Katastrophenschutz: Frühwarn-Informations-System für Vulkane
Auch Vulkane wie der Vesuv bei Neapel, die seit Jahrhunderten ruhen, können plötzlich wieder ausbrechen. Europäische Wissenschaftler entwickeln zurzeit ein benutzerfreundliches Frühwarnsystem für solche potenziellen Zeitbomben.
Verheerende Vulkanausbrüche mit zahlreichen Todesopfern – wie jüngst die Eruption des Nyiragongo bei Goma in der Demokratischen Republik Kongo (früher Zaire) – hat es in der letzten Zeit nur außerhalb Europas gegeben. Doch das war eher ein Zufall; denn außer Island liegen auch große Teile Süd- und Südosteuropas in geologisch aktiven Zonen. Überbordende städtische Agglomerationen und steigende Touristenzahlen machen sie hochgradig verwundbar durch Vulkanausbrüche und Erdbeben. Die Möglichkeit, eine nahende Katastrophe vorauszusagen, ist deshalb für die Behörden äußerst wichtig.
Doch wie beurteilt man, ob ein ruhender Vulkan erwacht und zu einer Gefahr für die Bevölkerung in der Umgebung wird? Das ist alles andere als leicht. Zum einen gibt es zunächst nur indirekte Anzeichen im Untergrund. Zum anderen muss eine öffentliche Warnung vor einem möglichen Ausbruch wohlüberlegt sein, zieht sie doch Maßnahmen nach sich, die unabsehbare soziale und wirtschaftliche Folgen für die Betroffenen haben können.
Mit diesem Problem befasst sich das 1999 gestartete dreijährige EU-Projekt Geowarn. Dabei nehmen Wissenschaftler aus Griechenland, Italien, Deutschland und der Schweiz beispielhaft zwei schlafende, aber geodynamisch aktive Vulkane mit modernsten Überwachungsmethoden unter die Lupe. Die gewonnenen Daten koppeln sie dann mit Satellitenbeobachtungen und stellen sie in einem räumlichen geografischen Informationssystem dar. Dank einer benutzerfreundlichen Visualisierungstechnologie haben alle wissenschaftlichen Experten von Überwachungs- und Katastrophenorganen via Internet jederzeit Zugang zu diesen Daten. So sollen die Behörden und beteiligten Wissenschaftler die bestehenden Risiken schnell einschätzen und eine wirksame Krisen- und Katastrophenplanung durchführen können.
Tickende Zeitbombe in der Ägäis?
Als ideales natürliches Laboratorium wurde zum einen der Nisyros-Vulkan südlich der Insel Kos in der Ägäis ausgewählt. Vor 160000 Jahren ereignete sich hier die größte bekannte Vulkanexplosion im östlichen Mittelmeer. Dabei wurden rund 100 Kubikkilometer Bimssteine und Aschen ausgeworfen. Seit mehr als 20000 Jahren scheint der täglich von hunderten Touristen besuchte Vulkan nun aber erloschen zu sein. Allerdings weisen Bohrungen im großen ehemaligen Einsturzkessel – der Caldera – auf ein aktives unterirdisches "Hydrothermalsystem" hin: 1500 Meter unter dem Boden zirkulieren bei Temperaturen von 300 Grad Celsius überhitzte Lösungen, Dämpfe und Gase; die Energie dafür liefert die Wärme abkühlender Magmenkörper in mehreren Kilometern Tiefe.
Dass der Vulkan nach wie vor gefährlich ist, zeigte sich in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Damals kam es völlig unerwartet zu gewaltigen Wasserdampf- und Gas-Explosionen. Sie ließen in der Caldera kleinere Krater entstehen, aus denen seither heiße Dämpfe und Gase entweichen – Fachleute sprechen von Fumarolen. Zwischen 1996 und 1998 ereigneten sich zudem viele kleinere Beben, die darauf schließen lassen, dass Magma in der Tiefe aufsteigt.
Überwachung per Satellit
Dies macht Nisyros zu einem guten Kandidaten für einen wieder erwachenden Vulkan, dessen kontinuierliche Beobachtung im Rahmen von Geowarn sinnvoll erscheint. Eine herausragende Rolle bei dieser Überwachung spielen Satellitendaten.
So werden mit Hilfe des Global Positioning System (GPS), das eine zentimetergenaue Ortsbestimmung erlaubt, Bewegungen der Oberfläche ermittelt. Zudem ermöglichen es die europäischen Satelliten ERS-1 und ERS-2 in Verbindung mit neuester Radar-Interferometrie, den heutigen Zustand der Insel mit dem vor einigen Jahren zu vergleichen. Und mit Landsat-Satellitenbildern lassen sich thermische Oberflächenmodelle des Vulkans und seiner heißen Fumarolenfelder erstellen. Bilder des Satelliten Ikonos erlaubten schließlich, erstmals ein georeferenziertes Ortho-Foto der Insel zu gewinnen: eine verzerrungsfreie Aufnahme mit Kartenqualität, auf der sich für jeden Punkt genau die Koordinaten angeben lassen.
Die zweite Gruppe der Überwachungsverfahren besteht aus seismischen, gravimetrischen und magnetischen Messungen. Die Aufzeichnung seismischer Signale gibt einerseits Aufschluss über den Ursprung der registrierten Erdbeben. So lässt sich feststellen, ob die Erschütterungen von Bewegungen an oberflächennahen Bruchflächen herrühren oder mit Vorgängen in Verbindung stehen, die sich in großer Tiefe an Subduktionszonen abspielen, wo eine Platte der Erdkruste unter eine andere abtaucht. Typisch für aufsteigende Magmakörper sind kleinere, unregelmäßig verteilte Erdbebenschwärme mit flachen Herden.
