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Planeten: Gefrorener Ozean unter dem Marsboden

Die Marssonde Odyssey entdeckte riesige Wasservorkommen auf dem Roten Planeten. Im Umkreis des Südpols befindet sich ab einem halben Meter Tiefe ein Gemenge aus Staub und Eis.


Der Mars ist eine öde Stein- und Staubwüste. Und doch muss es auf ihm einmal größere Mengen an fließendem Wasser gegeben haben. Dafür sprechen sowohl theoretische Überlegungen als auch anders schwer erklärbare Oberflächenstrukturen. So weist der Rote Planet Canyons, Erosionsrinnen und Schwemmfächer auf, wie sie auf der Erde nur durch Wasser hervorgerufen werden. Doch wo ist das flüssige Nass geblieben?

Einer gängigen Vorstellung zufolge hat der Mars früh sein einst beachtliches Wasservorkommen und seine ursprüngliche Atmosphäre verloren. Begünstigt wurde diese Umweltkatastrophe dadurch, dass unser Nachbarplanet Gase und Wasserdampf schlecht festhalten kann, weil er nur etwa ein Zehntel der Masse der Erde sowie ein Drittel ihrer Schwerkraft hat. Außerdem ist er weiter von der Sonne entfernt als die Erde und deshalb kälter. Daher gab es Vermutungen, verbliebene Restmengen an Wasser könnten unterirdisch als Eis überdauert haben.

Dies wurde nun dramatisch bestätigt. Die jüngsten Daten der Nasa-Sonde "2001 Mars Odyssey" lassen darauf schließen, dass dicht unterhalb des Marsbodens gewaltige Mengen gefrorenen Wassers lagern. Noch am 1. März, als erste Vorab-Ergebnisse des Gamma Ray Spektrometers (GRS) an Bord der Sonde publiziert wurden, war das internationale Forscherteam um William V. Boynton vom Lunar and Planetary Laboratory der Universität von Arizona in Tucson nur von wenigen Prozent Wasserstoffanteil im Boden ausgegangen.

Doch nun musste es die früheren Schätzungen drastisch nach oben revidieren: Ab dem 60. Breitengrad der Südhalbkugel entdeckten die Forscher bis hin zum Pol eine unterirdische Schicht, in der Eis – mit einem Volumenanteil von über fünfzig Prozent – mit Marsstaub vermischt ist. Mit diesen Vorkommen könne man zweimal den Lake Michigan auffüllen, meldete das Jet Propulsion Laboratory in Pasadena (Kalifornien), das im Auftrag der Nasa für die Odyssey-Mission verantwortlich zeichnet. Allerdings erfassen die Messungen nur den obersten Meter der Marsoberfläche. Wenn die Eisschicht, wie vermutet, tiefer hinabreicht, wäre die Wassermenge noch um ein Vielfaches höher.

Am 7. April vergangenen Jahres vom Kennedy Space Center gestartet, erreichte die Odyssey-Sonde am 23. Oktober 2001 ihre Umlaufbahn. Das GRS nahm im Februar seine Arbeit auf. Gemeinsam mit anderen Instrumenten an Bord soll es die Vorkommen einer Reihe von Elementen auf der Marsoberfläche erkunden und die jahreszeitlichen Veränderungen der Polkappen messen. Ziel ist, die Entstehungsgeschichte des Roten Planeten immer genauer rekonstruieren zu können.

Ungeachtet der schon Ende Mai publizierten Ergebnisse erlangte die Sonde erst am 4. Juni ihre volle Einsatzfähigkeit. An diesem Tag wurde der über sechs Meter lange Ausleger für das Gamma-spektrometer ausgeklappt, eines der drei Instrumente des GRS. Vorher befand es sich in der Nähe des Raumschiffs und registrierte folglich die von diesem ausgehende Hintergrundstrahlung. Nun, in größerem Abstand, verringert sich der Störeffekt, und die Messungen werden präziser. Auch die Suche nach weiteren Elementen kann somit beginnen.

