Fortschritte bei g und G
Obwohl die universelle Gravitationskonstante G das kosmische Geschehen dominiert, ist ihr Wert bisher nur auf fünf Stellen genau bekannt. Schlimmer noch: Es gab in jüngster Zeit stark divergierende Ergebnisse. Mit verschiedenen Meßverfahren ließen sich G und die Erdbeschleunigung g nun jedoch genauer einkreisen.
Unter den fundamentalen Naturkonstanten spielt die Gravitationskonstante G eine herausragende Rolle. Sie beschreibt die Stärke der schwächsten der vier Grundkräfte, die jedoch für uns Menschen am wichtigsten ist, weil sie uns am Erdboden festhält. Nach dem Gravitationsgesetz, das Isaac Newton vor mehr als 300 Jahren aufgestellt hat, ist der Betrag der Schwerkraft gleich dem Produkt aus G und den einander anziehenden Massen (beispielsweise Mond und Erde), geteilt durch das Quadrat ihres Abstandes. Obgleich die Gravitationsanziehung das kosmische Geschehen dominiert, ist sie zwischen den Objekten unserer Alltagserfahrung so gering, daß Newton es für unmöglich hielt, ihre Stärke im Labor zu bestimmen.
Doch 100 Jahre später gelang dem wortkargen Physiker Henry Cavendish ein derartiges Experiment mit einer Torsionswaage. Bis heute konnte die Genauigkeit seiner Messung nur um zwei Größenordnungen verbessert werden – auf 128 Millionstel: Schon die fünfte Stelle ist nicht mehr gesichert. Andere fundamentale Naturkonstanten wie die Elektronenladung (heutige Meßunsicherheit 300 Milliardstel) und die Feinstrukturkonstante (Meß-unsicherheit 45 Milliardstel) sind dagegen mit weitaus höherer Präzision bekannt. Mehrere Forschergruppen arbeiten deshalb intensiv daran, diese unbefriedigende Situation zu ändern.
Einen theoretischen Vergleichswert haben sie dabei nicht. Vielleicht läßt sich eines Tages aus einer vereinigten Theorie aller vier Grundkräfte der Wert von G berechnen – heute jedoch sind die Physiker noch weit davon entfernt. Superstring-Theorien enthalten zwar prinzipiell Gravitation und Quantentheorie und ermöglichen grobe Abschätzungen von G (siehe Spektrum der Wissenschaft, 10/1999, S. 14); ihre Genauigkeit bleibt aber weit hinter der experimentell erreichbaren zurück.
Da die Gravitationskraft nicht nur sehr klein ist, sondern sich – anders als die elektromagnetische Anziehung – auch nicht abschirmen läßt, sind die Messungen extrem schwierig. Die Geräte müssen äußerst leicht ansprechen und reagieren entsprechend empfindlich auf Temperaturänderungen und Vibrationen. Selbst kleinste Variationen der Massenverteilung in der Umgebung des Experiments müssen ausgeschaltet werden; so hat zum Beispiel die regelmäßige nächtliche Bewässerung einer benachbarten Rasenfläche 1978 das Ergebnis eines Experiments der Arbeitsgruppe von Robert Spero an der Universität von Kalifornien in Irvine verfälscht. Wenn die Gravitationskraft schließlich gemessen ist, muß daraus G berechnet werden – was die genaue Kenntnis der relevanten Massenverteilung voraussetzt und deshalb keineswegs einfach ist.
Den derzeit gültigen Wert von G = 6,67259(85)¥10–11 m3 s–2 kg–1 hatten die amerikanischen Physiker Gabe Luther und William Towler 1982 mit einer im Prinzip ähnlichen Anordnung wie Cavendish bestimmt. Sie benutzten eine kleine rotierende Hantel an einem Wolframfaden, deren Drehrichtung sich – wegen der Steifigkeit des Fadens – alle sechs Minuten umkehrte. Wurden zwei große Wolframkugeln in die Nähe der Hantel gebracht, verlangsamte sich deren Rotation als Folge der Gravitationsanziehung um Sekundenbruchteile. Der resultierende Wert von G erwies sich als so genau, daß er 1986 von einem internationalen Komitee (CODATA) zur Verwendung empfohlen wurde. Eine Messung aus dem Jahre 1993, bei der Adrian Cornaz und seine Kollegen an der Universität Zürich die Gravitation von 33 Millionen Tonnen Wasser in einem Pumpspeicher-Stausee nutzten, bestätigte diesen Wert, war aber ungenauer.
