Autonomes Nervensystem : Wenn die Elektrik der Organe streikt
Zuerst hat sie beim Schlucken das Gefühl, einen Kloß im Hals zu haben. Dann rauben Bauchschmerzen und zunehmende Verstopfung Andrea Lambertz den Appetit. Die 28-Jährige zwingt sich zu fünf kleinen Mahlzeiten am Tag. Doch diese kosten Zeit und Überwindung, jeder Bissen wird zur Qual. Ohne Abführmittel scheint sich ihr Darm überhaupt nicht mehr zu regen. Sie magert immer mehr ab, binnen anderthalb Jahren verliert sie 15 Kilogramm.
Die Bauchschmerzen werden unerträglich. Lambertz rennt von Arzt zu Arzt; zahlreiche Operationen an Speiseröhre, Magen und Darm bringen keine Linderung. Selbst mit extrem kalorienhaltiger Nahrung fällt es der 1,76 Meter großen Frau immer schwerer, ihr Körpergewicht bei über 50 Kilogramm zu halten.
Die Ärzte stehen vor einem Rätsel. Weder Eltern noch Geschwister oder die Kinder der jungen Frau leiden unter ähnlichen Problemen. Die Störung schreitet weiter fort und erfasst auch den Dünndarm. Die Symptome deuten auf einen Darmverschluss hin, Röntgenbilder lassen aber keine mechanischen Hindernisse im Magen-Darm-Trakt erkennen. Die Ärzte diagnostizieren eine "chronisch intestinale Pseudoobstruktion", also eine Mobilitätsstörung des Darms – ohne jedoch Ursachen und Therapieoptionen zu kennen. Die Patientin muss über eine direkt in den Magen geführte Sonde ernährt werden; die Entleerung erfolgt über einen künstlichen Darmausgang. Zusätzliche radiologische und endoskopische Untersuchungen des Verdauungstrakts sowie Gewebeproben von Magen, Darm, Muskeln und Haut zeigen intakte Strukturen und helfen somit nicht weiter. Muskulatur und der Tastsinn der Haut funktionieren einwandfrei. Außer einer leichten Differenz in der Pupillenweite reagieren auch die Augen vollkommen normal – neurologisch scheint also alles in Ordnung zu sein.
Nach anderthalb Jahren erschweren weitere Probleme den Alltag: Lambertz wird immer wieder schwindlig, ihr Herz rast, sie kann keine zehn Minuten mehr aufrecht stehen. Mund und Augen sind trocken, Hautentzündungen kommen hinzu. Bei Dunkelheit sieht sie kaum noch etwas. Ihre Beine schmerzen und fühlen sich gleichzeitig taub an. Ihre Harnblase kann sie nur durch Druck mit der Hand auf die Bauchdecke entleeren.
Als Andrea Lambertz zum ersten Mal zu uns in die Uniklinik der RWTH Aachen kam, hatte sie bereits ein neunjähriges Martyrium hinter sich ...
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