Gammastrahlungs-Ausbrüche: Explosionen im fernen Kosmos
Erstmals konnte eine Art Nachleuchten dieser rätelhaften Blitze am Firmament im Röntgenbereich, im sichtbaren Licht und sogar im Radiobereich des elektromagnetischen Spektrums beobachtet werden. Demnach handelt es sich um Katalysmen von unvorherstellbarer Energie in frühen Galaxien.
Etwa dreimal am Tag blitzt es am Himmel mit immenser Intensität - innerhalb von wenigen Millisekunden bis einigen Minuten sendet dann irgend etwas irgendwo im Universum mehr Strahlung aus als unsere Sonne in ihrer gesamten Leuchtdauer von zehn Milliarden Jahren. Für menschliche Augen sind diese gigantischen Energiepulse freilich unsichtbar, weil es sich um Gammastrahlung aus dem extrem kurzwelligen Bereich des elektromagnetischen Spektrums handelt. Spezielle Instrumente im Weltraum erfassen sie jedoch bereits seit drei Jahrzehnten, ohne daß bisher ihre Ursache herauszufinden gewesen wäre. Die Blitze scheinen in allen Richtungen gleich häufig aufzutreten, aber irgendwelche Spuren ihrer Herkunft waren nicht zu entdecken – jedenfalls nicht bis vor wenigen Monaten.
Am 28. Februar 1997 hatten die Astronomen endlich Glück. Eine dieser in der Fachsprache gamma ray bursts (GRB) genannten Erscheinungen ließ den Gammastrahlungs-Detektor des italienisch-holländischen Satelliten Beppo-SAX für etwa 80 Sekunden ansprechen (Bild 1). Die Position des Blitzes am Himmel – den man nach dem Beobachtungsdatum GRB 970228 nannte – konnte bis auf wenige Bogenminuten genau bestimmt werden: im Sternbild Orion, ungefähr in der Mitte zwischen den Sternen Aldebaran (Alpha Tauri) und Bellatrix (Gamma Orionis). Innerhalb von acht Stunden gelang es der Bedienungsmannschaft in Rom, den Satelliten so auszurichten, daß nun dessen Röntgenteleskop in diese Richtung wies (Röntgenstrahlung hat etwas geringere Energien und größere Wellenlängen als Gammastrahlung). Tatsächlich registrierte es dort ebenfalls schnell schwächer werdende Strahlung; die Quelle ließ sich sogar auf eine Bogenminute genau orten (Bild 3).
Nie zuvor war es gelungen, die Position einer derartigen plötzlichen Energie-Emission in so kurzer Zeit so exakt zu ermitteln. In diesem Falle konnte man indes die Stelle des Gamma-Ray-Bursts auch noch mit lichtstarken optischen Teleskopen anvisieren, die nur ein kleines Bildfeld von wenigen Bogenminuten Durchmesser erfassen, denn unter den Forschern, die per E-Mail von der Entdeckung unterrichtet wurden, waren auch Spezialisten: Eine Gruppe um Jan van Paradijs von der Universität Amsterdam und der Universität von Alabama in Huntsville sucht seit längerem nach optisch erkennbaren Objekten am Ort solcher Ausbrüche; und Mitglieder des Teams befanden sich gerade am Roque-de-los-Muchachos-Observatorium auf La Palma, einer der Kanarischen Inseln. Mit dem William-Herschel-Teleskop, dem mit einer Öffnung von 4,20 Metern drittgrößten Ein-Spiegel-Teleskop der Welt, photographierten sie 21 Stunden nach dem energiereichen Blitz die betreffende Himmelsregion mit einer digitalen Kamera. Auf einer acht Tage später gemachten Aufnahme war dort einer der Lichtpunkte verschwunden – die erste mußte also die nachglimmende Gammastrahlenquelle zeigen (Bild 4).
