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Fusionsreaktor - sanfte Energieabfuhr durch gezielte Verunreinigung

Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zur kontrollierten Kernfusion ist vielleicht ausgeräumt: Durch gezieltes Einblasen einer Verunreinigung in die Brennkammer kann man erreichen, daß Teilchen, die in die Nähe der Kammerwand geraten, ihre zerstörerische Energie abgeben, bevor sie aufprallen; die Wand wird dadurch geschont.

Am weitesten fortgeschritten bei der Entwicklung von Kraftwerken, die Energie durch kontrollierte Kernfusion erzeugen, sind Reaktoren vom Tokamak-Typ. Dabei wird ein Plasma aus ionisiertem Deuterium- und Tritium-Gas in einem ringförmigen Magnetfeld eingeschlossen und auf Temperaturen über 100 Millionen Grad aufgeheizt. Die Konzeption eines entsprechenden Testreaktors, der erstmals mehr Energie produzieren soll, als er zum Aufrechterhalten der Fusionsbedingungen benötigt, hat in den vergangenen Jahren konkrete Züge angenommen; inzwischen sind die grundlegenden Parameter des Internationalen Thermonuklearen Experimentalreaktors (ITER), den die Europäische Union, die USA, Japan und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion gemeinsam planen, im wesentlichen festgelegt (Spektrum der Wissenschaft, Juni 1992, Seite 62).

Bei der Verschmelzung von Deuterium und Tritium entstehen Alphateilchen (schnelle zweifach positiv geladene Heliumkerne), die das Plasma durch Stöße auf der gewünschten Temperatur halten, sowie Neutronen, die das Magnetfeld ungehindert durchdringen und ihre Bewegungsenergie in einer speziellen Schicht der Reaktorhülle (Blanket genannt) als nutzbare Wärme abgeben. Wichtig ist zu vermeiden, daß das Plasma mit der Wand, die im allgemeinen mit Graphit ausgekleidet ist, in Kontakt kommt und durch Atome verunreinigt wird, die es bei der Kollision ablöst.

Die modernsten Fusionsanlagen nutzen dazu das Divertor-Prinzip (Bild 1). Es besteht darin, durch ein besonders gestaltetes zusätzliches Magnetfeld die äußere Randschicht des Plasmas kontinuierlich in eine gesonderte Kammer abzuleiten (englisch divert) und dort auf spezielle Platten prallen zu lassen; die beim Auftreffen neutralisierten Atome werden anschließend abgepumpt.

Wie erstmals 1982 mit dem Tokamak-Experiment ASDEX am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching gezeigt werden konnte, läßt sich auf diese Weise nicht nur die Verunreinigung des Plasmas durch abgelöstes Wandmaterial gering halten, sondern auch eine besonders gute Wärmeisolation der Brennzone erreichen. Das ist gleichbedeutend mit einer hohen Energieeinschlußzeit, einer Grundvoraussetzung für Zündung und Betrieb des Reaktors. Das sich daraus ergebende besondere Plasma-Regime wird (nach englisch high confinement, hoher Einschluß) H-Zustand oder H-Mode genannt. Zudem erlaubt der Divertor, das Fusionsprodukt Helium unter optimalen Bedingungen weit entfernt vom Hauptplasma kontinuierlich abzuziehen und dafür frischen Brennstoff nachzufüttern.

So gut der Divertor in Fusionsexperimenten funktioniert, wirft er beim Betrieb eines viel größer ausgelegten echten Reaktors ein gravierendes Problem auf: Da die abgezogenen Plasmateilchen auf die Divertorplatten gebündelt werden, geben sie ihre gesamte Energie auf engem Raum ab. Bei den erwarteten hohen Leistungsflüssen im Reaktor würden ohne Gegenmaßnahmen die Platten stark (bei ITER beispielsweise mit 300 Megawatt) belastet und müßten oft ausgetauscht werden, was einen wirtschaftlichen Betrieb ausschlösse.

Derzeit verfolgt man verschiedene Konzepte, um die Energie der abströmenden Plasmateilchen gleichmäßiger über einen größeren Oberflächenbereich zu verteilen. Besonders vielversprechend ist die Idee, durch gezielte Zufuhr von Verunreinigungen zu bewirken, daß das Divertorplasma bereits einen Großteil seiner Energie in Form von Strahlung abgibt, bevor es auf die Prallplatten trifft.

Damit dies den Energieeinschluß nicht verschlechtert, müssen die Strahlungsverluste allerdings auf den Randbereich beschränkt bleiben, wo wenig direkte Heizung durch Alphateilchen stattfindet. Das läßt sich erreichen, indem man solche chemischen Elemente verwendet, die bei den hohen Temperaturen im zentralen Plasma alle Elektronen verlieren und deshalb auch nicht strahlen können (elektromagnetische Strahlung wird ausgesandt, wenn angeregte Elektronen von Atomen in Zustände geringerer Energie übergehen).

