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'Entscheidend sind Mut und Zivilcourage – da hilft auch kein Ombudsmann'

Das Thema „Fehlverhalten in der Wissenschaft“ sorgt spätestens seit dem Fall Herrmann/Brach im Frühjahr 1997 in Deutschland für Wirbel: Zwei renommierte Forscher der Universität Ulm präsentierten in über 50 Veröffentli- chungen gefälschte Diagramme. Dieser Fall steht nicht allein. Um den Betrug einzugrenzen, stellte die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG eine Reihe ethischer Grundsätze auf. Ferner schlug sie allen Forschungseinrichtungen vor, ein Verfahren zur Verfolgung wissenschaftlichen Fehlverhaltens auszuarbeiten. Die Universität Ulm hat diese Empfehlung bereits umgesetzt. Spektrum der Wissenschaft sprach mit dem Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Dr. med. Guido Adler.


Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor Adler, halten Sie diese Veröffentlichungen falscher Diagramme für Einzelfälle, oder zeigt sich hier nur die Spitze eines Eisbergs?
Prof. Dr. med. Guido Adler: Solange wir nicht andere Fälle aufgedeckt haben, können wir nicht von der Spitze des Eisbergs reden. Ich hoffe für die deutsche Wissenschaft, daß es keinen weiteren Fall in diesem Ausmaß geben wird. Kleinere Fälle gibt es sicherlich, die dann aber intern aufgeklärt werden und erst gar nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Das gilt auch für die Ulmer Fakultät, wo wir bei einem Habilitanden Unregelmäßigkeiten festgestellt haben. Wir konnten das Problem sehr schnell intern lösen.
Spektrum: Fehlverhalten und Betrug werden von allen Seiten öffentlich verurteilt. Dennoch stieß die Idee, Fördergelder nur noch an Universitäten zu verteilen, die die DFG-Grundsätze umsetzen, auf heftigen Widerstand. Dabei erscheinen diese im Rahmen der wissenschaftlichen Ethik fast selbstverständlich. Welche Probleme sehen die Wissenschaftler also in der Umsetzung?
Adler: Ich kann mir vorstellen, daß sich die Universitäten an dem Vorschlag sto-ßen, Drittmittel für jene Universitäten zu streichen, an denen es eine solche Satzung nicht gibt. Das ist aber möglicherweise ein juristisches Formulierungsproblem. Es richtet sich nicht grundsätzlich gegen die Forderungen der DFG. Ich persönlich sehe in den DFG-Vorschlägen kein Problem. Die Ulmer Universität hat sofort eine Kommission eingesetzt, die auf dieser Basis eine Ordnung erarbeitet hat.
Spektrum: Welche Aspekte umfaßt diese Ordnung?
Adler: Wir haben einerseits definiert, was wir unter gutem wissenschaftlichen Arbeiten und Verantwortung verstehen, andererseits Fehlverhalten festgelegt, zum Beispiel Falschangaben oder die Beseitigung von Primärdaten.
Spektrum: Und wie verfahren Sie, wenn der Verdacht besteht, daß jemand gegen diese Regeln verstößt?
Adler: Um Fälle von Fehlverhalten zu verfolgen, wurden ein Ombudsmann und eine Kommission bestimmt, an die sich jeder wenden kann, der den Verdacht hegt, daß in einer Arbeitsgruppe nicht korrekt gearbeitet wird. Dort wird dann in einem abgestuften Verfahren ermittelt. Klingen die Vorwürfe plausibel, folgt zunächst ein kollegiales Gespräch, in dem der Beschuldigte gehört wird. Erst danach leitet die Hochschule eine interne Untersuchung ein.
Spektrum: Die Universität Ulm hat bereits einen Grundsatzkatalog erlassen, den jeder Wissenschaftler bei seiner Einstellung unterschreiben muß. Sie fordern darin unter anderem, daß Laborbücher und Rohdaten mindestens zehn Jahre archiviert werden müssen. Welchen Erfolg erhoffen Sie sich von einer solchen Verordnung?
