Gentherapie: nicht-virale Strategien
Etliche Probleme des Gentransfers mittels Viren ließen sich vielleicht durch künstlich verpackte oder sogar nackte DNA umgehen. Untersuchungen an Patienten zufolge könnten sich diese nicht-viralen Systeme außer für die Behandlung von Krankheiten auch für Impfungen eignen.
Viele Bemühungen, zu thera- peutischen Zwecken Gene in menschliche Zellen einzuschleusen, stützen sich auf modifizierte Viren. Gute Transfermöglichkeiten bieten Viren deshalb, weil sie darauf spezialisiert sind, sich an bestimmte Typen von Zellen zu heften und ihr Erbgut samt Fracht effizient ins Zellinnere zu bringen.
Allerdings ist ihr medizinischer Einsatz als Genfähre, als Vektor, nicht unproblematisch (Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1997, Seite 50). So bauen manche Viren ihr Genmaterial an beliebiger Stelle in die Chromosomen der befallenen Zellen ein, was Schäden verursachen kann. Ferner bestehen Bedenken, daß sich abgeschwächte, gewissermaßen entschärfte Viren im Körper unerwünscht verändern und dann wieder Krankheiten auszulösen vermögen. Eine ernste Einschränkung bedeuten zudem mögliche Immunreaktionen, die sich gegen das Trägervirus aufbauen und es selbst oder die von ihm infizierten Zellen unter Umständen zerstören, ehe die Therapie überhaupt hätte greifen können.
Aus all diesen Gründen sind Forscher schon seit langem bestrebt, ein therapeutisches Gen ohne infektiöse Agenzien zu transferieren. Und das um so mehr, als sich in den letzten Jahren gezeigt hat, daß viele der Leiden, die letztlich für eine Gentherapie in Frage kommen dürften, wiederholte Behandlungen erfordern (eine einmalige, auf Dauerheilung ausgerichtete Prozedur kann nur funktionieren, wenn die zu verändernden Zellen sich im Körper selbst regenerieren, statt nach einiger Zeit abzusterben). Nicht-virale Verfahren könnten sich dafür besonders gut eignen, weil man Immunreaktionen vermeidet, die dem wiederholten Einsatz von Viren entgegenstehen.
Ein Ansatz, der inzwischen an Menschen erprobt wird, basiert auf Komplexen aus DNA und nicht-immunogenen Lipiden (das sind fettartige Moleküle, die keine Abwehr auf den Plan rufen). Erste klinische Tests gibt es auch zu einer verblüffenden Entdeckung der letzten Jahre: daß die simple Injektion nackter DNA in einen Muskel die Produktion eines darauf codierten Proteins veranlassen kann. Dies ist besonders im Hinblick auf neue Impfstoffe vielversprechend.
Eine Frage der Abstoßung
Schon vor Jahrzehnten hatte Forscher die Möglichkeit fasziniert, Zellen durch Einschleusen fremder DNA in spezieller Weise zu verändern. Bereits Mitte der fünfziger Jahre zeigten John Holland von der Universität von Kalifornien in San Diego und mehrere andere Wissenschaftler, daß Zellen Nucleinsäuren (RNA oder DNA), die man aus Viren isoliert hatte, aufnehmen und die darauf enthaltene genetische Information ausprägen können. In Analogie zur Infektion sprach man von Transfektion (benutzt wurde der Begriff schließlich auch für die Übertragung jeglicher freier funktionstüchtiger DNA in Zellen).
Die Effizienz der Prozedur ließ allerdings zu wünschen übrig. Als ein wichtiger Faktor, der die Aufnahme gereinigter DNA in Zellen behinderte, erwies sich im folgenden Jahrzehnt der Umstand, daß das Molekül in einer wäßrigen Lösung – wie die Flüssigkeit um die Zellen im Körper oder in einer Kulturschale sie ist – negative elektrische Ladungen trägt. Weil Membranen von Zellen ebenfalls negativ geladen sind, wird freie DNA gewöhnlich abgestoßen. Man entwickelte deshalb Methoden, das Molekül durch Zusatz von Chemikalien elektrisch zu neutralisieren und so leichter aufnehmbar zu machen. Ein solcher Zusatz ist DEAE-Dextran, ein Kohlenhydratpolymer mit angekoppelten positiv geladenen Diethylaminethyl-Gruppen. Als noch geeigneter erwies sich die Co-Fällung von DNA mit Calciumphosphat; der feine Niederschlag wird dann Zellen in einer Kulturschale zugesetzt.
