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Erstmaliger Nachweis von Antiwasserstoff

Das Positron, das Antiteilchen des Elektrons, ist seit 1932 bekannt und das Antiproton seit 1955. Doch erst jetzt ist es einer deutsch-italienischen Forschergruppe am europäischen Laboratorium für Teilchenphysik CERN in Genf (Schweiz) gelungen, Antiwasserstoff – den gebundenen Zustand der beiden Antiteilchen – herzustellen und nachzuweisen.

Ende der zwanziger Jahre versuchte der britische theoretische Physiker Paul A. M. Dirac (1902 bis 1984), die quantenmechanische Beschreibung des Elektrons mit der speziellen Relativitätstheorie von Albert Einstein (1879 bis 1955) in Einklang zu bringen. Dabei schienen zunächst negative Energiewerte, die als mögliche mathematische Lösungen der Gleichungssysteme auftraten, eine unüberwindliche Schwierigkeit zu sein. Um sie zu beseitigen, führte Dirac den Begriff des Antiteilchens ein. Demnach kann man sich das Vakuum als einen See vorstellen, der mit Elektronen negativer Energie aufgefüllt ist (Bild 1). Wird ein Elektron über eine elektromagnetische Wechselwirkung in einen Zustand mit positiver Energie gehoben, dann bleibt gleichsam ein "Loch im Nichts" zurück, das als Positron – das Antiteilchen des Elektrons – in Erscheinung tritt.

Carl David Anderson (1905 bis 1991; Physik-Nobelpreis 1936) hat solche Prozesse 1932 beim Studium der Höhenstrahlung beobachtet und dabei die ersten realen Positronen entdeckt. Anfang der fünfziger Jahre wurden Beschleuniger gebaut, die genügend Energie lieferten, um auch Antiprotonen herzustellen, was 1955 am Bevatron des Lawrence Berkeley Laboratoriums in Kalifornien erstmals gelang.


Das CPT-Theorem

Eine fundamentale Frage der modernen Physik ist, ob alle elementaren Naturprozesse in gleicher Weise ablaufen, wenn man sie bestimmten Symmetrieoperationen unterwirft – also zum Beispiel Teilchen durch Antiteilchen ersetzt (C für charge conjugation, Ladungskonjugation), das spiegelsymmetrische Gegenstück eines Vorgangs betrachtet (P für Parität) oder die Zeitrichtung umkehrt (T für time inversion, Zeitumkehr). Während dies für die genannten Symmetrieoperationen allein jeweils nur näherungsweise gilt, sollte die Invarianz exakt erfüllt sein, wenn alle drei Prozesse hintereinander ausgeführt werden (siehe Spektrum der Wissenschaft, April 1988, Seite 70). Jedenfalls haben G. Lüders, Julian S. Schwinger (1918 bis 1994; Physik-Nobelpreis 1965) und Wolfgang Pauli (1900 bis 1958; Physik-Nobelpreis 1945) dies aus sehr allgemeinen Prinzipien der Quantenfeldtheorie abgeleitet.

Eine wichtige Konsequenz daraus ist, daß Teilchen und Antiteilchen gleiche Massen und Lebensdauern, aber entgegengesetzt gleiche elektrische Ladungen und magnetische Momente haben sollten. Das wiederum bedeutet, daß die Energieniveaus in Wasserstoff- und Antiwasserstoffatomen identisch sein müßten. Jegliche Abweichung würde die CPT-Invarianz in Frage stellen. Tatsächlich ermöglichen einige der bislang unbewiesenen Theorien, welche die Quanten- mit der Gravitationstheorie zu vereinigen suchen, solche Verletzungen.

Die Gültigkeit des CPT-Theorems wurde bereits mehrfach an Elementarteilchen geprüft – zum Beispiel durch Vergleich der Massen des K°- und Anti-K°-Mesons, des Protons und des Antiprotons oder der magnetischen Momente von Myon und Antimyon. Dabei ließen sich innerhalb der recht engen Fehlergrenzen keine Abweichungen feststellen. Antiwasserstoff böte indes ein noch viel besseres Testsystem, weil man seine spektroskopischen Eigenschaften äußerst genau messen und mit den ebenso präzise bekannten Werten des Wasserstoffs vergleichen könnte (siehe Spektrum der Wissenschaft, Mai 1979, Seite 58).


