Entdeckung des top-Quarks bestätigt
Am 26. April vergangenen Jahres gaben Physiker des Fermi National Accelerator in Batavia (Illinois) eine lange erwartete Nachricht bekannt: Bei der Kollision von Protonen mit ihren Antiteilchen, den Antiprotonen, die im Speicherring Tevatron auf hohe Energien beschleunigt worden waren, hatten sie nach und nach mehrere Ereignisse registriert, die auf eine Beteiligung des top-Quarks hinwiesen (Spektrum der Wissenschaft, Juni 1994, Seite 32). Nach diesem bis dahin hypothetischen Teilchen, dessen Existenz das Standardmodell der Teilchenphysik fordert, hatten die Wissenschaftler jahrelang gefahndet.
Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich tatsächlich um das letzte noch fehlende von insgesamt sechs Quarks handelt, die zu den fundamentalen Bausteinen der Materie gehören, gaben die Forscher damals mit 400:1 an. Dennoch zögerten sie, von einer "Entdeckung" zu sprechen: Unter vielen Millionen beobachteten Kollisionen hatten sie nämlich gerade zwölf Ereignisse gezählt, die von dem top-Quark verursacht sein könnten, und diese auch nur in einem der beiden Detektoren des Tevatron, dem CDF (Collider-Detektor am Fermilab). Ihre Kollegen, die mit dem zweiten Detektor, D0 genannt, arbeiteten, hatten zwar auch schon Vielsagendes registriert, scheuten vor ähnlichen Schlußfolgerungen aber noch zurück.
Nun haben die beiden Gruppen, zu denen jeweils etwa 450 Wissenschaftler aus den Vereinigten Staaten und einigen anderen Ländern gehören, am 2. März ihre neuen Resultate vorgelegt. Demnach wurden am CDF bislang 33 und am D 0 17 top-Ereignisse gemessen. Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich wirklich um das gesuchte Quark handelt, hat sich damit nach Angaben der Wissenschaftler auf eine Million zu eins erhöht.
Was nach Spiel mit der Statistik aussieht, hat durchaus einen seriösen Hintergrund. Im Gegensatz zu den in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts neuentdeckten Teilchen, welche die Experimentatoren relativ einfach und direkt – zum Beispiel an ihren Spuren in einer Nebelkammer – erkennen konnten, ist der Nachweis von Quarks extrem schwierig. Weil sie nicht frei vorkommen, sondern immer zu zweien oder dreien zu größeren Partikeln verbunden sind, kann man sie nur erzeugen, wenn man mit energiereichen Beschleunigern Teilchen aufeinanderschießt und die bei den Kollisionen entstehenden Umwandlungen beobachtet. Zum einen müssen diese Ereignisse eine bestimmte, von der Theorie geforderte Charakteristik aufweisen, und zum anderen muß man sie um Verfälschungen durch Hintergrundeffekte ausschließen zu können – in ausreichender Anzahl beobachtet haben, um wirklich von einem Nachweis sprechen zu können.
Bei den Kollisionen zwischen Protonen und Antiprotonen im Tevatron entstehen in seltenen Fällen Paare aus einem top- und einem antitop-Quark. Beide zerfallen bereits nach sehr kurzer Zeit in ein W-Boson und ein bottom-Quark. Diese wandeln sich gleichfalls binnen kurzem (das bottom-Quark zum Beispiel nach 10-12 Sekunden) in andere Teilchen um. Für jeden dieser Umwandlungsprozesse gibt es nun eine gewisse Wahrscheinlichkeit, durch andere Ereignisse als den Zerfall eines top-Quarks hervorgerufen worden zu sein. Erst wenn die Häufigkeit der beobachteten Umwandlungen deutlich größer ist als diese errechnete Hintergrundwahrscheinlichkeit, kann man wirklich behaupten, das Teilchen nachgewiesen zu haben. In diesem Sinne bedeutet die obige Zahlenangabe: Die Wahrscheinlichkeit, daß die registrierten Ereignisse statt auf den Zerfall von top-Quarksauf Hintergrundeffekte zurückzuführen sind, beträgt l0-6.
Die jetzt vorliegenden Messungen bestätigen im wesentlichen auch die zuvor angegebene Masse für das top-Quark. Die CDF-Gruppe nennt einen neuen Wert von 176 + 16 Gigaelektronenvolt (Milliarden Elektronenvolt). Das D 0-Team hat einen etwas höheren Wert ermittelt, der aber innerhalb der Fehlergrenzen damit übereinstimmt: 199 + 30 Gigaelektronenvolt. Künftige Messungen mit dem Tevatron zielen darauf ab, die Masse des top-Quarks weiter einzugrenzen und die Eigenschaften dieses schwersten aller bekannten fundamentalen Teilchen zu erforschen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1995, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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