Flammendes Inferno in der Wüste
Im südlichen Saudi-Arabien stießen Forscher schon in den dreißiger Jahren auf Spuren eines gewaltigen Meteoriteneinschlages. Heute gilt dieser als der besterhaltene Einschlag aller Impaktkrater der Erde – eine Lehrstunde für Astro-Geologen.
Trostlose Landschaft zieht sich bis zum Horizont. Riesige Wanderdünen durchziehen grau und konturlos die Wüste. Weit und breit kein Strauch, kein Stein, nur Sand. Trotz der sinkenden Abenddämmerung herrscht brütende Hitze.
Plötzlich taucht am dunklen Horizont ein Lichtpunkt auf: erst nur ein kleiner Funke, dann ein Feuerball, der sich rasch vergrößert und schließlich in vier gleich große Strahlen zerplatzt. Sekundenschnell zischen grelle Objekte über den Himmel, ein ohrenbetäubendes Krachen durchbricht die Stille. Der Boden bebt, eine heftige Druckwelle schleudert Sandfontänen und Fels in alle Richtungen.
Hellglühende Feuerströme schießen in den Abendhimmel, riesige, weiße Felsbrocken fliegen durch die Lüfte. Einige der Gebilde bersten beim Aufschlag, andere sind wie von Feuer umschlungen. Rasch erstarrt die glühende Flüssigkeit zu schwärzlicher Lava auf zahllosen der Riesensteine, die sich zu einer schaumig-gläsernen Masse verwandeln. Im Wasser würden die Schaumfelsen schwimmen – wenn es denn hier irgendwo Wasser gäbe. Jenseits des Horizonts stürzen die letzten der rotschwarzen Glasschmelzbrocken zur Erde. Eine pilzförmige Explosionswolke türmt sich über der Einschlagzone auf und treibt allmählich nach Nordwesten.
Rund sieben Jahrzehnte später, im Jahre 1932, dringt ein britischer Forschungsreisender in den Süden Saudi-Arabiens vor. Tief in dem legendären "Leeren Viertel", in der Rub al-Khali, stößt er auf merkwürdiges Gelände: eine Fläche von ungefähr einem halben Quadratkilometer übersät mit Schwarzglas, weißem Gestein und zahllosen Eisensplittern.
Harry St. John "Abdullah" Philby, im übrigen Vater des berüchtigten sowjetischen Doppelagenten Kim Philby, hatte für den Westen entdeckt, was unter den nomadisierenden Al-Murra-Beduinen als al-Hadida, "Objekte aus Eisen", zur Legende geworden war.
Im Koran, dem Heiligen Buch des Islam, sowie in klassischen arabischen Schriften gibt es die Geschichte Königs Aad, der einst einen Propheten Gottes verhöhnte. Für diese Gotteslästerung mußte die Stadt Ubar am Südrand des Leeren Viertels bezahlen: Eine dunkle Wolke, auf den Flügeln des großen Windes herangetragen, zerstörte – so will es die Sage – die Stadt mit all ihren Bewohnern. Als Philby in dem verbotenen Leeren Viertel eintraf, boten ihm seine arabischen Führer an, ihn zu der zerstörten Stadt zu bringen. Philby akzeptierte und gelangte schließlich an den Ort, dem er in seinem Reisebericht den Namen "Wabar" gab. Der Name ist seitdem geblieben.
Was Philby entdeckt hatte, war jedoch weder die verlorene Stadt Ubar (die lag weiter im Süden der Halbinsel im heutigen Oman), noch war er im Ursprung der Koran-Legende über den König Aad angekommen. Doch zweifellos stand er in Wabar mitten am Ort einer Katastrophe, die vom Himmel gefallen war: dem Einschlag eines Meteoriten.
