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Gekoppelte Oszillatoren und biologische Synchronisation

Was haben der Gang von Uhren und Elefanten, die Rhythmen des Gehirns und der Ausbruch des Chaos gemeinsam? Eine mathematische Theorie erklärt, unter welchen Umständen die unterschiedlichsten Ensembles schwingfähiger Objekte zwangsläufig in Gleichtakt fallen.

Als der niederländische Physiker Christiaan Huygens (1629 bis 1695), Erfinder der Pendeluhr, im Februar 1665 wegen einer leichten Erkrankung das Haus hüten mußte und nichts Besseres zu tun wußte, starrte er gedankenverloren auf zwei eigenhändig kurz zuvor gebaute Exemplare, die nebeneinander an der Wand hingen. Plötzlich bemerkte er etwas Merkwürdiges: Die beiden Pendel bewegten sich absolut synchron (Bild 2).

Obgleich Huygens sie stundenlang beobachtete, kamen sie niemals aus dem Takt. Er versuchte, sie zu stören – aber binnen einer halben Stunde schwangen sie wieder im Gleichtakt. Huygens vermutete, daß sich die Uhren irgendwie gegenseitig beeinflussen müßten, vielleicht durch schwache Luftbewegungen oder nicht wahrnehmbare Vibrationen der Wand. Tatsächlich gerieten sie, nachdem er sie an gegenüberliegenden Wänden des Raumes angebracht hatte, nach und nach aus dem Takt, und binnen eines Tages verlor die eine fünf Sekunden gegen die andere.

Dieser Zufallsbefund war Anlaß für die Entwicklung eines ganzen Teilgebiets der Mathematik: der Theorie gekoppelter Oszillatoren. Man findet sie fast überall, besonders in der belebten Natur: Da sind die Schrittmacherzellen des Herzens, die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse und die neuronalen Netzwerke des Gehirns und des Rückenmarks, die rhythmisch-periodisches Verhalten wie Atmen, Laufen oder Kauen steuern. Jedoch brauchen die Oszillatoren nicht unbedingt in einem Organismus lokalisiert zu sein; unisono zirpende Grillen und große Scharen synchron blinkender Glühwürmchen liefern eindrucksvolle Beispiele dafür (Bild 1; siehe auch Spektrum der Wissenschaft, Mai 1992, Seite 18).

Ungefähr seit 1960 studieren auf mathematische Biologie spezialisierte Forscher vereinfachte Modelle gekoppelter Oszillatoren, in denen das Wesentliche der biologischen Vorbilder enthalten ist. Dabei erzielten sie in den letzten Jahren rasche Fortschritte, was vor allem der rasanten Entwicklung der Computertechnik und -graphik und der Zusammenarbeit mit theoriefreudigen Experimentatoren, aber auch Ideen aus der Physik und neuen Entwicklungen in der Mathematik selbst zu verdanken ist.


Der ungestörte Oszillator: Grenzzyklen

Um das Zusammenspiel gekoppelter Oszillatoren verstehen zu können, muß man zunächst wissen, wie ein einzelner, isolierter Oszillator arbeitet. Mit diesem Namen bezeichnet man jedes System mit periodischem Verhalten. Ein idealisiertes (reibungsfreies) schwingendes Pendel beispielsweise kehrt in gleichen Zeitabständen zum selben Punkt im Raum zurück, während zusätzlich seine Geschwindigkeit mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks ansteigt und abfällt.

Interessanter als die klassische Beschreibung – Ort und Geschwindigkeit in Abhängigkeit von der Zeit – ist jedoch die Bewegung des Oszillators im Phasenraum (siehe "Das Chaos meistern" von William L. Ditto und Louis M. Pecora, Spektrum der Wissenschaft, November 1993, Seite 46). Das ist ein abstrakter Raum, dessen Koordinaten den Zustand des Systems beschreiben; im Falle des Pendels etwa sind die Koordinaten Ort und Geschwindigkeit. Zeichnet man diese Werte im Phasenraum für verschiedene Bewegungsmuster ein, die das Pendel nach dem Loslassen aus unterschiedlichen Höhen vollführt, so ergeben sich verschiedene Kurven (Bahnen, Orbits oder Trajektorien genannt). Da das Pendel wie jeder andere Oszillator immer wieder die gleiche Bewegung ausführt, sind seine Trajektorien im Phasenraum geschlossene Kurven (Bild 3).