Zum anderen wurden auf dem Meeresboden rund um die Insel Nisyros speziell konstruierte Seismografen installiert, die eine "Durchleuchtung" des Untergrundes bis in den oberen Erdmantel ermöglichen. Sie liefern so genannte tomografische Ansichten, die zeigen, wie die tief liegenden Magmakörper strukturiert sind.
Geochemische Analysen und Temperaturmessungen der heißen Fumarolengase und der Thermalquellen bilden die dritte Gruppe der ständigen Überwachungsmethoden. Im Rahmen von Geowarn werden aber auch Verfahren entwickelt, mit denen sich der Wärmefluss und die Freisetzung von Kohlendioxid und Methan in der Kraterregion ermitteln lassen. Der diffuse Ausstrom solcher Gase ist ein wichtiger diagnostischer Parameter, und die dabei freigesetzten Energien liefern Hinweise auf magmatische Veränderungen im Untergrund.
Die von Geowarn gesammelten Daten in Nisyros zeigen insgesamt ein beunruhigendes Bild. Die tomografischen Aufnahmen deuten auf einen aufsteigenden Magmakörper im Untergrund hin. Die Bewegungsmessungen dokumentieren, dass die verschiedenen Blöcke, aus denen die Insel aufgebaut ist, auseinander streben – und zwar unterschiedlich schnell.
Gewisse chemische Parameter lassen außerdem den Schluss zu, dass die Wärmezufuhr im Untergrund zunimmt. So sind etwa die durch Gasanalysen errechneten Gleichgewichts-Temperaturen und Drucke des tief liegenden Hydrothermalsystems in den letzten drei Jahren kontinuierlich angestiegen. Im Stefanos-Krater – der touristischen Hauptattraktion der Insel – werden täglich sechzig bis siebzig Tonnen Kohlendioxid freigesetzt; ihre thermische Leistung von fünfzig bis sechzig Megawatt entspricht der eines Kraftwerks, das den Strombedarf einer mittelgroßen Stadt decken könnte.
Noch ist allerdings nicht sicher, ob der Vulkan tatsächlich am Erwachen ist. Denkbar wäre auch, dass während der seismischen Krise 1997/98 nur eine begrenzte Menge Magma aufgestiegen ist, die das Hydrothermalsystem nun vermehrt mit Wärme und magmatischen Gasen speist. Die Messungen in den kommenden Monaten sollen zeigen, welche der beiden Möglichkeiten zutrifft.
Millionen auf dem Pulverfass
Der zweite Testfall für Geowarn sind die Phlegräischen Felder westlich von Neapel, wo drei Millionen Menschen sprichwörtlich auf einem Pulverfass leben. Auch dort existiert eine Riesencaldera, die vor 30000 bis 40000 Jahren durch gewaltige Explosionen entstanden ist. Im Jahre 1159 fand im Solfatara-Vulkan letztmals eine größere Aschenexplosion statt. Ohne markante Vorankündigung tat sich am 28. September 1538 unter der Ortschaft Tripergola drei Kilometer westlich der Solfataren die Erde auf. Nach einer Woche verebbte der Ausbruch; zurück blieb der 140 Meter hohe Kegel des Monte Nuovo.
Heute ist das gesamte Vulkanfeld von ständigen Hebungen und Senkungen geprägt. Von 1969 bis 1972 und von 1982 bis 1984 liefen zwei Hebungsphasen ab, die von starker seismischer Aktivität begleitet waren. Während der zweiten Phase wurde das Gebiet um 1,8 Meter gehoben, und im Solfatara-Krater öffnete sich eine rund siebzig Zentimeter breite Spalte.
Derzeit ist zwar keine erhöhte seismische Aktivität zu beobachten. Allerdings gibt es im Solfatara-Krater eine ausgeprägte fumarolische Tätigkeit. Dabei entweicht täglich die beachtliche Menge von 1500 Tonnen Kohlendioxid; die thermische Leistung ist mit 138 Megawatt fast dreimal so hoch wie bei Nisyros. Die Zusammensetzung und Menge der ausgestoßenen Gase variiert, wie die kontinuierlichen Messungen ergeben haben, annähernd linear mit der seismischen Aktivität. Deshalb könnten die Gasemissionen in Zeiten seismischer Unruhe auf das Doppelte des heutigen Wertes ansteigen.
Bei der Überwachung schlafender Vulkane wird oft versäumt, die einzelnen Parameter, die für sich alleine wenig aussagekräftig sind, zu einem Gesamtbild zu verknüpfen. Geowarn will diesen Fehler vermeiden. Die verschiedenen Messdaten werden deshalb in einem multimedialen Informationssystem zusammengeführt. Es ähnelt demjenigen des interaktiven "Atlas der Schweiz", der am Institut für Kartografie der ETH Zürich entwickelt worden ist. Diese räumliche Wiedergabe erlaubt es, den genauen zeitlichen Verlauf aller Messdaten übersichtlich darzustellen. So lassen sich etwa Korrelationen zwischen den Oberflächenbewegungen und einem erhöhten Wärmetransport leichter erkennen und auf ihren möglichen diagnostischen Wert überprüfen.
Zusätzlich können anhand der Datensätze Gefährdungskarten erstellt und Katastrophenszenarien simuliert werden, die dann als Grundlage von Risikoanalysen dienen. All das bildet die Basis eines Frühwarnsystems, das die Behörden und die daran beteiligten Wissenschaftler in die Lage versetzt, im Katastrophenfall schnell und effizient zu reagieren.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2002, Seite 26
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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