Erste Anwendungen für Dendrimere - Kaskadenmoleküle als Katalysatoren und Käfige
Gerade zehn Jahre alt ist das Forschungsgebiet, das sich mit den schneeflockenartig wachsenden Polymeren beschäftigt. Und schon beginnt die Spielerei mit den reizvollen Strukturen praktische Früchte zu tragen.
Um komplizierte dreidimensionale Gebilde zu erzeugen, bedient sich die lebende Zelle des Baukastenprinzips. Einfache kleine Fertigteile (Aminosäuren im Falle der Proteine, Nucleotide bei der Erbsubstanz DNA) werden zu Hunderten bis Millionen aneinandergehängt. Die resultierenden Kettenmoleküle legen sich dann in Schlaufen, die über schwache (nichtkovalente) Wechselwirkungen zusammengehalten werden, und bilden so räumliche Strukturen, die sich meist leicht und ohne Änderung der chemischen Zusammensetzung wieder auflösen lassen. Bei Proteinen nennt man diesen Vorgang Faltung.
Verwendet man dagegen Bausteine, die nicht – wie die Aminosäuren und Nucleotide – nur zwei, sondern drei oder mehr Verknüpfungspunkte haben, liefert deren Kopplung direkt eine dreidimensionale Struktur. Ein Polymer aus solchen Y-förmigen Komponenten wächst wie ein Baum: Es hat einen Stamm, wenige Äste, viele Zweige und noch mehr Triebe. Polymerisiert man solche mehrbindigen Bausteine kontrolliert im Generationentakt, so daß in einem Reaktionsschritt jeder Bindungsstelle genau ein neues Element angefügt wird, ergibt sich ein schneeflockenartiges Gebilde, das schon nach wenigen Generationen eine dicht besetzte Kugelform angenommen hat. Die Zahl der jeweils einzubauenden Teile wächst dabei exponentiell an.
Rein äußerlich ähneln diese Dendrimere (nach griechisch dendron, Baum) globulären Proteinen, doch ihre dreidimensionale Struktur ist durch kovalente chemische Bindungen ein für allemal festgelegt. Die molekularen Bäume können im Gegensatz zu den Proteinen nicht zu einem eindimensionalen Strang auseinandergezogen werden.
In den ersten Jahren nach der Entdeckung dieser ungewöhnlichen Molekülklasse stand die Faszination der ästhetischen Formen, der neuartigen Synthese und der Möglichkeit, definierte Moleküle bisher unerreichbarer Größe zu erzeugen, im Vordergrund (Spektrum der Wissenschaft, September 1993, Seite 26). Über Anwendungsmöglichkeiten wurde zwar viel spekuliert, doch konkrete Erfolge blieben zunächst aus. Erst gegen Ende des vergangenen Jahres haben sich die Visionen von der Nützlichkeit dieser Substanzen zu konkreten Forschungsergebnissen verdichtet. Möglich machten dies vor allem Fortschritte in der Chemie der Kaskadenmoleküle, dank derer man jetzt gezielt bestimmte chemische Gruppen einzubauen und auch Hohlräume unter der Oberfläche der Dendrimere zu konstruieren vermag.
Die erste Synthese eines Kaskadenmoleküls mit eingeschlossenen Gastmolekülen gelang kürzlich der Arbeitsgruppe von Egbert W. Meijer an der Technischen Universität Eindhoven ("Science", Band 266, Seiten 1226 bis 1229). Auf ein gewöhnliches Dendrimer mit 64 Amino-Endgruppen, das die Firma DSM in Sittard (Niederlande) in Kilogramm-Mengen herstellt, pfropften die Wissenschaftler Moleküle der Aminosäure Phenylalanin auf (Bild 1). Aus den spektroskopischen Eigenschaften dieser Verbindung folgerten sie, daß es sich um eine Art molekulare Nuß mit harter, undurch dringlicher Schale und weichem, beweglichem Kern handeln müsse. Mithin sollte die Substanz sich dazu eignen, Fremdmoleküle dauerhaft einzuschließen.
