Gefühle in der Psychotherapie: "Man muss nicht alles wegdrücken"
Herr Professor Barnow, welche Rolle spielt die Emotionskontrolle bei psychischen Störungen?
Fast jeder, der an einer seelischen Erkrankung leidet, hat auch Probleme, seine Gefühle zu regulieren. Typisch ist ein stark gedämpftes emotionales Erleben; die Betroffenen können bestimmte Gefühle nicht zeigen, nehmen sie gar nicht wahr oder steuern sie auf ungünstige Weise. Viele wollen auch unbedingt verhindern, dass andere merken, wie es ihnen geht – sie halten alles "unter dem Deckel".
Aber zeichnen sich etwa Depressionen oder Ängste, die beiden häufigsten Krankheitsbilder, nicht gerade durch überschießende unkontrollierte Reaktionen aus?
Das denkt man, ist aber nicht immer so. Ein schwer Depressiver wird Ihnen eher sagen, dass er gar nichts mehr empfindet. Selbst Angstpatienten, die in bestimmten Situationen in Panik geraten, versuchen sehr stark, diese Furcht wegzudrücken und zu vermeiden – das wird zum Bumerang. Entweder die Betreffenden bemerken ihre Angst nicht rechtzeitig, oder sie können sie nicht zulassen, und das baut die Emotion immer mehr auf. Das Problem beginnt also schon bei der Emotionserkennung. Wenn ich nicht merke, was mit mir los ist, kann ich auch nicht gegensteuern. Irgendwann übermannt einen die Angst, aber das bahnt sich schon früher an.
Je mehr man die Emotion kontrollieren will, desto stärker nimmt sie einen gefangen?
Ja, denn das Unterdrücken führt ja nicht dazu, dass die Emotion verschwindet. Die Erregung, die sich an Puls und Blutdruck oder am Adrenalin- und Cortisolpegel ablesen lässt, baut sich im Gegenteil immer mehr auf. Wir demonstrieren das unseren Patienten in der Therapie oft, indem wir sie bitten, einen Luftballon, der ihre Emotion darstellt, in einen Wassereimer zu drücken. Das erfordert viel Kraft – und sobald man die Kontrolle verliert, schießt der Ballon heraus. ...
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