Ein rätselhafter Ausreißer
Doch dann sorgte eine Arbeitsgruppe von der renommierten Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig für erhebliche Unruhe unter den Experten. Sie fand einen deutlich – um 0,6 Prozent – höheren Wert mit einer niedrigeren Meßunsicherheit (83 Millionstel). Die Braunschweiger Forscher hatten ihre Testkörper nicht an einen dünnen Faden gehängt, sondern auf Quecksilber schwimmen lassen; dadurch konnten sie größere Massen verwenden und die Gravitationswirkung entsprechend genauer messen. Ihr abweichendes Resultat gab dem Forschungsgebiet neue Schubkraft – zumal eine Gruppe vom Measurements Standard Laboratory in Neuseeland ein Meßergebnis unterhalb des CODATA-Wertes meldete, das ebenfalls – nur in entgegengesetzter Richtung – außerhalb der Fehlerschranken lag. (Dieses Resultat wurde 1998 korrigiert: Die Gruppe hatte bei der Berechnung des Trägheitsmoments die Wanddicke des Zylinders an dem Torsionsfaden vernachlässigt).
Neuere Resultate von Experimenten mit Drehwaagen à la Cavendish sind überwiegend mit dem CODATA-Wert verträglich, wenn sie auch dessen Genauigkeit bisher nicht wesentlich verbessern (siehe Graphik auf Seite 21). Derzeit bauen Eric Adelberger und seine Kollegen an der Universität von Washington in Seattle jedoch eine rotierende Torsionswaage im Hochvakuum auf, die einen deutlich präziseren Meßwert von G verspricht; seine relative Genauigkeit soll im Bereich von einem Hunderttausendstel liegen.
Es gibt freilich auch prinzipiell andere Ansätze. Beispielsweise verwendet eine Gruppe um Hinrich Meyer an der Universität Wuppertal ein sogenanntes Fabry-Perot-Pendel. Dabei beeinflussen Feldmassen den Abstand zwischen einem Paar frei aufgehängter Spiegel; die Abstandsänderung wird interferometrisch bestimmt.
Besonders interessant ist das Meßprinzip eines Teams um Walter Kündig am Physik-Institut der Universität Zürich, der schon 1993 zusammen mit Cornaz und anderen Mitarbeitern das erwähnte Stausee-Experiment durchgeführt hatte. Die Schweizer Forscher vergleichen das effektive Gewicht von zwei Ein-Kilogramm-Massen, die auf unterschiedlicher Höhe an den beiden Armen einer Balkenwaage hängen und durch zwei große Feldmassen beeinflußt werden (Bild). Befinden sich die Feldmassen zwischen den beiden Testmassen, erhöht sich das Gewicht der oberen Testmasse, während sich das der unteren reduziert. Das Umgekehrte gilt, wenn die eine Feldmasse über die obere und die andere unter die untere Testmasse gebracht wird.
Die Änderung der Gewichtsdifferenz ist proportional zur Gravitationskraft, welche die Feldmassen auf die Testmassen ausüben. Die Messung wird mehrere tausendmal wiederholt und aus dem Mittelwert – bei bekannter Massenverteilung – G berechnet.
Dieser Versuch liefert aus mehreren Gründen sehr genaue Resultate. Da die Erdanziehung unabhängig von der Position der Testmassen ist, fällt sie aus der Messung heraus – desgleichen die Gezeitenkraft. Die Testmassen sind aus vergoldetem Kupfer, was den Einfluß magnetischer Kräfte klein hält. Um Dichte-Inhomogenitäten zu minimieren, dienen Flüssigkeiten statt Festkörpern als Feldmassen: Behälter aus 25 Millimeter dickem Chromstahl werden mit 500 Liter Flüssigkeit befüllt.
