Evolution des Denkens: "Der Mensch besitzt keinen Zauberstab"
Herr Professor Güntürkün, Sie erforschen seit vielen Jahren die Lernfähigkeit von Vögeln. Haben Sie sich jemals vorzustellen versucht, wie es wäre, eine Taube zu sein?
Das würde ich wahnsinnig gerne wissen. Einiges lässt sich durch einen genauen Blick von außen rekonstruieren. Tauben können zum Beispiel mit jedem Auge gleichzeitig nach vorn und zur Seite schauen und haben damit fast einen Rundumblick. Allerdings können sie ihre Umgebung als Gesamtheit nur mit großer Mühe wahrnehmen. Sie sind vielmehr verrückt nach Details – bei uns Menschen ist es eher umgekehrt. Es ist also schwer, sich wirklich vorzustellen, wie es ist, eine Taube zu sein. Zumal wir keine Ahnung haben, wie es sich anfühlt, einfach so über die Landschaft zu fliegen.
Lange Zeit hieß es, der Mensch sei das einzige Wesen, das vorausschauend planen kann. Leben Tauben nur in der Gegenwart?
Ich denke schon, dass Tauben ein Gefühl für Zukünftiges haben. Aber es ist nicht so stark ausgeprägt, dass wir es problemlos nachweisen können. Bis vor Kurzem glaubten viele Wissenschaftler, Tiere könnten grundsätzlich nicht planen. Das ist für zahlreiche Spezies inzwischen widerlegt, aber wie ausgereift der Zukunftsblick jeweils genau ist, weiß niemand. Es dürfte typisch für uns Menschen sein, dass wir in klar strukturierter Art und Weise unsere Zukunft planen. Möglicherweise ist diese Fähigkeit jedoch auch ein Produkt unserer Kultur. Viele indigene Völker tun dies nämlich nicht, obwohl sie kognitiv dazu fähig sind ...
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