Sprachstörungen: Ein merkwürdiger Akzent
Hätte Sabine Kindschuh ein paar hundert Jahre früher gelebt, wäre sie eine Kandidatin für den Scheiterhaufen gewesen. Ihr Heimatdorf Oberalba in Thüringen war im 17. Jahrhundert Schauplatz mehrerer Hexenprozesse, und was mit der 57-Jährigen vor sich ging, hätte man einst wohl übernatürlichen Mächten zugeschrieben: Sie sprach nach einem Schlaganfall 2005 plötzlich mit einem Tonfall, der an den Schweizer Dialekt erinnerte. So sehr sie auch versuchte, wieder normal zu sprechen, es gelang ihr einfach nicht.
Die behandelnden Ärzte vermuteten psychische Ursachen dahinter, wie eine regionale Tageszeitung berichtete. Erst ein Sprachtherapeut erkannte: Es handelte sich um das "Foreign Accent Syndrome", zu Deutsch Fremdsprachenakzentsyndrom – eine neurologische Erkrankung, die derart selten ist, dass ein durchschnittlicher Mediziner in seinem gesamten Leben keinen einzigen Betroffenen zu Gesicht bekommt. Experten sprechen von weltweit rund 60, maximal 100 Fällen, die überhaupt jemals bekannt wurden.
Den ersten Patienten beschrieb der französische Neurologe Pierre Marie 1907: Eine Pariserin, die einen Schlaganfall erlitten hatte und danach rechtsseitig gelähmt war, begann daraufhin mit einem elsässisch klingenden Akzent zu sprechen. Mehr Details sind von einer anderen historischen Patientin überliefert: Der Experte für Sprachstörungen Georg Herman Monrad-Krohn dokumentierte 1943 die Geschichte der Norwegerin Astrid L., die bei einem Luftangriff von einem Granatsplitter am linken Stirnhirn verletzt wurde. Sie soll mehrere Tage bewusstlos und danach rechtsseitig gelähmt gewesen sein. Zunächst hatte sie Schwierigkeiten, einfache Gegenstände wie eine Streichholzschachtel zu benennen, und machte viele Grammatikfehler. Mit der Zeit lernte sie zwar wieder korrekt und flüssig zu sprechen, allerdings mit einem Tonfall, der ihre Landsleute offenbar an einen deutschen Akzent erinnerte – überaus ungünstig mitten im Krieg.
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