Ein einfaches mathematisches Pendel kann unendlich viele geschlossene Bahnen durchlaufen, je nachdem, aus welcher Höhe es losgelassen wird. Hingegen haben biologische Systeme (aber auch gewöhnliche Uhrenpendel) nicht nur eine charakteristische Periode, sondern auch eine charakteristische Amplitude. Sie halten sich somit gewöhnlich auf einem bestimmten Orbit des Phasenraums auf, und wenn irgendeine Störung sie aus ihrer Bahn wirft, kehren sie bald dorthin zurück. Wenn jemand Ihnen überraschend "Buh!" ins Ohr ruft, beginnt Ihr Herz vielleicht wild zu hämmern; es beruhigt sich aber bald wieder und kehrt zu seiner normalen Intensität zurück.

Eine solche bevorzugte periodische Bahn heißt Grenzzyklus. Damit der Oszillator nach einer Störung, die dem System in der Regel Energie zuführt oder entzieht, wieder in den Grenzzyklus zurückfallen kann, muß er über dissipative Mechanismen verfügen, um überschüssige Energie loszuwerden, und eine äuße-re Energiequelle, um verlorengegangene Energie zu ersetzen.


Kopplung unter Oszillatoren

Ein einzelner Oszillator beschreibt eine relativ einfache Bahn im Phasenraum. Koppelt man aber zwei oder mehr Oszillatoren, wird die Menge der möglichen Verhaltensweisen viel komplexer, und die sie beschreibenden Gleichungen werden unhandlich.

Verschiedene Kopplungsmöglichkeiten sind denkbar: Das Verhalten eines Oszillators kann von dem einiger weniger unmittelbarer Nachbarn abhängen – wie bei den neuromuskulären Oszillatoren des Dünndarms – oder von allen anderen in einem riesigen Ensemble. Mathematisch besonders übersichtlich ist ein System, in dem jeder Oszillator jeden anderen beeinflußt und die Stärke des Einflusses mit der Phasenverschiebung zwischen den Oszillatoren wächst. In diesem Falle ist die Kraft, die zwei Oszillatoren aufeinander ausüben, genau dann minimal, wenn sie in Phase sind.

In der Tat ist Synchronität der geläufigste Dauerzustand gekoppelter Oszillatoren. Eines der spektakulärsten Beispiele dafür ist entlang von Flußmündungen in Malaysia, Thailand und Neuguinea zu beobachten, wo sich nachts Tausende männlicher Glühwürmchen auf Bäumen versammeln und durch Blinken im Gleichtakt über sie hinweg fliegende Weibchen anzulocken versuchen. Wenn die Männchen bei Anbruch der Dämmerung eintreffen, ist ihr Aufleuchten noch ziemlich unkoordiniert. Mit zunehmender Dunkelheit bilden sich jedoch Inseln synchronen Blinkens heraus und wachsen, bis ganze Bäume in einem lautlosen, faszinierenden Lichterspiel pulsieren, das stundenlang andauern kann.

Merkwürdigerweise haben die Details dieser eindrucksvollen Massenkopplung von Oszillatoren sich lange einer mathematischen Analyse entzogen. Glühwürmchen sind ein Musterbeispiel für impulsgekoppelte Oszillatorsysteme: Sie wirken nur dadurch aufeinander, daß eines den Lichtblitz eines anderen sieht, woraufhin es seinen eigenen Rhythmus entsprechend verschiebt. Impulskopplung ist ein verbreitetes Phänomen in der Biologie; man denke an zirpende Grillen oder an Neuronen, die miteinander mittels elektrischer Spannungspulse – der Aktionspotentiale – kommunizieren. Dennoch ist sie bisher nur sporadisch mathematisch erforscht worden, denn sie führt Unstetigkeiten in ansonsten stetige Modelle ein, wodurch die Anwendung von Standardmethoden unmöglich wird.

