Astronomie: Galaxien im Ausnahmezustand
Sie sind grundverschieden und treten doch häufig gemeinsam auf: einerseits massereiche Schwarze Löcher im Herzen aktiver Galaxien, andererseits hell leuchtende Gebiete mit besonders hoher Geburtenrate von Sternen. Dies ist offenbar kein Zufall. Astronomen erkunden, was beide Phänomene verbindet.
Fast jede große Galaxie birgt in ihrem Kern ein massereiches Schwarzes Loch. Diese zentralen Schwerkraftmonster sind gewissermaßen die effektivsten Müllschlucker des Universums. Alle materiellen Gegenstände, die dem Höllenschlund zu nahe kommen, werden durch die enormen Gezeitenkräfte zerrissen und verschwinden darin auf Nimmerwiedersehen. Selbst Licht vermag der Falle nicht zu entrinnen. Deshalb kann keinerlei Information von dem sonderbaren Himmelskörper nach außen gelangen. Es ist, als wiese unser All an diesem Punkt eine Fehlstelle auf, die sich nur durch ihre Gravitation bemerkbar machte und durch sonst nichts.
Das Schwarze Loch verrät sich nur indirekt. Wenn es Materie aufsaugt, strömt diese nicht geradlinig hinein, sondert nähert sich ihm in immer enger werdenden Spiralbahnen. Dadurch bildet sich eine so genannte Akkretionsscheibe um das Loch aus, in der die Materie herumgewirbelt wird. Reibung innerhalb dieses Mahlstroms erhitzt die Scheibe auf mehrere Millionen Grad, sodass sie intensive Wärmestrahlung aussendet. Unter dem Einfluss eines Magnetfelds kann ein kleiner Teil der Materie dem alles aufsaugenden Gravitationsstrudel entgehen und bildet stattdessen ein Paar fast lichtschneller Teilchenstrahlen, die beiderseits der Scheibe aus ihr herausschießen. All dies ist ein Kennzeichen besonderer Aktivität im Zentrum einer Galaxie, weshalb die Astronomen derartige Objekte als aktive Galaxienkerne bezeichnen.
Schwarze Löcher als Geburtshelfer für Sterne?
Auch wenn Schwarze Löcher die Masse von Abermillionen Sternen in sich vereinen können, so umfassen sie doch üblicherweise nicht mehr als ein Prozent der Gesamtmasse ihrer umgebenden Galaxie. Ihr zerstörerischer Einfluss ist deshalb nur auf ihre unmittelbare Umgebung beschränkt. Von ihrer enormen Schwerkraft ist in den meisten Regionen des Sternsystems kaum etwas zu spüren. Darum hielten es die Astronomen lange Zeit für ausgeschlossen, dass die zentralen Schwarzen Löcher die Vorgänge im Außenbereich der Galaxie beeinflussen könnten, wie etwa die Bildung neuer Sterne.
Doch in den letzten zehn Jahren mussten die Wissenschaftler erstaunt feststellen, dass die zentrale Aktivität einer Galaxie häufig mit einer stark erhöhten Sternbildung, einem so genannten Starburst, weiter außen einhergeht. Diese Koinzidenz von aktiven Kernen und übersteigerter Sternentstehung ist heute ein bewegtes Forschungsfeld. Faszinierende Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops zeigen die verschiedenen Vorgänge im Detail. Beobachtungen des Röntgensatelliten Chandra offenbaren, was für das Hubble-Teleskop nicht sichtbar ist. Und die Forscher wollen nicht nur die Vorgänge in den untersuchten Galaxien verstehen, sondern einige der größten Rätsel der modernen Astrophysik lösen: Wie verlief im jungen Universum die erste Phase der Sternbildung? Spielten dabei extrem massereiche Schwarze Löcher eine Rolle? Wann und wie schnell bildeten sich diese Schwerkraftmonster?
