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Fragment aus edlen Teilen

Die Wissenschaftsszene in Rußland siecht dahin. Gleichwohl gibt es mehrere erfreuliche Beispiele dafür, daß russische Firmen auf dem weltweiten Technologiemarkt Fuß fassen. Kooperationen mit westlichen Ländern könnten diese Ansätze unterstützen.


Etwa 12 Prozent aller Forscher und Entwickler der Welt arbeiten in Rußland; ihr Anteil am globalen Technologiehandel beträgt jedoch nur 1 Prozent. Dieses enorme Mißverhältnis ist auf den Zusammenbruch des sowjetischen Innovationssystems zurückzuführen, der in den achtziger Jahren begann und bis heute anhält.

Der ökonomische Niedergang des Landes wirkte sich in dramatischer Weise auf die staatlichen Ausgaben sowie auf den Haushalt der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung aus. Wurden im Jahre 1990 insgesamt noch 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung aufgewandt, so sank dieser Anteil bis 1996 auf 0,86 Prozent.

Weitere Hemmschuhe sind ausbleibende Veränderungen in der institutionellen Organisation der russischen Forschung sowie der anhaltende brain drain ins westliche Ausland – vorwiegend in die USA – und in den inländischen Finanzsektor. Innerhalb der letzten acht Jahre nahm die Anzahl der in der Forschung tätigen Personen auf die Hälfte ab. Somit ist das Niveau der russischen Forschungs- und Entwicklungsleistungen während der vergangenen Dekade monoton fallend.

Trotz dieser entmutigenden Fakten gibt es Hoffnungskeime – vorrangig in Form kleiner innovativer Unternehmen, die zum Beispiel in den Bereichen Neue Materialien, Laser- oder Biotechnologie tätig sind. Diese Firmen findet man vor allem in den ehe-mals so herausragenden Forschungsinstituten des Landes, wie dem Ioffe-Institut in St. Petersburg oder in einem der 50 neu entstandenen Technologiezentren. Nach Expertenschätzungen gibt es inzwischen etwa 100000 solcher Unternehmen, die ungefähr zwei Millionen Menschen beschäftigen. Unterstützt werden die Firmen durch Kredite des "Fonds zur Förderung kleiner Unternehmen im wissenschaftlich-technischen Bereich", der über etwa 0,5 Prozent des staatlichen Forschungshaushalts verfügt.

Der entscheidende Mangel dieses Innovationssystems ist das Fehlen einer übergeordneten Struktur zum Technologietransfer und entsprechenden Informationsnetzwerken. Für Aufgaben, die in Westeuropa unzählige Dachverbände und diverse Arbeitsgemeinschaften übernommen haben, gibt es in Rußland kaum passende Organisationen. Die westliche Staatengemeinschaft sollte darum besonderen Wert auf die Etablierung von Strukturen legen, welche die interne Fragmentierung des russischen Innovationssektors aufheben und die russischen Technologieunternehmen in gesamteuropäische Informationsnetze einbinden helfen wie zum Beispiel in das Programm INCO-Copernicus der Europäischen Union.

An zwei Beispielen soll deutlich gemacht werden, wie sich die lähmende interne Zersplitterung des russischen Innovationssystems aufheben läßt und zugleich internationale Kooperationen hergestellt werden können.


Leuchtendes Beispiel: moderne Laser



Die Lasertechnologie hat in Rußland – insbesondere als Zweig der ehemaligen Rüstungsindustrie – eine lange Tradition und gilt zu Recht als hochentwickelt. Leistungsstarke Gaslaser, die bei der Materialbearbeitung der großen Industriebetriebe und bei den Militärs ihre Abnehmer fanden, hatten zur Zeit des Umbruchs in der Sowjetunion einen hohen Standard und eine große Vielfalt erreicht. Auch in den Bereichen Festkörper- und Diodenlaser wurden Produkte auf Weltniveau produziert. Wie jedoch die Konversionsbemühungen seit dem Beginn der neunziger Jahre zeigen, führte der hohe Entwicklungsstandard nicht in allen Bereichen zwingend zu der Fähigkeit, am internationalen Technologiehandel teilzuhaben.