Das Konzept der Leistungsabfuhr durch eine strahlende Randschicht geht zwar bis in die siebziger Jahre zurück; ihre prinzipielle Durchführbarkeit wurde aber erst kürzlich am Jülicher Tokamak TEXTOR unter verschiedenen experimentellen Bedingungen demonstriert. Die gezielte Zufuhr von Verunreinigungen konnte ihren Zweck überhaupt nur erfüllen, nachdem es durch Verbesserung der experimentellen Techniken in den letzten Jahren gelungen war, die natürliche Verunreinigung der Plasmen stark zu verringern.

Am Garchinger Tokamak ASDEX Upgrade untersuchen meine Kollegen und ich das Zusammenwirken der strahlenden Randschicht in Divertorkonfigurationen, die denen eines realen Reaktors ähneln. Allerdings wird als Betriebsgas der Einfachheit halber nur reines Deuterium verwendet, weil Tritium radioaktiv ist und aufwendige Vorrichtungen zum Abschirmen der Strahlung erfordert. Unter diesen Umständen findet keine Fusion statt, und somit entstehen auch keine Alphateilchen, die das Plasma von innen erhitzen; deshalb wird es durch externe Heizung auf den erforderlichen hohen Temperaturen gehalten.

Bei diesen Experimenten bläst man eine geeignete Verunreinigung – in der Regel Neon – mit einem Gasventil in die Hauptkammer ein. Im Randbereich des Plasmas werden die Neon-Atome nur teilweise ionisiert, so daß sie noch Strahlung aussenden können (im Vakuum-Ultraviolett- und nahen Röntgenbereich), was einen deutlichen Kühleffekt hat. Falls sie dagegen ins heißere Zentrum des Plasmas diffundieren, verlieren sie sämtliche Elektronen und damit die Strahlungsfähigkeit.

Irgendwann gelangen auch die Verunreinigungs-Ionen mit den vom Plasmarand weggeführten Ionen des Brennstoffs Deuterium in die Divertorkammer, wo sie auf der Wand neutralisiert und dann abgepumpt werden. Das Strömungsverhalten läßt sich dabei nicht nur durch Variation der Zufuhr an Neon steuern, sondern auch durch die Menge an nachgefüttertem Deuterium.

Beides kann man über einen Regelkreis kontinuierlich abstimmen. Als Regelgröße haben wir das Verhältnis der vom Neon abgestrahlten Leistung zur externen Heizleistung gewählt. Die Strahlungsintensität wird während der Entladung gemessen und daraus der erforderliche Durchfluß für das Neonventil berechnet. Die Regelung übernimmt ein Computersystem mit einer Zykluszeit von 2,5 Millisekunden, das auch die Deuterium-Zufuhr kontrolliert (Regelgröße ist in diesem Falle die Konzentration an neutralem Deuterium in der Divertorkammer). Bei kombinierter Steuerung der abgestrahlten Leistung und der Divertor-Neutraldichte kann man unter stationären H-Mode-Bedingungen erreichen, daß mehr als 90 Prozent der Heizleistung abgestrahlt werden, ohne daß der Energieeinschluß sich verschlechtert, Verunreinigungen sich anhäufen oder andere negative Effekte auftreten.

Das vorliegende Plasma-Regime mit fast verschwindendem Energiefluß auf die Divertorplatten wurde CDH-Mode getauft (completely detached H-Mode); denn die heißen Plasmaregionen befinden sich "völlig losgelöst" in sicherer Entfernung von den Divertorplatten. Auf diese gelangt, wie thermographische Messungen bestätigten, während der CDH-Phase kein nennenswerter Wärmefluß: Bei unseren Experimenten blieben sie trotz sieben Megawatt Heizleistung kalt – genauso wie die Wände der Hauptplasmakammer, die wegen ihrer großen Fläche von der absorbierten Strahlung kaum erwärmt werden.

Die Analyse räumlicher Emissionsprofile zeigt, daß ein großer Teil der Strahlung tatsächlich aus dem äußeren Bereich des Zentralplasmas stammt. Dies ist wichtig, weil das Hauptplasma, um auf der nötigen hohen Temperatur zu bleiben, thermische Energie allein durch (wenig effiziente) Wärmeleitung verlieren darf; lediglich die relativ geringe Wärmemenge, die auf diese Weise zum Plasmarand gelangt ist, soll dann von den zur Divertorplatte wandernden Teilchen abgestrahlt werden.

Obwohl unsere Ergebnisse sehr günstig sind, muß allerdings noch geklärt werden, ob sie sich direkt auf einen echten Reaktor übertragen lassen. Dazu gehören Experimente mit höherer Heiz- und Strahlungsleistung und Untersuchungen über das Zusammenspiel mit verbesserten Divertor-Konzepten. Beides wollen wir in den nächsten Jahren an ASDEX Upgrade durchführen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1995, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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