Die punktförmig erscheinenden aktiven Galaxienkerne und die über weite Regionen ausgedehnten Starbursts gehören zu den spektakulärsten Phänomenen im Universum. Zu den hellsten aktiven Kernen zählen die Quasare; sie können die milliarden- bis billionenfache Leuchtkraft der Sonne haben und somit auf astronomischen Aufnahmen das Sternlicht ihrer Galaxien völlig überstrahlen. Als Energiequelle der Quasare und anderer Typen von aktiven Galaxienkernen vermuten die Forscher Schwarze Löcher mit dem Millionen- bis Milliardenfachen der Sonnenmasse. Die gewaltige Strahlungsleistung dieser Objekte entsteht im inneren Bereich der Akkretionsscheibe, der kleiner ist als unser Sonnensystem. Neben energiereicher Gamma- und Röntgenstrahlung setzen die aktiven Galaxienkerne auch alle Formen langwelligerer elektromagnetischer Strahlung frei: ultraviolettes, sichtbares und infrarotes Licht sowie Radiostrahlung.
Auch die Starburst-Galaxien können eine enorme Leuchtkraft aufweisen. In ihnen entstehen jährlich bis zu tausend neue Sterne, während normale Galaxien wie unser Milchstraßensystem im Mittel nur einen neuen Stern pro Jahr hervorbringen. Manchmal ist der Starburst auf eine nur wenige hundert Lichtjahre große Region – meist nahe dem Zentrum der Galaxie – beschränkt; in anderen Fällen erstreckt er sich über Zehntausende von Lichtjahren. Häufig finden sich solche verstärkten Sternentstehungsprozesse in Paaren oder Gruppen von Galaxien, die sich mit ihrer Schwerkraft wechselseitig beeinflussen, miteinander verschmelzen oder einem solchen Vorgang kürzlich ausgesetzt waren. Die dabei wirkenden Gezeitenkräfte durchmischen das interstellare Gas und führen einen Teil davon den Galaxienzentren zu. Die Störung des Gasgefüges begünstigt in einigen Regionen den gravitativen Kollaps von Gaswolken und leitet so die Bildung neuer Sterne ein. Dieser Prozess dauert rund 10 Millionen Jahre, dann ist der Vorrat an instabilem Gas aufgebraucht.
Ein fundamentaler Zusammenhang?
Auch Starburst-Galaxien leuchten in einem weiten Bereich des elektromagnetischen Spektrums. Einerseits erstrahlen massereiche junge Sterne im ultravioletten und sichtbaren Licht. Andererseits haben Starbursts eine besonders hohe Infrarotleuchtkraft, hervorgerufen durch den in den Gaswolken vorhandenen Staub, der das Sternlicht zum Teil absorbiert und die Energie als infrarote Wärmestrahlung wieder abgibt.
Zudem emittieren die Sternentstehungsregionen auch intensive Röntgenstrahlung, deren Quelle vorwiegend die Explosionswolken von Supernovae sind. Die massereichsten Sterne haben nämlich eine so geringe Lebensdauer, dass sie bereits ausgebrannt sind und explodieren, während in der Umgebung die Sternentstehung noch nicht abgeschlossen ist. Auch die kompakten Überreste der Explosionen – Neutronensterne und stellare Schwarze Löcher – emittieren Röntgenstrahlung, wenn sie zum Beispiel Gas von einem Begleitstern absaugen.
Der Gedanke, es könnte irgendwie eine Verbindung zwischen Starbursts und aktiven Galaxienkernen geben, hat sich allmählich entwickelt. Er wurde das erste Mal vor 15 Jahren geäußert, als man noch über die Energiequelle der aktiven Kerne rätselte. Damals vermutete ein Forscherteam, dem Roberto Terlevich von der Universität Cambridge und Jorge Melnick von der Europäischen Südsternwarte angehörten, bei den aktiven Galaxienkernen könnte es sich um kompakte Starburst-Regionen handeln. Diese Idee war durchaus mit den damaligen Beobachtungsdaten verträglich.
Erst Ende der 1980er Jahre war das Auflösungsvermögen der Teleskope für die verschiedenen Spektralbereiche gut genug, um feststellen zu können, wie kompakt aktive Galaxienkerne tatsächlich sind. Zudem zeigte sich, dass einige dieser Kerne ihre Leuchtkraft binnen weniger Stunden in erheblichem Maße verändern. Der Durchmesser der emittierenden Gebiete kann demnach höchstens einige Lichtstunden betragen. Dies entspricht der Größe von Planetensystemen, aber nicht den Ausdehnungen von Sternentstehungsregionen, die sich nach Lichtjahren bemessen – ein Hinweis auf ein Schwarzes Loch.
