Tropenkrankheiten: Fliegende Anti-Malaria-Waffen
Erstmals gelang die Konstruktion genmanipulierter Moskitos, die den Erreger der Malaria gar nicht oder nur schlecht übertragen – ein Meilenstein im Kampf gegen die wohl größte Geißel der Menschheit.
Malaria scheint uns Mitteleuropäer nichts anzugehen. Es ist eine Tropenkrankheit, und die Anopheles-Mücke, die den parasitären Erreger überträgt, kommt in unseren Breiten nicht vor. Und doch: Im Zeitalter der Fernreisen wirft so manche Urlaubsplanung die Frage nach sinnvoller Malaria-Prophylaxe auf. Plötzlich rückt die Tatsache ins Bewusstsein, dass 40 Prozent der Weltbevölkerung in Malaria-Gebieten leben. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkranken jedes Jahr etwa 100 bis 200 Millionen Menschen an der Seuche, und zwei bis drei Millionen sterben daran. Selbst in Europa gibt es jährlich etwa 12000 Malaria-Fälle – darunter auch solche, bei denen sich Menschen durch den Stich einer eingeflogenen Anopheles-Mücke infizieren, ohne je in einem tropischen Land gewesen zu sein.
Weltweit ist die Seuche derzeit auf dem Vormarsch; denn immer mehr Plasmodien, wie die einzelligen Erreger heißen, entwickeln Resistenzen gegen die vorhandenen Medikamente. Die Suche nach Möglichkeiten, die Krankheit zu behandeln und ihre weitere Ausbreitung zu verhindern, wird also immer dringender.
Eine Forschungsgruppe an der Case Western Reserve University in Cleveland (Ohio) hat unlängst einen völlig neuen Weg zu ihrer Bekämpfung beschritten. Statt die Plasmodien wie bisher mit Medikamenten im menschlichen Körper abzutöten, unterbrechen Marcelo Jacobs-Lorena und seine Mitarbeiter den Infektionszyklus in der Anopheles-Mücke. Dazu haben sie einzelne Moskitos genetisch so verändert, dass sie die Parasiten nicht mehr auf den Menschen übertragen können.
Die Hauptrolle spielt dabei ein kleines Peptid (eine kurze Aminosäurekette) mit dem Namen SM1, das von den genmanipulierten Mücken gebildet wird. Es verhindert, dass reifende Plasmodien vom Darm in die Speicheldrüse der Insekten wandern. Damit bleiben sie in den Eingeweiden gefangen und können nicht mehr mit dem Speichel, den die Moskitos beim Biss absondern, auf den Menschen übertragen werden.
Dieser Erfolg ist das Ergebnis langer, systematischer Forschungsarbeiten. Den Anfang machte die eingehende Untersuchung des Infektionszyklus von Plasmodien. Dabei gelangten die Wissenschaftler zu der Überzeugung, dass es in den Anopheles-Mücken einen Rezeptor geben muss, der den Parasiten als eine Art Taxi dient, das sie vom Darm in die Speicheldrüse befördert. Doch sie hatten keine Ahnung, wie er aussieht. In dieser Situation versuchten sie es mit der Schrotschuss-Methode: Sie stellten aufs Geratewohl eine Vielzahl künstlicher Peptide her und hofften, dass vielleicht eines darunter ist, das sich zufällig an den Rezeptor bindet und ihn dadurch dingfest macht. Und sie hatten Glück. Tatsächlich blieb eines der Konstrukte, eben das mit der Bezeichnung SM1, spezifisch im Mitteldarm und in der Speicheldrüse der Moskitos hängen – also dort, wo sich auch der gesuchte Rezeptor befinden sollte.
Von Anfang an hatte Jacobs-Lorena darauf spekuliert, dass ein möglicher Köder den Rezeptor nicht nur angelt, sondern auch blockiert. Als Test verfütterten sie daher SM1 an Anopheles-Mücken. Begeistert stellten sie fest, dass die Insekten daraufhin die Fähigkeit verloren, Plasmodien zu übertragen. Das brachte die Forschergruppe zur festen Überzeugung, mit dem SM1-Peptid den Schlüssel zu einer neuen Waffe gegen Malaria in der Hand zu halten.