Dessen Überreste unterscheiden sich kaum von denen, wie sie eine Atombombe mit einer Sprengkraft von 12 Kilotonnen TNT, vergleichbar der Hiroshima-Bombe, hinterlassen würde. Es war nicht der gewaltigste Einschlag, der je unseren Planeten traf. Dennoch nimmt Wabar in der Meteoritenforschung eine Sonderstellung ein. Fast alle bekannten Meteoriten landeten auf hartem Fels oder Gestein, das von einer dünnen Boden- oder Wasserschicht bedeckt war. Dagegen stürzte das Wabar-Objekt mitten in das größte zusammenhängende Sandmeer der Welt. Das trockene, von allen Siedlungen entfernt gelegene Gelände ist vielleicht der am besten erhaltene und geologisch einfachste Meteoritenkrater der Welt. Außerdem ist Wabar einer von nur 17 solchen Plätzen – von insgesamt 160 bekannten Einschlagstellen –, an denen Überreste eines Absturzkörpers gefunden wurden.
In drei aufwendigen Expeditionen ins Wüsteninnere sind wir vom U.S. Geological Survey den Geschehnissen in Wabar auf die Spur gekommen. Der Einschlag im Süden Saudi-Arabiens war eine jener Episoden, wie sie sich in der geologischen und biologischen Geschichte unseres Planeten schon oft abspielte. Die Erde wird nicht aufhören, als Zielscheibe zu fungieren. Obwohl, zumindest in Hollywood, nur große interplanetare Geschosse Aufmerksamkeit bekommen, so droht doch eine nennenswerte Gefahr von kleineren Objekten, wie sie in der Wüste von Wabar einschlugen. Durch die Erkundung von Wabar und ähnlichen Orten können Wissenschaftler abschätzen, wie häufig solche Projektile unsere Erde treffen. Wenn wir schon beschossen werden, so tröstet es vielleicht zu wissen, wie häufig wir beschossen werden.
Szenen wie aus einer anderen Welt
Es ist erstaunlich, wie genau Philbys Beduinenführer über den Weg nach Wabar Bescheid wußten, einem Ort irgendwo in der Mitte eines riesigen Dünenfeldes, ohne jeden markanten Punkt, in einer Landschaft, die sich fast täglich verändert. Selbst die berühmten robusten Spurenleser scheuen die totenstarre Mitte des Leeren Viertels. Um nach Wabar zu gelangen, benötigte Philby einen ganzen Monat. Während der Expedition gingen einige seiner Kamele zugrunde, die übrigen Tiere bewegten sich nur mehr am Rande der Erschöpfung. "Als sie am neunzigsten Tag in Mekka eintrafen, boten die Kamele einen armseligen Anblick", berichtete Philby nach seiner Rückkehr nach London im Jahre 1932 auf einer Versammlung der Royal Geographical Society. Sie waren "räudig, dünn und ohne Höcker".
Als Philby in Wabar ankam, war er – nach dem britischen Forscher Bertram Thomas – der zweite Westeuropäer, der jemals das Leere Viertel Saudi-Arabiens durchquert hatte. Philby suchte eigentlich nach Überresten von Menschen und Ruinen. Seine arabischen Führer machten ihn auf kleine schwarze Perlen aufmerksam, die überall auf dem Boden verstreut lagen und von denen sie behaupteten, dies seien Schmucksteine der Frauen aus der zerstörten Stadt Ubar.
Doch Philby war enttäuscht und verwirrt. Was er sah, waren nur schwarze Schlacke, weiße Sandsteinbrocken und zwei teilweise von Sand verschüttete kreisförmige Senken, die er zunächst für Vulkane hielt. Einer der Führer brachte dem Briten einen Eisenbrocken, der etwa die Größe eines Hasen hatte – das sollte ein Stück einer versunkenen Kultur sein? Allmählich dämmerte es Philby, daß jenes rostige Metallteil nicht von dieser Welt sein konnte. Spätere Laboranalysen ergaben folgende Bestandteile des Fundstückes: über 90 Prozent Eisen, 3,5 bis 5 Prozent Nickel und 4 bis 6 ppm (parts per million) Iridium – ein "siderisches Element", das auf der Erde nur äußerst selten vorkommt, dafür aber häufig in Meteoriten.