Mit diesen Methoden ließ sich belegen, daß kultivierte menschliche Zellen fremde Gene aufnehmen und dauerhaft ausprägen können. Schlagend demonstrierte dies unter anderem ein Versuch mit Zell-Linien, deren Gen für das Enzym Thymidinkinase defekt war: Wenn ihnen ein entsprechendes Gen aus dem Herpes-simplex-Virus als Calciumphosphat-Komplex zugesetzt wurde, produzierten einige Zellen schließlich beständig das Enzym.
In den späten siebziger Jahren fiel der Startschuß für die moderne Biotechnologie-Industrie. Man hatte Methoden entdeckt, einzelne gentragende DNA-Fragmente aus Zellen zu isolieren und in Plasmide einzusetzen; solche umbaubaren zusätzlichen DNA-Ringe aus Bakterien werden in ihren Herkunftszellen von Natur aus vermehrt – und mit ihnen das in sie eingebaute Gen. Diese Rekombinationstechnik ermöglichte es, die interessierende DNA in beliebiger Kopienzahl zu erzeugen, zu klonieren.
Paul Berg und seine Kollegen von der Universität Stanford (Kalifornien) verknüpften nun das Verfahren mit einer anschließenden chemischen Transfektion: Sie übertrugen rekombinante, aus Bakterien gewonnene Plasmide auf diesem Wege in kultivierte Säugetierzellen. Da Gene in höheren Zellen gewöhnlich nur unter Mitwirkung von Proteinen im Zellkern ausgeprägt werden können, mußten einige der sie tragenden Plasmide wohl dorthin gelangt sein. Nach diesem Prinzip wurden dann viele der Säugerzell-Linien hergestellt, welche die Industrie heutzutage zur Produktion medizinisch wichtiger rekombinanter Proteine verwendet, darunter des Faktors VIII; er fehlt Blutern mit der klassischen Form der Erkrankung, der Hämophilie A.
Lipidsysteme
Trotz der kommerziellen Bedeutung chemischer Transfektionsmethoden erachteten die meisten Forscher sie als zu ineffektiv für eine Gentherapie. Aber Berg und Demetrios Papahadjopoulos von der Universität von Kalifornien in San Francisco sowie Claude Nicoloau von der Medizinischen Fakultät der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) gelang es, Zellen auch mittels plasmidhaltiger Liposomen erfolgreich zu transfizieren. Das sind winzige Kügelchen mit einer Membran aus Lipiden (Fetten) als Schale und einer wäßrigen Lösung im Inneren. Beschrieben wurden sie erstmals in den sechzi-ger Jahren von Alex D. Bangham vom Babraham-Institut in Cambridge (England).
Liposomen können sich von selbst formieren, wenn man besondere Lipide – solche mit wasserliebendem Kopf und wassermeidendem Schwanz – in wäßriger Lösung aufschwemmt: Die Moleküle ordnen sich zu doppelschichtigen, sandwich-artigen Membranen, bei denen die Köpfe der äußeren Schicht zum umgebenden wäßrigen Milieu weisen und die der inneren Schicht ins ebenfalls wäßrige Zentrum. Auch die Plasmamembran tierischer Zellen hat diese Struktur; und deshalb vermutete man schon seit längerem, Liposomen könnten mit der Zellmembran verschmelzen und somit ihren Inhalt direkt ins Zellinnere freisetzen. Das machte sie als mögliche Spediteure für medizinisch bedeutsame Stoffe interessant.
Experimente verliefen zwar ermutigend, waren mit Plasmiden jedoch nicht rasch in eine praktische Anwendung umsetzbar: Der innere Durchmesser eines Liposoms ist mit etwa 0,025 bis 0,1 Mikrometer (tausendstel Millimeter) wesentlich kleiner als ein typisches gentechnisches DNA-Plasmid im unverknäulten Zustand. Wegen dieses Mißverhältnisses wurden in einem Reaktionsansatz jeweils nur wenige, fest verdrillte Plasmide in sich bildende Liposomen eingeschlossen.
