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Galaxien im frühen Universum

Mit dem Hubble-Weltraumteleskop lassen sich seit kurzem Sternsysteme beobachten, deren Licht Milliarden Jahre lang zur Erde unterwegs war. Ein besonders tiefer Blick ins All ermöglichte schon erste Erkenntnisse über dessen Frühphase und die Ballungen von Materie, aus denen auch unsere Galaxie entstanden ist.

Durch immer bessere Beobachtungsinstrumente hat sich unser astronomisches Weltbild in diesem Jahrhundert radikal gewandelt. In den zwanziger Jahren wies der amerikanische Forscher Edwin Powell Hubble (1889 bis 1953) erstmals nach, daß die sogenannten Spiralnebel gar nicht zum Milchstraßensystem gehören, sondern eigenständige Galaxien sind, und entdeckte deren allgemeine Fluchtbewegung; damit legte er den Grundstein für die Entwicklung des heutigen Standardmodells eines expandierenden Universums, das mit einem Urknall begann (Spektrum der Wissenschaft, September 1993, Seite 78).

Demnach war das All anfangs von extrem heißem, dichtem und fast gleichförmig verteiltem Gas erfüllt. Hingegen ist es inzwischen vergleichsweise leer: Die Materie konzentriert sich in vereinzelten Galaxien, die zumeist viele Millionen Lichtjahre voneinander entfernt sind. Wie dieser Übergang geschah und warum die Sternsysteme ihre vielfältigen Formen angenommen haben, ist nach wie vor eine zentrale Frage der modernen Kosmologie.

Wegen der endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts blicken die Astronomen um so tiefer in die Vergangenheit, je weiter ihre Fernrohre reichen (selbst das Sonnenlicht ist schon acht Minuten alt, wenn es die Erde erreicht – das heißt, wir sehen den jeweiligen Zustand unseres Zentralgestirns mit eben dieser Verspätung). Bis vor etwa zehn Jahren ließen sich zwar nur relativ nahe Galaxien detailliert untersuchen, die schon gut zehn Milliarden Jahre kosmischer Evolution hinter sich haben; aber seit kurzem vermag man Himmelsobjekte zu beobachten, deren Strahlung aus einer Zeit stammt, als das Universum erst ein Fünftel seines heutigen Alters hatte: Neuartige Instrumente bieten die Chance, urtümliche Galaxien in quasi halbfertigem Zustand aufzuspüren und durch Vergleich mit näheren, reiferen die Entwicklung bis in unsere Gegenwart zu rekonstruieren.

Das Vorhaben ist nicht einfach. Frühe Sternsysteme nehmen sich wegen ihrer enormen Entfernung selbst in den mächtigsten Teleskopen winzig und lichtschwach aus. Eine Galaxie von der Größe des Milchstraßensystems hat in einer Distanz, die dem halben Weltalter entspricht, eine Winkelausdehnung von nur wenigen Bogensekunden (1 Bogensekunde=1/3600 Grad).

Mit den stärksten irdischen Instrumenten wären wegen der hinderlichen Atmosphäre selbst große Strukturen wie Spiralarme praktisch nicht aufzulösen; man könnte das Objekt bestenfalls von einem schwach leuchtenden Stern unserer Galaxis unterscheiden. Doch das nach Hubble benannte Satelliten-Observatorium, das seit 1994 voll funktionsfähig ist und erst kürzlich von einer bemannten Raumfähre aus erneut gewartet und aufgerüstet wurde, liefert etwa zehnfach schärfere Bilder aus den Weiten des Alls (siehe auch Spektrum der Wissenschaft, August 1992, Seite 52).


Das Tiefblick-Projekt

Eines von zahlreichen Programmen zur Untersuchung früher Galaxien hat weltweit besonderes Interesse ausgelöst: die optische Ergründung des sogenannten Hubble Deep Field (HDF), die den bisher tiefsten Blick in das Universum gewähren sollte (wobei "tief" sowohl auf große Entfernung als auch auf geringe Leuchtstärke anspielt).