Wenn ein Sternhaufen ein solch kleines Volumen hätte, würden die Sterne so häufig kollidieren, dass durch aufeinander folgende Verschmelzungen ohnehin ein massereiches Schwarzes Loch entstünde, wie es für einen aktiven Galaxienkern typisch ist. Außerdem zeigen einige aktive Kerne – zumeist beobachtet durch hochauflösende Radiointerferometer – so genannte Jets, stark gebündelte Plasmastrahlen, die beidseitig aus dem Kern herausschießen. Solche Jets lassen sich durch Starbursts nicht erklären, wohl aber waren sie für aktive Galaxienkerne bereits vorhergesagt worden (siehe Spektrum der Wissenschaft 1/1991, S. 98).
Zwar stellten sich also aktive Galaxienkerne und Starbursts als unterschiedliche Prozesse heraus, doch gehen sie in vielen konkreten Fällen miteinander einher, sodass eine ursächliche Verbindung anzunehmen ist (siehe Spektrum der Wissenschaft 4/1996, S. 48).
Was die Beobachtungen verraten
Mehrere Beobachtungsbefunde lassen vermuten, dass es sich um ein Prinzip mit fundamentaler Bedeutung für die Entwicklung des Universums handelt:
Zunächst zeigen Aufnahmen naher Galaxien aktive Kerne und Starbursts direkt nebeneinander. Solche Beobachtungen sind recht knifflig, da der Blick auf die Kernregionen durch Gas und Staub behindert wird. Zum Glück durchdringen Röntgenstrahlen diese Schleier, sodass die heutigen Röntgensatelliten bessere Einblicke in die Aktivitätsregionen gewähren als das Hubble-Weltraumteleskop, auch wenn ihr Auflösungsvermögen geringer ist.
Zweitens gibt es statistische Hinweise auf einen Zusammenhang. So hat ein Team unter Leitung von Guinevere Kauffmann vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching und Timothy Heckman von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore eine spektrale Durchmusterung von 23000 aktiven Galaxienkernen durchgeführt. Dabei werteten sie das Auftreten einer Emissionslinie hoch ionisierten Sauerstoffs als Indikator für einen aktiven Galaxienkern und das Vorhandensein einer starken Wasserstoffabsorptionslinie als Hinweis auf einen Starburst. Die Forscher konnten eine starke Korrelation beider Phänomene feststellen.
Zudem weisen nicht nur aktive Galaxien extrem massereiche Schwarze Löcher in ihren Zentren auf – auch in inaktiven Sternsystemen sind diese Schwerkraftmonster vorhanden. Es scheint, als seien riesige Schwarze Löcher überall vorhanden. Allerdings schlummern sie sozusagen die meiste Zeit unauffällig vor sich hin. Sie leuchten nur dann für begrenzte Zeit als aktive Kerne auf, wenn ausreichend viel Gas in ihre Nähe kommt und nach und nach in sie einströmt. John Kormendy von der Universität von Texas in Austin, Douglas O. Richstone von der Universität von Michigan in Ann Arbor und andere konnten einen statistischen Zusammenhang zwischen der Masse des Schwarzen Lochs und der Gesamtmasse der Sterne im Zentralbereich einer Galaxie nachweisen: Demnach umfasst das Loch etwa ein Tausendstel der Sternenmasse. Dieser Zusammenhang besteht auch für die meisten – aber nicht alle – aktiven Galaxienkerne. Es muss also ein Mechanismus gewirkt haben, der die Masse des Schwarzen Lochs in eine feste Beziehung zum Ausmaß der Sternentstehung im Zentralbereich gesetzt hat. Doch es gibt noch offene Fragen, und bisher ist dieser Mechanismus nicht richtig verstanden.
Ein Zusammenhang zwischen Kernaktivität und Starbursts besteht womöglich auch für das nur 24000 Lichtjahre entfernte Zentrum unseres Milchstraßensystems. Die rasche Bewegung von Sternen und Gas um seinen Mittelpunkt lässt auf ein kompaktes Objekt von etwa 2,5 Millionen Sonnenmassen schließen (siehe Spektrum der Wissenschaft 4/2003, S. 26). Die Radio- und Röntgenstrahlung von dort zeigt an, dass es sich um ein extrem massereiches Schwarzes Loch handelt – ohne große Aktivität zurzeit, denn es saugt nur sporadisch Materie ein. Einige Forscher sprechen von einem Kern mit Mini-Aktivität, die nur ein Zehnmillionstel der Strahlungsleistung eines Quasars erreicht. Obwohl sich in der Zentralregion der Galaxis heute kein Starburst ereignet, deuten einige junge Sternhaufen dort darauf hin, dass vor einigen Millionen Jahren die Sternbildungsrate deutlich erhöht war.
