeit solcher Verfahren geäußert, in die eingestandenermaßen Erforschung der künstlerischen Absicht, der jeweils im Bewußtsein des Künstlers aktuellen Stilperiode sowie ein gerüttelt Maß an Interpretation eingehen. Alle diese Einwände werden jedoch mühelos dadurch widerlegt, daß der - in aller Regel noch lebende - Künstler reproduzierbar bestätigt, genau das sei das Bild, das er im Sinne gehabt habe.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1995, Seite 24
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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