Im Dezember 1995 richtete man das Hubble-Fernrohr auf eine unscheinbare Himmelsregion beim Großen Wagen. Die Stelle hatten die Wissenschaftler gerade deshalb ausgewählt, weil innerhalb des Bildformats der Wide Field Camera 2 – sie erfaßt einen Winkeldurchmesser von einem Zwölftel des Vollmonds – auf konventionell gewonnenen Photos so gut wie nichts zu sehen war, jedenfalls kein Himmelskörper, dessen Strahlung den empfindlichen Detektor-Chip hätte überbelichten können (Bild 1). Das Gerät machte mehrere hundert Aufnahmen durch vier verschiedene Filter, die etwas mehr als das sichtbare Spektrum – vom nahen Infrarot bis zum nahen Ultraviolett – selektiv erfassen.

Die HDF-Bilder enthüllen rund 3000 Galaxien von verwirrender Form- und Farbenvielfalt; die meisten sind milliardenfach lichtschwächer als Objekte, die man mit bloßem Auge eben noch wahrzunehmen vermag. Das Problem ist nun, solch flächige Abbilder des vierdimensionalen Universums richtig zu interpretieren; denn alle Objekte im Ausschnitt – ob fern oder nah, jung oder alt – erscheinen als Projektionen auf ein und derselben Himmelskugel. In diesem Sammelsurium möchte man nicht nur urtümliche Galaxien identifizieren, sondern ihre Eigenschaften auch mit denen näherliegender, also solchen relativ hohen Alters vergleichen, um mehr über die Entwicklungsstadien der Sternsysteme herauszufinden.

Aus Winkeldurchmesser und scheinbarer Helligkeit allein läßt sich kaum abschätzen, wie weit entfernt eine Galaxie tatsächlich ist. Lichtschwache Objekte in unserer kosmischen Nachbarschaft können fernen Galaxien, die an sich groß und hell sind, täuschend ähneln. Doch haben die Astronomen Methoden entwickelt, auch große Distanzen zu bestimmen.

Da das Weltall überall gleichermaßen expandiert, wächst mit dem Abstand einer Galaxie von uns ihre Fluchtgeschwindigkeit, und diese wiederum macht sich durch eine proportionale Verschiebung des Spektrums zu längeren Wellenlängen – das heißt, im sichtbaren Bereich zu Rot – bemerkbar (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1993, Seite 46). Die Rotverschiebung, von den Kosmologen mit z bezeichnet, ist demnach ein Maß für die Entfernung und damit auch für das Alter – besser gesagt die Jugendlichkeit – eines Himmelsobjekts: Großen Werten von z entsprechen frühe Epochen, in denen das Universum kleiner und dichter war. (Dabei gilt, daß seit einer kosmischen Epoche mit der Rotverschiebung z das Universum bis heute um den Faktor 1+z expandierte.)

Hat man die Rotverschiebung einer Galaxie festgestellt, so kennt man ihre Entfernung und also auch die Epoche, in der sie das jetzt beobachtete Licht ausgesandt hat – allerdings mit einer gewissen Unsicherheit. Wohl ist für z-Werte bis etwa 0,3 die kosmologische Entfernung proportional zur Rotverschiebung. In die Relation geht lediglich die heutige Expansionsrate des Universums ein, die immerhin auf etwa 20 Prozent genau bekannt ist. Eine Galaxie mit z=0,1 ist demnach etwa 1,5 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt und präsentiert uns ein Bild, das genau so viele Jahre in der Vergangenheit liegt. Für z-Werte oberhalb 0,3 ist der Zusammenhang jedoch komplizierter, denn die Expansionsrate hat sich aufgrund der gegenseitigen Massenanziehung der Galaxien im Laufe der kosmischen Entwicklung verringert.

Wie stark diese Abbremsung war, ist nicht genau bekannt; die Kosmologen wissen nämlich nur äußerst grob, wieviel Materie das Weltall überhaupt enthält. Schließlich besteht auch noch Unsicherheit bezüglich der zuerst von Albert Einstein (1879 bis 1955; Nobelpreis 1921) postulierten und wieder verworfenen – aber heute erneut heftig diskutierten – kosmologischen Konstanten: Hat der Raum selbst eine von der Materie unabhängige Energiedichte, die das Expansionsverhalten beeinflußt?