Etwas mehr als ein Marsjahr, nämlich rund zwei Erdjahre, werden die Wissenschaftler für die Messungen benötigen. Denn Gammaquanten, deren Energien eindeutige Signale für bestimmte Elemente sind, gibt es nur in relativ geringer Zahl. Außerdem absorbiert der Detektor – ein etwa 260 Kubikzentimeter großer hochreiner Germaniumkristall – lediglich einen Teil der energiereichen Strahlung. Und noch ein weiterer Faktor verlängert die Messzeit: Damit die Aufnahmen wegen der hohen Geschwindigkeit der Mars Odyssey von etwa 3,5 Kilometer pro Sekunde nicht verschmieren, müssen sie unterbelichtet werden. Erst wenn die Sonde viele Male dieselbe Fläche überflogen hat, fügen sich die Einzelaufnahmen zu einem aussagekräftigen Bild zusammen.

Boten aus dem Untergrund

Sehr viel günstiger ist die Situation bei den Neutronenflüssen, die von den anderen beiden Instrumenten des GRS registriert werden. Sie erlauben nach nur einer Woche schon umfangreiche Kartierungen der Marsoberfläche. Folglich lieferten sie auch als Erste Hinweise auf die unterirdischen Wasservorkommen.

Dass Neutronen und Gammaquanten überhaupt dazu dienen können, die Zusammensetzung der Marsoberfläche zu ermitteln, verdanken die Forscher einer Besonderheit des Roten Planeten: Die energiereiche kosmische Strahlung, die vor allem aus schnellen Protonen besteht, prallt fast ungehindert auf den Marsboden. Kein planetares Magnetfeld lenkt sie ab, und auch die dünne Atmosphäre, deren Druck mit zehn Millibar gerade einmal einem Hundertstel des irdischen Luftdrucks entspricht, stellt kein Hindernis für sie dar.

Bei ihrem Aufprall schlagen die kosmischen Strahlungsteilchen zunächst so genannte schnelle Neutronen aus Atomen im Marsboden heraus. Diese werden an anderen Atomen gestreut und so zu "epithermischen" und schließlich zu "ther-mischen" Neutronen abgebremst. Deren kinetische Energie entspricht dann nur noch der Wärmebewegung der umliegenden Materie. Wenn solche thermischen Neutronen von anderen Atomen eingefangen werden, heben sie diese in energetisch höhere Zustände an. Beim Zurückfallen in den Grundzustand werden dann Gammaquanten ganz bestimmter Energien ausgesandt. So liefert eine ausgeprägte Linie bei 2,223 Millionen Elektronenvolt in den Spektren der Odyssey einen klaren Hinweis auf Wasserstoff (H).

Um von ihm auf Wasser (oder Eis) zu schließen, sind allerdings weitere Überlegungen notwendig. Der zusätzliche Nachweis von Sauerstoff (O) wäre wenig aufschlussreich: Dieses Element kommt auch in jedem Felsbrocken mit einem Gewichtsanteil von vierzig bis fünfzig Prozent vor. Dennoch steht praktisch fest, dass die Wissenschaftler Wasser, also H2O, gefunden haben. Die gemessenen Mengen an Wasserstoff wären allein damit, dass sich atomarer Wasserstoff oder beispielsweise OH-Ionen in Mineralien eingelagert haben, nicht zu erklären.

Zur Messung der Neutronenflüsse dienen ein Neutronenspektrometer und ein Neutronendetektor, die neben dem Gammadetektor Teil des GRS-Systems an Bord der Odyssey sind. Die beiden Geräte können zwischen schnellen, epithermischen und thermischen Neutronen unterscheiden.

Aber anders als aus der Energie von Gammaquanten lassen sich aus den Neutronenflüssen keine eindeutigen Signale für bestimmte Elemente ableiten. Aufschlussreich sind nur auffallende Änderungen beim Übergang von einer Marsregion zur anderen. So beginnt bei 60 Grad südlicher Breite ziemlich abrupt eine Zone, in der nur noch sehr wenig thermische und epithermische Neutronen auftreten.