Die tatsächliche Lage der versunkenen legendären Stadt Ubar im nördlichen Oman, zirka 400 Kilometer südlich von Philbys Wabar, wurde 1992 mit Hilfe von Satellitenaufnahmen ausfindig gemacht. Der Ort Wabar blieb jedoch lange Zeit unerforscht – bis zu unseren Expeditionen vom Mai 1994, Dezember 1994 und März 1995. Bis dahin war das Gelände seit 1932 zwar mindestens zweimal besucht, aber niemals gründlich untersucht worden.
Erst kurz vor Antritt zu unserer ersten Expedition wurde uns klar, warum dem so war. Einer von uns, Jeffrey Wynn, hat schon einmal eine Wüstenexpedition mitgemacht, die von einem saudi-arabischen Händler organisiert wurde, der Traktoren der Marke Hummer vertreibt. Um den Verkauf seiner Fahrzeuge anzukurbeln, versprach er, eine Tour durch das Leere Viertel zu unternehmen und lud einen Wissenschaftler der U.S. Geological Survey in Jeddah ein, ihn dabei zu begleiten.
Dies war nicht gerade ein Wochenendausflug ins Grüne. Wir benötigten spezielle Ausrüstung und zwei Monate Vorbereitungszeit. Niemand hat bisher das Leere Viertel im Sommer betreten. Wenn etwas schief ging, etwa ein Wagen zusammenbrach, dann wäre die Karawane ganz auf sich alleine gestellt. Die großen Entfernungen, die mörderischen Temperaturen und die sich laufend ändernden Dünen machen eine Rettung per Hubschrauber oder Flugzeug unmöglich.
Ein normaler Wagen mit Allradantrieb bräuchte drei bis fünf Tage, um die 750 Kilometer von Riad nach Wabar zurückzulegen und würde zudem alle Augenblicke im Sand stecken bleiben, aus dem man ihn mit Hilfe von Sandleitern und Kurbeln befreien müßte. Nicht so mit einem Hummer-Schlepper. An diesen Fahrzeugen läßt sich bei laufender Fahrt der Reifendruck ändern. Trotzdem brauchten unsere Fahrer einige Tage, um zu lernen, wie man damit Dünen überquert. Mit Erfahrung und Ortskenntnis dauerte es etwa 17 Stunden bis Wabar, wobei wir die letzten Stunden durch die Dünen bei Dunkelheit fahren mußten. Aber mit den auf den Stoßstangen montierten Scheinwerfern konnten wir auch überraschend auftauchende, bis zu 15 Meter hohe Sandklippen erkennen und bewältigen.
Während unserer ersten Expedition hielten wir uns in Wabar nur knappe vier Stunden auf. Zu dem Zeitpunkt funktionierte die Klimaanlage nur noch bei vier der sechs Fahrzeuge. Draußen herrschten höllische Temperaturen. Im Schatten unseres Segeltuchzeltes zeigte das Thermometer 61 Grad Celsius. Die Luftfeuchtigkeit betrug zwei Prozent – ein Zehntel dessen, was der Rest der Welt als "trocken" empfindet. Als Jeffrey Wynn einmal von einer geomagnetischen Messung zurückkam, redete er nur noch ein zusammenhangloses Kauderwelsch aus Englisch und Arabisch und konnte kaum mehr einen Fuß vor den anderen setzen. Sofort gossen wir meinem Kollegen Wasser über den Kopf und fächelten ihm kalte Luft zu, so daß er bald wieder zu Sinnen kam.
Auf unserer dritten Tour, die eine Woche lang dauerte, zerstörten heftige Sandstürme gleich zweimal unser Lager. In der Nacht fielen die Temperaturen nie unter 40 Grad Celsius. Jeder von uns hatte eine Zwei-Liter-Thermoskanne neben seinem Bett stehen, denn einmal pro Stunde weckte uns brennender Durst.