Kürzlich entwickelte einer von uns (Strogatz) zusammen mit Renato E. Mirollo vom Boston-College in Chestnut Hill (Massachusetts) ein idealisiertes Modell für Leuchtkäfer und andere impulsgekoppelte Oszillatorsysteme. Wir konnten beweisen, daß die Komponenten unter bestimmten Voraussetzungen auch nach asynchronem Start stets in Gleichtakt fallen.

Unsere Arbeit wurde durch eine frühere Studie von Charles S. Peskin von der Universität New York angeregt. Er hatte 1975 ein hochgradig schematisches Modell für den Sinusknoten vorgeschlagen, eine Ansammlung von rund 10000 Nervenzellen, die im gesunden Herzen als natürlicher Schrittmacher wirkt; er wollte ergründen, wie diese Zellen ihre individuellen elektrischen Rhythmen aufeinander abstimmen, so daß ein normaler Herzschlag zustande kommt.

Peskin modellierte den Sinusknoten durch eine große Anzahl identischer elektrischer Oszillatoren, deren jeder gleich stark mit allen anderen gekoppelt ist. Jeder einzelne enthält einen Schaltkreis aus einem Kondensator und einem parallel dazu geschalteten Widerstand. Ein konstanter Eingangsstrom lädt den Kondensator allmählich auf. Dadurch würde dessen Spannung proportional zur Zeit ansteigen. Weil jedoch gleichzeitig über den Widerstand ein zunehmend größerer Strom abfließt, flacht der Anstieg der Spannung allmählich ab. Erreicht die Spannung einen bestimmten Schwellenwert, entlädt sich der Kondensator über ein weiteres Bauteil, beispielsweise einen Transistor, und die Spannung fällt augenblicklich auf null ab. Dieses Verhalten entspricht dem Feuern einer Nervenzelle und der nachfolgenden Rückkehr in den Grundzustand. Danach kann die Spannung wieder ansteigen, und der Zyklus beginnt von vorn.

Für die Impulskopplung verwendete Peskin in seinem Modell einen biologisch plausiblen Mechanismus: Jeder Oszillator beeinflußt die anderen nur, wenn er feuert, und zwar erhöht er in diesem Moment ihre Spannung um einen festen Betrag; wenn dadurch ihr Schwellenwert überschritten wird, feuern sie ihrerseits auf der Stelle. Ein System mit diesen Regeln, so Peskins Vermutung, werde sich stets synchronisieren – und das selbst dann, wenn die Oszillatoren nicht vollkommen identisch sind.

Der Versuch, das mathematisch zu beweisen, mißlang zunächst, da es keine etablierten mathematischen Methoden für die Behandlung beliebig großer Systeme von Oszillatoren gab. Peskin ging deshalb zunächst einen Schritt zurück und konzentrierte sich auf den einfachsten möglichen Fall: zwei identische Oszillatoren. Doch selbst dafür reichte das theoretische Rüstzeug nicht aus. Nur für den Spezialfall infinitesimal kleiner Spannungsstöße und Verlustströme über den Widerstand konnte er seine erste Vermutung beweisen.

Peskins Argumentation beruht auf einer Idee, die der französiche Mathematiker Henri Poincaré (1854 bis 1912) zu Beginn dieses Jahrhunderts unterbreitet hat. Das Verfahren, das heute den Namen Poincaré-Schnitt trägt, ist das mathematische Äquivalent zur stroboskopischen Photographie. Nehmen Sie zwei identische impulsgekoppelte Oszillatoren A und B und protokollieren Sie deren Verhalten, indem Sie jedesmal einen Schnappschuß machen, wenn A feuert.

Wie wird diese Bilderserie aussehen? A hat jedesmal gerade gefeuert und ist deshalb spannungslos. Die Spannung von B hingegen wird von Schnappschuß zu Schnappschuß variieren. Durch Lösen der Gleichung für seinen Schaltkreis fand Peskin eine zwar häßlich komplizierte, aber explizite Formel dafür, wie sich die Spannung von B von einem Schnappschuß zum nächsten ändert. Daraus ergab sich, daß bei einer Spannung unterhalb eines bestimmten kritischen Wertes diese weiter bis null abnimmt, bei Ausgangsspannungen oberhalb dieses Wertes jedoch ansteigt. In beiden Fällen wird B schließlich synchron zu A feuern.