Adler: Wissenschaftliche Arbeit soll dem Erkenntnisgewinn dienen. Redlichkeit des Wissenschaftlers und das Vertrauen in ihn sind Grundvoraussetzungen. Wir sind uns darüber im klaren, daß es wissenschaftlichen Irrtum immer geben wird. Aber das ist etwas anderes als Unredlichkeit. Natürlich kann kein Regelwerk Redlichkeit ersetzen; aber wir hoffen, durch diese Verordnung die Hürden höher zu legen.
Spektrum: In Gießen gibt es derzeit einen Fall, in dem einem Biophysiker Unregelmäßigkeiten vorgeworfen werden. Der Universität wurde jedoch gerichtlich untersagt, weiter zu ermitteln. Dem Verdächtigen muß zunächst betrügerische Absicht nachgewiesen werden. Ist hier nicht auch der Gesetzgeber gefragt?
Adler: Ich denke, eine Universität sollte engagiert, aber auch mit Bedacht mit einem Fall wissenschaftlichen Fehlverhaltens umgehen. Sie darf sich nicht zum Richter aufschwingen, sondern kann nur im Rahmen einer förmlichen Untersuchung prüfen, ob sich der Verdacht des Fehlverhaltens nachweisen läßt oder nicht. Wichtig ist die kollegiale Phase, in der dem Beschuldigten die Möglichkeit gegeben wird, sich universitätsintern zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Hält die Kommission ein Fehlverhalten für erwiesen, wird sie dies dem Rektor mitteilen, der dann entscheidet, ob zur Einleitung weiterer Maßnahmen eine Meldung an den Dienstherren erfolgen muß.
Spektrum: Die Vergangenheit hat gezeigt, daß eine Gemeinschaft oft ihre schwarzen Schafe deckt, vielleicht aus Angst, selbst nicht mehr glaubwürdig zu erscheinen. Ist es daher nicht naiv, Zivilcourage von jungen Leuten zu fordern, deren Karriere auf dem Spiel steht?
Adler: So wie man Redlichkeit nicht durch irgendeine Ordnung erreichen kann, läßt sich auch nicht voraussehen, ob derjenige, der einen Verdacht meldet, nicht letztlich Nachteile hat. Aber gerade der Fall Herrmann, der konsequent aufgeklärt wurde, ist ein Beispiel dafür, daß es nicht so laufen muß. Und der damalige Postdoc, der den Fall ins Rollen brachte, hat heute eine Stelle in München. Es darf nicht mehr passieren, daß Fälle von möglichem Fehlverhalten unter den Teppich gekehrt werden, weil es keine Institution gibt, an die man sich wenden kann. Die Hürde muß aber auch so hoch sein, daß man nicht einfach aus dem bloßen Verdacht heraus jemanden beschuldigt.
Spektrum: Im Gegensatz zu den USA oder den skandinavischen Ländern wird in Deutschland ein System der Selbstkontrolle favorisiert. Staatliche Institutionen hätten den Vorteil, daß die Ermittlungen frei von persönlichen Sympathien geführt werden können. Hat unser System der Selbstkontrolle eine reelle Chance?
Adler: Natürlich ist eine staatliche Einrichtung eine Alternative. Trotzdem werden auch staatliche Kommissionen die Kollegen des Beschuldigten befragen. Die Entscheidung wird letztlich verlagert, aber primär haben Sie genau dasselbe Problem: Meist wird ein Mitglied der Abteilung oder des Instituts den Verdacht hegen und ihn an irgendeine Kommission melden. Ich bin der Meinung, daß eine universitätsinterne Ermittlung, so wie die DFG sie vorgeschlagen hat, eine Möglichkeit ist, das Problem anzugehen. Jetzt wird es darauf ankommen, wie erfolgreich man damit arbeiten kann.
Spektrum: Kann ein Ombudsmann diese Probleme lösen?
Adler: Entscheidend sind Mut und Zivilcourage – da hilft auch kein Ombudsmann.
Die Fragen stellte Sabine Theis


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1999, Seite 102
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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