Das Gelände bei Wabar hat ein ungefähres Ausmaß von 500 mal 1000 Meter. Darauf gibt es mindestens drei Krater, zwei davon (je 116 und 64 Meter im Durchmesser) hatte schon Philby entdeckt, auf den dritten, 11 Meter groß, war Jeffrey Wynn während unserer zweiten Expedition gestoßen. Alle Krater sind fast vollständig mit Sand bedeckt. Die Kraterränder, die man als solche gerade noch erkennt, sind aufgehäufte Sandwälle, die von Impaktitgestein, einem bleichen, groben Sandstein, sowie von großen Mengen an Schwarzglas-Splittern und -Kügelchen zusammengehalten werden. Manchmal entdeckten wir in den Kraterkanten auch Fragmente aus Eisen und Nickel.
Geologen können eindeutig feststellen, ob ein Krater durch einen Meteoriteneinschlag entstand oder etwa durch andere Prozesse wie zum Beispiel durch einen Vulkanausbruch. Hierbei achten die Experten auf Veränderungen im Gestein, wie sie nur durch die Stoßwelle des Einsturzkörpers entstehen könnten.
Die Impaktit-Mineralien bei Wabar lieferten uns dafür eindeutige Hinweise. Diese setzen sich zwar, wie anderer Sandstein auch, aus groben Schichten zusammen; aber diese Schichtung in Wabar bestand aus geschmolzenem Sand, durchsetzt mit länglichen Löchern. Manchmal waren diese Schichten verwinkelt und verdreht, was bisher noch in keinem anderen Sandstein gefunden wurde. Wahrscheinlich bildeten sich diese Strukturen senkrecht zur Stoßwelle. Darüber hinaus besteht Impaktit auch noch aus sogenanntem Coesit, einer Kristallform, die sich unter heftigem äußeren Druck aus Quarz bildet. Bisher wurde Coesit nur bei Atomexplosionen und Meteoriteneinschlägen entdeckt. Durch Röntgenbeugung konnte bewiesen werden, daß der Coesit von Wabar genau jene ungewöhnliche Kristallstruktur besitzt, wie sie sich nur unter enormem Druck bildet.
Impaktit fanden wir fast nur auf den südöstlichen Kraterkanten, nur wenig gab es an der West- oder Nordseite. Diese Asymmetrie legt folgende Deutung nahe: Das Objekt kam aus nordwestlicher Richtung und prallte schräg auf den Wüstenboden, wahrscheinlich unter einem Neigungswinkel von 22 bis 45 Grad.
Zwei weitere Gesteinsarten liefern ebenfalls verräterische Hinweise auf einen Meteoriteneinschlag: Eisen-Nickel-Fragmente sind in dieser Wüstenregion ziemlich unbekannt, so daß sie höchstwahrscheinlich vom Einschlagsobjekt selbst stammen. Von diesen Bruchstücken entdeckten wir zwei verschiedene Arten. Die einen befanden sich unter dem Sand in Form von bis zu zehn Zentimeter großen rostigen Kugeln, die in der Hand zerbröselten. Ein amerikanischer Bergbauingenieur namens Daniel M. Barringer, der Anfang dieses Jahrhunderts in dem großen Meteoritenkrater in Arizona nach Eisen bohrte, nannte diese Fragmente Schieferkugeln. Sie wurden seitdem bei vielen Eisenmeteo-ritenkratern entdeckt.
An der Erdoberfläche fanden wir außerdem Eisenbrocken, die zumeist weich und mit einer dünnen Schicht aus schwarzem Wüstenlack überzogen waren. Das größte Eisen-Nickel-Fragment aus dem Wabar-Einschlag, der sogenannte "Kamelhöcker", wurde 1965 bei einer früheren Expedition geborgen und steht nun in den Ausstellungsräumen der King Saud-Universität in Riad. Das flache, kegelförmige Metallstück, das vermutlich kurz vor dem Aufschlag von dem Meteoriten abbrach, wiegt ungefähr 2,2 Tonnen.