Darum läßt sich auch viel schwieriger feststellen, wieviel Zeit vom Urknall bis zur Epoche einer beobachteten fernen Galaxie vergangen ist als von damals bis heute. Zumindest vermag man das relative Alter einer Epoche einigermaßen genau anzugeben: Bei einer Rotverschiebung von 1 ist etwa die Hälfte, bei z=3 gar nur zwischen einem Achtel und einem Viertel des jetzigen Weltalters verstrichen. Unter Vernachlässigung der kosmologischen Konstanten und mit plausiblen Annahmen über die durchschnittliche Materiedichte nehmen die Astrophysiker heute ein Weltalter zwischen 13 und 17 Milliarden Jahren an.

Mit umfangreichen Messungen vom Erdboden aus hat man für Tausende von lichtschwachen Galaxien Rotverschiebungen bis zu etwa z=1 bestimmt; dort liegt derzeit die technische Grenze solcher Untersuchungen. Durch statistische Auswertung der HDF-Aufnahmen lassen sich die fernen Welteninseln nun von ihrer Struktur her klassifizieren und mit nahen Galaxien vergleichen. Demnach haben viele offenbar eine recht ruhige Vergangenheit hinter sich, denn insbesondere die elliptischen Sternsysteme auf den Hubble-Bildern gleichen bis zu Rotverschiebungen von mindestens 1 denen unserer näheren Umgebung (Bild 5). Weil auch die einstige Häufigkeit von Galaxien der heutigen ähnelt, scheinen viele sich über Milliarden Jahre kaum verändert zu haben.


Rätselhafte blaue Galaxien

Eine große Klasse anderer Sternsysteme muß sich freilich den HDF-Bildern zufolge dramatisch gewandelt haben. Wenn man die Galaxien auszählt, findet man an den Grenzen heutiger Beobachtungsmöglichkeiten mindestens zehnmal so viele lichtschwache wie in unserem entsprechend älteren kosmischen Umfeld: Im frühen Universum wimmelte es nur so von überdurchschnittlich blauen Galaxien mit auffallend starken Emissionslinien. Daraus läßt sich schließen, daß sie viel schneller Sterne bildeten als heutige Galaxien, denn nur eine umfangreiche Population sehr heißer Sonnen vermag das Gas innerhalb des Systems so stark zum Leuchten anzuregen. Solch heiße Sterne existieren nur für die relativ kurze Dauer von einigen Millionen Jahren, müssen also damals unablässig neu gebildet worden sein.

Dafür spricht auch die irreguläre Form dieser Systeme, die oft als ineinander verschlungene Doppelobjekte erscheinen. Von uns näherliegenden irregulären und einander beeinflussenden Galaxien weiß man, daß Kollisionen oder Beinahezusammenstöße die Sternentstehungsrate erhöhen. Offenbar waren solche Wechselwirkungen früher viel häufiger – kein Wunder, denn aufgrund der damals weniger weit fortgeschrittenen Expansion des Weltalls mußten die Galaxien sich bei z=1 ein achtfach kleineres Universum teilen.

Dies erklärt aber noch nicht die zehnfache Häufigkeit der schwachen blauen Galaxien vor einigen Milliarden Jahren. Was ist aus ihnen geworden? Zum einen dürften manche durch Wechselwirkungen verschmolzen sein, so daß ihre Anzahl fortwährend reduziert worden ist. Aber dieser Effekt allein reicht wahrscheinlich nicht zur Erklärung des heutigen Mangels aus. Zum anderen könnten einige ihren gesamten Gasvorrat zur Bildung neuer Sterne aufgebraucht haben und so lichtschwach geworden sein, daß man sie bisher selbst im lokalen Universum übersehen hat. Gerade beginnen die Astronomen nach solchen Sternsystemen geringer Flächenhelligkeit zu suchen (Spektrum der Wissenschaft, April 1997, Seite 62).

Insgesamt schließt man aus diesen Befunden, daß die durchschnittliche kosmische Sternentstehungsrate vor etlichen Milliarden Jahren drastisch abgenommen hat und in der Zeit unmittelbar davor Sterne sich überwiegend in irregulären Galaxien bildeten.