Noch am 13. März allerdings gelang es Astronomen mit dem 3,50-Meter-New-Technology-Telescope der Europäischen Südsternwarte in La Silla (Chile), an derselben Position einen diffusen, unregelmäßigen Lichtfleck auszumachen. Darauf wurde schließlich das Fernrohr mit der derzeit höchsten Auflösung, das Hubble-Weltraumteleskop, gerichtet; es zeigte eine helle Punktquelle mit einer umgebenden, leicht länglich ausgedehnten Struktur (Bild 5). Das könnte eine schwach leuchtende Galaxie sein, doch ist die wirkliche Identität der Quelle sichtbaren Lichts bis heute noch nicht gesichert.
Sollte sie sich aber tatsächlich als ein Sternsystem wie unsere Milchstraße erweisen, müßte sie sich wegen der geringen scheinbaren Helligkeit nahezu am Rande des beobachtbaren Universums befinden. Dann wäre auch der Gammastrahlungs-Ausbruch ebenso weit entfernt und darum von entsprechend kolossaler Strahlungsleistung gewesen.
Vielfältige Spekulationen
Uns Erforscher der Gamma-Ray-Bursts entschädigte dieser Befund gleich für zwei Rückschläge in jüngster Zeit: Im November 1996 war der mit einem Instrument zur präzisen Lokalisierung solcher Ausbrüche bestückte High Energy Transient Explorer (HETE) verlorengegangen, da er sich nicht von der Trägerrakete gelöst hatte; und einen Monat später war wegen eines Raketenfehlers die russische Mars-'96-Raumsonde, die mehrere Gammastrahlungs-Detektoren mit an Bord hatte, in den Pazifik gestürzt. Von den neuen Systemen für das sorgfältig geplante Programm, das die Rätsel der kosmischen Blitze lösen soll, schaffte es einzig Beppo-SAX – am 20. April 1996 – in den Weltraum.
Das Phänomen hatten eher zufällig Ende der sechziger Jahre Vela-Aufklärungssatelliten des US-Verteidigungsministeriums entdeckt. Ihre Gamma- und Röntgenstrahlendetektoren sollten feststellen, ob die Sowjetunion heimlich Kernwaffenversuche im Weltraum unternähme. Wohl registrierten sie zahlreiche Energiepulse, doch keine aus dem erdnahen Raum. Offenbar hatten die Sensoren ein neues Himmelsphänomen entdeckt. Nach Jahren der Geheimhaltung stellten die Militärs ihre mysteriösen Befunde schließlich 1973 der Wissenschaft zur Verfügung, und bald bestätigten von den Astronomen gebaute Detektoren die anfänglichen Beobachtungen.
Astrophysiker begannen daraufhin eifrig über den Ursprung der Bursts zu spekulieren: Gab es etwa einen Zusammenhang mit Supernovae, Neutronensternen oder Schwarzen Löchern? Aber entscheidende Fakten fehlten damals, wie teilweise noch heute. So wußte niemand zu sagen, ob die Bursts in Entfernungen von lediglich 100 oder von einigen Milliarden Lichtjahren auftreten. Entsprechend unsicher waren die Mutmaßungen über ihren Energieumsatz.
Ebensowenig wie die Vela-Satelliten vermochten neuere Detektoren die Position der Strahlungsquellen genau genug festzulegen, um optische Folgebeobachtungen zu ermöglichen. Immerhin ließen sich die Blitze nun spektroskopisch untersuchen; und von jedem stärkeren Burst gewannen die Forscher fortan ein Intensitätsprofil.
Einige Spektren schienen Absorptionslinien aufzuweisen. Solche Lücken in der Energieverteilung der Gammastrahlung suchten die Theoretiker durch starke Magnetfelder zu erklären: Ähnlich wie die Sonne auf ihrer Oberfläche, nur bei viel höheren Energien, erzeugen Neutronensterne sogenannte Flares, wenn magnetische Feldlinien sich kurzschließen; dabei werden Elektronen fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und senden Gammastrahlung aus. So war Mitte der achtziger Jahre die Mehrheit der Forscher überzeugt, daß die Bursts von Neutronensternen unseres Milchstraßensystems stammten und mithin maximal 100000 Lichtjahre entfernt seien.
