Energiesteuer oder Umwelt-Zertifikate?
Beim Umweltschutz geht es letztlich um eine wirtschaftliche Frage: Wenn die Umwelt insgesamt weniger belastet werden soll, müssen wir ihre Nutzung mehr als bisher einschränken; wer aber darf sie dann noch in welchem Ausmaß nutzen? Es handelt sich also darum, knappe Ressourcen zuzuweisen. Spätestens seit der Währungsreform, die Ludwig Erhard (1897 bis 1977), der damalige Direktor für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, im Juni 1948 durchführte, wissen wir, daß man dieses Problem am besten mit Hilfe von Preisen löst. Märkte für Umweltnutzungen wären also einzurichten, auf denen sich Knappheitspreise bildeten. Dann würde der Markt selbst dafür sorgen, daß unsere Umwelt nicht mehr im Übermaß ausgebeutet wird.
Knappheitspreise räumen den Markt, das heißt, sie gleichen Angebot und Nachfrage aus. Auf einem idealen Markt stimmen Knappheits- und Marktpreise überein. Umweltpolitik führt ökologische Restriktionen ein, impliziert also neue Knappheitspreise. Verlangte man diese für die Nutzung knapper Umweltressourcen, so würde der Markt selbst, nicht erst die Politik, für die Einhaltung ökologischer Restriktionen sorgen.
Unter den Umweltökonomen gibt es mehrere widerstreitende Grundpositionen. Die erste steht in der Tradition des britischen Ökonomen Arthur C. Pigou (1877 bis 1959) und setzt auf Umweltabgaben, mit deren Hilfe externe Effekte internalisiert werden sollen. Die zweite findet sich im Umfeld des britischen Volkswirtschaftlers und Nobelpreisträgers Ronald Coase und ficht für handelbare Nutzungsrechte an der Umwelt, für Zertifikate. Eine dritte schließlich plädiert für eine ökologische Steuerreform und sieht das Heil in Öko-, vor allem Energiesteuern.
In der Pigou-Tradition gilt es, externe Effekte durch eine sogenannte Pigou-Steuer zu internalisieren. Unter externen Effekten versteht man Kosten- oder Ertragsanteile, die sich finanziell nicht auf den Urheber auswirken und daher die Allgemeinheit treffen; der Urheber berücksichtigt sie in seinen ökonomischen Kalkulationen nicht. Sie gehen am Markt vorbei. Eine Pigou-Steuer würde das ändern. Die Urheber würden in Höhe der externen Kosten belastet, müßten also insgesamt die vollen Kosten tragen.
Gelänge diese Internalisierung mit Hilfe von Steuern, so würde ein Zustand erreicht, wie er sich ohne externe Effekte eingespielt hätte. Das klingt gut, hat aber einen Haken: Das fragile ökologische Gleichgewicht ist nicht beliebig hohen Belastungen gewachsen. Um es nicht zu gefährden, sind bestimmte Mindestqualitäten einzuhalten. Solche ökologischen Schranken bleiben in der Pigou-Tradition unberücksichtigt; denn die Internalisierung externer Effekte zwingt nicht dazu, Mindeststandards für Umweltbelastungen auch tatsächlich einzuhalten. Das Konzept ist daher vom Ansatz her verfehlt, wenn es darum geht, das ökologische Gleichgewicht zu bewahren statt nur Verzerrungen in der Ökonomie zu bereinigen.
Insofern bietet die Coase-Tradition bessere Lösungen. Dabei stehen Nutzungsrechte im Mittelpunkt. Eine Übernutzung von Umweltgütern ist nur möglich, wenn ein Übermaß an Nutzungsrechten besteht. Also muß man sich fragen, in welcher Höhe solche Rechte vergeben werden sollen. Darauf erhält man andere Antworten als beim Pigou-Ansatz.
Wie viele Umweltnutzungen sollen insgesamt zulässig sein? Jedenfalls nicht mehr, als das ökologische Gleichgewicht verkraften kann. Damit ist sofort die Idee eines ökologischen Rahmens zur Hand, der den Markt in ähnlicher Weise umspannen sollte wie der soziale Rahmen. In der Coase-Tradition besteht das Problem darin, einen ökologischen Rahmen zu definieren und dann durch geeignete Institutionen die Entwicklung entsprechender Knappheitspreise auf Märkten zu ermöglichen. Zertifikate sind eine solche Institution. Die ökologischen Randbedingungen werden in Kontingente insgesamt zulässiger Umweltnutzungen umgesetzt, die übertragbar sind. Umweltnutzungen können nur in dem Maße erfolgen, wie Zertifikate gehalten werden. Als Marktpreis eines Zertifikats bildet sich dann der Knappheitspreis der zugehörigen ökologischen Restriktion heraus. Die ökologischen Randbedingungen werden eingehalten, und die Fähigkeit des Marktes zur spontanen Selbstorganisation bleibt gewahrt.