An der Grenze der Beobachtbarkeit

Bei den meisten Sternsystemen stößt die HDF-Auswertung an ihre Grenze: In der Galaxien-Statistik dominieren in den äußersten erkennbaren Weiten zahlreiche extrem kompakte Objekte, deren Strukturen selbst das Hubble-Teleskop kaum aufzulösen vermag. Sie sind so lichtschwach, daß ihre Rotverschiebung auch mit den stärksten Teleskopen nicht mehr meßbar ist. Darum bleibt vorläufig unbekannt, welchen Epochen die Galaxien zuzuordnen sind, von denen die schwächsten Spuren auf den HDF-Aufnahmen stammen.

Um Galaxien mit z-Werten oberhalb 1 zu finden, sind die Astronomen auf andere Methoden angewiesen. Schon seit zwei Jahrzehnten kennt man sehr ferne Objekte mit extrem hohen Rotverschiebungen, die intensive Strahlung im Radiobereich emittieren; sie geht vermutlich von einem aktiven Galaxienkern oder einem darin versteckten Quasar aus (Spektrum der Wissenschaft, August 1993, Seite 38).

Starke Radioquellen liegen meist in elliptischen Galaxien, die man allgemein für sehr alt hält. Darum wurde zunächst angenommen, mit den auffälligen Objekten seien Vorstufen solcher Sternsysteme entdeckt. Doch bei genauerer Untersuchung zeigen die fernen Radiogalaxien höchst ungewöhnliche Formen und Spektren. Auch auf den Hubble-Bildern tauchen solch bizarre und komplizierte Gebilde auf (Bild 4). Anscheinend vermag eine starke Radioquelle das Aussehen und vielleicht sogar die Entwicklung eines Sternsystems zu verändern. Einige Radiogalaxien könnten durchaus urtümlich sein, doch wegen ihrer abnormen Eigenschaften bleibt einstweilen fraglich, ob sie Vorläufer normaler heutiger Systeme sind.

Aber zum Glück sind Galaxien gesellig: Wo eine ist, sind meist andere nicht weit. Einige Radiogalaxien liegen sogar inmitten gewaltiger Haufen von lichtschwachen gewöhnlichen Galaxien. Wir haben diese unauffälligen Begleiter mit der modernsten verfügbaren Technik – dem Hubble-Teleskop, dem 10-Meter-Keck-Teleskop auf Hawaii und dem Röntgensatelliten ROSAT – untersucht und große Galaxienhaufen um Radioquellen bis zu z=2,3 aufgespürt; das entspricht einer Epoche, in der das Universum erst 30 Prozent seines heutigen Alters hatte.

Ein Haufen um die Radioquelle 3C324 hat trotz einer Rotverschiebung von z=1,2 viel mit galaxienreichen Clustern in unserer Nähe gemein: Er enthält ein viele Millionen Grad heißes Gas, das intensive Röntgenstrahlung aussendet und auf eine hohe Gesamtmasse des Haufens hinweist. Demnach birgt er weit mehr Materie, als das Sternenlicht der Galaxien erwarten ließe. Somit müßte sich schon in frühen Galaxienhaufen ein hoher Prozentsatz sogenannter dunkler Materie, über deren Wesen die Astrophysiker noch rätseln, angesammelt haben – ganz im Gegensatz zu manchen Theorien über die Bildung kosmischer Strukturen.

Außerdem enthält die Ansammlung um 3C324 Galaxien, die mit ihrer rötlichen Farbe und einfachen kugelähnlichen Gestalt den großen elliptischen Sternsystemen in näheren Haufen ähneln. Demzufolge waren die Sterne in diesen fernen Haufengalaxien schon ausgereift, als sie vor Milliarden Jahren das Licht aussandten, das wir heute empfangen. Offensichtlich sind sie noch viel früher entstanden – und das heißt, die Kosmologen müssen bei noch größeren Rotverschiebungen nach Indizien für die Phase der Sternentstehung suchen; zugleich werden sie möglicherweise das Alter des Universums nach oben korrigieren müssen.