Da die Oberfläche kugeliger Objekte mit dem Quadrat ihres Radius wächst, ihre Masse jedoch mit der dritten Potenz des Radius, werden kleinere Meteoriten beim Eintauchen in die Erdatmosphäre stärker abgebremst als größere. Daher wird ein kleines Spaltstück aus einem schweren Körper stärker gebremst als der Körper selber. Landet das Fragment, so prallt es eher einigemal vom Boden zurück, als daß es sich gleich eingräbt oder gar einen Krater formt.
Als ein weiteres charakteristisches Gestein stießen wir in den Wabar-Kratern auf merkwürdige Schwarzglasbrocken. Glasartiges Gestein wird oft bei Einschlagstellen gefunden und bildet sich wahrscheinlich aus geschmolzenem Kratermaterial. An der Kante des Wabar-Kraters ähnelt das Schwarzglas hawaiianischem Pahoehoe, einem strickartig gefalteten Vulkangestein, das immer dann entsteht, wenn sich dünnflüssige Lava abkühlt. Mit zunehmender Entfernung vom Kraterrand entdeckten wir mehr kleinere und tropfenförmigere Glassteine. Ungefähr 850 Meter nordwestlich des Kraters gab es fast nur noch Tropfenglas von wenigen Millimetern Durchmesser.
Unsere chemischen Analysen ergaben, daß alles Schwarzglas gleich zusammengesetzt ist: 90 Prozent Sand und 10 Prozent Eisen und Nickel. Beide Metalle sind als mikroskopische Kügelchen in geschmolzenen Sand eingelagert. Einige Schwarzglas-Fragmente sind unvorstellbar dünn. Wir sammelten filigrane Splitter auf, die wir jedoch nicht heil nach Hause brachten, egal wie gut wir sie vorher verpackt hatten.
Die Größenverteilung der Glaskügelchen auf die Umgebung der Krater weist darauf hin, daß der Wind zur Zeit des Aufpralls aus südöstlicher Richtung geweht haben mußte. In dem nördlichen Teil des Leeren Viertels wechselt der Wind saisonal seine Richtung. Für zehn Monate im Jahr weht er von Norden und formt große höckerige Sanddünen. Mit Beginn des Frühlings jedoch ändert der Wind seine Richtung und kommt aus Südosten.
Frühlingszeit ist in Saudi-Arabien Sandsturmzeit, was im übrigen auch den amerikanischen Militärplanern während des Golfkrieges Kopfzerbrechen bereitete. Sie fällt mit der Monsunzeit am Arabischen Meer zusammen. Tagsüber herrscht Windstille, aber am frühen Nachmittag kommt eine Brise auf. Bis zum Sonnenuntergang wird daraus ein heftiger Sturm, so daß der Sand im Gesicht sticht. Um auf unseren Expeditionen die Zelte aufbauen zu können, mußten wir deshalb stets Schwimmbrillen tragen. Gegen Mitternacht läßt der Wind wieder nach.
Einschlag mit etwa 50000 Kilometern pro Stunde
Schwarzes und weißes Gestein – Wabar bietet kaum etwas anderes. Die Zweifarbigkeit sagt uns, daß ein sehr einfacher Prozeß die Materialien geschaffen haben muß. Der Meteorit hatte lediglich Kontakt mit dem Sand des Wüstenbodens. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß sich der Gesteinsbrocken bis ins tiefergelegene Grundgestein grub. Das bestätigen auch Erkundungen im Umkreis von 30 Kilometern von der Einschlagstelle.
Die Ergebnisse unserer Expedition haben wir mit denen der Simulation von H. Jay Melosh und Elisabetta Pierazzo (Universität von Arizona) zusammengestellt und ausgewertet. Diese Abfolge der Ereignisse ergab sich daraus:
Das herannahende Objekt kam aus nordwestlicher Richtung und näherte sich der Erde im spitzen Winkel. Ankunftszeit des Körpers war später Nachmittag oder früher Abend, sehr wahrscheinlich zu Frühlingsanfang. Wie die meisten anderen Meteoriten drang auch dieser Körper mit einer Geschwindigkeit von elf bis 17 Kilometern pro Sekunde – also mit etwa 40000 bis 61000 Kilometern pro Stunde – in die Erdatmosphäre ein.