Obwohl das Konzept der Zertifikate lange als realitätsfern belächelt wurde, setzt es sich in den USA zunehmend durch; dort gibt es nationale Immissionsnormen, die einem ökologischen Rahmen nahekommen. Damit ist die Gesamtzahl verfügbarer Nutzungsrechte festgelegt. Um Härten zu mildern, führt man handelbare Emissionsrechte ein; bei Schwefeldioxid und Ozon ist dies bereits geschehen.
Die dritte umweltpolitische Grundposition möchte das Steuersystem in den Dienst des Umweltschutzes stellen. In der öffentlichen Diskussion vermengen sich dabei verschiedene Anliegen – unter anderem das einer Modernisierung des Steuersystems. Seit langem wissen Finanzwissenschaftler, daß unsere Steuern fehlsteuern; denn sie bewirken, daß Produktionskosten und Preise nicht korrespondieren. Damit haben sie eine ähnliche Wirkung wie Monopole. Eigentlich müßten wir unser Steuersystem demnach ebenso bekämpfen wie Monopole und Kartelle.
Das Beispiel der externen Effekte zeigt, daß Steuern denkbar sind, die nicht fehlsteuern, sondern im Gegenteil entzerren. Warum soll man herkömmliche, fehlleitende Steuern also nicht schrittweise durch entzerrende ersetzen? Das würde auf ein Auswechseln der Besteuerungsgrundlagen hinauslaufen: Statt auf Einkommen, Umsatz oder gewerbliche Erträge würden Abgaben auf Lärm- und Schadstoffemissionen, Benutzung des Straßennetzes zu Stoßzeiten oder das Deponieren von Abfall erhoben.
Oft hält man einer solchen Modifikation des Steuersystems ein gängiges, aber falsches Argument entgegen: Ökosteuern würden mit der Zeit ihre eigene Grundlage untergraben. Besteuere man beispielsweise die Emission von Schwefeldioxid, so gehe diese und damit auch der Ertrag der Steuer zurück. Der Staat sei aber auf verläßliche Einnahmen angewiesen; und deshalb könnten die großen, klassischen Steuern niemals durch Ökosteuern ersetzt werden.
Aber die Erhebung einer Ökosteuer führt keineswegs zum Versiegen ihrer Erträge, sondern nur dazu, daß die relativ kostengünstigen Möglichkeiten der Drosselung wahrgenommen werden – sofern nämlich die Reduktion von Emissionen billiger kommt als die zu entrichtende Steuer. Doch weil nicht sämtliche Möglichkeiten einer Verringerung kostengünstig sein können, bleiben immer genügend Quellen mit hohen Kontrollkosten übrig. Setzt man den Abgabesatz in geeigneter Weise an, so bringen auch Ökosteuern verläßliche Erträge und sind als seriöse Finanzierungsquelle einzustufen. Insoweit stünde einer Modernisierung unseres Steuersystems nichts im Wege.
Gerade die hohe Ergiebigkeit von Ökosteuern macht sie jedoch gefährlich: Man schlägt immer neue Varianten vor, oft mit der Zusicherung, daß sie selbstverständlich aufkommensneutral bleiben sollten. Allerdings folgt regelmäßig der Zusatz, damit habe man nun endlich auch die Mittel, etwas zu tun für den öffentlichen Nahverkehr, für soziale Belange und vieles mehr. Das würde rasch zu weiteren Erhöhungen unserer schon heute überhöhten Steuerlast führen: Kasse macht begehrlich.
Die Tabelle zeigt (oben) die 1994 vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin prognostizierten jährlichen Erträge einer Energiesteuer für die Jahre 1995 bis 2010. Danach würde ihr Aufkommen von 8,6 Milliarden Mark im Jahre 1995 auf 205,6 Milliarden Mark im Jahre 2010 ansteigen. Andere Experten beziffern die Erträge einer vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie vorgeschlagenen ökologischen Steuerreform gar auf über 300 Milliarden Mark jährlich; sie schätzen, daß diese Reform nach nur 25 Jahren ein Jahresaufkommen in der astronomischen Höhe von mehr als 750 Milliarden Mark erbrächte.