Im April 1991 brachte das Space-Shuttle Atlantis das Compton Gamma Ray Observatory in eine Erdumlaufbahn, das eine Vielfalt urgewaltiger kosmischer Prozesse nachwies (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1994, Seite 64). Eines seiner Instrumente namens BATSE (Burst and Transient Source Experiment) machte innerhalb eines Jahres alle bisherigen Überlegungen zu den Gamma-Ray-Bursts zu haltlosen Spekulationen: Ihre Verteilung am Firmament folgt weder dem Band der Milchstraße, noch konzentrieren sie sich dort, wo sich benachbarte Galaxien oder Galaxienhaufen befinden; vielmehr scheinen die Blitze in jeder Richtung mit derselben Wahrscheinlichkeit auf (Bild 6). Daraufhin modifizierten die Theoretiker ihr Modell galaktischer Gammastrahlungs-Ausbrüche: Sie sollten nun von Neutronensternen stammen, die sich in einem weit ausgedehnten Halo um unser Milchstraßensystem befinden.
Aber dabei gibt es ein Problem. Die Erde befindet sich etwa 30000 Lichtjahre entfernt vom Zentrum der galaktischen Scheibe. Der postulierte Halo müßte einen Radius von mindestens 600000 Lichtjahren haben, um im Einklang mit der hier beobachteten isotropen Verteilung der Bursts zu sein. Die nur zwei Millionen Lichtjahre entfernte Andromeda-Galaxie sollte aber ebenfalls von solch einem Halo umgeben sein – nur wären dann aus ihrer Richtung deutlich mehr Ausbrüche zu registrieren, als der Fall ist.
Die inzwischen immer besser bestätigte Isotropie hat nun die meisten Wissenschaftler überzeugt, daß die Quellen der Energiepulse etwa drei bis zehn Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Sie wären somit den Effekten der kosmischen Expansion unterworfen. Je größer nämlich die Distanz zu einer Galaxie ist, desto größer ist die Geschwindigkeit, mit der sie sich von uns fortbewegt. Dies ist leicht meßbar, denn aufgrund der Fluchtgeschwindigkeit erscheinen typische Linien im Spektrum solch einer fernen Galaxie zu längeren Wellenlängen – zum roten Ende des sichtbaren Spektralbereichs – hin verschoben. Demgemäß sollten auch Gamma-Ray-Bursts solch eine Rotverschiebung aufweisen. Von einem ähnlichen Effekt wären die Pulslängen betroffen: Je weiter die Quelle der Strahlung entfernt ist, als desto stärker erschiene uns das Ereignis zeitlich gedehnt.
Doch in den von BATSE aufgenommenen Spektren sind keine Emissionslinien zu entdecken, anhand deren man eine Rotverschiebung hätte bestimmen können (dergleichen bestätigte sich nicht der frühere vermeintliche Nachweis von Absorptionslinien). Im April 1997 gewannen Astronomen mit dem 10-Meter-Keck-Teleskop auf Hawaii zwar ein optisches Spektrum des Nachglühens von GRB 970228; es zeigt hohe Intensitäten bei roten Wellenlängen, aber ebenfalls keine Spektrallinien. Deshalb läßt sich die Rotverschiebung der Bursts nicht wie bei fernen Galaxien direkt ermitteln. Indes gelang es den Astrophysikern Jay Norris vom Goddard-Raumfahrtzentrum der NASA in Greenbelt (Maryland) und Robert Mallozi von der Universität von Alabama, einen statistischen Zusammenhang nachzuweisen: Die schwächsten Signale von Ausbrüchen – also diejenigen, deren Quellen vermutlich auch am weitesten entfernt sind – haben im Mittel die größten Pulslängen und signifikant geringere Photonenenergien. Allerdings könnten noch andere Prozesse als die Rotverschiebung durch die kosmische Expansion diese Effekte verursachen.