Wegen des schrägen Einschlagswinkels benötigt der Brocken aus dem All länger für die Durchquerung der Erdatmosphäre als bei einem senkrechten Absturz. Entsprechend wirkt der Luftwiderstand bei einem schrägen Absturz länger auf den Körper ein. Zudem wächst auch der Luftwiderstand, je tiefer das Objekt in dichtere Schichten der Atmosphäre vordringt.
Bei den meisten Meteoriten beendet die Luftreibung den Einsturz in einer Höhe von acht bis zwölf Kilometern, wo sie explodieren. Wegen seines großen Eisenanteils überstand der Wabar-Koloß jedoch diese kritische Phase. Erst später zerbrach der Meteorit in mindestens vier Teile, die dadurch jeweils stark etwa auf die halbe Geschwindigkeit abgebremst wurden. Nach Berechnungen schlugen die Bruchstücke mit einer Geschwindigkeit von fünf bis sieben Kilometern pro Sekunde auf den Wüstensand, also mit maximal 25000 Kilometern pro Stunde, fünfmal schneller als die schnellste Gewehrkugel.
Die allgemeine Beziehung zwischen Größe des Meteoriten, Kraterdurchmesser und Aufprallgeschwindigkeit haben Forscher aus theoretischen Modellen, ballistischen Experimenten und Messungen bei Atomexplosionen ermittelt. Als Faustregel gilt, daß Felskrater ungefähr 20mal größer sind als ihre Verursacherobjekte. Schlagen Meteoriten auf Sandboden ein, bilden sich Krater vom Zwölffachen der Meteoritengröße, denn Sand absorbiert die Aufschlagsenergie wirksamer als Felsgestein. Daher nehmen wir an, daß das größte Objekt in Wabar einen Durchmesser von 8 bis 9,5 Metern hatte, wobei eine Aufprallgeschwindigkeit von sieben beziehungsweise fünf Kilometern pro Sekunde angenommen ist.
Der ursprüngliche Wabar-Meteorit hatte eine Masse von mindestens 3500 Tonnen und eine kinetische Energie entsprechend der Sprengkraft von 100 Kilotonnen TNT. Nachdem der Meteorit durch die Erdatmosphäre abgebremst war, ging das größte der Bruchstücke immer noch mit einer Energie von 9 bis 13 Kilotonnen zu Boden. Obwohl die Hiroshima-Bombe eine ähnliche Energie freisetzte, so zerstörte sie eine weitaus größere Fläche, vor allem weil sie in der Luft explodierte und nicht am Boden.
Beim Einschlag schossen heiße Flüssigkeiten – eine Mischung aus Meteoritenmaterial und Wüstensand – trichterförmig in den Himmel, ein Stoff, aus dem sich später das Schwarzglas bildete. Je mehr von dem Meteoriten auf dem Boden zertrümmerte, desto höher wuchsen die weißglühenden Ränder aus geschmolzenem Material. Das Projektil wurde in diesen ersten Millisekunden des Aufpralls gestaucht und komprimiert.
Eine Stoßwelle schoß aufwärts durch den Meteoriten und ließ die rückwärtigen – obersten – Schichten abplatzen, ein Vorgang, den Geologen als "Spalla-tion" bezeichnen. Einige dieser Schichten wurden sofort von den aufschießenden Feuerfontänen mitgerissen. Aber die meisten dieser Bruchstücke stürzten innerhalb eines Radius von 200 Metern wieder in den Wüstensand. Das sind die eigentlichen Überreste des Wabar-Meteoriten. (Spallation kann auch ohne hohen Druck oder hohe Temperaturen auftreten. So überlebten beispielsweise bei den berühmten Marsmeteoriten filigrane Mikrostrukturen in deren Innern, obwohl sie von der Marsoberfläche ins All gesprengt wurden.)