Tatsächlich gelang es den niederländischen Wissenschaftlern, eine Vielzahl von Molekülen im letzten Syntheseschritt in den Hohlräumen mit einem Durchmesser von ungefahr fünf Nanometern (millionstel Millimetern) einzufangen und dann spektroskopisch nachzuweisen. Eine solche dendritische Schachtel ermöglicht nicht nur physikalische Untersuchungen an isolierten Molekülen; von ihrer Weiterentwicklung erhofft man sich auch, Arzneistoffe an den vorgesehenen Wirkort dirigieren und dort gezielt freisetzen zu können. Immerhin ist es bereits gelungen, zwei verschieden große, im selben Dendrimer eingeschlossene Arten von Gastmolekülen einzeln herauszulassen. Dazu wurde die Schale zunächst nur durchlöchert und erst dann völlig aufgelöst.
Möglicherweise noch gewinnbringender lassen sich Dendrimere zur Katalyse (Reaktionsbeschleunigung) verwenden. Ein erster Schritt in diese Richtung gelang der Arbeitsgruppe von Gerard van Koten an der Universität Utrecht ("Nature", Band 372, Seiten 659 bis 663). Dieses Team suchte nach einem Ausweg aus dem alten Dilemma, daß im Reaktionsgemisch gelöste (homogene) Katalysatoren wirksamer sind als auf einem festen Träger fixierte (heterogene), dafür aber den Nachteil haben, sich schwerer von den Reaktionsprodukten abtrennen zu lassen. Die Forscher knüpften deshalb eine katalytisch aktive Gruppe an verschiedenartige Polymere.
Bei dendritischen Trägern zeigte sich, daß sie die Vorteile der homogenen mit denen der heterogenen Katalyse vereinigen. Als lösliche Stoffe zählen Dendrimere zu den homogenen Katalysatoren und teilen deren Vorzüge. Andererseits sind sie leicht durch Ultrafiltrationsmethoden von den Reaktionsprodukten abzutrennen. Das liegt an ihrem hohen Molekulargewicht, aber auch an der beständigen Kugelform. Während lineare Polymere mittels Kriechbewegungen Filtermembranen durchdringen können, von denen sie ihrer Größe wegen eigentlich zurückgehalten werden müßten, haben Dendrimere einen durch die chemischen Bindungen definierten unveränderlichen Durchmesser.
Die katalytisch aktive Gruppe, welche die Niederländer an der Außenschale des Dendrimers anbrachten, war ein aktiviertes Nickel-Atom, ein sogenannter Diaminoarylnickel-II-Komplex. Diese organometallische Gruppe katalysiert die Addition von Polyhalogenalkanen an eine C-C- Doppelbindung. Dies bedeutet, daß die Doppel- in eine Einfachbindung umgewandelt wird und eines der Kohlenstoffatome dabei ein Halogen-Atom, das andere den Kohlenwasserstoffrest als zusätzlichen Bindungspartner erhält. Obwohl die Forscher bis zu zwölf dieser metallorganischen Gruppen an ein Dendrimer knüpften (Bild 2), blieben deren katalytische Eigenschaften unverändert hoch. Die Anheftung an den Träger scheint den Zugang der Reaktanden zu der katalytisch aktiven Stelle also nicht zu beeinträchtigen.
Ein allgemeiner Trend zum Einbau metallorganischer Zentren in Dendrimere läßt sich auch aus dem neuesten, umfassenden Fortschrittsbericht der Arbeitsgruppe des Bonner Dendrimer-Pioniers Fritz Vögtle ablesen ("Angewandte Chemie", Band 106, Seiten 2507 bis 2514, 1994). Die metallhaltigen Gruppen können dabei nicht nur – wie die gerade erwähnten Nickel-Komplexe – an der Peripherie, sondern auch als Kernbausteine im Mittelpunkt der Struktur angeordnet sein. Im letzteren Falle ist das Kennelement beispielsweise ein Zink-Porphyrin-Komplex –x so gut abgeschirmt, daß es vor direkten Umsetzungen geschützt ist und sich damit als vorübergehende Sammelstelle für Elektronen eignet; diese gibt es dann, ohne sich selbst zu verändern, an geeignete Reaktionspartner weiter.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1995, Seite 30
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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