Einige Optimisten glaubten aber an Verbesserungsmöglichkeiten. Während meiner Tätigkeit für das Unternehmen Syntex Research in Palo Alto (Kalifornien) überlegten wir uns im Kollegenkreis, daß Liposomen sowohl mit DNA und RNA als auch mit Zelloberflächen leichter in Wechselwirkung treten sollten, wenn ein Teil der üblichen Lipide durch solche mit einer positiven Ladung am wasserliebenden Ende ersetzt war. Damals – 1983 – waren jedoch nur wenige positiv geladene (kationische) Lipide bekannt, die zugleich die richtige Gestalt haben, um sich zu Liposomen organisieren zu können.
Wir synthetisierten deshalb abgewandelte Lipide nach unseren Maßgaben. Die Moleküle verhielten sich wie erwartet, und die daraus gebildeten kationischen Liposomen banden sich fest an die Oberfläche von kultivierten Zellen. Mehr noch: Wenn wir die Plasmide einfach mit etwa dem Achtfachen ihrer Masse an kationischen Lipiden mischten, wurde praktisch die gesamte in Lösung vorhandene DNA eingefangen. Ich war überrascht, wie leicht sich Bedingungen hatten herstellen lassen, unter denen physikalisch stabile Komplexe entstehen.
Die sich in der Mischung formierenden Strukturen sind freilich variabler und komplizierter als einfache Liposomen. Oft findet man zum Beispiel Plasmide, die in röhrenförmige Lipidgebilde eingeschlossen sind; unter den richtigen Bedingungen kann sich dann ein solcher Schlauch zu einem kompakten Partikel mit einer Lipidwand auffalten (Bild 1). In dieser Form ähnelt das Ganze in gewisser Weise manchen Viren. Da sich die Gebilde, die aus kationischen Lipiden entstehen, so stark von einfachen Liposomen unterscheiden, hat man sich in der Fachwelt vor kurzem auf einen neuen Namen für sie geeinigt: Lipoplexe.
Ich hatte erwartet, daß man Lipoplexe erst noch weiter verändern müßte, be-vor sie ihre Fracht ins Zellinnere befördern könnten. Erstaunlicherweise jedoch transfizierten sie, wie einer meiner Praktikanten feststellte, einen signifikanten Anteil der Zellen (Bilder 2 und 3).
Das Vermischen von kationischen Lipiden mit DNA ist mittlerweile ein Standardverfahren für den Gentransfer in kultivierte Zellen. Viele eigens für diesen Zweck hergestellte Präparationen sind bereits kommerziell erhältlich.
Klinische Studien
Vor kurzem hat man begonnen, Lipoplexe am Menschen zu erproben. Bei der ersten Therapie im Versuchsstadium ging es darum, Gene für B7 einzuschleusen; dieses Oberflächenprotein ist ein sogenanntes co-stimulatorisches Signal für bestimmte Abwehrzellen. Wenn sie es zusammen mit Tumor-Antigenen auf Krebszellen erkennen, sollten sie die – an sich körpereigenen – Zellen als fremd werten und gezielt zerstören.
Bei klinischen Versuchen, die das von mir in San Diego (Kalifornien) mitbegründete Unternehmen Vical finanziell unterstützte, bekamen mehr als 90 Krebspatienten, die auf Standardbehandlungen nicht angesprochen hatten, Lipoplexe mit DNA für B7 in ihre Tumoren injiziert. In den meisten Fällen wurde dadurch die Produktion des Proteins veranlaßt. Allein 60 der Patienten hatten maligne Melanome (schwarzen Hautkrebs); bei etwa jedem dritten schrumpfte der behandelte Tumor oder verschwand gänzlich (Bild 5).