Blockade im Darm
Allerdings ist es in freier Wildbahn nicht möglich, Moskitos mit Peptiden zu füttern. Im nächsten Schritt musste es also darum gehen, genetisch veränderte Anopheles-Mücken zu züchten, die das Peptid selbst bilden. Dies sollte möglichst nur im Darm der Insekten geschehen – und nur dann, wenn es für die Malariaabwehr notwendig ist: nach einer Mahlzeit mit potenziell plasmodienverseuchtem Blut. Deshalb konstruierten die Wissenschaftler ein künstliches Gen, das außer der Erbinformation für das SM1-Peptid auch einen regulatorischen Abschnitt trug, der seine Produktion steuert. Diesen Abschnitt besorgten sie sich von dem Gen für das Verdauungsenzym Carboxypeptidase, von dem sie zuvor schon nachgewiesen hatten, dass es nur im Mitteldarm nach einer Blutmahlzeit angeschaltet wird. Per Mikroinjektion – einer Methode, mit der sich Erbsubstanz direkt in das vorgesehene Gewebe spritzen lässt – brachten sie das Konstrukt aus vier SM1-Abschnitten plus Steuereinheit und Fluoreszenzmarker in Anopheles-Embryonen ein. Zwar reiften nur wenige dieser Embryonen zu genetisch veränderten erwachsenen Moskitos heran. Doch diese wenigen Exemplare genügten zur Erfolgskontrolle.
Wenn die Wissenschaftler die genmanipulierten Mücken mit Blut fütterten, fanden sich nach sechs Stunden im Darm große Mengen an SM1-Peptid, das erst nach 36 Stunden langsam wieder abgebaut wurde. Ein solcher Konzentrationsverlauf ist ideal, denn genau in diesem Zeitrahmen entwickelt sich die neue Generation von Plasmodien so weit, dass sie bereit für den Marsch in die Speicheldrüse ist.
Die Voraussetzungen für die Blockade stimmten also. Aber würde das künstliche Gen bei einer echten Infektion mit Plasmodien auch wunschgemäß in Aktion treten? Gespannt machten die Forscher die Nagelprobe und ließen die genetisch veränderten Mücken ihren Blutdurst nunmehr an malariainfizierten Mäusen stillen.
Sie wurden nicht enttäuscht: Die Anzahl der Oozysten – der Entwicklungsstufe, die vom Darm in die Speicheldrüse wandert – lag bei den Versuchstieren um 68,7 bis 94,9 Prozent niedriger als in einer Kontrollgruppe. Entsprechend gering war die Infektiosität. In drei Experimenten saugte jeweils eine andere infizierte genmanipulierte Mücke an acht, 13 bzw. zehn gesunden Mäusen. Lediglich im letzten Versuch fand eine Übertragung von Plasmodien statt – allerdings nur bei drei Tieren (dreißig Prozent) gegenüber sieben Tieren (siebzig Prozent) im Kontrollexperiment. Damit war es der Forschergruppe gelungen, die ersten genetisch veränderten Anopheles-Mücken zu züchten, die selbst einen Anti-Malaria-Stoff bilden und damit den Infektionszyklus unterbrechen oder zumindest behindern. In freier Natur enthalten die Tiere viel weniger Parasiten als im Labor, sodass die Übertragungsrate noch geringer sein müsste als im Experiment.
Schonende Seuchenbekämpfung
Allerdings weckt eine brandneue Untersuchung Zweifel, ob sich die genmanipulierten Mücken auch in der Freiheit behaupten (Science, Bd. 299, S. 1225). Zwar zeigen sie sich im Labor genauso vital wie ihre unveränderten Artgenossen, leben also etwa gleich lange und legen genauso viele Eier. Wurden sie aber mit normalen Mücken zusammen im Käfig gezüchtet, ging ihr Anteil an der Population stetig zurück; nach 16 Generationen waren sie ausgestorben. Noch ist unklar, ob die genetische Veränderung selbst oder Begleitumstände der Genmanipulation wie die Einführung des Fluoreszenzmarkers oder Inzucht-Probleme den Fitness-Nachteil verursachen.
Trotz dieser Vorbehalte bildet die Herstellung der genmanipulierten Anopheles-Mücken nach Einschätzung der Entwicklungsbiologen Gareth Lycett und Fotis Kafatos vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg einen Meilenstein in der Malaria-Forschung. Die Waffe von Jacobs-Lorena und seinen Mitstreitern hat nicht nur ein einmaliges Wirkungsprinzip, sondern weist auch den Weg zu einer schonenden biologischen Malaria-Bekämpfung ohne Nebenwirkungen für den Menschen oder Schädigung der Umwelt – wie bei früheren Versuchen, die Anopheles-Mücke mit DDT auszurotten.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2003, Seite 15
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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