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Fleisch, Fisch oder Gemüse?

Im Knochen eingeschlossen können Eiweißmoleküle Millionen Jahre überdauern. Insbesondere Stickstoff-Isotope im Kollagen geben Auskunft über den Alltag längst vergangener Generationen.


Was wäre der Mensch ohne Kollagen? Dieses fadenförmige Eiweißmolekül vernetzt sich mit seinesgleichen in den Räumen zwischen den Knochenzellen und bildet so ein belastbares Gerüst, dem eingelagerte Mineralkristalle dann Härte geben. Ob ein Mensch Zeit seines Lebens harte Arbeit verrichten musste, dabei eher stand oder saß, können Anthropologen an Form und Verschleiß von Knochen ablesen (Spektrum der Wissenschaft 10/1994, S. 98). Wie er sich ernährt hat, das ermitteln Biochemiker aus dem Kollagen.

Dass sich dieses Protein und seine Grundeinheiten, die Aminosäuren, über Jahrmillionen erhalten können, verdanken sie den Mineralien im Knochen. Die lagern sich um das Kollagen, ummanteln und verdecken es, sodass es Mikroorganismen schwerer haben, an diese Nahrungsressource zu kommen.

Aminosäuren sind vor allem Verbindungen aus Kohlenstoff- und Stickstoffatomen (chemisch C und N). Für die Archäometrie ist nun bedeutsam, dass diese beiden Elemente in der Natur in Form von zwei stabilen Isotopen vorkommen: meist als leichtere 12C und 14N, deutlich seltener aber auch als 13C und 15N. Isotope sind Spielarten eines Elementes, die sich nur in der Zahl der Neutronen des Atomkerns unterscheiden. Weil dieser die Masse bestimmt und manche Enzyme durchaus leichte oder schwere Versionen eines Moleküls unterschiedlich behandeln, trennt der Stoffwechsel der Lebewesen die Isotope voneinander: Innerhalb der Nahrungskette reichern sich vom Pflanzen- zum Fleischfresser schwere Isotope in den Eiweißmolekülen an. Vor allem Stickstoff im Knochenkollagen erweist sich als wichtige Informationsquelle.

Denn das schwerere 15N akkumuliert im Nahrungsnetz von Stufe zu Stufe um drei Promille, sodass es beispielsweise beim Fleischfresser um diesen Wert häufiger vorkommt als bei seiner Beute. Das ermöglicht uns zum Beispiel, für frühe menschliche Bevölkerungen den Anteil von Fleisch an seiner Nahrung zu bestimmen. Das ist eine sehr wesentliche Angabe. Denn immer wieder hat die Suche nach ausreichender Nahrung Geschichte geschrieben. Man denke nur an die Folgen des Ackerbaus, der Sesshaftigkeit und damit letztlich das Entstehen von Städten förderte. Auch die Erschließung des Meeres als Nahrungsressource spiegelt sich im Verhältnis der Isotope (fachlich "Isotopien") wieder, da auf Grund der speziellen Verhältnisse in den Ozeanen Fische und Meeressäugetiere signifikant höhere Stickstoff-Isotopien aufweisen als Landtiere.

Wir haben Kollagen aus Schädelknochen von 33 Personen untersucht, die um 5500 vor Christus, also in der Mittelsteinzeit (Mesolithikum), in den Ofnethöhlen im Nördlinger Ries bestattet und dort zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckt worden waren. Alle zeigten Spuren von Gewalt. Wurde eine ganze Gruppe von Männern, Frauen und Kindern jäh aus dem Leben gerissen? Unter dieser Annahme liefern die Schädelknochen eine Momentaufnahme der damaligen Lebensweise. Der Vergleich der Isotopen-Verhältnisse mit denen etwa von Wölfen zeigt eindeutig, dass die Menschen der Ofnethöhle zur Kategorie "Fleischfresser" gehörten. Offensichtlich waren sie erfolgreiche Jäger und lebten in wildreichem Gebiet. Eine vergleichbare Untersuchung durch den Anthropologen Michael P. Richards von der Universität Oxford warf vor kurzem ein neues Licht auf die Neandertaler: In der Nähe von Zagreb gefundene Skelettreste stammen von einem fast reinen Fleischfresser, also ebenfalls einem erfolgreichen Jäger.

Einige Werte übertrafen sogar die von Fleischfressern, und zwar die der maximal 2,5 Jahre alten Kleinkinder. Die einfache Erklärung lautet: Milch. Sie weist eine besonders hohe Isotopie auf, denn bei ihrer Bildung wird Nahrungseiweiß erneut umgesetzt, und der schwerere Stickstoff kann sich weiter anreichern. In der Mittelsteinzeit gab es jedoch noch keine zu melkenden Haustiere. Demnach wurden die Kinder aus der Höhle mindestens bis zu ihrem vollendeten zweiten Lebensjahr gestillt.