Melanome im fortgeschrittenen Stadium neigen allerdings stark zur Metastasierung, so daß eine Behandlung der äußerlich sichtbaren Geschwülste meist keine Heilung bringen dürfte. Aber unseren ermutigenden vorläufigen Ergebnissen zufolge könnten Lipoplexe dennoch hilfreich sein: Manchmal schrumpften sogar jene Tumoren eines Patienten, die keine solche Injektion erhalten hatten (im Tierexperiment greifen die einmal aktivierten Abwehrzellen auch gleichartige Krebszellen an, die kein B7 tragen). Bei anderen klinischen Studien mit Lipoplexen, die das B7-Gen enthalten, soll die Sicherheit (Unschädlichkeit) und Wirksamkeit einer entsprechenden Behandlung bei inoperablem Krebs von Dickdarm, Niere und Brust ermittelt werden.
Vical unterstützt ferner eine klinische Studie mit dem Gen für Interleukin-2 (IL-2). Dieses Immunhormon wird in Form von Infusionen bei Nierenkrebs verabreicht, was jedoch schwere toxische Nebenwirkungen hat. Mit Hilfe genhaltiger Lipoplex-Präparationen, die in einen solchen Tumor injiziert werden, dürften sich lokal hohe, die Abwehr anregende Konzentrationen von IL-2 aufbauen, zugleich aber die meisten toxischen Nebenwirkungen vermeiden lassen.
Das US-Unternehmen Genzyme General Division erprobt Lipoplexe zur Behandlung der cystischen Fibrose; bei dieser im deutschen Sprachraum als Mukoviszidose bekannten Erbkrankheit schädigen zähflüssige Drüsensekrete insbesondere die Lungen. Ursache ist ein defekter Ionenkanal in der Zellmembran (siehe Spektrum der Wissenschaft, Februar 1996, Seite 32). Die Liposomen mit dem intakten Gen werden in Form eines Aerosolsprays in die Lungen eingeatmet, wo das schließlich hergestellte Kanalprotein einige der schlimmsten Symptome lindern sollte.
Verbesserung der Prototypen
Mit Lipoplex-Präparaten läßt sich im Tierexperiment manchmal eine vergleichbar starke Gen-Expression erreichen wie mit viralen Genfähren. Die Übertragung ist allerdings wesentlich weniger effizient: Einige Viren transferieren ihr Erbgut mit einer Ausbeute von fast 100 Prozent; um aber eine bestimmte Anzahl von Zellen mit Lipoplexen zu transfizieren, braucht man etwa das Zehntausendfache an derart präparierten Kopien des Gens.
Wir und andere Wissenschaftler suchen deshalb in die äußere Hülle spezielle Proteine (oder Teile davon) einzubauen, ähnlich jenen, mit denen Viren an bestimmte Zelltypen andocken. Als weitere Zusatzausstattung kommen Moleküle in Frage, die Gene vor dem Abbau in Zellen schützen und ihnen das Funktionieren erleichtern. Dafür bieten sich zum Beispiel sogenannte Membranfusionsproteine von Viren an, die mit Hilfe dieser Moleküle gewöhnlich dem Abfallbeseitigungssystem im Zellinneren entschlüpfen. Außerdem versucht man, therapeutische Gene mit speziellen viralen Proteinen zu verknüpfen, die virale Gene zum Zellkern dirigieren helfen – denn nur dort kann die Information abgele-sen werden.
Nackte DNA
Gleichzeitig untersuchen wir, ebenso wie andere Wissenschaftler, Anwendungsmöglichkeiten für nackte DNA. In den späten achtziger Jahren, lange bevor klinische Studien mit Lipoplexen begannen, hatten wir nämlich eine überraschende Entdeckung gemacht.
Eigentlich wollten wir herausfinden, welche Lipidpräparate sich am besten für die Genübertragung in Körpergewebe eignen; dazu wurden Lipoplexe mit einem Gen, dessen Expression leicht nachzuweisen war, in verschiedene Gewebe von Mäusen injiziert. Es war ein denkwürdiger Tag, als die Analyse unseres ersten Experiments verriet, daß wir in der Skelettmuskulatur einen vergleichbar hohen Expressionslevel erreicht hatten wie im günstigsten Fall bei der Transfektion von kultivierten Zellen. Die nächste Beobachtung kam jedoch völlig unerwartet: Auch DNA allein, wie wir sie bei einigen Versuchen als Kontrolle verwendet hatten, brachte annähernd gleiche, teils sogar bessere Ergebnisse als die Lipidpräparate.
