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Faserverstärkte Gläser und Glaskeramiken


So vielseitig technische Gläser auch an unterschiedlichste Anforderungen anzupassen sind – als Konstruktionswerkstoffe eignen sie sich zunächst nicht: Das Material ist spröde und versagt insbesondere unter starken Zug- und Biegespannungen.

An sich sind die Bindungen des glasbildenden Molekülnetzwerks sehr fest. Um Silicium-Sauerstoff-Verbindungen zu lösen, müssen 420 Kilojoule pro Mol an Energie aufgebracht werden, woraus sich eine theoretische Festigkeit von etwa 13 Milliarden Pascal ableiten läßt (ein Pascal ist der Druck, den eine Kraft von einem Newton auf eine Fläche von einem Quadratmeter ausübt). Tatsächlich liegen die Grenzen von Zug- und Biegezugfestigkeit der meisten Produkte aber nur zwischen 50 und 200 Millionen Pascal. Sind hohe Sicherheitstoleranzen vorzusehen, etwa bei Anlagen in der chemischen Industrie, setzt man von vornherein noch wesentlich geringere Werte an.

Diese Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis rührt von feinsten Rissen in den Oberflächen her. Gläser sind sehr elastisch, so daß sie sich bei Belastungen kaum dauerhaft verformen. Während wandernde Versetzungen im Kristallgitter mikroskopische Risse in duktilen Metallen ausgleichen, bilden sich in Gläsern daraus leicht makroskopische Schäden.

Konventionell verbessert man deshalb die Qualität der Oberfläche, so durch Feuerpolieren, bei dem ein Schmelzfilm die Mikrorisse ausheilt, durch Wegätzen von Oberflächenfehlern und durch Beschichtungen, die Spalten verfüllen beziehungsweise überbrücken. Stabilität gegen Zugbelastung geben zudem Druckvorspannungen in der Oberfläche; man erzeugt sie durch Kristallisation, thermisches oder chemisches Härten (im einen Falle wird das schneller erkaltende Äußere einer Scheibe vom später schrumpfenden Inneren unter Druckspannung gesetzt, im anderen erreicht man denselben Effekt durch Austausch von Natrium- gegen größere Kalium-Ionen) sowie durch Überfangen mit einem Glas geringerer Wärmedehnung. Wie beim Spannbeton muß einwirkender Zug zunächst den aufgebauten Druck überwinden, bevor er den Materialzusammenhalt beeinträchtigen kann.

Wird eine Oberfläche aber verletzt, nutzen diese Maßnahmen nicht mehr viel. Deshalb sucht man Gläser im gesamten Volumen zu verstärken, also letztlich Verbundwerkstoffe aus einer glasigen Matrix und einer darin fein verteilten zweiten Phase zu schaffen. Bislang wurden zur Verstärkung einkristalline Mikrofasern (Whisker), Plättchen und ungerichtet oder gerichtet eingebrachte Kurzfasern und Langfasern erprobt.

Whisker sind problematisch, denn wenn sie bei Herstellung oder Verarbeitung eingeatmet werden, können sie sich in der Lunge festsetzen. Um zudem den Verstärkungseffekt in 5 bis 20 Zentimeter großen Bauteilen zu maximieren, haben die Schott Glaswerke ihre Entwicklung auf Lang- und Endlosfasern aus Siliciumcarbid und aus Kohlenstoff konzentriert (erstere sind 20 Zentimeter, letztere bis zu einigen hundert Metern lang; Endlosfasern lassen sich wickeln und somit einfacher bei der Herstellung des Glases handhaben). Beide werden in Richtung der größten zu erwartenden Lasten ausgerichtet.

Im Vergleich zum herkömmlichen Glas vertragen diese Komposite zehnfach höhere Spannungen, also bis zu einer Milliarde Pascal, was schon in der Größenordnung der theoretischen Maximalbelastung liegt; sie sind auch etwas stärker dehnbar (Bild 1). Ehe es zum Bruch kommt, kann insgesamt das etwa Hundertfache an Energie einwirken; das Material ist damit bruchzäher. Es zeigt zudem ein quasi-duktiles Verhalten. Vermutlich überziehen sich die Fasern nämlich bei der Herstellung mit einer Graphitschicht, die ein Gleiten in der Matrix ermöglicht. Reißt das Komposit ein, wird ein Teil der Energie beim Herausziehen, Dehnen und Zerreißen von Fasern umgesetzt (Bild 2). Demnach darf der Verbund der beiden Phasen aber nicht zu eng sein, sonst würde er beim Riß einfach durchtrennt, doch auch wieder nicht zu locker.