Eine eindeutige Erklärung für die Gamma-Ray-Bursts zu finden ist auch deshalb so schwierig, weil sie so vielfältig sind. Solche Ereignisse können zwischen 30 Millisekunden und fast 1000 Sekunden andauern – in einem Falle hat man sogar 1,6 Stunden gemessen. Einige Ausbrüche bestehen aus einer Abfolge kürzerer Strahlungspulse, zwischen denen die Emission gänzlich ausbleibt, während andere gleichmäßig anhalten, bevor sie an Intensität verlieren. Auch gibt es deutliche spektrale Unterschiede: Die Photonen haben zumeist Energien zwischen 100000 und einer Million Elektronenvolt, was auf eine sehr heiße Quelle hinweist (ein Elektronenvolt ist die Energie, die ein Elektron nach Durchlaufen der Spannung von einem Volt aufweist); doch bei manchen Bursts verschiebt sich, während sie abklingen, die spektrale Verteilung zu den geringeren Photonenenergien des Röntgenbereichs.
Konkurrierende Modelle
Die Intensität der Strahlung, die von einem emittierenden Objekt auf eine Fläche gegebener Größe fällt, nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab. Haben sich also die Bursts, die im Umfeld der Erde registriert werden, in Distanzen von Milliarden Lichtjahren ereignet, müssen an ihrem Ursprungsort innerhalb einiger Sekunden oder Bruchteilen davon Energien von ungefähr 1044 Joule freigesetzt worden sein (zum Vergleich: Die Sonne strahlt in einem Jahr eine Energie von 1,2 × 1034 Joule ab). Und wegen der oft zu beobachtenden raschen Variabilität der Bursts kann der Durchmesser des emittierenden Gebiets nicht größer sein als die Strecke, die Licht in etwa einer tausendstel Sekunde zurücklegt, was lediglich einigen hundert Kilometern entspricht. Es ist schon eine Herausforderung, sich physikalische Umstände auszumalen, die derartige Energiekonzentrationen hervorbringen könnten. Die meisten Theoretiker favorisieren kollabierende enge Paare von Neutronensternen (Spektrum der Wissenschaft, Juni 1996, Seite 52). Solche Doppelsysteme strahlen zunächst Gravitationswellen ab, wodurch sie Energie verlieren und die einander umkreisenden Komponenten sich langsam annähern. Wenn diese schließlich kollidieren und in einem winzigen Augenblick zu einem Schwarzen Loch verschmelzen, wird eine gewaltige Energiemenge frei. Theoretischen Abschätzungen zufolge wäre ein solches Ereignis in einer typischen Galaxie wie unserem Milchstraßensystem etwa alle 300000 Jahre zu erwarten. Das kosmische Volumen, das BATSE überwacht, enthält etwa 300 Millionen Galaxien, so daß rund 1000 Gamma-Ray-Bursts pro Jahr zu erwarten sind, was sehr gut mit der beobachteten Anzahl übereinstimmt. Auch der Sturz eines gewöhnlichen Sterns, eines Weißen Zwerges oder eines Neutronensterns in ein Schwarzes Loch könnte einen Gammastrahlungs-Ausbruch erzeugen. Theoretiker untersuchen solche Verschmelzungsprozesse derzeit intensiv. Für die Kollision zweier Neutronensterne schätzen sie die freigesetzte Energie übereinstimmend auf bis zu 1046 Joule. Deren Träger wären zunächst hauptsächlich Neutrinos und Antineutrinos. Diese Partikel könnten sich durch wechselseitige Reaktionen in Elektronen und Positronen umwandeln und diese wiederum paarweise in hochenergetische Photonen – Gammaquanten – zerstrahlen. Doch ist dieser Mechanismus nicht sehr effektiv, und neuere Rechnungen lassen bezweifeln, ob auf diese Art ein Gamma-Ray-Burst von 1044 Joule entstehen könnte. Noch schlechter wäre der Grad der Umwandlung von Materie in Energie, wenn bei der Kollision zweier Neutronensterne viele schwere Elementarteilchen wie Protonen entstünden; je mehr es gäbe, desto mehr Bewegungsenergie nähmen sie auf, wodurch entsprechend weniger auf die Gammaquanten entfiele. Beim Kollaps eines solchen Doppelsystems wäre aber gerade ein