Wir wiederholten diese Experimente mehrmals in den verschiedenen Labors der beteiligten Wissenschaftlergruppen – immer mit demselben Ergebnis: Nackte DNA, in den Skelettmuskel eines Tieres injiziert, wurde exprimiert; die lokale Konzentration des produzierten Proteins war mit bis zu 100 Nanogramm pro Gramm Muskelgewebe zudem recht hoch (Bild 4).
Trotz der elektrischen Abstoßung zwischen Zelloberfläche und DNA können demnach einige wenige Zellen das Molekül aufnehmen – wie allerdings, ist bis heute unklar. Vielleicht spielt dabei eine geringfügige Gewebeverletzung oder ein erhöhter Druck an der Injektionsstelle mit (Bild 2 rechts).
Im Prinzip schien es somit auch beim Menschen möglich, nackte DNA intramuskulär zu injizieren, die dann therapeutisch ausreichende Mengen eines gewünschten Proteins liefern würde. Dringend nötig sind neue, bessere Darreichungsformen zur Behandlung von Diabetes-Patienten mit Insulin oder von Blutern (Hämophilen) mit den Gerinnungsfaktoren VIII oder IX. Allerdings hätten die bei den frühen Studien erreichten hohen lokalen Proteinkonzentrationen noch nichts gegen diese Krankheiten ausrichten können, weil die aus dem Muskel freigesetzte Menge in den drei Litern Plasma des Blutes zu stark verdünnt worden wäre.
Dank verbesserter Plasmide haben meine Kollegen und ich in der letzten Zeit Fortschritte gemacht. So können geeignete nackte Plasmide mit dem Gen für Erythropoietin bei Mäusen die Bildung roter Blutkörperchen anregen. Dieses Hormon erhalten beispielsweise Patienten, die sich regelmäßigen Dialysen unterziehen müssen; ihre geschädigten Nieren können es oft nicht in ausreichender Menge herstellen, so daß das Knochenmark zu wenig rote Blutkörperchen produziert. Auch nach einer Chemo- oder Strahlentherapie von Krebs, die das Knochenmark und damit das blutbildende System schädigt, nutzt das Hormon. Vielleicht wird künftig einmal die intramuskuläre Injektion ähnlicher rekombinanter Plasmide eine preiswertere Alternative zur Verabreichung von Erythropoietin selbst sein, das man aufwendig mit Hilfe gentechnisch veränderter Säugerzellen erzeugen muß.
DNA-Impfstoffe
Der Verwirklichung näher scheint der Einsatz nackter DNA als Impfstoff, da schon winzige Mengen eines Erregerproteins eine schützende Immunantwort auszulösen vermögen. Es gibt zwei Hauptformen der Immunität: Die erste – die humorale – wird durch Antikörper vermittelt, die zweite hingegen durch Abwehrzellen, die befallene Körperzellen attackieren; erkannt werden diese an Bruchstücken fremder Proteine, die sie auf ihrer Oberfläche präsentieren. Deshalb – so die Überlegung von Dennis A. Carson von der Universität von Kalifornien in San Diego und mir – sollte nackte Plasmid-DNA, deren Produkt ja dann in Muskelzellen erzeugt wird, auch eine zelluläre Immunität bewirken können.
Unser erstes Experiment gemeinsam mit Gary M. Rhodes ergab, daß Mäuse nach Injektion eines Plasmids, das für ein Hüllprotein des menschlichen Immunschwächevirus (HIV) codiert, Antikörper gegen diesen Eiweißstoff des AIDS-Erregers produzierten. Mehr noch – zelluläre Immunreaktionen wurden, wie Rhodes anschließend zeigte, ebenfalls ausgelöst. In Labortests griffen spezielle Abwehrzellen dieser Tiere Zellen an, die Fragmente des HIV-Proteins präsentierten.
Der krönende Abschluß ähnlicher Experimente mit Grippeviren gelang Suezanne E. Parker aus meinem Labor. Sie belegte, daß ein Plasmid mit einem Gen dieser Erreger als DNA-Vakzin Mäuse später vor einer ansonsten tödlichen Virusdosis zu schützen vermochte. Margaret Liu und ihre Kollegen an den Forschungslaboratorien des Unternehmens Merck in West Point (Pennsylvania) haben diese Ergebnisse ausgebaut und eine Reihe von potentiellen DNA-Vakzinen entwickelt, die eine lange anhaltende zelluläre und humorale Immunantwort hervorrufen. Derzeit laufen klinische Studien mit einem solchen Grippe-Impfstoff.
