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Entstehung resistenter HIV-Varianten


Ursache für das Versagen einer Anti-HIV-Therapie sind häufig Resistenzen gegen mindestens eine der verwendeten Substanzen. Sie beruhen immer auf Mutationen im Erbgut des Virus; es enthält die Baupläne für die Produktion von Enzymen und anderen Proteinen, die zur Bildung neuer infektiöser Partikel erforderlich sind. Die zugelassenen Wirkstoffe stören die Arbeit bestimmter HIV-Enzyme. Wenn sich die Angriffspunkte an diesen Proteinmolekülen durch Mutationen in den entsprechenden Genen verändern, verliert die Substanz an Wirkung. Im Fall der nicht-nucleosidischen Inhibitoren der Reversen Transkriptase reicht dazu schon eine einzelne punktuelle Veränderung des Enzym-Gens; bei anderen Substanzklassen, wie den Protease-Inhibitoren, sind mehrere Mutationen vonnöten.

Leider mutiert der AIDS-Erreger sehr schnell, weil er sich rasch vermehrt und sein Erbgut dabei ziemlich fehlerhaft vervielfältigt. In einem unbehandelten Patienten entstehen täglich grob 10 Milliarden neue Viruspartikel, wobei jedes im Mittel an mindestens einer Stelle seines Erbgutes von dem des unmittelbaren Vorläufers abweicht. Solche Zahlen machen es wahrscheinlich, daß jede Mutation, die eine Resistenz erzeugt oder fördert, unter den Viruspartikeln eines Tages ungefähr einmal vorkommt. Jedes antiretrovirale Medikament wird darum auch in vorher unbehandelten Patienten auf HIV-Varianten treffen, die bereits dagegen unempfindlich sind oder die ersten Mutationen auf dem Weg dahin angesammelt haben.

Angenommen, zur vollen Resistenz gegen ein Pharmakon müßten insgesamt fünf bestimmte Mutationen in einem Partikel zusammenkommen. Die meisten Virusvarianten werden zu Beginn der Therapie vermutlich höchstens zwei davon tragen; die etwas unempfindlicheren können sich jedoch in Gegenwart der Substanz in gewissem Umfang noch weitervermehren, was ihnen Gelegenheit verschafft, eine weitere der resistenzfördernden Mutationen anzusammeln. Die zunächst wenigen noch unempfindlicheren Varianten haben dann ihrerseits einen Wachstumsvorteil gegenüber den anderen und verdrängen sie. Der Teufelskreis setzt sich fort, bis bei Varianten mit allen fünf Mutationen schließlich das Medikament jegliche Wirkung verliert (Bild).

Die Einnahme eines antiretroviralen Pharmakons selektiert somit resistent werdende Varianten – es sei denn, es unterbände die virale Replikation vollständig. Noch schneller versagt die Therapie, wenn bereits einzelne völlig unempfindliche Viren vorhanden sind.

Weil Resistenzen so leicht auftreten (insbesondere, wenn schon eine passende Mutation genügt) und keines der verfügbaren Medikamente für sich allein die virale Vermehrung völlig zu unterbinden vermag, wird heute nicht mehr mit nur einer Substanz behandelt. Für die Kombinationstherapie wählt man meist Mittel, die sich in ihrer Wirkung potenzieren und die Wahrscheinlichkeit der Resistenzbildung senken. Zu meiden sind solche, die ein Patient früher schon einmal eingenommen hat, weil sich dann vermutlich bereits dagegen unempfindliche Varianten etabliert haben.

Im Verlauf einer Kombinationstherapie müssen die Patienten sorgfältig auf Anzeichen beginnender Resistenzen überwacht werden. Sind nach vier bis sechs Monaten Viren im Blut nachweisbar, so bedeutet das allgemein eine unzureichend unterdrückte Replikation: Resistente Varianten sind dann entweder schon vorhanden oder im Auftauchen begriffen. Dies kann verschiedene Gründe haben: ungenügende Wirksamkeit, mangelhafte Resorption oder fehlerhafte Einnahme der Pharmaka. Ein besseres Anpassen der Therapie an den einzelnen Patienten versprechen in Entwicklung befindliche Testverfahren. Mit dem einen soll das individuelle Spektrum an genetischen Varianten bestimmt werden (die Art der Resistenzmutationen in der Viruspopulation), mit dem anderen das Ausmaß der Resistenz gegen fragliche Wirkstoffe. Mit diesen Daten ließe sich dann eine Medikamentenkombination wählen, die höchstwahrscheinlich nicht schon von vornherein auf dagegen unempfindliche HIV-Stämme trifft. Außerdem kann bei ansteigender Viruslast getestet werden, ob tatsächlich Resistenzen die Ursache sind und welche alternativen Therapieschemata die besten Erfolgsaussichten haben.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1998, Seite 43
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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