Für die Wissenschaftler ist das ein zweifelsfreier Hinweis auf hohe Vorkommen von Wasserstoff. Dieser kann als guter "Moderator" Neutronen besonders wirksam abbremsen. Das liegt daran, dass seine Masse praktisch mit derjenigen der einfallenden Neutronen übereinstimmt. Unter diesen Umständen ist die Energieübertragung der schnellen Neutronen auf die langsamen Wasserstoffatome maximal. Die abgebremsten thermischen Neutronen fängt der Wasserstoff dann sehr effizient ein.

Das unterscheidet ihn von dem Kohlendioxid, das derzeit den Mars-Nordpol bedeckt, weil auf der Nordhalbkugel des Planeten noch Winter herrscht. Es bremst die Neutronen zwar gleichfalls ab, absorbiert sie anschließend aber nicht. Deshalb werden am Nordpol momentan mittlere Flüsse von epithermischen und sehr viele thermische Neutronen registriert. Wenn demnächst dort der Frühling beginnt, wird ab etwa -70 Grad Celsius die Kohlendioxid-Schicht verdunsten. Dann sollte sich zeigen, ob auf der Nordhalbkugel ähnlich viel Eis lagert wie im Süden.

Die neuen Befunde passen auch gut zu früheren theoretischen Abschätzungen. Andere Forscher hatten ein Gebiet auf dem Mars ausgemacht, in dem die Temperaturen niedrig genug sind, dass Eis unterirdisch für Jahrmillionen überdauern kann. Es stimmt sehr genau mit der Region überein, in der nun die Odyssey-Sonde Wasserstoff entdeckt hat.

Trotz des unterirdischen Eisozeans bleibt der Mars eine Wüste. Flüssiges Wasser an seiner Oberfläche würde bei dem herrschenden niedrigen Atmosphärendruck verdunsten. Selbst das Eis hält sich, zumindest in einiger Entfernung von den Polen, nur in einer gewissen Tiefe.

Mit Hilfe von Modellrechnungen erschlossen die Forscher den Aufbau des Marsbodens. Demnach gliedert er sich jenseits 60 Grad südlicher Breite in zwei Schichten. Die obere ist lediglich einige Dezimeter dick und hat einen Wasseranteil von nur rund einem Prozent. Das Wasser ist vermutlich in Mineralien gebunden. Die untere Schicht besteht dagegen aus einer Mischung von Marsstaub und Eis. Dessen Anteil nimmt zum Südpol hin von etwa dreißig auf rund sechzig Gewichtsprozent zu; zugleich rückt die Eis führende Schicht näher an die Oberfläche heran.

Wie der Boden in größerer Tiefe aussieht, ist allerdings noch unbekannt: Neutronen blicken maximal bis etwa ein oder zwei Meter unter die Oberfläche, und Gammastrahlen liefern sogar nur Informationen über die obersten dreißig bis fünfzig Zentimeter. Diese Beschränkung wird erst die europäische Mars Express Mission aufheben, die frühestens 2004 den Mars mit Hilfe von Radar einige Kilometer tief durchleuchten soll.

Jetzt sind erst einmal die alltäglichen Probleme mit der Odyssey-Sonde zu bewältigen. Nach Auskunft von Johannes Brückner, Physiker in der Abteilung Kosmochemie des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz und Spezialist für Gammastrahlung im GRS-Team, stand der Germaniumkristall während des

Hinflugs zum Mars unter unerwartet schwerem Beschuss durch Partikel aus Sonneneruptionen. Dadurch entstanden Störungen im Kristallgitter, welche die Energieauflösung des Detektors verschlechtern. Durch Aufheizen auf bis zu 100 Grad Celsius, ein von Brückner mitentwickeltes Verfahren, könnten die Germaniumatome dazu gebracht werden, wieder ihre regelmäßige Anordnung anzunehmen. Die Technik an Bord der Odyssey hat jedoch eine Tücke: Wegen Wärmeverlusts lässt sich der Kristall nur auf 75 Grad Celsius erwärmen. So bleibt sein Ausheilen unvollständig. Inwieweit das die Messergebnisse beeinträchtigen wird, bleibt abzuwarten.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2002, Seite 12
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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