Dieser Befund überrascht uns moderne Menschen, doch dürften so lange Stillzeiten in historischen und prähistorischen Epochen die Regel gewesen sein. Auch bei anderen Untersuchungen an den Skelettresten früh verstorbener Kinder hält nämlich die hohe Stickstoff-Isotopie vom frühen Säuglingsalter bis zum vollendeten zweiten oder dritten Lebensjahr an und sinkt dann um drei Promille auf das "Normalmaß" der jeweiligen Bevölkerung. Dieses Absinken fällt allerdings unterschiedlich steil aus, vermutlich je nachdem, ab wann und in welchem Maße feste Nahrung zugefüttert wurde. Danach sind die Kinder voll abgestillt und erhalten eine den Erwachsenen vergleichbare Kost. Diese langen Stillzeiten haben gute Gründe. Für das Kind bedeuten sie eine verlängerte Phase der passiven Immunisierung durch die Muttermilch, für die stillenden Frauen zumindest auf statistischer Ebene einen Schutz vor einer frühen erneuten Schwangerschaft.

Obgleich Kollagen durch das Knochenmineral gut maskiert und geschützt ist, wird es während der langen Liegezeiten im Erdreich unweigerlich zerfallen, Ergebnis insbesondere des Stoffwechsels Boden bewohnender Mikroorganismen. Simulationsexperimente haben gezeigt, dass solcher Art degradiertes Knochenkollagen völlig andere Isotopien aufweisen kann. Den Erhaltungszustand des Kollagens im archäologischen Skelettfund zu erheben, ist deshalb zentral für die geschilderte Analyse.

Zahlreiche Parameter, wie die Zusammensetzung der Aminosäuren oder das Verhältnis von Kohlenstoff und Stickstoff darin gestatten dies zuverlässig: Bei gut erhaltenem Kollagen liegt es zwischen 2,9 und 3,6; bei stark abgebautem überwiegt der Kohlenstoff meist noch stärker. Darüber hinaus lohnt eine Analyse der Aminosäure-Zusammensetzung ohnehin, lässt sie doch Rückschlüsse auf Erkrankungsformen wie den Vitamin C-Mangel zu – er verursacht ein Defektkollagen mit abweichender Aminosäurekomposition.

Skelettfunde von Menschen aus historischer und prähistorischer Zeit entpuppen sich somit als "Gewebebanken", deren Untersuchung mittels moderner archäometrischer Methoden ganz wesentliche Determinanten der menschlichen Bevölkerungsentwicklung liefert. Die Implikationen für die Alltagsgeschichte sind weit reichend. Aus der Rekonstruktion der Nahrung folgt die der Wirtschaftsweise: Betrieben unsere Vorfahren Fischfang, Ackerbau oder Viehzucht? Entsprechend stark müssen sie in die Landschaft eingegriffen haben.

Das Maß der Säuglingspflege berührt die Ebene von Sozialverhalten und Fortpflanzungsstrategien. Untersucht man überdies Skelettfunde von Wirbeltieren, vermittelt die Isotopen-Methode Einblicke in vergangene Ökosysteme. So hilft ein Knochenprotein zu erklären, wie sich die Welt entwickelt und wie sie der Mensch verändert hat.


Strontium-Isotope unterscheiden Zuwanderer und Einheimische


Wer einen sicheren Arbeitsplatz wollte, musste auch in der Antike mitunter seine Heimat verlassen. Als die Römer im Verlauf des ersten Jahrhunderts nach Christus im südlichen Donauraum die Provinz Raetium errichteten, akquirierten sie den archäologischen Befunden zufolge germanische Söldner zur Verteidigung des Grenzwalles Limes. Dies ergaben unsere Untersuchungen an siebzig Skeletten aus dem Kastellfriedhof von Neuburg an der Donau, der von etwa 330 bis 400 nach Christus genutzt worden war. Um ihre Herkunft zu bestimmen, erhoben wir die Relation der Strontium-Isotope mit den Massenzahlen 86 und 87 in Knochen und Zahnschmelz.

Strontium ist ein Spurenelement, das im Wesentlichen aus Nahrung und Trinkwasser stammt, in die genannten Hartgewebe eingebaut wird und noch nach dem Tode die jeweiligen geochemischen Gegebenheiten vor Ort charakterisiert. Weil Zahnschmelz nur in der Kindheit aufgebaut wird, Knochengewebe hingegen während des ganzen Lebens, weisen signifikante Unterschiede der Relationen beider Gewebe darauf hin, ob jener Mensch nicht an seinem Geburtsort verstarb.

Im Jahre 488 nach Christus verließen die Römer Raetium und im Jahre 551 wird in Schriften ein Volksstamm der Bajuwaren für diese Region erwähnt. Ihre Herkunft ist ungewiss, doch gehen die Archäologen davon aus, dass es Abkömmlinge von germanischen Söldnern waren. Raetium, ein Schmelztiegel germanischer Stämme?

Tatsächlich belegen die Strontium-Verhältnisse der Neuburger Skelette, dass in der fraglichen Zeit gut ein Drittel der erwachsenen Männer und zwei Drittel aller erwachsenen Frauen nicht von dort stammt, sondern aus dem Gebiet des heutigen Böhmen. Das Verfahren lässt sogar eine noch feinere Aussage zu: Zähne, deren Schmelz erst im späten Kindesalter aufgebaut wurde, stimmen in ihrer Isotopie wieder mit den Knochenbefunden, also den Strontium-Verhältnissen der Region überein. Diese Einwanderer müssen also schon in ihrer frühen Kindheit eingereist sein; sie wurden keinesfalls erst als Söldner angeworben.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2001, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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