An der Aufschlagstelle drang eine weitere Stoßwelle nach unten in den Boden, wühlte ihn auf und erhitzte die Sandschichten. Aus dem Verhältnis von Eisen zu Sand in den Glaskügelchen konnten wir berechnen, daß die Menge an geschmolzenem Sand zehnmal größer war als das Volumen des Meteoriten. Dies entspricht einer Halbkugel aus Sand mit einem Durchmesser von 27 Metern. Außerhalb dieses Sandvolumens verebbte die Druckwelle rasch. Den Sand brachte sie dort nicht mehr zum Schmelzen, komprimierte ihn aber zu "Instant-Gestein", dem Impaktit.
Die Stoßwelle ließ den Sandboden explodieren. Impaktit wurde in die schmelzende Glasglut geschleudert und dann nochmals komprimiert. In den Felsproben sieht dies aus, als sei dicke schwarze Farbe auf den Impaktit gespritzt. Andere Impaktitbrocken tauchten bei Temperaturen zwischen zehn- und zwanzigtausend Grad Celsius vollständig in flüssiges Glas. Dabei wurde der Sandstein ein zweites Mal – zu Schaumglas – umgeformt.
Der Krater entstand innerhalb von zwei Sekunden
Der größte Krater von Wabar bildete sich innerhalb von gut zwei Sekunden, das kleinste der Einschlaglöcher hatten die Meteoritentrümmer bereits nach 0,8 Sekunden ausgehoben. Anfangs hatte der Krater noch hohe Ränder, die jedoch bald abflachten. Denn innerhalb weniger Minuten prasselten riesige Gesteinsmengen herab, stürzten auch auf die Kraterränder, so daß diese rasch wieder abgetragen wurden. Die größte dieser Krater-Zwischenformen hatte wahrscheinlich einen Durchmesser von 120 Metern. Der Sand, der dort einmal gelegen hatte, stieg in Form einer Pilzwolke mehrere tausend Meter in die Lüfte und erreichte vielleicht sogar die Stratosphäre. Um das geschmolzene Glas bis zu einer Entfernung von 850 Meter zu verteilen, genügte eine relativ sanfte abendliche Brise.
Und wann passierte dieses Spektakel? Dies ist seit langem eines der wichtigsten Rätsel von Wabar. Die allererste Datierung basierte auf Bruchanalysen an Glasproben, die in den frühen siebziger Jahren am British Museum und am Smithsonian Institute in Washington durchgeführt wurden. Danach sollte der Einschlag vor 6400 Jahren passiert sein.
Unsere und andere Beobachtungen am Ort des Geschehens legten jedoch ein weit jüngeres Datum nahe: Der größte Krater hatte 1932 noch eine Tiefe von etwa zwölf Metern, im Jahre 1961 dann nur noch von acht Metern. Ab 1982 war der Krater dann fast gänzlich mit Sand gefüllt. Während unserer Expeditionen in den Jahren 1994 und 1995 hatte die südöstliche Kante nur mehr eine Höhe von etwa drei Metern. Dünenexperten behaupten, es sei unmöglich, daß sich ein einmal mit Sand gefüllter Krater wieder von selbst leeren könnte.
Die Einschlagstelle in Wabar wäre vielleicht gänzlich verschwunden, wenn nicht Impaktit und Schwarzglas den Sandkrater in Form gehalten hätten. Mindestens zwei der Krater sitzen auf Gesteinsschichten aus Impaktit-Brocken. Diese Schichten repräsentieren die ursprüngliche Schüsselform des Kraters, ehe Sand die Senke unter sich begrub. Wir haben einige Sandproben unterhalb der Impaktitschicht entnommen und in einem Labor mittels Thermolumineszenz datieren lassen. Die Analyse, erstellt von John Prescott und Gillian Robertson von der Universität Adelaide, legt nahe, daß der Einschlag vor 450 Jahren oder früher stattgefunden haben sollte.