reichhaltige Mixtur von massereichen Partikeln zu erwarten. Einen Ausweg aus diesem Dilemma haben Peter Mészáros von der Staatsuniversität von Pennsylvania in University Park und Martin J. Rees von der Universität Cambridge (England) gewiesen: Wenn der expandierende Feuerball aus schnellen Protonen auf umgebendes Gas träfe, entstünde eine Stoßwelle; die damit assoziierten elektromagnetischen Felder würden Elektronen abrupt beschleunigen, wobei diese wiederum Gammaquanten emittierten. Bei einem abgewandelten Szenario nimmt man interne Stoßwellen an, die entstehen, wenn verschiedene Bereiche des Feuerballs nahezu mit Lichtgeschwindigkeit aufeinandertreffen. Nach beiden Modellen sollten ausreichend viele Gammaquanten resultieren. Sie sagen aber auch voraus, daß ein Gamma-Ray-Burst infolge des Zusammensturzes zweier Neutronensterne von einem Nachglühen bei geringeren Photonenenergien gefolgt würde, das sowohl im Röntgenbereich wie als sichtbares Licht nachweisbar sein müßte. Mario Vietri von der Sternwarte in Rom zufolge sollte die Röntgenstrahlung sogar etwa einen Monat anhalten. Der italienische Astrophysiker wies zugleich darauf hin, daß bei Bursts im galaktischen Halo nicht mit solch einem Nachglühen zu rechnen wäre. Da dieser Effekt bei GRB 970228 bisher am stärksten ausgeprägt war, ist das ein weiteres Argument für den Ursprung der Emissionen in kosmischer Tiefe. Aber es gibt noch weitere Probleme: Der Kollaps eines Doppelsternsystems ist ein singuläres Ereignis, mit dem sich die seltenen, aber eben doch vorkommenden lange andauernden Ausbrüche nicht gut erklären lassen. So hat BATSE im vergangenen Jahr einen Burst von 1100 Sekunden Dauer registriert, der sich möglicherweise sogar zwei Tage später wiederholte. Doch auch die Theoretiker können mit immer neuen Hypothesen aufwarten. Nir Shaviv und Arnon Dar vom Israelischen Institut für Technologie in Haifa etwa legen ihren Überlegungen einen Feuerball zugrunde, der nun gerade reich an schweren Atomkernen sein soll. Hochionisierte Eisen- und Nickelatome könnten nämlich mit der Strahlung benachbarter Sterne wechselwirken und Gammastrahlung freisetzen. Die simulierten Zeitprofile der Ausbrüche stimmen sehr gut mit den beobachteten überein. Aber woher sollten solche Feuerbälle aus schweren Kernen stammen? Ein anderer plausibler Mechanismus für die Erzeugung hochenergetischer Pulse setzt überaus starke Magnetfelder voraus, wie sie ähnlich in den Kernen aktiver Galaxien vorkommen. Wenn beim Kollaps eines Doppelsternsystems – gleich welcher Natur – kein Feuerball entstünde, sondern vielmehr ein mächtiger Wirbel aus Sterntrümmern, der das neugebildete Schwarze Loch umkreiste, hätte der zwar nur kurz Bestand; aber er würde ein enormes Magnetfeld mit sich führen, das einbilliardenfach stärker wäre als das der Erde. Wie ein normaler Dynamo entzöge das Feld dem System Rotationsenergie; dadurch würden zwei Materiestrahlen, sogenannte Jets, entlang der Rotationsachse in entgegengesetzten Richtungen ausgestoßen. Unmittelbar längs der Achse wären diese Jets frei von Protonen, und nahezu lichtschnelle Elektronen in ihnen könnten einen starken, gerichteten Puls von Gammastrahlung erzeugen. Auch wenn in diesem Szenario – wie in anderen auch – noch einige Einzelheiten auszuarbeiten sind, zeigen sie doch, daß mit kollabierenden Doppelsternsystemen die Gamma-Ray-Bursts sehr gut zu erklären sind. Deren mysteriöses Verhalten, das bisher gleichzeitiges Beobachten mit verschiedenen Instrumenten verhindert hat, und die Vieldeutigkeit der Daten ließen die theoretischen Spekulationen nur so sprießen. Bisher wurden mehr als 2500 Fachartikel über die Gammastrahlen-Blitze veröffentlicht – also etwa einer pro registriertem Ausbruch.