Inzwischen gibt es Messungen mit Wasser und Quecksilber. Letzteres wirkt auf die Testmassen wie 2000 Tonnen Wasser, was die Ermittlung von G erleichtert. Die Resultate mit den beiden Flüssigkeiten stimmen weitgehend überein, liegen jedoch – bei einer Meßgenauigkeit von 220 Millionstel – etwas über dem CODATA-Wert. Immerhin bestehen realistische Aussichten, die Fehlergrenze in naher Zukunft auf 10 Millionstel zu reduzieren. Das wäre ein erheblicher Fortschritt, nachdem die Genauigkeit von G in den letzten 200 Jahren nur um zwei Größenordnungen verbessert werden konnte.
Alle neueren Ergebnisse sind tendenziell etwas größer als der CODATA-Wert; keines ist mit dem Wert der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt verträglich. Es spricht deshalb viel dafür, daß den Braunschweiger Physikern bei ihrer Messung ein systematischer Fehler unterlaufen ist; welcher das sein könnte, ließ sich bisher allerdings nicht feststellen.
Multipliziert man G mit der Erdmasse und dividiert durch das Quadrat des Erdradius, erhält man die allseits bekannte Erdbeschleunigung g. Wegen der abgeplatteten Form des Geoids variiert ihr Wert auf Meereshöhe: Am Äquator beträgt er etwa 9,78, bei 45 Grad Breite 9,81 und an den Polen 9,83 Meter pro Sekunde zum Quadrat; als Standard wurde deshalb 9,80665 Meter pro Sekunde zum Quadrat festgelegt. An einem gegebenen Ort und zu einer bestimmten Zeit läßt sich der jeweilige Betrag von g mit einem – auf Meereshöhe geeichten – Michelson-Interferometer bestimmen, der modernen Entsprechung von Galileo Galileis Fallexperimenten.
Atom-interferometrische Messungen
In den letzten Jahren begannen verschiedene Wissenschaftler mit Versuchen, auf analoge Weise durch Atom-Interferometrie die Gravitationsbeschleunigung von Atomen im Schwerefeld der Erde zu messen. Dabei geht es nicht darum, die Gravitationskonstante G präziser zu bestimmen, sondern festzustellen, ob die Erdbeschleunigung g im atomaren Bereich denselben Wert hat wie in der makroskopischen Welt – ob also das Newtonsche Gravitationsgesetz im Mikro- und Makrokosmos gleichermaßen gilt.
Jetzt ist es einer Gruppe um Steven Chu an der Universität Stanford gelungen, die Beobachtungszeit im Interferometer mit Hilfe eines atomaren "Springbrunnens" aus laser-gekühlten Cäsium-Atomen deutlich zu verlängern und so die Meßungenauigkeit auf drei Milliardstel zu reduzieren. Dabei stimulieren optische Lichtpulse die Atome zu Übergängen in eine Überlagerung aus zwei Zuständen mit unterschiedlichem Impuls, die auseinanderdriften und später wieder vereinigt werden.
Der Laufzeitunterschied für die beiden Wege äußert sich in einer sogenannten Phasendifferenz, die vom Impuls, der Driftzeit und g abhängt. Aus ihr läßt sich deshalb die Erdbeschleunigung ermitteln, die auf die Atome wirkt. Der resultierende Wert stimmte auf sieben Milliardstel mit dem Ergebnis von Gravimetermessungen überein, die im selben Labor – in zwei Metern Abstand bei 0,5 Metern Höhendifferenz vom Atom-Interferometer – an einem makroskopischen Glasobjekt durchgeführt wurden. Dies ist die bisher beste Bestätigung des Äquivalenzprinzips von makroskopischen und Quantenobjekten hinsichtlich der Gravitationswirkung. Das Experiment übertrifft die Genauigkeit von früheren atom-interferometrischen Messungen um das Millionenfache.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2000, Seite 21
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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