Wirtschaft: Gewinner und Verlierer
Die Vorteile der Globalisierung sind ungleich verteilt. Interessanterweise stehen diejenigen Länder am besten da, die dem Rat des Internationalen Währungsfonds zuwiderhandelten.
Warum sind die größten Gewinner in den letzten zehn Jahren der Wirtschaftsglobalisierung zumeist in Süd- und Ostasien zu finden, wohingegen die größten Verlierer im ehemaligen Sowjetblock und in Schwarzafrika liegen? Die Geschichte liefert nur teilweise eine Erklärung: Ostasien hat eine jahrtausendealte Handelstradition, die vor kurzem dadurch belebt wurde, dass die Chinesen die Marktwirtschaft eingeführt haben. Die Sowjetunion hingegen war vor den Kräften der freien Marktwirtschaft fast siebzig Jahre lang geschützt. In Afrika haben bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen oder mangelhafte Infrastrukturen, die zu hohen Transportkosten führen, zahlreiche Wirtschaftszweige behindert. Einige Länder sind benachteiligt, weil sie Binnenländer sind; bei vielen beschränkt sich der Handel fast ausschließlich auf Rohstoffe, deren Marktpreis in den letzten Jahren gefallen ist.
In einigen Regionen litten bestimmte Länder unter einer fehlgeleiteten Politik, die häufig unter dem Druck internationaler Institutionen, wie etwa dem Internationalen Währungsfonds (IWF), eingeschlagen wurde. Unter diesen Ländern befindet sich vor allem Russland, das in den frühen 1990er Jahren versuchte, die Marktwirtschaft einzuführen, ohne erst die Institutionen zu schaffen, durch die Kapitalismus überhaupt möglich ist, wie beispielsweise ein unabhängiges Bankensystem, Wirtschaftsgesetze und ein geeignetes Verfahren zum Einziehen von Steuern.
Ermutigt durch den IWF, die Weltbank und das US-Finanzministerium hat die Regierung von Präsident Boris Jelzin den staatlichen Industriesektor privatisiert und somit eine Klasse von Oligarchen geschaffen, die – weil sie wussten, wie instabil die Bedingungen im Heimatland sind – ihr Geld nach Übersee schickten, statt es zu Hause zu investieren. Unter dem Druck des IWF hat Russland einen zu hohen Wechselkurs eingeführt – ein Segen für all jene, die Luxusgüter importierten, jedoch eine Hürde für die Exportindustrien. Das Ergebnis war eine Katastrophe für die Angestellten, die sehr häufig nicht bezahlt wurden oder wenn, dann in Naturalien und nicht in Rubeln.
Wer nicht hört, gewinnt
China hingegen, der größte Gewinner der Globalisierung, ist der IWF-Formel nicht gefolgt. Von den ehemaligen Staaten des Sowjetblocks haben nur wenige, insbesondere Polen und Ungarn, ein Wachstum erreicht. Dies schafften sie, indem sie den Rat des IWF ignorierten und Expansionspläne entwickelten – darunter das Konzept, mehr auszugeben als durch Steuern eingenommen wurde. Botswana und Uganda sind ebenfalls Erfolgsländer: Trotz ihrer Nachteile erreichten diese Länder ein starkes Wachstum durch die Schaffung stabiler Staatsordnungen, die Handelsliberalisierung und durch Reformen – allesamt entgegen den IWF-Verordnungen.
Der IWF hat in den Entwicklungsländern eine falsche Politik verfolgt. Seine ursprüngliche Mission war, die Weltwirtschaft durch Fördern der Vollzeitbeschäftigung zu stützen. Aber laut Joseph Stiglitz von der Columbia-Universität in New York, dem Wirtschafts-Nobelpreisträger von 2001, wurde die Behörde in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr von Wirtschaftswissenschaftlern dominiert, die eher dem Finanzsektor als den kreditnehmenden Ländern zugeneigt waren. In dem Glauben, dass Finanzstärke ein Vorteil sei, hat der IWF den kreditnehmenden Ländern eine kontraproduktive einschränkende Politik aufgezwungen. Stiglitz sieht erste zögerliche Anzeichen dafür, dass der IWF und andere internationale Institutionen, wie die Weltbank, ihren Ansatz ändern.
Falls dies zutrifft, wären die Beobachtungen von Stiglitz willkommene Neuigkeiten, da sich die Wirtschaftsglobalisierung in der Vergangenheit als starke Kraft zur Verringerung der Armut erwiesen hat. In China beispielsweise sank die Anzahl der Menschen, die in ländlicher Armut leben, zwischen 1978 und 1999 von 250 Millionen auf 34 Millionen. In weniger globalisierten Ländern stieg die Armut um vier Prozent zwischen 1993 und 1998, und in Russland stieg sie von zwei Prozent 1989 auf 24 Prozent 1998.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2003, Seite 81
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