Spurensuche
Im Prinzip gäbe es einen eindeutigen Nachweis, daß die Bursts tief im All entstehen: Die Beobachtung eines Gravitationslinseneffekts. Läge zwischen dem Ursprungsort eines solchen Blitzes und der Erde eine ferne, massereiche Galaxie, würde ihr Schwerefeld die Gammastrahlen zur Sichtachse hin fokussieren. Weil die einzelnen Wege, auf denen Strahlungsbündel zur Erde gelangten, nicht exakt gleich lang wären, erreichten sie uns zu verschiedenen Zeiten; die jeweiligen Pulse hätten jedoch dieselbe Dauer und spektrale Intensitätsverteilung, wodurch sie demselben Ereignis zugeordnet werden könnten, das weit hinter der ablenkenden Galaxie stattgefunden haben muß.
Um den Ursprung der Gammastrahlungs-Ausbrüche weiter eingrenzen zu können, sind simultane oder kaum verzögerte Beobachtungen bei anderen Wellenlängen erforderlich. Bisher ist dies erst, wie erwähnt, bei GRB 970228 gelungen, weil das Nachglühen lange genug anhielt. Für weitere Aufzeichnungen dieser Art müssen die initialen Blitze sehr schnell und präzise am Firmament lokalisiert werden.
Seit Anfang der siebziger Jahre suchen dafür Kevin Hurley von der Universität von Kalifornien in Berkeley und Thomas Cline vom Goddard-Raumfahrtzentrum der NASA ein interplanetares Überwachungsnetzwerk aufzubauen. Sie bemühen sich, Gammastrahlungs-Detektoren auf jedem nur irgend geeigneten Trägersystem unterzubringen. Auf einigen Satelliten und Raumsonden wurde bereits eine solche zusätzliche Nutzlast installiert. Weil die Strahlen eines Bursts an den weit verteilten Detektoren zu verschiedenen Zeiten eintreffen, läßt sich die Position ihrer Quelle bis auf wenige Bogenminuten genau ermitteln.
Die Effizienz des Netzwerks hängt von der Zahl und den Abständen der Instrumente ab. Zur Zeit sind fünf Komponenten aktiv: BATSE, Beppo-SAX und der militärische Satellit DMSP in Erdnähe sowie die Sonden Ulysses und Wind, welche die Sonne auf nahezu senkrecht zueinander stehenden Bahnen umkreisen. Zur Positionsbestimmung mittels Triangulation sind Daten von mindestens drei Meßstationen erforderlich. Im Falle von GRB 970228 war dies gelungen, weil der Ausbruch nicht nur von Beppo-SAX, sondern auch von Ulysses und Wind registriert wurde (BATSE befand sich gerade im Erdschatten). Freilich ist das Verfahren langwierig: Es dauert mindestens acht Stunden.