Es gibt eine Ausnahme: Ist die Spannung an B genau gleich dem kritischen Wert, ist sie beim nächsten Schnappschuß weder angestiegen noch gesunken, bleibt also konstant. Beide Oszillatoren feuern mit ungefähr einer halben Periode Zeitabstand. Wie bei einem auf der Spitze stehenden Bleistift ist dieses Gleichgewicht jedoch instabil, und der leiseste Anstoß bewegt das System in Richtung Synchronität.

Trotz dieses Erfolges widerstand der allgemeine Fall beliebig vieler Oszillatoren fünfzehn Jahre lang jedem Beweisversuch. Erst im Jahre 1989 erfuhr ich (Strogatz) von Peskins Arbeit aus einem Buch von Arthur T. Winfree, der an der Universität von Arizona in Tucson tätig ist, über biologische Oszillatoren. Um mir von Peskins Modell ein besseres Bild zu machen, schrieb ich ein Computerprogramm, in dem die Anzahl der (identischen) Oszillatoren, die Größe der Spannungsimpulse und die Stärke des Verluststromes beliebig wählbar sind. Das Ergebnis war eindeutig: Jedesmal endete das System damit, daß alle Oszillatoren gleichzeitig feuerten.

Dadurch angeregt, diskutierte ich das Problem mit Mirollo und arbeitete mit ihm Peskins Beweis für die zwei Oszillatoren durch. Dabei stellten wir fest, daß der Beweis durch Anwendung eines abstrakteren Oszillatormodells vereinfacht werden konnte. Wie sich herausstellte, kommt es nur darauf an, daß der Anstieg der Spannung - oder ihres Äquivalents – sich bei Annäherung an den Schwellwert abflacht. Alles andere erwies sich als unwichtig.

So bewiesen wir, daß unser verallgemeinertes System stets synchron wird, unabhängig von der Anzahl der Oszillatoren und für fast jede Anfangsbedingung. Der Beweis fußt auf einem Prozeß, den wir Absorption genannt haben; damit ist gemeint, daß zwei Oszillatoren für alle Zukunft synchronisiert bleiben, wenn einer den anderen über die Schwelle zum Feuern hebt. Schließlich ist beiden die gleiche Dynamik eigen, und ihre Kopplung zu den anderen Oszillatoren ist ebenfalls identisch. Fortan können beide als ein einziger Oszillator mit der doppelten Feuerungsintensität angesehen werden: Der eine hat den anderen gewissermaßen absorbiert. Wir vermochten zu zeigen, daß durch eine Folge von Absorptionen am Ende alle Oszillatoren miteinander synchron sind.


Symmetrie und Symmetriebrechung

Synchronität ist zwar der einfachste Zustand gekoppelter Oszillatoren, aber nicht der einzig stabile. Tatsächlich kommt auch das Gegenteil häufig vor.

Zur Erklärung verhelfen die Konzepte der Symmetrie und der Symmetriebrechung. Synchronität ist ein symmetrischer Systemzustand, denn er geht in sich selbst über, wenn man die beiden synchronen Oszillatoren vertauscht. Symmetriebrechung ist das Ersetzen eines einzelnen symmetrischen Zustands durch mehrere weniger symmetrische, die zusammen die ursprüngliche Symmetrie verkörpern. Gekoppelte Oszillatoren sind eine reichhaltige Quelle für Symmetriebrüche.

Synchronität ist nur der augenfälligste Fall eines allgemeineren Phänomens, der sogenannten Phasenkopplung (phase locking): Viele Oszillatoren durchlaufen den gleichen Zyklus, aber nicht unbedingt im Gleichtakt. Im Falle zweier identischer gekoppelter Oszillatoren gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Synchronität, das heißt Phasendifferenz null, oder Antisynchronität, entsprechend der Phasendifferenz einhalb.

Wenn zum Beispiel ein Känguruh durch die australische Wildnis hüpft, oszillieren seine kraftvollen Hinterbeine periodisch und berühren den Boden jeweils im selben Moment. Die Füße eines Menschen, der dem Känguruh hinterherrennt, berühren den Boden hingegen alternierend (Bild 4 oben). Hat das Netzwerk mehr als zwei Oszillatoren, erhöht sich entsprechend auch die Anzahl der Möglichkeiten.