In der unteren Tabelle sind die Erträge wichtiger deutscher Steuern im Jahre 1996 aufgelistet. Die mit Abstand ergiebigste Steuer, die Lohnsteuer, brachte jährlich 295 Milliarden Mark in die Staatskasse. Demgegenüber nimmt sich die Kfz-Steuer mit einem Aufkommen von lediglich 14 Milliarden Mark minimal aus. Wenn man über Ökosteuern nachdenkt, darf man ihre gewaltigen Dimensionen nicht aus den Augen verlieren. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist steuerlich ohnehin viel zu hoch belastet.
Ökosteuern sollen zusätzliche Anreize schaffen, mit der Umwelt schonend umzugehen. Diese Erwartung könnten sie auch erfüllen. Die Diskussion hat jedoch schrille Töne bekommen, seit sie sich unversehens auf eine Energiesteuer verengt hat, die alsbald eingeführt und bis auf weiteres kontinuierlich erhöht werden soll. Großen Unmut gab es in der Bevölkerung, als die Zahl 5 Mark pro Liter Kraftstoff auf dem Tisch war. Wer sagt aber, daß es dabei bleiben wird?
Eine drastische Verteuerung der Energie einseitig bei uns – und nicht weltweit – hätte nur zur Folge, daß energieintensive Produktionen von uns weg ins Ausland verlagert und dort weitergeführt würden. Mehr noch: Da die Umweltstandards in Schwellenländern eher lax sind, würde auf diese Weise global mehr und nicht weniger Kohlendioxid emittiert. Können wir das wollen?
Die Energiesteuer ist somit das falsche Instrument, um weltweit CO2-Emissionen zu reduzieren. Will man auf Emissionsmengen einwirken, ist es besser, auf Mengenlösungen zurückzugreifen, also auf international handelbare Emissionslizenzen.
Die CO2-Emissionen sind in der Welt sehr ungleich verteilt. 1986 wurden im globalen Durchschnitt pro Kopf der Bevölkerung 4,2 Tonnen ausgestoßen. Aber in den USA waren es nicht weniger als 19,7 Tonnen, in China hingegen nur 1,9 Tonnen, und Indien brachte es auf ganze 0,7 Tonnen. Würde man beschließen, alle Quoten auf dem Niveau von 1986 einzufrieren, so wären Indien und China die Möglichkeiten zur Entwicklung abgeschnitten. Sie würden einer solchen Konvention also nicht beitreten; und da niemand sie dazu zwingen könnte, würden sie Energieverbrauch und CO2-Emission nach Belieben weiter steigern.
Um auch die Entwicklungsländer zu motivieren, müßte man ihnen Konzessionen machen. Als radikalste Lösung wäre denkbar, jedem Staat eine Quote von 4,2 Tonnen pro Kopf der Bevölkerung zuzuweisen, also den Weltdurchschnitt. Dann wäre Indien ermächtigt, seine Emission zu versechsfachen, wozu es technisch gar nicht in der Lage wäre, und China könnte seine Emission mehr als verdoppeln. Aber die USA müßten ihren Energieverbrauch um nahezu 80 Prozent herunterfahren, was unmöglich ist.
Würden die Quoten jedoch in Zertifikate gestückelt und international übertragbar gestaltet, so könnten die USA an Indien und China mit der Bitte herantreten, ihnen freie Titel zu verkaufen. Da in den USA große Teile der Wirtschaft vom Besitz solcher Stücke abhingen, wären Zertifikate sehr teuer. Es käme zu gewaltigen Kaufkraftströmen aus den Industrieländern in die dritte Welt. CO2-Rechte wären, da gegen Dollar oder Yen zu erwerben, konvertible, gesuchte und teuere Devisen. Es würde unbezahlbar, tropische Regenwälder abzubrennen, da dies CO2-Rechte erforderte. Hingegen brächte es Devisen und wäre finanziell lukrativ, neue CO2-Senken zu schaffen, etwa durch Aufforsten.
Auch für die Landwirtschaft ergäben sich interessante Folgen. Nachwachsende Rohstoffe wären plötzlich sehr rentabel, weil beim Verbrennen von Biodiesel aus Rapsöl nur das Kohlendioxid freigesetzt wird, das die Pflanze zuvor der Atmosphäre entzogen hat. Treibstoff aus nachwachsenden Rohstoffen könnte also ohne CO2-Zertifikate getankt werden – ein gewaltiger Wettbewerbsvorteil gegenüber fossilen Energieträgern. Kurz: Eine solche Regelung würde das Wort Nachhaltigkeit der Realität ein gutes Stück näher bringen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1998, Seite 33
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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