Deshalb hat Scott Barthelmy von der Universitätsvereinigung für Raumforschung am Goddard-Raumfahrtzentrum ein System namens BACODINE (Batse Coordinates Distribution Network) entwickelt, mit dem sich BATSE-Daten über die Position eines Bursts innerhalb von Sekunden an erdgebundene optische Teleskope übermitteln lassen. BATSE besteht aus acht großflächigen Detektoren – an jeder Ecke des Compton-Satelliten einer –, die in unterschiedliche Richtungen weisen. Ein Burst löst deshalb je nach projizierter Fläche in ihnen unterschiedlich starke Signale aus. Innerhalb einiger Sekunden, teilweise noch während der Ausbruch andauert, berechnet der BACODINE-Computer aus diesen Intensitätsverhältnissen die Koordinaten der Strahlungsquelle bis auf wenige Grad genau und leitet sie dann über das Internet an einige Dutzend Observatorien auf der Erde weiter. Nach fünf weiteren Sekunden schwenken computergesteuerte Teleskope – einige stehen zum Beispiel in der Nähe des Lawrence-Livermore-Nationallaboratoriums in Kalifornien (Bild 7) – auf diese Position.
Doch diese kleinen, rasch reagierenden automatischen Stationen sind nicht besonders lichtstark – die in Livermore zum Beispiel hätten das schwache Nachglühen von GRB 970228 gar nicht registrieren können. Für das BACODINE-Netzwerk werden hundertfach leistungsfähigere Instrumente benötigt: Mittelklasse-Teleskope, die computergesteuert sehr schnell reagieren können und ein vergleichsweise großes Bildfeld aufweisen. Wenn sie den Ort eines Nachglimmens präzise bestimmt hätten, könnten anschließend Großteleskope wie Hubble oder Keck die Quelle im sichtbaren Licht sehr genau untersuchen.
Das lange andauernde Abklingen des GRB 970228 bei immer größeren Wellenlängen läßt hoffen, daß diese Strategie richtig ist. In etwa zwei Jahren wird ein Team unter Leitung von George Ricker vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge mit einem Nachbau des verunglückten HETE-Satelliten den gesamten Himmel im Röntgenbereich überwachen und einen Ausbruch auf wenige Bogenminuten genau lokalisieren können. Das Netzwerk optischer Teleskope am Erdboden bekommt dann diese Positionen sofort übermittelt und kann umgehend mit der Suche nach einer sichtbaren Strahlungsquelle beginnen.
Noch wissen die Forscher nicht, welcher Anteil von Gamma-Ray-Bursts ähnlich wie GRB 970228 sehr zögerlich mit immer längerwelliger Strahlung abklingt; es könnte sich bei diesem Ereignis auch um eine seltene Ausnahme gehandelt haben. Des weiteren erschweren die vielen lichtschwachen Sterne und fernen Galaxien, die selbst ein Bildfeld von nur wenigen Bogenminuten Durchmesser erfaßt, die Suche nach optisch erkennbaren Objekten, bei denen es geblitzt hat. Deshalb haben Astronomen bereits eine neue Art von Gammastrahlungs-Detektoren vorgeschlagen, deren Genauigkeit im Bereich von Bogensekunden liegt.