Manche kohlenstoffverstärkten spezifischen Hartgläser sind überdies deutlich steifer als Stahl. Man könnte daraus mithin leichtere und filigranere Bauteile fertigen, die wie das vierfach dichtere Metall belastbar sind.


Thermische Qualitäten

Wie Gläser lassen sich mit Fasern auch Glaskeramiken verstärken, die wärmebeständiger sind. Damit liegt eine grobe Aufteilung solcher Komposite nach der Übergangstemperatur nahe, bei der die Matrix zu erweichen beginnt: Sie beträgt für ein Borosilicatglas wie "Duran" 530, für Erdalkalialuminosilicatgläser bis zu 800 und für Glaskeramik maximal 1200 Grad Celsius.

Das Fasermaterial und die bei der Anwendung herrschende Atmosphäre müssen allerdings ebenfalls berücksichtigt werden. So sind Kohlenstoff-Fasern unter reduzierenden oder inerten Bedingungen bis weit über 2000 Grad Celsius stabil, halten aber in Luft nur bis etwa 450 Grad stand (das gilt dann auch für Komposite damit, es sei denn, man vermag eine Versiegelung aufzubringen). Siliciumcarbid hingegen ist in Luft bis etwa 1200 Grad Celsius stabil. Mithin bestimmt meist die Matrix die Obergrenze.

Sofern die Glasübergangstemperatur nicht wesentlich überschritten wird, vertragen diese Materialien – vergleichbar dem Asbest – selbst wiederholtes und massives Abschrecken bis auf Raumtemperatur ohne sonderliche Einbußen ihrer mechanischen Eigenschaften. Unverstärkte Gläser würden nicht einmal einen solchen Thermoschock überstehen.

Auch das Dehnungsverhalten dieser Werkstoffe ist günstig für die Bauteilauslegung. Kohlenstoff-Fasern neigen dazu, bei Erwärmen in Längsrichtung zu kontrahieren, so daß das Volumen des Komposits in dieser Richtung kaum zunimmt. Die Wärmeleitfähigkeit ist bei Kompositen mit Kohlenstoff-Fasern in Faserrichtung hoch, quer dazu wie auch bei siliciumcarbid-haltigen generell eher gering. Die spezifische Wärmekapazität schließlich, also die massebezogene Fähigkeit, Wärme zu speichern, ist bei allen faserverstärkten Gläsern etwa doppelt so hoch wie bei Eisen.


Herstellung und Anwendung

Die Entwicklung dieser Verbundmaterialien begann Anfang der siebziger Jahre in England. Mittlerweile haben sich Fertigungstechniken etabliert, die eine wirtschaftliche Produktion ermöglichen. Dabei werden meist zunächst Faserbündel mit einer Suspension getränkt, die feines Glaspulver und Binder enthält, und zu nebeneinander liegenden Bändern aufgewickelt. Diese werden zu Matten – den Tapes – zerschnitten und die wiederum zu sogenannten Prepregs gestapelt, die man dann in einer Heißpresse bei Temperaturen über 1000 Grad Celsius und Drücken von mehr als 5 Millionen Pascal verdichtet. Die Stapelfolge der Tapes bestimmt die Faserarchitektur. Üblich sind die parallele sowie die schichtweise um jeweils 45 oder 90 Grad versetzte Ausrichtung. Eine Alternative ist das Wickeln der Bündel auf Kerne, die hernach entfernt werden, um Ringe und Rundscheiben zu verfertigen; Standard sind aber quadratische Matten bis 40 Zentimeter Kantenlänge.

Zwar sind diese Glaswerkstoffe aufgrund der schwarzen Verstärkungsfasern weitgehend undurchsichtig, doch ist Transparenz für einen Konstruktionswerkstoff nicht unbedingt wichtig. Bei der Bandbreite an Eigenschaften von Fasern und Matrixgläsern, die sich vielfach kombinieren lassen, sind Anwendungen etwa in der Sicherheitstechnik, im Pumpenbau, in der Fahrzeug- oder Flugtechnik zu erwarten.

In Spezialmaschinen der Glasindustrie ersetzt faserverstärktes Glas bereits Asbest und erreicht in direktem Kontakt mit heißem Glas bei dessen Transport und Manipulation längere Standzeiten als das Mineral (Bild 3). Weil die Stabilität der Komposite nicht mehr von der Rißfreiheit der Oberfläche abhängt, kann man sie auch durchbohren und verschrauben; deshalb ließen sich damit etwa die Kontaktflächen thermisch beanspruchter stählerner Greifwerkzeuge bewehren.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1997, Seite 108
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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