Geschlechterforschung: Die Legende vom weiblichen Gehirn
Im Jahr 2009 beschloss die Neurowissenschaftlerin Daphna Joel von der Universität Tel Aviv, einen Kurs zum Thema »Gender-Psychologie« für ihre Studenten anzubieten. Als Feministin interessierte sie sich schon lange für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Als Wissenschaftlerin jedoch hatte sie vorwiegend die neuronalen Ursachen von Zwangsstörungen erforscht. Um sich auf den Kurs vorzubereiten, sichtete sie die umfangreiche und ideologisch teils stark aufgeladene Literatur zu geschlechtsspezifischen Merkmalen im Gehirn. Die Themen waren bunt gemischt: Sie reichten von speziellen anatomischen Strukturen bei Ratten bis hin zu den möglichen Ursachen männlicher Aggression und weiblicher Empathie. Als sie mit ihren Vorbereitungen begann, glaubte Joel fest daran, dass sich Mann und Frau nicht nur in puncto Geschlechtsorgane und Körperstatur voneinander unterscheiden, sondern auch, dass ihre Gehirne verschieden ticken.
Während sie sich durch die Literatur wühlte, stieß sie jedoch auf eine Studie von 2001, deren Ergebnisse dieser Vorstellung widersprachen. Es ging um ein anatomisches Detail des Rattengehirns: winzige Fortsätze auf den Nervenzellen, so genannte dendritische Spines, die für die Übertragung elektrischer Signale wesentlich sind. Tracey Shors und ihr Team an der Rutgers University in New Jersey hatten sowohl bei weiblichen als auch bei männlichen Ratten künstlich den Östrogenspiegel erhöht. In der Folge bildete das weibliche Gehirn mehr dendritische Spines als das männliche. Wenn die Forscher die Tiere stressten, indem sie ihnen Stromschläge am Schwanz zufügten, drehte sich dieser Befund jedoch um: Die Männchen bildeten mehr Spines, während bei den Weibchen deren Zahl sogar abnahm.
Daphna Joel entwickelte daraufhin eine gewagte Hypothese ...
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