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Explosive Evolution


Die Buntbarsche der großen Ostafrikanischen Seen (Viktoria-, Tanganjika- und Malawisee) kommen in jeweils Hunderten von Arten vor, die größtenteils endemisch sind, das heißt ausschließlich in dem jeweiligen Gewässer leben. Im Viktoriasee beispielsweise, dessen geologisches Alter auf weniger als eine Million Jahre geschätzt wird, gibt es allein über 200 verschiedene Spezies.

Morphologisch und insbesondere in den ökologischen Spezialisierungen zeigen die Fische eine beeindruckende Vielfalt. Dem steht jedoch nur eine äußerst geringe genetische Variabilität gegenüber: Sie ist bei der gesamten Artengruppe des Viktoriasees zum Beispiel kleiner als innerhalb der Spezies Mensch.

Vor einigen Jahren konnten Axel Meyer und seine Mitarbeiter mit molekularbiologischen Methoden zeigen, daß die Buntbarscharten in den jeweiligen Seen monophyletisch sind, sich also sämtlich von einer einzigen Stammform herleiten (siehe Spektrum der Wissenschaft, Juni 1991, Seite 22). Unter der Annahme einer durchschnittlichen Divergenzrate der Gensequenzen wurde ihr Ursprung im Viktoriasee zum Beispiel auf 200000 Jahre datiert. Impliziert dies bereits eine extrem rasche, ja – nach geologischen und evolutionären Zeitmaßstäben – geradezu explosive Bildung neuer Arten, so setzen neueste Erkenntnisse einen noch weit engeren Zeitrahmen.

Bisher ging man davon aus, daß der Wasserspiegel des Viktoriasees, der in der Vergangenheit starken Schwankungen unterlag, während der letzten Eiszeit einen sehr niedrigen Stand erreichte. Die Fische hätten dann in mehreren, voneinander isolierten Lachen überleben und sich getrennt entwickeln können.

Neueste geologische Ergebnisse, die Thomas C. Johnson von den Large Lakes Observatories der Universität von Minnesota in Duluth gemeinsam mit einer internationalen Forschergruppe kürzlich publizierte, zeigen jedoch, daß der Viktoriasee vor gut 12000 Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit komplett ausgetrocknet war ("Science", Band 273, 23. August 1996, Seite 1091). Demnach muß sich die enorme Artenvielfalt der heute dort heimischen Buntbarsche in dieser extrem kurzen Zeitspanne entwickelt haben.

Doch scheint dies immer noch nicht das Maximaltempo der Entstehung neuer Buntbarscharten zu verkörpern. Das geht aus Entdeckungen hervor, die Johnson in Zusammenarbeit mit einer interdisziplinären Forschergruppe bei einer umfangreichen Untersuchung des Malawisees machte. Dessen Buntbarsch-Fauna umfaßt mehr als 500 Spezies, von denen nur vier auch anderswo vorkommen. Besonders interessant ist eine monophyletische Gruppe aus 200 fast ausschließlich endemischen Arten und vielen zusätzlich beschriebenen Farbvarianten. Diese sogenannte Mbuna-Fauna ist auf felsige Flachwasserbereiche am Ufer oder im Umkreis von Inseln beschränkt. Fast jede Insel hat ihre eigenen Barscharten, die größtenteils nur in ihrem Umkreis vorkommen und oft räumlich von denen anderer Inseln oder Uferbereiche isoliert sind, weil die Tiere die dazwischen liegenden tiefen Abschnitte meiden.

Auch beim Malawisee, dessen geologisches Alter auf einige Millionen Jahre geschätzt wird, unterliegt der Wasserspiegel aufgrund tektonischer und klimatischer Ereignisse starken Schwankungen. Unter Einbeziehung geologischer Datierungen, archäologischer Befunde, mündlicher Überlieferungen und historischer Quellen ließ sich zeigen, daß einige dieser einzigartigen Faunen sich erst in den letzten 200 Jahren etabliert haben können, weil der See um viele der betreffenden Inseln und Schichtenköpfe davor trockengefallen war, die Lebensräume also gar nicht existierten. Diese Aussage wird gestützt von Untersuchungen der genetischen Differenzierung und der Verbreitung der betreffenden Fischarten.

Demnach können offenbar Zeiträume von einigen hundert Jahren, die nach konventionellen evolutionären Maßstäben vernachlässigbar sind, zur Bildung klar unterscheidbarer Arten ausreichen. Dies paßt zu Experimenten aus den siebziger Jahren, bei denen an einer isolierten Buntbarsch-Population biologisch bedeutsame genetische Veränderungen innerhalb von nur fünf Generationen nachgewiesen wurden. Der Evolutionsgenetiker John C. Avise von der Universität von Kalifornien in Davis wirft deshalb die Frage auf, ob die Buntbarsche irgendwelche Besonderheiten in ihrer genetischen Ausstattung, ihrem Verhalten oder ihrer Ökologie aufweisen, die sie zu solch einer explosiven Radiation prädisponieren, während andere Fischgruppen derselben Seen mit normalen Geschwindigkeiten zu evolvieren scheinen. Bisher gibt es dafür jedoch keine konkreten Anhaltspunkte.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1997, Seite 24
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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