Um die bisherigen Modelle verfeinern zu können, benötigen die Theoretiker zudem Meßwerte bei höheren und niedrigeren Photonenenergien, als bislang vorliegen. Das Energetic Gamma Ray Experiment Telescope (EGRET), ebenfalls auf dem Compton-Satelliten installiert, hat immerhin bei einigen wenigen Bursts Strahlung mit bis zu zehn Milliarden Elektronenvolt registriert, die teilweise mehrere Stunden anhielt. Aufschlußreichere Befunde in diesem Energiebereich sind vom Gamma Ray Large Area Space Telescope (GLAST) zu erwarten, das derzeit von einem internationalen Team entwickelt wird; und spezielle Teleskope am Erdboden könnten sogar Photonen von etwa einer Billion Elektronenvolt nachweisen. Mit Spektren im Bereich weicher Röntgenstrahlung mit Photonenenergien zwischen 100 und 10000 Elektronenvolt hätte man wiederum gute Aussichten, Emissions- oder Absorptionslinien zu finden, aus denen sich Informationen über die Bedingungen in dem Feuerball und seinem Magnetfeld ableiten ließen; auch würden so direkte Messungen der Rotverschiebung und damit der Entfernung der Quellen möglich. Empfindliche Detektoren für weiche Röntgenstrahlung werden gerade in mehreren Ländern gebaut.
Erst beim Abfassen dieses Artikels erfuhren wir von einem ganz besonderen Coup: In der Nacht des 8. Mai 1997 lokalisierte die Bedienungsmannschaft des Satelliten Beppo-SAX einen 15 Sekunden währenden Gamma-Ray-Burst. Kurz darauf photographierte Howard E. Bond vom Space Telescope Science Institute in Baltimore (Maryland) die Himmelsregion mit dem 90-Zentimeter-Teleskop auf dem Kitt Peak in Arizona; in der folgenden Nacht erschien einer der Lichtpunkte im Bildfeld heller. Beobachtungen an anderen Teleskopen ergaben, daß die Quelle am 10. Mai ihre größte Helligkeit erreichte und sich dann wieder abzuschwächen begann. Erstmals konnte also das Maximum eines optischen Nachleuchtens registriert werden, das erstaunlicherweise erst zwei Tage nach dem Gamma-Ausbruch auftrat.
Ebenfalls ein Novum ist, daß sogar noch längerwellige Strahlung als sichtbares Licht gemessen wurde: Am 13. Mai fingen die Antennen des Very Large Array in New Mexico Signale vom Ort des Ereignisses im Radiofrequenzbereich auf. Noch begeisternder ist, daß ein optisches Spektrum, das am 11. Mai mit dem Keck-II-Teleskop auf Hawaii gewonnen wurde, einige Absorptionslinien zeigt, die offenbar von Eisen- und Magnesiumatomen herrühren, die sich im interstellaren Raum auf der Sichtlinie befinden. Forscher des California Institute of Technology in Pasadena stellten daran eine Rotverschiebung fest, die einer Entfernung von mehr als sieben Milliarden Lichtjahren entspricht.
Wenn sich dieses Ergebnis bestätigt, wäre gesichert, daß die Bursts ferne kosmische Ereignisse sind. Dann dürfte es nicht mehr lange dauern, bis wir genauer wissen, welche Art von Kataklysmen sich in der Frühzeit des Universums ereignet haben, von denen nun Gammastrahlen-Blitze uns erreichen.
Literaturhinweise
- The Gamma-Ray Universe. Von D. Kniffen in: American Scientist, Band 81, Heft 4, Seiten 342 bis 350, Juli 1993.
– The Gamma-Ray Burst Mystery. Von D. H. Hartmann in: The Lives of Neutron Stars. Herausgegeben von A. Alpat, Ü. Kiziloglu und J. van Paradijs. NATO Advances Studies Institute, Kluwer Academic Publishers, 1994.
– Das Compton-Observatorium. Spektakuläre Entdeckungen am Gamma-Himmel. Von Volker Schönfelder in: Sterne und Weltraum, Band 33, Heft 1, Seiten 28 bis 35, Januar 1994.
– Gamma Ray Bursts. Von G. J. Fishman und C. A. Meegan in: Annual Review of Astronomy and Astrophysics, Band 33, Seiten 415 bis 458, 1995.
– Exotische Astronomie mit dem Compton-Observatorium. Von Volker Schönfelder in: Physik in unserer Zeit, Band 26, Heft 6, Seiten 262 bis 271, 1995
Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1997, Seite 30
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