Im Jahre 1985 entwickelte ich (Stewart) zusammen mit Martin Golubitsky von der Universität Houston (Texas) eine mathematische Klassifikation dieser Verhaltensmuster, aufbauend auf Arbeiten von James C. Alexander von der Universität von Maryland in College Park und Giles Auchmuty von der Universität Houston. Wesentliche Hilfsmittel waren die Gruppentheorie, die sich mit Symmetrien in Mengen befaßt, und die Theorie der Hopf-Verzweigungen.

Der deutsche Mathematiker Eberhard Hopf (1902 bis 1983) hatte 1942 eine allgemeine Beschreibung dafür entwickelt, wie ein System durch Änderung eines Parameters von einem stationären in einen oszillierenden Zustand übergeht. Am Punkt dieses Übergangs wird der stationäre Zustand instabil: Auf eine kleine Störung reagiert das System nicht mit Rückkehr zum alten Verhalten, sondern auf eine neue Weise. Dieser Punkt heißt Verzweigungspunkt, da sich hier das Systemverhalten in zwei Äste aufspaltet: Zusammen mit der Oszillation koexistiert ein instabiler stationärer Zustand. Glücklicherweise genügt es, zur Untersuchung einer Verzweigung sich auf lineare, mithin relativ einfache Störungen zu beschränken, obgleich das System im allgemeinen nichtlinear ist.

Hopf bewies, daß Systeme, die Verzweigungen dieses Typs durchlaufen haben, Grenzzyklus-Oszillatoren sind: Sie haben sowohl eine bevorzugte Schwingungsfreqenz als auch eine bevorzugte Amplitude. Wir (Stewart und Golubitsky) zeigten nun, daß Hopfs Idee auf Systeme gekoppelter identischer Oszillatoren ebenfalls anwendbar ist. Nach der Verzweigung zeigen diese Systeme die üblichen Muster der Phasenkopplung.

Bei drei ringförmig verkoppelten Oszillatoren gibt es zum Beispiel vier wesentlich verschiedene Muster der Phasenkopplung: Alle drei Oszillatoren können synchron schwingen; aufeinanderfolgende Oszillatoren des Rings können eine Phasendifferenz von einem Drittel haben; zwei Oszillatoren können miteinander synchron und der dritte asynchron dazu sein (aber mit derselben Periode); und schließlich können sich zwei Oszillatoren im Gegentakt bewegen, während der dritte mit der doppelten Frequenz oszilliert (Bild 4 unten).

Die seltsamen Oszillationen mit halber Periode im vierten Fall waren zunächst für uns eine Überraschung; aber man trifft auf das Muster sogar im täglichen Leben. Ein Mensch mit Krückstock etwa bewegt sich so: rechtes Bein, Stock, linkes Bein, Stock, Wiederholung. Der dritte Oszillator wird in gewisser Hinsicht durch die beiden anderen angetrieben: Jedesmal, wenn einer von ihnen sein Maximum erreicht, stößt er den dritten an. Weil die ersten beiden Oszillatoren exakt im Gegentakt schwingen, erreicht der dritte doppelt so häufig sein Maximum wie jeder der beiden anderen.

Mit Hilfe der Theorie symmetrischer Hopf-Verzweigungen kann man die Phasenkopplungsmuster vieler verschiedener Oszillatorsysteme klassifizieren. Zusammen mit James J. Collins, einem Biomedizin-Ingenieur von der Universität Boston, habe ich (Stewart) die verblüffende Analogie zwischen diesen Mustern und den Symmetrien in den Gangarten von Tieren wie Schritt, Trab und Galopp untersucht.