DNA-Vakzine gegen die Erreger von Herpes-Erkrankungen, Malaria und AIDS dürften wohl in absehbarer Zeit ebenfalls reif für klinische Tests sein. Auf längere Sicht anvisieren könnte man auch solche gegen Tuberkulose-Bakterien, Papillom-Viren (die unter anderem im Verdacht stehen, Gebärmutterhalskrebs zu fördern), Clamydien (Erreger der sogenannten Vierten Geschlechtskrankheit und der Ägyptischen Augenkrankheit) und Hepatitis-Viren (die infektiöse Gelbsucht, Leberzirrhose und sogar Krebs verursachen).
Außer zur Prävention von Infektionen ließen sich DNA-Vakzine möglicherweise ferner zur gezielten Aktivierung des Immunsystems gegen Krebszellen bereits erkrankter Personen einsetzen. Ein entsprechender klinischer Versuch ist für Lymphome, einen Krebs der weißen Blutkörperchen, in Planung. Das Vakzin enthält ein Gen für ein Molekül auf der Oberfläche der jeweils entarteten Zellen des Patienten.
Lipoplexe und nackte DNA sind keineswegs die einzigen nicht-viralen Methoden für eine Gentherapie. Untersucht werden auch verschiedene kationische Polymere, die keine Lipide sind und die mit DNA Komplexe bilden. Diese als Polyplexe bezeichneten Gebilde haben sich im Labor und in klinischen Versuchen als vielversprechend erwiesen.
Perspektiven
Ein wichtiges Ziel der Anstrengungen zur nicht-viralen Gentherapie ist die Entwicklung von Transportsystemen, die sich ins Blut injizieren lassen und ihre DNA-Sequenzen gezielt zu bestimmten Geweben oder Organen wie Lunge, Leber, Milz oder Knochenmark verfrachten. Präparate, die man als Tablette oder Kapsel schlucken kann, wären sogar noch bequemer. Insbesondere ließe sich die Krebsbehandlung, wenn solche Systeme nur entartete und nicht die normalen Zellen eines Gewebes ansteuerten, in verschiedener Hinsicht verbessern. Schließlich sollte man sogar einmal mutierte Gene in den Zellen von Menschen mit Erbkrankheiten oder Krebs direkt korrigieren können – auf genchirurgischem Wege. Eine Methode, die gezielte Genveränderung, bietet einen möglichen Ansatz; in Zellkultur hat man sie bereits erfolgreich mit Lipoplexen als Vehikel erprobt.
Die nicht-virale Genübertragung mit Hilfe von Lipoplexen, Polyplexen und nackter Plasmid-DNA ist mittlerweile ein bedeutendes, expandierendes Feld in der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung. Bei weiteren raschen Fortschritten sollte in den nächsten Jahrzehnten eine Vielzahl von Produkten, die auf dieser Technologie basieren, routinemäßig zur Behandlung und Vorbeugung verbreiteter Krankheiten eingesetzt werden können.
Literaturhinweise
- Direct Gene Transfer into Mouse Muscle in Vivo. Von Jon A. Wolff, Robert W. Malone, Phillip Williams, Wang Chong, Gyula Acsadi, Agnes Jani und Philip L. Felgner in: Science, Band 247, Seiten 1465 bis 1468, 23. März 1990.
– Direct Gene Transfer for Immuno-Therapy. Von G. J. Nabel und P. L. Felgner in: Trends in Biotechnology, Band 11, Heft 5, Seiten 211 bis 215, Mai 1993.
– DNA Vaccines. Von J. J. Donnelly, J. B. Ulmer, J. W. Shiver und M. A. Liu in: Annual Review of Immunology, Band 15, Seiten 617 bis 648, 1997.
– Lipidic Vector Systems for Gene Transfer. Von R. J. Lee und L. Huang in: Critical Reviews in Therapeutic Drug Carrier Systems, Band 14, Heft 2, Seiten 173 bis 206, 1997
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1997, Seite 50
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