Den jedoch stichhaltigsten Beweis für einen Einschlag jüngeren Datums liefert das Ereignis um die Nejd-Meteoriten. Diese wurden entdeckt, nachdem ein Feuerball über die Stadt Riad hinweggeflogen war. Je nachdem, welchen Aufzeichnungen man Glauben schenkt, fand dieser Einschlag entweder 1863 oder 1891 statt. Es heißt dort auch, der Feuerball sei in Richtung Wabar geflogen. Die Gesteinsproben von Nejd und Wabar haben identische Zusammensetzung. Und so könnte es gut sein, daß der Vorfall von Wabar erst vor 136 Jahren geschah. Vielleicht haben die Großväter von Philbys Wüstenführern die Explosion von Weitem beobachtet.
Dieses Datum ist über den Anlaß hinaus von Interesse. Es gibt uns darüber Auskunft, wie häufig wir mit derartigen Begegnungen zu rechnen haben. Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Meteorit auf der Erde einschlägt, ist einfach zu beschreiben: Je größer, desto seltener. Neuere Studien zeigen, daß Meteoriten vom Wabar-Format etwa alle zehn Jahre mit der Erde kollidieren.
Ähnliche eisenhaltige Meteoritenkrater gibt es auch anderenorts, etwa in Odessa (Texas), Henbury (Australien) oder Sichote-Alin (Sibirien). Allerdings hinterlassen etwa 98 Prozent aller Meteoriten der Wabar-Größe keine Krater, nicht einmal zeitweise. Dabei handelt es sich in der Regel um Steinmeteoriten, denen es zumeist an der Festigkeit eines Eisenkerns mangelt, so daß sie beim Eintritt in die Atmosphäre zerbersten. Das hat natürlich auch den angenehmen Vorzug, daß die Erdoberfläche vor solchen Steinbomben aus dem All halbwegs verschont bleibt.
Weltweit ist kaum ein Krater mit einem Durchmesser von weniger als fünf Kilometern bekannt. Und es scheint, als ob Steinasteroiden mit einer Größe von 100 bis 200 Metern von der Atmosphäre völlig abgeblockt werden. Doch hat diese Schutzwirkung auch Nachteile. Denn wenn solche Objekte in der Luft detonieren, dann zerbersten ihre Fragmente in alle Richtungen und verwüsten große Landstriche – wie das Beispiel der Tunguska-Explosion über Sibirien im Jahre 1908 zeigt. Obwohl kaum etwas von dem ursprünglichen Meteoriten auf der Erde gefunden wurde, verwüsteten Feuerball und Druckwelle des Steinmeteoriten 2200 Quadratkilometer Wald und setzten weite Teile davon in Brand. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bevor wieder eine steinige Hiroshima-Bombe aus dem All eine Stadt verwüstet (siehe "Kometen und Planetoiden – Risiko für die Erde?", von Tom Gehrels, Spektrum der Wissenschaft, November 1996).
Im Vergleich zu anderen Einschlagskratern sind Wabar und Tunguska allerdings nur Nadelstiche. Viele Meteoriten-Einschläge haben andere Dimensionen, etwa die Ringstrukturen von Manicouagan in Quebec in Kanada oder das Gelände von Chicxulub im Norden der mexikanischen Halbinsel Yucatán. Aber solche Apokalypsen ereignen sich im Durchschnitt nur alle hundert Millionen Jahre. Der zehn Kilometer große Asteroid, der den Krater von Chicxulub aushob und wahrscheinlich das Aussterben der Dinosaurier auslöste, traf die Erde vor 65 Millionen Jahren. Und obwohl Astronomen mindestens zwei vergleichbar große Objekte auf Bahnen entdeckt haben, die die Erdumlaufbahn kreuzen (1627 Ivar und der kürzlich entdeckte QS52), erwartet in absehbarer Zeit niemand einen größeren Einschlag. Meteoriten mit der Größe von Wabar kreuzen jedoch häufiger die Erdbahn und sind wesentlich schwieriger auszumachen als die großen Monsterasteroiden. Es ist schon ironisch, daß wir von diesen häufigeren, kleineren Ereignissen bis zur Wabar-Expedition kaum etwas wußten. Das Geröll im Leeren Viertel der Arabischen Halbinsel hat uns in dramatischer Weise vor Augen geführt, was auch diese kleinen Biester anrichten können.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1999, Seite 30
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