Das Experiment

Um Antiwasserstoff zu erzeugen, muß man seine beiden Bestandteile – Antiprotonen und Positronen – so nahe zusammenbringen, daß sie eine Bindung eingehen können. Beide Teilchensorten kommen auf der Erde nicht natürlich vor. Wenn es sie im Universum überhaupt geben sollte, dann nur in isolierten "Antiwelten", weil Antimaterie beim Zusammentreffen mit normaler Materie zerstrahlt (annihiliert), wobei die vernichtete Masse nach der bekannten Einsteinschen Formel E=mc2 in Energie umgesetzt wird.

Während die Produktion von Positronen relativ einfach ist, lassen sich Antiprotonen nur an zwei Instituten der Welt gezielt herstellen: am Fermi National Accelerator Laboratory (Fermilab) bei Chicago (USA) und am CERN in Genf. Dort kann man Protonen über mehrere Schritte auf 26 Gigaelektronenvolt beschleunigen und auf ein Iridium-Target lenken, wo außer vielen anderen exotischen Teilchen auch einige Antiprotonen entstehen. Diese werden herausgefiltert und gespeichert. Die typische Tagesproduktion des CERN beträgt 900 Milliarden Antiprotonen.

Eine naheliegende Strategie zur Herstellung von Antiwasserstoff wäre nun, Antiprotonen und Positronen einzeln zu erzeugen und dann auf geeignete Weise zusammenzubringen. Dies ist jedoch ein höchst aufwendiges Verfahren, das sich zur Zeit technisch noch nicht realisieren läßt. Auf einer Konferenz im Jahre 1992 schlug Stan Brodsky von der Stanford-Universität in Kalifornien deshalb eine andere Methode vor. Dabei sollten die Antiprotonen die benötigten Positronen selbst erzeugen. Dieter Möhl und Pierre Lefèvre, die beide am CERN arbeiten, berichteten uns von der Idee und schlugen vor, das Experiment am dortigen Low-Energy-Antiproton-Ring (LEAR) durchzuführen.

Seit 1983 steht dieser Ring für Versuche mit Antiprotonen zur Verfügung. Ein experimenteller Aufbau dort erlaubt zum Beispiel, ein gekühltes Gas durch eine Düse zu drücken, wobei es expandiert und sich dabei weiter so stark abkühlt, daß die Atome gleichsam gefrieren, das heißt sich zu winzigen Kügelchen zusammenballen. Dies ist nötig, damit das Hochvakuum in der Apparatur aufrechterhalten bleibt. Die Klümpchen aus 10000 bis einer Million Atomen – fachsprachlich Cluster genannt – durchqueren den Strahl aus Antiprotonen, die mit 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit im Ring umlaufen. Eine Gruppe hatte mit dieser Apparatur beispielsweise kurzlebige Mesonen untersucht, die bei der Wechselwirkung der Antiprotonen mit den Protonen in Wasserstoff-Clustern entstehen.

Während diese Gruppe Wasserstoff als Gas verwendete, benutzten wir das sehr viel schwerere Xenon. Wenn ein Antiproton dicht an einem (54fach positiv geladenen) Xenon-Kern vorbeifliegt, kann in dessen starkem elektrischen Feld ein Elektron-Positron-Paar erzeugt werden (Bild 2). In seltenen Fällen sollte das Positron die gleiche Flugrichtung und Geschwindigkeit wie das Antiproton haben, so daß sich beide zu einem Antiwasserstoffatom vereinigen.


