Herzdiagnostik: Frühwarnsystem gegen den Infarkt
Moderne Computertomografen entdecken Verschlüsse der Herzkranzgefäße schon im Frühstadium.
Anhaltende Schmerzen in der Brust, die weithin ausstrahlen, auch Übelkeit und Erbechen, Druckgefühl und Atemnot, kalter Schweiß und Kreislaufkollaps – die Symptome eines Herzinfarkts sind dramatisch. Umso erstaunlicher ist es, dass etwa zwei Drittel der Patienten zuvor keinerlei Beschwerden verspüren, obwohl Kalkablagerungen ihre Herzkranzgefäße schon etwa zur Hälfte verstopft haben. Leider entdecken gängige Vorsorgetechniken wie Elektrokardiogramm (EKG), Ultraschall oder Myokardszintigrafie kaum feinere Veränderungen in den Blutgefäßen. Das vermag zwar die Herzkatheteruntersuchung, doch sie ist nicht nur unangenehm für den Patienten, sondern auch riskant: Etwa 1,5 Prozent der Untersuchten tragen bleibende Schäden davon, 1,5 Promille sterben sogar.
Eine echte Alternative bietet inzwischen die Computertomografie (CT). Sie erkennt Strukturen von bis zu einem halben Millimeter Größe – das genügt selbst für die Abbildung feinster Verästelungen der Herzkranzgefäße von maximal fünf Millimeter Durchmesser. Außerdem arbeiten heutige Geräte sehr schnell: Eine Ganzkörperaufnahme dauert längstenfalls eine Minute. Raffinierte Techniken ermöglichen sogar gute Aufnahmen des schlagenden Herzens.
Bei einer Tomografie wird der Patient quasi in Scheiben aufgenommen, und zwar eine nach der anderen. Bis weit in die 1980er Jahre rotierte dabei eine Röntgenröhre um den Körper und sandte einen einzelnen Strahlenfächer aus etwa tausend Einzelstrahlen aus. Für jede weitere Aufnahme fuhr die Patientenliege sodann ein Stück weiter. Seit 1989 erfolgt dieser "Scan" kontinuierlich: Bei der Spiral-CT drehen sich Röntgenröhre und gegenüberliegender Detektor um den Körper, der gleichmäßig durch das Messsystem gefahren wird. Aus Sicht des Patienten kreist diese Anordnung, wie der Name sagt, auf einer Spirale um ihn herum.
Der so genannte Kegelstrahl-Spiral-CT kam in diesem Jahr auf den Markt. Seine Röhre sendet einen Strahlenkegel aus, der sich in der Rotationsebene in 16 Strahlenfächer aufteilt. Diese Geräte nehmen also 16 Schnittbilder gleichzeitig auf. Pro Umdrehung benötigen Röntgenröhre und Detektor nur 0,42 Sekunden. Dabei müssen die mehr als hundert Kilogramm schweren Bauteile etwa das Dreizehnfache der Erdbeschleunigung aushalten.
Dieser Detektor misst, wie stark der Körper des Patienten die Röntgenstrahlen absorbiert hat. Heutige Flächendetektoren bestehen aus 16 Zeilen mit jeweils etwa tausend Sensorelementen. Die Dicke der "Körperscheiben" schrumpfte von 10 Millimetern vor zehn Jahren auf heute 0,75 Millimeter. Während einer Umdrehung misst das System in tausend Winkelstellungen; dabei fallen jeweils bis zu 16000 Messwerte an. Ein Standardscan von dreißig Sekunden Dauer erzeugt letztlich einen Rohdatensatz von etwa zwei Gigabyte.
Die Größe der Detektorelemente ist so ausgelegt, dass in der Rotationsebene Strukturen von bis zu 0,5 Millimetern unterschieden werden können. Die Anzahl und Breite der Detektorzeilen bestimmen die Auflösung in der Richtung senkrecht dazu. Bei Kegelstrahl-Scannern können die Detektorzeilen elektronisch kombiniert werden, um die Schichtdicke im Bereich von 0,75 bis 2,5 Millimetern zu variieren.