Aufschlußreiche Quasar-Spektren

Auf der Suche nach Urgalaxien bedienen sich manche Astronomen der Spuren, die sie im Spektrum von Quasaren hinterlassen; man hat inzwischen Tausende dieser strahlungskräftigsten Objekte des Universums entdeckt und an ihnen enorme Rotverschiebungen von mehr als 4,5 beobachtet. Auf dem langen Weg zur Erde durchquert das Licht eines Quasars Gaswolken, die in seinem Spektrum charakteristische Absorptionslinien erzeugen; zum Beispiel läßt sich anhand der sogenannten Lyman-alpha-Absorptionslinie sehr präzise die Rotverschiebung einer Gaswolke bestimmen (Lyman-alpha bezeichnet den Übergang eines Elektrons im Wasserstoffatom zwischen Grundzustand und erstem angeregten Zustand).

Die meisten Linien sind sehr schwach und stammen vermutlich von dünnen intergalaktischen Gasschwaden. Doch einige sind so ausgeprägt, daß sie die Quasar-Strahlung der betreffenden Wellenlänge völlig auslöschen; daraus schließt man, daß die absorbierenden Gasmassen zu den Scheiben oder den Halos von Galaxien gehören. Da solch starke Absorptionsmerkmale sich ohne weiteres bei Rotverschiebungen von 3 und darüber finden lassen, muß es schon im frühen Universum Galaxien gegeben haben.

Die Urgalaxien bildeten sich aus Wolken der schon kurz nach dem Urknall erzeugten Elemente Wasserstoff und Helium. Modellrechnungen zeigen, daß das Gas zunächst zu massereichen Sternen verklumpte. Während Sterne von der Masse unserer Sonne zehn Milliarden Jahre benötigen, um ihren Wasserstoffvorrat durch Kernfusion zu verbrauchen, beenden die sehr leuchtkräftigen blauen Sterne mit beispielsweise achtfacher Masse diese Phase – unter Erzeugung schwererer Elemente – schon nach etwa 100 Millionen Jahren und explodieren kurz darauf als Supernovae. Daraufhin fegen Stoßfronten durch das interstellare Gas, komprimieren es und fördern so die weitere Sternentstehung.

Diesem Szenario zufolge sollten die Urgalaxien Spektren mit einem hohen Anteil blauen Lichts, Emissionslinien einiger schwererer Elemente sowie besonders starke Linien von Wasserstoff aufweisen. Denn im Vergleich zu unserem Milchstraßensystem haben die frühen Systeme noch viel mehr interstellares Gas enthalten, das von den heißen blauen Sternen zu intensivem Leuchten angeregt wurde.

Beobachtet man nun die Himmelsregion um einen Quasar mit stark rotverschobenen Absorptionslinien durch ein Filter, das nur die vorausberechnete Wellenlänge der rotverschobenen Lyman-alpha-Emission durchläßt, wird das störende Licht des Himmels bei allen anderen Wellenlängen unterdrückt. So sollten sich sogar Galaxien mit Rotverschiebungen oberhalb von 2 finden lassen.

Viele Forscher haben mit dieser Methode nach Urgalaxien Ausschau gehalten, aber bisher nur wenige gefunden – vielleicht, weil kühleres neutrales Gas in ihrer Umgebung die Lyman-alpha-Strahlung gleich wieder absorbiert. Außerdem produziert die erste Sterngeneration in Urgalaxien zugleich mit den schweren Elementen auch Staub, der das Leuchten des Gases sehr wirksam verdunkeln kann (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1996, Seite 56). Doch einen faszinierenden Fund hat man in der Umgebung des fernen Quasars 0000-263 gemacht (die Bezeichnung weist auf die Himmelskoordinaten hin). Bei dem prosaisch G2 genannten Objekt handelt es sich um eine der ersten offenbar nichtaktiven Galaxien mit einer Rotverschiebung von mehr als 3. Nachdem man sie auf der Direktaufnahme lokalisiert hatte, wurde ihr Licht spektrographisch zerlegt und die große Entfernung bestätigt.