Des Weiteren zeigen Beobachtungen von Galaxien in Entfernungen von über 10 Milliarden Lichtjahren, dass es im jungen Universum einen noch engeren Zusammenhang zwischen aktiven Kernen und Starbursts gab. Damals waren zwei Typen von Galaxien viel häufiger als heute: die so genannten ultraleuchtkräftigen Infrarotgalaxien sowie Radiogalaxien. Bei beiden Typen handelt es sich um Sternsysteme in einem sehr frühen Entwicklungsstadium oder um Verschmelzungspaare. Ihre Zentralgebiete enthalten Milliarden Sonnenmassen an kaltem, dichtem Gas. Und sie bergen sowohl aktive Kerne als auch Starburst-Regionen.
Starburst oder aktiver Kern ...
Ferner sind die Wirtsgalaxien von Quasaren – die ebenfalls sehr weit entfernt sind – durch Wechselwirkung mit Nachbarsystemen gestört; und ihre spektralen Eigenschaften weisen auf eine hohe Sternentstehungsrate hin.
Und schließlich weisen Untersuchungen der aus allen Richtungen bei uns eintreffenden Röntgenhintergrundstrahlung auf eine Population von aktiven Galaxienkernen hin, die für optische Teleskope im Verborgenen liegen. Offenbar findet in diesen Objekten zeitgleich ein Starburst statt, der die aktiven Kerne mit Staubschwaden einhüllt (siehe Spektrum der Wissenschaft 5/2002, S. 22).
Grundsätzlich kommen vier Möglichkeiten für den Zusammenhang zwischen Kernaktivität und Starbursts infrage:
- Beide Phänomene sind Ausdruck desselben Prozesses,
– ein dritter Vorgang ruft beide Phänomene hervor,
– der aktive Kern löst den Starburst aus,
– der Starburst ist für die Kernaktivität verantwortlich.
Die erste Möglichkeit gibt in eingeschränkter Form den alten Gedanken wieder, die Kernaktivität sei ein kompakter Starburst. Dies ist zwar als generelle Erklärung fehlgeschlagen. Doch Galaxienkerne, die nur schwach aktiv sind, könnten ihre Energie durchaus aus heftigen Sternentstehungsprozessen beziehen. Immerhin ist denkbar, dass eine Starburst-Region sehr kompakt ist und deshalb im Teleskop aussieht wie die Umgebung eines Schwarzen Lochs.
Der zweiten Möglichkeit zufolge wäre der Zusammenhang nur ein scheinbarer. So könnte beispielsweise die Wechselwirkung zweier Galaxien durch Störung des Gasgefüges einerseits einen Starburst auslösen und andererseits das zentrale Schwarze Loch einer der Galaxien füttern. Interessanterweise könnte sich auf diese Weise sogar ein extrem massereiches Schwarzes Loch überhaupt erst bilden. Die Zeit, die dafür benötigt würde, ist mit etwa 10 Millionen Jahren ebenso lang wie die typische Lebensdauer eines Starbursts. Auch die Wechselwirkungs- oder Verschmelzungsdauer zweier Galaxien ist ungefähr von dieser Größenordnung.
Die meisten Forscher konzentrieren ihre Untersuchungen auf die verbleibenden zwei Möglichkeiten, wonach das eine Phänomen das andere ursächlich nach sich zieht. Dass ein Schwarzes Loch die Sternentstehung weiter außen in der Galaxie durch seine Schwerkraftwirkung anregt, scheint ja zunächst wenig plausibel. Doch Françoise Combes von der Pariser Sternwarte, die ein zentrales Schwarzes Loch als gemeinsamen Auslöser für die Kernaktivität und für Starbursts favorisiert, argumentiert, der Schwerkraftschlund würde auf jeden Fall zu einer Konzentration von Gas im Zentralbereich führen und so auch die Sternentstehung zumindest dort begünstigen. Ihre Beweisführung wirkt durchaus überzeugend, denn viele nahe Galaxien mit aktivem Kern zeigen ebenfalls dichte, mit Staub gefüllte Gaskonzentrationen im Zentrum, die von weiter außen stammen könnten. Allerdings weisen diese Schwaden nicht in allen Fällen die theoretisch vorhergesagte Struktur auf.