Die Gangarten der Vierfüßer ähneln in hohem Maße den symmetrischen Mustern von Vier-Oszillator-Systemen. Ein hoppelnder Hase zum Beispiel bewegt zuerst seine Vorderläufe, danach seine Hinterläufe. Die Phasendifferenz ist null zwischen beiden Vorderläufen und einhalb zwischen Vorder- und Hinterläufen. Der Schritt einer Giraffe ist ähnlich, aber bei ihr sind es die rechten beziehungsweise die linken Beine, die sich gleichzeitig bewegen. Bei einem trabenden Pferd tritt diagonale Phasenkopplung auf, und ein schreitender Elefant hebt Fuß für Fuß nacheinander mit je einer viertel Periode Phasendifferenz. Junge Gazellen komplettieren die Symmetriegruppe mit ihren bekannten Sprüngen, bei denen sich alle vier Beine auf einmal vom Boden lösen (siehe "Tarzan und die Symmetriebrechung" von Ian Stewart, Spektrum der Wissenschaft, Juni 1991, Seite 14).

Kürzlich haben wir unsere Untersuchungen auf die Fortbewegung sechsfüßiger Insekten ausgedehnt. Der Schritt einer Küchenschabe ist ein sehr stabiles Muster in einem Ring von sechs Oszillatoren. Ein Dreieck bestehend aus den Beinen vorn und hinten links sowie dem rechten mittleren bewegt sich synchron; es folgen die anderen drei mit einer halben Periode Differenz.

Woher kommt diese Ähnlichkeit zwischen Gangarten und jenen Mustern gekoppelter Oszillatoren, die sich auf fast natürliche Weise durch die Forderung nach Einfachheit und Stabilität ergeben? Der mechanische Aufbau der Tierbeine wird kaum zur Erklärung beitragen können; sie sind nicht einfach passive mechanische Oszillatoren, sondern sehr komplexe Systeme aus Knochen, Sehnen und Muskeln, die von einem nicht minder komplexen Nervensystem gesteuert werden. Der plausibelste Grund dieser Übereinstimmung von Natur und Mathematik liegt in der Verschaltung des nervösen Systems, das die Fortbewegung steuert.

Schon lange vermuten Biologen die Existenz entsprechender Netzwerke gekoppelter Neuronen, sogenannter zentraler Mustergeneratoren, aber diese Hypothese ist von jeher umstritten. Gleichwohl: Neuronen wirken oft als Oszillatoren; wenn es also zentrale Mustergeneratoren gibt, ist anzunehmen, daß ihre Dynamik der eines Oszillatornetzwerks zumindest ähnlich ist.

Außerdem löst die Symmetrieanalyse eine wichtige offene Frage der Theorie. Die meisten Tiere verfügen über mehrere verschiedene Gangarten – Pferde schreiten, traben und galoppieren –, und bisher postulieren Biologen häufig für jede Gangart einen eigenen Mustergenerator. Aus der Theorie der Symmetriebrechung folgt jedoch, daß ein und dieselbe Schaltung eines zentralen Mustergenerators alle Gangarten eines Tieres erzeugen kann. Es genügt, die Stärke der Kopplungen zwischen den neuronalen Oszillatoren zu variieren.


Statistik großer Oszillatorsysteme

Bis dahin war unsere Analyse auf Systeme vollkommen identischer Oszillatoren beschränkt. Diese Idealisierung ist mathematisch bequem, aber wirklichkeitsfern. In einer Population von Lebewesen werden immer einige in ihren Bewegungen von sich aus schneller oder langsamer als die anderen sein.

Das Verhalten einer Gemeinschaft solcher Oszillatoren hängt von der Stärke der Kopplung zwischen ihnen ab. Ist sie zu gering, wird Synchronität sich nicht einstellen. Das Ergebnis ist vielmehr Inkohärenz, ein wildes Durcheinander von Schwingungen. Selbst die Phasen im Gleichtakt gestarteter Oszillatoren werden nach und nach auseinanderdriften wie Huygens' Pendeluhren an gegenüberliegenden Wänden.

Desynchronisation dieser Art ist an Kolonien der Leuchtalge Gonyaulax zu beobachten. J. Woodland Hastings und seine Kollegen an der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) haben herausgefunden, daß das Leuchten eines Tanks voll Gonyaulax, der im Laboratorium einem konstanten, schwachen Licht ausgesetzt ist, mit einer Periode von etwa 23 Stunden pulsiert. Mit der Zeit zerfließt die Wellenform, und der zuvor deutlich erkennbare Rhythmus klingt ab (Bild 5). Zwar oszillieren die einzelnen Zellen nach wie vor, ihre Phasen aber driften aufgrund der individuellen Frequenzunterschiede auseinander. Das Leuchten der ganzen Algenpopulation verliert ohne den Taktgeber Sonnenlicht seine Synchronität.