Aus den Messdaten berechnet ein Computer die zugehörigen Bilder. Nach einer Filterung projiziert er sie entlang der ursprünglichen Strahlrichtung zurück in ein zweidimensionales Koordinatensystem ("gefilterte Rückprojektion"). Dieses Verfahren funktioniert allerdings nur, wenn die Strahlen nahezu parallel auf den Detektoren auftreffen. Bei der Kegelstrahl-CT stehen die Strahlenfächer schräg zueinander; deswegen berücksichtigen spezielle Algorithmen den Einfallswinkel: Der Feldkamp-Algorithmus ist eine dreidimensionale Version der gefilterten Rückprojektion. Er arbeitet nicht schichtweise, sondern projiziert die Daten entsprechend der Messrichtung (also so, wie sie auf dem Detektor auftreffen) in ein dreidimensionales Koordinatensystem zurück.
Bei dem so genannten Advanced-Single-Slice-Rebinning (ASSR) werden zunächst gekippte, zweidimensionale Bilder erzeugt und dann zu parallelen Schnittbildern umgerechnet. Bei glei-cher Bildqualität arbeitet das letztere Verfahren schneller und stellt weniger Anforderungen an die technische Ausstattung.
Genau wie bei der Fotografie verwischt Bewegung auch bei der Computertomografie das Bild. Dieses Problem löst eine andere Rechenmethode, die phasenkorrelierte Rekonstruktion. Sie verarbeitet nur Daten gleicher Herzschlagphasen zu Schnittbildern. Auf hundert Millisekunden genau liefert sie eine Bildfolge der Kontraktionszustände. Für solche zeitaufgelösten Aufnahmen (4-D-Bildgebung) muss die CT mit dem Herzschlagrhythmus synchronisiert werden. Dazu dient entweder ein Elektrokardiogramm, also eine Aufzeichnung des elektromagnetischen Signals, das die Herzkontraktion steuert. Oder der Computer berechnet aus den CT-Daten ein Kymogramm, für das der Schwerpunkt des Herzens in den einzelnen Schlagphasen ausgewertet wird. Zur Rekonstruktion der Schnittbilder dienen dann nur Aufnahmen mit gleicher Position des Herzschwerpunkts. Die Kymografie verzeiht Extrasystolen (das sind elektrische Erregungen, die keine Kontraktion des Herzens auslösen) – das EKG dagegen zählt sie mit.
Freilich hat auch die Computerto-mografie ihre Schattenseite: Sie arbeitet mit ionisierender Röntgenstrahlung. Die lässt sich mittlerweile durch technische Hilfsmittel deutlich reduzieren – besonders effektiv ist die an die Anatomie angepasste Modulation des Röhrenstroms. Dabei werden stärkere oder schwächere Strahlen durch den Patienten geschickt, je nachdem, welche Körperteile in welcher Richtung durchdrungen werden müssen. So ist zum Beispiel ein hoher Röhrenstrom notwendig, wenn beide Schultern gleichzeitig durchleuchtet werden müssen (also quer von rechts nach links). Wird dagegen der Schulterbereich von vorne nach hinten durchstrahlt, reicht ein niedrigerer Röhrenstrom aus.
Geringe Strahlungsdosen verschlechtern normalerweise die Bildqualität, denn das unvermeidbare Rauschen kommt dann stärker zum Tragen (höhere Dosen erhöhen den Unterschied zwischen Nutzsignal und Rauschuntergrund). Die mehrdimensionale adaptive Filterung (MAF) löst das Problem durch einen Trick: Sie ermittelt vor der eigentlichen Bildrekonstruktion die Messwerte maximaler Schwächung (hier muss der Röntgenstrahl besonders dichte Körperpartien durchdringen), die wesentlich zum Bildrauschen beitragen, und korrigiert sie unter Zuhilfenahme benachbarter, besserer Daten. Dadurch wird das Rauschen reduziert, ohne die Bildschärfe zu verringern.
Im Endeffekt kann dieses Bündel technischer Maßnahmen die Strahlenbelastung einer CT-Untersuchung um bis zu fünfzig Prozent senken – vorausgesetzt, der Arzt setzt die Hilfsmittel auch ein. Das ist leider nicht selbstverständlich; schon heute ließe sich oft die Dosis senken, würde die Untersuchung stärker auf den jeweiligen Patienten ausgerichtet. Noch ist die Computertomografie keine Routinemethode für die Herzvorsorge, doch in einigen Jahren dürften gefährdete Personen früher vor ihrem Infarktrisiko gewarnt werden.
Literaturhinweis
Computertomographie. Von Willi A. Kalender, Publicis MCD, 2000.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2002, Seite 91
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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