... das ist wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei
Statt durch von außen ins Zentrum gelangte Materie könnte die Sternbildung auch durch einen Energiestrom aus dem Kern verursacht werden. Sobald der Kern Aktivität entwickelt hat, gehen von ihm Jets und Stoßwellen aus, die das interstellare Gas stören. Längs einer Stoßfront staut sich das Gas, wird instabil und kollabiert. Aufnahmen des Röntgensatelliten Chandra von der nahen Radiogalaxie Centaurus A, die eine extrem hohe Sternentstehungsrate aufweist, legen nahe, dass ihr Kern vor etwa 10 Millionen Jahren einen gewaltigen Aktivitätsausbruch erlebte. Um den Kern erstreckt sich ein Ring mit etwa 25000 Lichtjahren Durchmesser, von dem starke Röntgenstrahlung ausgeht. Der Ring ist überlagert mit bogenförmigen Gebieten voller junger Sterne. Der Ring könnte eine Stoßfront sein, die auf den Ausbruch zurückgeht.
Die Hypothese, die Kernaktivität von Galaxien würde Starbursts nach sich ziehen, lässt sich auch auf die Entwicklung der Galaxien im Allgemeinen ausdehnen. Demnach wären nicht Sterne, sondern Schwarze Löcher die ersten kompakten Objekte im Universum, die Licht in das frühe Universum brachten. Weiterhin postulieren einige Forscher, dass unser Sonnensystem während eines Starbursts entstanden ist. Wenn diesen die Kernaktivität des Milchstraßensystems ausgelöst hat, dann würden wir unsere Existenz einem Schwarzen Loch verdanken.
Die meisten Beobachtungsdaten und die stärksten theoretischen Argumente sprechen allerdings dafür, dass das Ursache-Wirkungs-Verhältnis andersherum besteht, dass also Starbursts die Bildung oder das Wachstum extrem massereicher Schwarzer Löcher nach sich ziehen.
Solch eine Ereignisfolge ergibt sich recht zwanglos aus der Entwicklung von Sternhaufen. Denn ein Starburst hinterlässt besonders kompakte Sternhaufen, in denen es häufig zu Kollisionen kommt (siehe Spektrum der Wissenschaft 1/2003, S. 28). Die massereichsten Sterne entwickeln sich schnell zu Neutronensternen und Schwarzen Löchern. Und alle diese Objekte verschmelzen miteinander. Über die Jahrmillionen hinweg kann sich so ein Schwarzes Loch ungeheurer Masse bilden.
Auch aus sonnenähnlichen Sternen kann letztlich ein massereiches Schwarzes Loch hervorgehen, auch wenn sie selbst nach Beendigung ihrer nuklearen Energieerzeugung nicht als Neutronensterne oder Schwarze Löcher enden. Befinden sie sich nämlich in einem dichten Sternhaufen, so können sich durch aufeinander folgende Kollisionen Megasterne mit dem Mehrhundert- bis Tausendfachen der Sonnenmasse bilden. Diese enden wiederum als Schwarze Löcher. Der gesamte Vorgang würde etwa 100 Millionen Jahre dauern. Das ist deutlich geringer als die Lebensdauer von Galaxien und kurz genug, um das Vorhandensein der frühesten Quasare erklären zu können.
Unabhängig davon, wie sie entstanden sind, würden solche massereichen Schwarzen Löcher allmählich in das Zentrum ihrer Galaxie wandern, um dort nach und nach miteinander zu einem Super-Loch zu verschmelzen. Diese Vorstellung wird unterstützt durch Beobachtungen der Galaxie NGC6240, in der zwei Schwarze Löcher einander eng umkreisen und in nicht sehr ferner Zukunft verschmelzen werden.