In anderen Verbänden biologischer Oszillatoren ist die Kopplung stark genug, die natürlichen Unterschiede in den Eigenfrequenzen zu überwinden. Der amerikanische Mathematiker und Kybernetiker Norbert Wiener (1894 bis 1964) wies Ende der fünfziger Jahre darauf hin, daß solche Verbände in der belebten und auch in der unbelebten Natur allgegenwärtig sind. Schon er versuchte ein mathematisches Modell für Gruppen von Oszillatoren zu entwickeln, wenngleich ohne Erfolg. Der Durchbruch kam erst 1966, als Winfree, damals Doktorand an der Universität Princeton (New Jersey), mit der Erforschung großer Populationen von Grenzzyklus-Oszillatoren begann. Er benutzte eine geniale Kombination aus Computersimulationen, mathematischer Analyse und Experimenten an 71 elektrisch gekoppelten Oszillatoren für Neonröhren.

Winfree vereinfachte das Problem wesentlich durch die Erkenntnis, daß schwach gekoppelte Oszillatoren für alle Zeiten in der Nähe ihres Grenzzyklus verbleiben. Das gab ihm die Freiheit, Unterschiede in der Amplitude zu vernachlässigen und sich auf die Betrachtung der Phasenunterschiede zu beschränken. Die Oszillatoren seines Modells waren identisch bis auf ihre Eigenfrequenzen, die sich mit geringen Abweichungen um einen Mittelwert häuften. In einer letzten, entscheidenden Vereinfachung forderte Winfree, daß jeder Oszillator nur durch den gemittelten Rhythmus aller anderen beeinflußt werden dürfe. Für Glühwürmchen beispielsweise würde das bedeuten, daß jedes Tier nur auf die Summe aller Signale statt auf das jedes einzelnen Nachbarn reagiert.

Zur Veranschaulichung von Winfrees Modell stelle man sich einen Schwarm von Punkten vor, der auf einem Kreis umläuft (Bild 6). Die Positionen der Punkte entsprechen den Phasen der einzelnen Oszillatoren, und der Kreis entspricht ihrem gemeinsamen Grenzzyklus. Wären die Oszillatoren voneinander unabhängig, würden sich früher oder später alle Punkte gleichmäßig über den Kreis verteilen, und es gäbe keinen gemeinsamen Rhythmus. Dieses Ergebnis ist gleichbedeutend mit völliger Inkohärenz. Eine einfache Regel für die Wechselwirkung zwischen den Oszillatoren vermag jedoch die Kohärenz wieder herzustellen: Läuft ein Oszillator der Gruppe voraus, wird er ein wenig abgebremst; gerät er ins Hintertreffen, beschleunigt er.

In einigen Fällen kann diese korrigierende Kopplung die Unterschiede in den Eigenfrequenzen überwinden, in anderen nicht, wie im Beispiel der Gonyaulax. Winfree fand, daß das Systemverhalten von der Breite der Frequenzverteilung abhängt. Ist die Varianz der Frequenzen groß im Vergleich mit der Kopplung, verfällt das System stets in Inkohärenz, als wäre es überhaupt nicht gekoppelt. Sinkt die Varianz unter einen kritischen Wert, so synchronisiert sich ein Teil des Systems spontan und bleibt in diesem Zustand.

Die weitere Ausbreitung der Synchronität beruht auf Kooperation. Wenn erst einige Oszillatoren im Gleichtakt sind, übertönt ihr gemeinsames, kohärentes Signal das Grundrauschen und übt einen verstärkten Einfluß auf die anderen aus. Weitere Oszillatoren, die in diesen wachsenden Synchronitätskeim hineingezogen werden, verstärken dessen Signal noch mehr. Durch diese positive Rückkopplung breitet sich die Synchronität exlosionsartig aus. Dennoch werden einige Oszillatoren auf Dauer unsynchronisiert bleiben, weil ihre Eigenfrequenzen zu weit von dem Wert entfernt sind, der für eine Phasenkopplung ausreicht.