Der Nachweis

Die Schwierigkeit bestand nun darin, dieses Atom tatsächlich nachzuweisen. Da es elektrisch neutral ist, fliegt es im nächsten Ablenkmagneten geradeaus weiter und verläßt somit den Beschleuniger. Wir sorgten dafür, daß es dahinter – immer noch im Hochvakuum – auf den ersten von insgesamt drei Siliciumdetektoren trifft. Dieser zerlegt das Atom nach nur 37 milliardstel Sekunden bereits wieder in seine Bestandteile; denn das Antiproton wird wegen seiner ungefähr 2000mal höheren Masse wesentlich weniger abgebremst als das Positron, das meist schon im ersten, spätestens aber im zweiten Detektor zur Ruhe kommt und mit einem Elektron annihiliert. Anhand dieses Vorgangs läßt es sich eindeutig identifizieren. Man braucht nur die Abgabe seiner Bewegungsenergie im ersten Siliciumdetektor und anschließend die charakteristische Vernichtungsstrahlung zu messen (zwei Photonen mit je 511 Kiloelektronenvolt Energie, die in entgegengesetzter Richtung davonfliegen).

Das Antiproton durchquert alle drei Siliciumdetektoren. Danach verläßt es das Vakuum, passiert eine aus Szintillationsdetektoren bestehende Flugzeitmeßstrecke und wird dabei in einem Analysier-Magnetfeld leicht abgelenkt. Diese Ablenkung, die sich mittels ortsauflösender Drahtkammern bestimmen läßt, ist ein wichtiges Nachweiskriterium; hinzu kommen die kleinen Energieportionen, die das Antiproton in den Silicium- und Szintillationsdetektoren hinterläßt, wenn es dort jeweils etwas abgebremst wird. Die zeitliche Korrelation von Positron und Antiproton bei richtiger Fluggeschwindigkeit ist ein eindeutiges Indiz dafür, daß ein Antiwasserstoffatom gebildet und wieder zerstört worden war. Dieser Fall trat in unserem Experiment bei einer Bestrahlungsdauer von 15 Stunden, in der rund 300000 Ereignisse registriert wurden, genau elfmal auf.

Allerdings können Antineutronen in sehr seltenen Fällen eine ähnliche Signatur vortäuschen, indem sie in einem der Siliciumdetektoren Reaktionen hervorrufen, bei denen mindestens ein Positron und ein Antiproton mit passender Richtung und Geschwindigkeit erzeugt werden. So beobachteten wir einmal, daß die ersten beiden Siliciumdetektoren stumm blieben und nur der dritte ein Signal lieferte, das dem Abbremsen eines Positrons, verbunden mit dem Durchflug eines Antiprotons, äquivalent war. Bei einem echten Antiwasserstoffatom hätten alle Detektoren ansprechen müssen, und das Positron wäre nicht bis zum letzten vorgedrungen. Demnach mußte ein Antineutron im zweiten Detektor die Bildung eines Positron-Antiproton-Paares ausgelöst haben.

Da die Wahrscheinlichkeit für diesen Vorgang bei allen drei Detektoren gleich ist, könnte der Prozeß auch einmal beim ersten Detektor aufgetreten und nicht als solcher erkannt worden sein. Möglicherweise waren deshalb zwei der Antiwasserstoffkandidaten durch Antineutronen vorgetäuscht. Damit bleiben freilich immer noch neun nachgewiesene Antiwasserstoffatome.

Ein ähnliches Experiment ist für Ende dieses Jahres am Fermilab geplant. Dort kann immerhin die Möglichkeit geschaffen werden, die sogenannte Lamb-Verschiebung – eine winzige Erhöhung der Energie des elektronischen Grundzustandes von Wasserstoff (siehe Spektrum der Wissenschaft, September 1993, Seite 22) – in schnell fliegendem Antiwasserstoff zu studieren. Höchstauflösende Spektroskopie aber wird erst möglich sein, wenn es gelingt, Antiatome in Ruhe zu erzeugen. Obwohl man Antiprotonen und Positronen inzwischen abbremsen und sogar im gleichen Vakuum in magnetischen Flaschen aufbewahren kann, vermag man die eingefangenen Antiteilchen bisher nicht zu Atomen zu kombinieren.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1996, Seite 24
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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