Die HDF-Aufnahmen offenbarten noch mehr Sternsysteme mit ähnlich hohen z-Werten; eines steht besonders nahe am Quasar und ist darum wahrscheinlich für die Absorptionslinien verantwortlich. Damit besitzt man zum ersten Mal deutliche Galaxienbilder aus einer Zeit, zu der erst 10 bis 25 Prozent des gegenwärtigen Weltalters verstrichen waren. Das System G2 selbst erscheint kugelähnlich – als wäre dieses Gebilde eine jüngere Verwandte der Objekte im Haufen 3C324 – und ist womöglich ein blau leuchtender Vorläufer heutiger elliptischer Galaxien.

Seit neuestem haben die Forscher große Erfolge mit einer Beobachtungsstrategie, die nicht auf der Lyman-alpha-Wasserstofflinie beruht, sondern auf einem speziellen Farbmerkmal weit entfernter Galaxien. Auch dabei ist – obzwar auf andere Weise – das allgegenwärtige Wasserstoffgas die Ursache: Während es für sichtbares Licht fast völlig durchsichtig ist, absorbiert es Ultraviolett mit Wellenlängen unterhalb von 91 Nanometern (millionstel Millimetern) sehr stark.


Ein kosmischer Baby-Boom

Da sich zwischen den Sternen einer Galaxie und uns immer ausreichend Wasserstoffgas befindet, zeigt ihr Spektrum bei 91 Nanometern eine scharfe Absorptionskante, unterhalb derer die Intensität praktisch verschwindet. Dieser Wert bezieht sich allerdings auf das Ruhsystem der Galaxie. Stammt sie aus einer Epoche mit z=3, so erscheint die Absorptionskante von uns aus betrachtet bei der vierfachen Wellenlänge, das heißt bei 364 Nanometern – im extrem blauen Bereich des sichtbaren Spektrums. Darum sollte eine durch verschiedene Filter betrachtete ferne Galaxie nur mit solchen sichtbar sein, die für Wellenlängen oberhalb von 364 Nanometern durchlässig sind – das heißt im roten oder grünen, nicht aber im extrem blauen oder nahen Ultraviolett-Bereich (Bild 3).

Wie sich nun herausstellt, sind diese sogenannten Ultraviolett-Dropout-Galaxien auf den tiefsten Himmelsaufnahmen sehr häufig: Allein in den vergangenen zwei Jahren hat man Hunderte identifiziert. Ihre blaue Farbe weist auf hohe Sternentstehungsraten hin. Doch nur sehr wenige zeigen eine starke Lyman-alpha-Emissionslinie; sie wird offenbar unterwegs absorbiert. Ohne diese Linie ist die Rotverschiebung äußerst schwer zu bestimmen. Dennoch hat man mit dem Keck-Teleskop des Mauna-Kea-Observatoriums auf Hawaii, dessen wabenartiger Reflektor einem 10-Meter-Spiegel entspricht, für mehr als hundert solcher Sternsysteme – rund zwanzig davon liegen im Hubble Deep Field – Spektren gewonnen und z-Werte zwischen 2 und 3,8 gemessen.

Somit steht fest, daß es schon wenige Milliarden Jahre nach dem Urknall zahlreiche leuchtende Galaxien gegeben hat; unklar bleibt freilich, in welcher Beziehung diese urtümlichen Objekte zu heutigen Sternsystemen stehen. Sind sie direkte Vorläufer der elliptischen und der spiralförmigen vom Typ des Milchstraßensystems? Oder kollabierten sie und bildeten dabei die ersten Stern-Generationen? Manches spricht für die zweite Hypothese. Den HDF-Aufnahmen zufolge sind viele dieser jungen Objekte wesentlich kleiner als unsere Galaxis. Oft zeigen sie helle Knoten und tausende Lichtjahre große Verdichtungen, die den Sternentstehungsregionen in näherliegenden Galaxien gleichen. Viele haben zudem nahe Begleiter; das könnte bedeuten, daß sie durch Verschmelzung noch kleinerer Galaxien oder gar subgalaktischer Fragmente gebildet worden sind (Bild 6).

