Flaggschiffprojekte: Großinventur im Gehirn
Stellen Sie sich vor, Sie blicken aus dem Weltall auf die Erde und versuchen mitzuhören, worüber sich die Menschen dort unten unterhalten. So ähnlich ergeht es Hirnforschern, die die Funktionsweise unseres Denkorgans verstehen wollen. Erst wenn sie von der faltigen Oberfläche des Gehirns eine Million Mal näher heranzoomen, sehen sie ein Dickicht verzweigter Zellen in den unterschiedlichsten Formen und Ausdehnungen. Vergrößern sie das Ganze noch weiter, wird das Innenleben der Zellen sichtbar, aber auch die Kontaktpunkte zwischen ihnen – die Synapsen.
Auf die Weise haben Forscherinnen und Forscher bereits ganze Nervensysteme von Würmern und Fliegen sowie winzige Abschnitte des Mäuse- und Menschengehirns kartiert. Doch das ist erst der Anfang. Um wirklich zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert, muss man zudem wissen, wie die rund 1000 Zelltypen, die das Organ schätzungsweise beherbergt, in ihren verschiedenen »Dialekten« miteinander sprechen.
Im Oktober 2021 sind die Ergebnisse von einer Reihe von Studien zum Thema im Fachmagazin »Nature« erschienen. Sie entstanden im Rahmen verschiedener staatlich geförderter Projekte, die das Ziel haben, detaillierte Baupläne des Gehirns zu erstellen und dessen Bausteine mitsamt ihren physiologischen Eigenschaften zu dokumentieren. Hintergrund dieser Bemühungen ist die immer stärker alternde Bevölkerung, die eine drastische Zunahme von Hirnerkrankungen mit sich bringt.
Das ist ein mühsames Unterfangen. »Aber wenn wir alle Zelltypen des Gehirns kennen und wissen, wie sie zusammenarbeiten, eröffnen sich völlig neue Therapiemöglichkeiten«, sagt der Direktor des US National Institute of Mental Health (NIMH) Josh Gordon.
Die größten Programme dieser Art begannen 2013, als die US-Regierung und die Europäische Kommission enorme Geldbeträge lockermachten, um Forschern die Entschlüsselung des Säugetiergehirns schmackhaft zu machen. Die USA konzentrieren sich seitdem in ihrer BRAIN-Initiative (kurz für: Brain Research through Advancing Innovative Neurotechnologies) auf die Entwicklung und Anwendung neuer Kartierungstechniken – ein Projekt, das bis 2027 schätzungsweise 6,6 Milliarden US-Dollar verschlingen wird.
Die Europäische Kommission und ihre Partnerorganisationen wiederum haben bislang rund 600 Millionen Euro in das Human Brain Project investiert ...
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