Karl der Große I: Europas karolingisches Erbe
Seine Zeitgenossen bezeichneten den Frankenkönig Karl, den der Papst am Weihnachtstag des Jahres 800 zum Kaiser krönte, als einen "großen und rechtgläubigen Herrscher" sowie als "Vater und Leuchtturm Europas". Anders als wir heute verstanden sie unter Europa aber noch kein Staatengebilde, denn die Nationen und ihre Grenzen sollten sich erst im Lauf des Mittelalters ausbilden. Europa war für diesen Herrscher daher vor allem der Entwurf einer gemeinsamen Kultur – geschaffen von Intellektuellen, die das geistige Leben von der Sprache über die Schrift bis hin zur kalendarischen Zeitrechnung reformierten und antikes Wissen aus Mathematik, Astronomie und Logik zusammentrugen. In der Rückschau der Historiker wird daraus eine »karolingische Renaissance«, welche die berühmte italienische Rückbesinnung auf die Antike sozusagen vorwegnahm.
In der ersten Hälfte seiner Herrschaftszeit beschäftigte Karl den Großen allerdings vor allem der Ausbau seines Machtbereichs. Ausgehend von den Gebieten der fränkischen Merowinger und ihrer Nachfolger, der frühen Karolinger, schuf er ein Großreich, das der römisch-germanischen Welt der Spätantike und des frühen Mittelalters eine zukunftsweisende politische und kulturelle Struktur gab und, wenn man so will, eine erste Einigung Europas darstellte.
Dazu setzte er auf aggressive Expansion und zog gegen etliche Gegner zu Felde: gegen die Langobarden in Italien, die Sachsen zwischen Weser und Elbe, die Bayern südlich der Donau, die christlichen Basken und muslimischen Sarazenen im Pyrenäenraum sowie schließlich gegen verschiedene Grenzvölker von den Dänen im Norden bis zu den Awaren im Südosten. Aus Sicht des Historikers zeitigten diese Kriege, so blutig sie auch mitunter waren, fruchtbare Wirkungen: In Italien etwa beschränkte Karl den Einfluss Ostroms – Byzanz sollte nie wieder genug Macht besitzen, um das einstige Kernland des verlorenen Imperiums zurückzugewinnen. ...
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