Ein Schwarzes Loch kann ebenfalls wachsen, indem es kontinuierlich Gas und einzelne Sterne aus seiner Umgebung verschluckt. Selbst fernere Sternhaufen können zum Wachstum des Lochs beitragen. Denn durch Reibungsprozesse, die auf der dynamischen und gravitativen Wechselwirkung mit der gesamten Galaxie beruhen, verlieren diese Haufen kinetische Energie und Drehmoment. So driften sie allmählich nach innen und die Gezeitenkräfte ziehen sie immer weiter auseinander. Im Laufe von Jahrmilliarden kann auf diese Weise eine Materiemenge von einigen 10 Millionen Sonnenmassen in das zentrale Loch stürzen. Störungen der galaktischen Scheibe, die eine Wechselwirkung oder gar eine Verschmelzung mit einer anderen Galaxie hervorruft, können sogar noch effektiver Materie in das Zentrum spülen.
Das allmähliche Wachstum der extrem massereichen Schwarzen Löcher aus Sternhaufen impliziert eine neue Klasse Schwarzer Löcher als Zwischenschritt. Ihre Masse könnte zwischen einer und der milliardenfachen Masse eines Sterns betragen. In den letzten zehn Jahren haben sich Hinweise auf diesen Zwischentyp gehäuft und zwar in Form so genannter ultraleuchtkräftiger Röntgenquellen in nahen Galaxien. Sie haben die zehn- bis mehrhundertfache Strahlungsleistung von Neutronensternen oder stellaren Schwarzen Löchern. Es könnte sich bei diesen Objekten aber auch um Neutronensterne handeln, bei denen die Strahlung vorzugsweise in eine Richtung austritt, die zufällig auf den Beobachter weist. In jüngster Zeit mehren sich hingegen die Indizien, dass es doch Schwarze Löcher mit bis zu einigen hundert Sonnenmassen sind.
Kandidaten für Mittelschwergewicht
Im vergangenen Jahr fanden zwei Forschergruppen – die eine um Roeland P. van der Marel vom Space Telescope Science Institute in Baltimore (Massachusetts), die andere um Michael Rich von der Universität von Kalifornien in Los Angeles – Hinweise auf Schwarze Löcher mittlerer Masse in den Zentren von zwei Kugelsternhaufen, M15 und M31-G1. Deren Sterne bewegen sich so schnell um das jeweilige Zentrum, dass nur kompakte Körper von 2000 beziehungsweise 20000 Sonnenmassen sie auf ihren Bahnen halten können. Es muss sich bei den kompakten Körpern nicht unbedingt um Schwarze Löcher der genannten Massen handeln, es könnten auch Ansammlungen von Neutronensternen und kleineren Schwarzen Löchern sein. Doch über kurz oder lang sollten sich daraus Schwarze Löcher mittlerer Masse entwickeln.
Tod E. Strohmayer and Richard F. Mushotzky vom Goddard-Raumflugzentrum der Nasa fanden kürzlich heraus, dass eine der ultraleuchtkräftigen Quellen nahe dem Zentrum der Starburst-Galaxie M82 ihre Helligkeit innerhalb von etwa 18 Sekunden ändern kann. Diese Fluktuationen sind einerseits zu langsam und zu unregelmäßig, um von der Oberfläche eines Neutronensterns zu stammen; andererseits ist die Strahlung zu stark, um von Materie erzeugt zu werden, die einen Neutronenstern umkreist. Wenn die Quelle der Strahlung Gas in der Nähe eines Schwarzen Lochs ist, dann müsste dieses einige tausend Sonnenmassen in sich vereinen. Jon Miller vom Harvard-Smithsonian-Zentrum für Astrophysik und seine Koautoren entdeckten in der Spiralgalaxie NGC1313 zwei ultraleuchtkräftige Röntgenquellen, die kühler als stellare Schwarze Löcher sind. Die Temperatur in der Umgebung Schwarzer Löcher sollte aus theoretischen Gründen abnehmen, wenn die Masse des Lochs zunimmt, sodass es sich bei den Quellen um Löcher mittlerer Masse handeln müsste.
Diese Kandidaten für Schwarze Löcher des neuen Typs liegen nicht in den Kernen ihrer Galaxien. Deshalb ist nicht eindeutig klar, welche Bedeutung sie für den Zusammenhang zwischen Starbursts und Kernaktivität haben. Anders ist dies für meine eigenen Beobachtungsergebnisse zur Starburst-Galaxie NGC253. Noch vor 1995 dachten die Astrophysiker, die starke Röntgenstrahlung dieses Sternsystems würde vom heißen Gas des Starbursts stammen. Doch dann entdeckte ich damals im Röntgenspektrum der Galaxie Strahlung, wie sie für Schwarze Löcher typisch ist. Danach mussten meine Kollegen und ich noch bis zum Jahr 2001 warten, bis wir mit dem Röntgensatelliten Chandra eine Direktaufnahme gewinnen konnten.