Demnach könnten zunächst rund zehnfach kleinere Materieballungen als unser Milchstraßensystem entstanden und dann im Laufe der Zeit zu den heutigen Galaxien verschmolzen sein. Die mittlere Dichte des Universums war bei z=3,5 rund 90mal so hoch wie jetzt, und entsprechend höher war damals die Wahrscheinlichkeit für Zusammenstöße und Vereinigungen.

Alles in allem ergibt sich eine skizzenhafte Geschichte der Sternentstehung, die einige Milliarden Jahre nach dem Urknall beginnt. Damals bildeten sich die ersten Galaxienfragmente, in denen die Sternentstehungsrate während der ersten 20 bis 30 Prozent des heutigen Weltalters steil anstieg. Dann erreichte sie – vermutlich bei einer Rotverschiebung zwischen 2 und 1 – ihren Höhepunkt; diese Epoche ist noch kaum erforscht. Danach sank sie allmählich auf den heutigen Stand, der etwa bei einem Zehntel des einstigen Maximalwerts stagniert. Gemäß diesem höchst unvollständigen Szenario hat das Universum sich nach einer dramatischen Frühphase in einem vergleichsweise ruhigen Reifezustand eingerichtet (Bild 7).


Neue Forschungsziele

Wie werden die Astronomen dem fernen und frühen Universum künftig noch mehr Geheimnisse entlocken? Eine besonders spektakuläre Chance bieten die Gravitationslinsen: Große Massenballungen – etwa dichte Galaxienhaufen – können das Bild weit dahinter liegender Objekte verzerren, verstärken oder gar vervielfachen, weil sie ihr Licht beugen. Mitunter wird das Strahlungsbündel einer lichtschwachen Galaxie, die hinter einem solchen Haufen liegt, vergrößert und zu einem gigantischen Bogen zerdehnt; dabei treten Details zutage, die sonst selbst die besten Teleskope nicht auflösen könnten (Bild 8).

Durch den fokussierenden Effekt von Gravitationslinsen erscheinen manche fernen Galaxien wiederum viel heller, als wenn man sie direkt beobachten könnte, und lassen sich leichter spektroskopisch untersuchen. Auf einigen Hubble-Aufnahmen hat man riesige Bögen als verzerrte Bilder lichtschwacher Galaxien identifiziert, deren Rotverschiebung an die von Ultraviolett-Dropout-Galaxien heranreicht.

Doch auf den seltenen Zufall passender Gravitationslinsen ist zu wenig Verlaß. Auf der Erde sind mehrere Teleskope der 10-Meter-Klasse im Bau, und auch mit den im Februar dieses Jahres am Hubble-Weltraumteleskop installierten neuen Instrumenten hofft man mehr über das frühe Universum zu erfahren. Ferner sucht der europäische Satellit ISO (Infrared Space Observatory) gerade bei längeren Wellenlängen, die von Staub weniger stark absorbiert werden, die Region des Hubble Deep Field nach Urgalaxien ab. Die Vereinigten Staaten bereiten außerdem einen eigenen Astronomie-Satelliten vor, die Space Infrared Telescope Facility. Für die fernere Zukunft plant die amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde NASA das sogenannte Next Generation Space Telescope, das einmal das Hubble-System ablösen soll. All diese neuen Geräte dürften uns in nicht allzu ferner Zukunft der Lösung des Rätsels näherbringen, wann und wie die allerersten Galaxien und Sterne entstanden sind.

Literaturhinweise

- Digest: "Astrophysik". Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg 1996.

– Die Geschichte des Kosmos. Vom Urknall bis zum Universum der Zukunft. Von Joseph Silk. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1996.

– The Farthest Things in the Universe. Von Jay M. Pasachoff, Hyron Spinrad, Patick S. Osmer und Edward Cheng. Cambridge University Press, 1994.

– Faint Blue Galaxies. Von Richard S. Ellis in: Annual Review of Astronomy and Astrophysics, Band 35, 1997 (im Druck).

– Im World Wide Web erscheint das Hubble Deep Field (STScI) unter http://www.stsci.edu/ftp/science/hdf/hdf.html


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1997, Seite 42
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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