Neben der Software-Entwicklung ist die Branche der Lasertechnologie ein Beispiel für eine sehr positiv verlaufene Integration in die Weltwirtschaft. Der Anteil an kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wuchs von 1994 bis 1997 von 30 auf 43 Prozent. Etwa 500 KMU etablierten sich im Bereich Lasertechnologie zu Beginn der neunziger Jahre als Ausgründungen aus den großen Forschungsinstituten. Diese Unternehmen haben weltweit feste Marktsegmente besetzt und damit gute Chancen, sich zu behaupten. Ein großer Teil der nach dem anfänglichen Selektionsprozeß übriggebliebenen Firmen weist mittlerweile ein exponentielles Wachstum auf. Signifikant ist weiterhin der enge Kontakt zu großen Forschungseinrichtungen, aus denen diese Unternehmen zumeist hervorgegangen sind. Damit ist sowohl Flexibilität als auch der unkomplizierte Zugang zu modernem Know-how aus der Grundlagenforschung gewährleistet.


Förderung durch Dachverband und Fonds



Den Hauptteil ihres Absatzes verbuchen die Firmen im Exportgeschäft. Ein Großteil der Unternehmen verfügt über Kontakte zu Partnern aus Amerika, Südostasien oder Westeuropa, welche zugleich die wichtigsten Handelspartner darstellen. Eine wesentliche Ursache dieser positiv verlaufenen Entwicklung ist die Organisation nahezu aller Firmen in der Laserassoziation, einem in der gesamten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) vertretenen Dachverband. Diese Assoziation veranstaltet unter anderem Seminare und publiziert Datenbanken, wodurch der Technologie- und Produkttransfer unter den Mitgliedern ermöglicht wird und Kontakte zu ausländischen Unternehmen entstehen. So haben Unternehmen der Laserassoziation zahlreiche Verbindungen zu Firmen und Forschungszentren in Deutschland.

Ein weiteres Beispiel ist das Technologiemanagement in St. Petersburg. Historisch ist diese Region ein bedeutender Technologiestandort Rußlands. In der Tat geht die Tradition exzellenter Akademien bis in die Zarenzeit zurück. In der Sowjetära entwickelte sich St. Petersburg zu dem nach Moskau wichtigsten Standort für Hochtechnologie. In renommierten Institutionen wie dem Ioffe-Institut, dem Forschungszentrum für Robotik und Kybernetik, der Staatlichen Technischen Universität oder der Elektrotechnischen Universität sowie den großen Rüstungsbetrieben wie "Swetlana" und "Elektropribor" wurden beispielsweise Mikroelektronik und Turbinen auf Weltniveau entwickelt.

Die Großbetriebe sind heute praktisch nicht mehr existent. Statt dessen entstand im Umfeld der genannten Institute in den letzten Jahren eine Vielzahl kleiner Technologiefirmen. Diese sind in verschiedenen Netzwerken des Technologiemanagements organisiert. Insbesondere werden innovative Unternehmen in St. Petersburg durch drei regionale Fonds repräsentiert und in deren Technologiezentren unterstützt. Unter diesen spielt das Innovations- und Technologiezentrum (ITZ) des "Regionalfonds für wissenschaftliche und technische Entwicklung" die herausragende Rolle. Es wurde auf der Grundlage des ehemaligen Rüstungsbetriebes "Swetlana" (etwa 20000 Angestellte) geschaffen. Die Kosten für die mit Hilfe des "Fonds zur Förderung kleiner Unternehmen im wissenschaftlich-technischen Bereich" erfolgte Gründung dieses ITZ konnten binnen zwei Jahren gedeckt werden. Die 20 dort ansässigen Unternehmen haben jeweils etwa 50 Beschäftigte im Bereich Forschung und Entwicklung. Zu den Aufgaben der Fonds zählen Beratungsleistungen, die Veranstaltung von Seminaren zu Management- und Rechtsfragen, die Organisation von Ausstellungen und Kongressen (siehe Bild) und die Etablierung internationaler Kontakte.


Transformation durch Kooperation



Das Anliegen dieser Organisationen und ihrer westlichen Partnerinstitutionen ist es, das fragmentierte Erbe russischer Forschungseinrichtungen in ein marktgerecht funktionierendes Innovationssystem zu überführen und sowohl den internen als auch den externen Informationsfluß zu stimulieren. Diese Tätigkeit wird erst durch die umfassende Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft ermöglicht und durch zahlreiche Kontakte zwischen russischen und westeuropäischen Unternehmen lebendig gehalten.

Internationale Kooperationen im Bereich innovativer Technologien stellen darum ein wesentliches Element einer Transformationsstrategie in Rußland dar und sollten insbesondere zur Lösung der ökonomischen und ökologischen Probleme des Landes genutzt werden. Nur wenn Rußland seine rohstofflastige Exportstruktur durch innovative Industriegüter zu ergänzen vermag, wird es langfristig zur Lösung seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Lage sein. Hiervon kann Europa in doppeltem Maße profitieren, es kann an Sicherheit und Prosperität gewinnen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1999, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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