Wir entdeckten fünf ultraleuchtkräftige Röntgenquellen innerhalb von 3000 Lichtjahren Abstand zum Zentrum von NGC253. Eine von ihnen, die direkt im Zentrum liegt, ist etwa hundertfach heller als ein Neutronenstern oder ein stellares Schwarzes Loch, was auf eine Größe von etwa hundert Sonnenmassen schließen lässt. Es könnte sich um ein Objekt handeln, das sich gerade zu einem typischen aktiven Galaxienkern entwickelt.
Die Ereignisse könnten folgendermaßen ablaufen: Nahe dem Zentrum der Galaxie ereignet sich ein Starburst. Die daraus hervorgegangenen massereichen Sterne kollabieren und verschmelzen zu Schwarzen Löchern mittlerer Masse, die sich danach allmählich zum Kern der Galaxie bewegen, um sich dort zu einem extrem massereichen Loch zu vereinen. Während der Starburst abklingt, beginnt der Kern aktiv zu werden.
Zwei Extreme kosmischer Entwicklung
Solche Untersuchungen zur Entwicklung von Kernaktivität aus einem Starburst können auch die Entstehung der leuchtkräftigsten Kerne, der Quasare, erhellen. So fragen sich die Forscher, warum es Quasare viel häufiger im jungen Universum gibt. Womöglich haben sich in der frühen Entwicklungsphase der Galaxien Starbursts weitaus zahlreicher ereignet als heute.
Doch vielleicht sind die Zusammenhänge auch komplizierter als ein einfacher Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Starbursts und Kernaktivität könnten sich in einer Galaxie auch zyklisch abwechseln und teilweise überlagern. Die wahren Kausalitätsbeziehungen werden sich wohl erst mit neuen Generationen von Teleskopen und Satelliten ermitteln lassen.
Noch in diesem Jahr will die Nasa den Infrarotsatelliten SIRTF (Space Infrared Telescope Facility) starten, der den Zusammenhang zwischen Starbursts und Kernaktivität in den allerjüngsten Galaxien untersuchen kann. Dann können die Astronomen visuelle und infrarote Direktaufnahmen und Spektren des jungen Universums mit Röntgenmessungen vergleichen. Ebenso wichtig ist es aber, auch weiterhin nahe Galaxien wie etwa NGC253 genauestens zu beobachten.
Der Zusammenhang zwischen Starbursts und Kernaktivität verknüpft zwei Extreme der kosmischen Entwicklung. Während Starbursts die Geburt von Himmelskörpern darstellen, repräsentieren aktive Kerne ihr Ende – denn nichts kann den Sturz in ein Schwarzes Loch rückgängig machen. Zwischen diesen beiden Extremen finden all jene Entwicklungsschritte statt, die eine Galaxie – und damit auch unser Milchstraßensystem – durchläuft.
Literaturhinweise
Schöpfung ohne Ende. Sterne und Weltraum Special Nr. 2, 2. Auflage, Heidelberg 2002.
Das junge Universum. Sterne und Weltraum Special 1/03, Heidelberg 2003.
In Kürze
- Galaxien weisen zwei Arten von Aktivität auf, deren Energiefreisetzung alle anderen Phänomene im Universum in den Schatten stellt: Aktive Galaxienkerne sind sehr kompakte Strahlungsgebiete, bei denen vermutlich Materie in ein extrem massereiches Schwarzes Loch fällt. Starbursts sind Zonen, in denen pro Zeiteinheit rund tausendmal mehr Sterne entstehen als normalerweise.
- Beide Phänomene seien unabhängig voneinander, glaubte man lange, zumal sie sich oft in weit entfernten Gegenden einer Galaxie abspielen. Doch nach und nach häuften sich die Indizien für einen Zusammenhang.
- Verursachen Starbursts aktive Kerne, oder ist der kausale Zusammenhang umgekehrt? Oder gibt es einen dritten Prozess, der die beiden anderen nach sich zieht? Diese Fragen haben große Bedeutung für unser Verständnis der Galaxienentwicklung.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2003, Seite 35
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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