Hier tat sich für Winfree eine überraschende Parallele zur Physik auf: Die kollektive Synchronisation gleicht einem Phasenübergang wie dem Gefrieren von Wasser oder der spontanen Magnetisierung eines Ferromagneten. Die Varianz der Oszillatorfrequenzen entspricht dabei der Temperatur, die Angleichung ihrer Phasen in der Zeit der Ausrichtung der Moleküle beziehungsweise Elektronenspins im Raum.

Das eröffnete ein neues Kapitel in der statistischen Mechanik, der Wissenschaft von den Systemen, die aus einer riesigen Zahl von miteinander wechselwirkenden Teilen bestehen. Im Jahre 1975 präsentierte Yoshiki Kuramoto von der Universität Kioto (Japan) eine elegante Neuformulierung von Winfrees Modell, die dank einer einfacheren mathematischen Struktur eine detaillierte Analyse gestattet. Und kürzlich fand ich (Strogatz) zusammen mit Mirollo und Paul C. Matthews von der Universität Cambridge (England) eine unerwartete Verbindung zur Landauschen Dämpfung. Der aserbaidschanische Physik-Theoretiker Lew Dawidowitsch Landau (1908 bis 1968; Nobelpreis 1962) hat dieses rätselhafte Phänomen der Plasmaphysik erstmals beschrieben. Es betrifft die Ausbreitung elektrostatischer Wellen in einem hochgradig verdünnten Medium, in dem sich die einzelnen Partikel praktisch nicht treffen. Als wir den Zerfall zur Inkohärenz in Oszillatorsystemen mit einer für Synchronität zu breiten Frequenzverteilung untersuchten, ergab sich derselbe mathematische Formalismus wie für die Dämpfung von Wellen in solchen kollisionslosen Plasmen.

Seit Huygens seine Pendeluhren beobachtete, ist die Theorie gekoppelter Oszillatoren enorm erweitert und vertieft worden. Synchronisation, augenscheinlich ein sehr natürliches Verhalten, erweist sich als ebenso überraschend wie interessant. Symmetrie spielt eine wesentliche Rolle, erklärt aber nicht alles. Um die Verhaltensmuster anscheinend identischer - austauschbarer – Oszillatoren zu klassifizieren, greifen die Mathematiker zur Theorie der Symmetriebrechungen. So kommt eine mathematische Disziplin, deren sichtbarste Ursprünge in der Elementarteilchenphysik liegen, dazu, den Schlag eines Herzens und den Trott eines Elefanten zu beschreiben. Zugleich erhellen Techniken der statistischen Mechanik das Verhalten ganzer Oszillatorpopulationen.

Es scheint kaum glaublich, daß es eine Verbindung geben soll zwischen dem Höllenfeuer eines sonnenheißen Plasmas und der friedvollen Welt von Glühwürmchen in der Abenddämmerung am Flußufer. Und doch entspringt der Mathematik ein roter Faden, der sich vom einfachen Pendel bis zu räumlichen Mustern, Chaos und Phasenübergängen zieht; so groß ist ihre Macht, uns die verborgene Einheit der Natur zu offenbaren.

Literaturhinweise

- Biologische Uhren. Zeitstrukturen des Lebendigen. Von Arthur T. Winfree. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft, Heidelberg 1988.

– From Clocks to Chaos: The Rhythms of Life. Von Leon Glass und Michael C. Mackey. Princeton University Press, 1988.

– Synchronization of Pulse-Coupled Biological Oscillators. Von Renato E. Mirollo und Steven H. Strogatz in: SIAM Journal on Applied Mathematics, Band 50, Heft 6, Seiten 1645 bis 1662, Dezember 1990.

– Coupled Nonlinear Oscillators below the Synchronization Threshold: Relaxation by Generalized Landau Damping. Von Steven H. Strogatz, Renato E. Mirollo und Paul C. Matthews in: Physical Review Letters, Band 68, Heft 18, Seiten 2730 bis 2733, 4. Mai 1992.

– Coupled Nonlinear Oscillators and the Symmetries of Animal Gaits. Von J. J. Collins und Ian Stewart in: Journal of Nonlinear Science, Band 3, Heft 3, Seiten 349 bis 392, Juli 1993.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1994, Seite 74
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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