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Giftige Psychiatrie. Was Sie über Psychopharmaka, Elektroschock, Genetik und Biologie bei "Schizophrenie", "Depression" und "manisch-depressiver Erkrankung" wissen sollten!

Aus dem Amerikanischen
von Christel Rech-Simon.
Carl-Auer-Systeme, Heidelberg 1996.
348 Seiten, DM 39,80.

Selten hat mir ein Buch solche Schwierigkeiten bereitet wie dieses. Selten war ich so hin- und hergerissen zwischen Ärger und Verdruß einerseits, Aufmerksamkeit und Interesse für die aus wissenschaftlichen Arbeiten zitierten Fakten, Zahlen und Statistiken andererseits.

Der amerikanische Psychiater Peter R. Breggin lernte als Student im ersten Semester an der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) psychiatrische Stationen noch vor dem Siegeszug der Psychopharmaka kennen und blickt auf mittlerweile vierzig Jahre Therapie mit diesen Medikamenten zurück. In seinem Buch will er die Einseitigkeit der weltweiten Diskussion über Nutzen und Gefahren der Psychopharmaka und der Elektrokrampftherapie dokumentieren. Diese Einseitigkeit geht, wie Breggin deutlich zu machen weiß, einher mit einer erstaunlich unkritischen Haltung gegenüber der Biopsychiatrie, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer wieder verkündet, unmittelbar vor dem großen Durchbruch zu stehen – der dann doch nie kommt –, die aber trotzdem großes Ansehen und entsprechende finanzielle Ausstattung genießt.

Zunächst aber zu den Faktoren, die das Lesen des Buches so schwer machen. Breggin polemisiert heftig und auch in diffamierender Weise gegen alle in psychiatrischen Kliniken Tätigen: Er bezeichnet sie als Gefängniswärter, unterstellt den Psychiatern Raffgier und Machtstreben als wesentliche Motive für ihr Handeln und behauptet, es sei seit je geschätzte psychiatrische Tradition, dem Patienten radikale Behandlungen aufzuzwingen und sein Bedürfnis nach nährender Fürsorge völlig zu ignorieren.

Zudem neigt Breggin zu Übertreibungen ("Neuroleptika gehören zu den gefährlichsten Medikamenten, die jemals in der Medizin benutzt wurden") und zu pauschal unpräzisen Formulierungen ("Cynthia hatte mehr als Teile ihres Gedächtnisses und ihres Intelligenzquotienten verloren"). Dieser Stil ist nicht nur ärgerlich, sondern weckt auch immer wieder Zweifel an der Seriosität der übrigen Angaben.

Zwei weitere Einwände kann man Breggin nicht ersparen. Zum einen vertritt er Ansichten über die familiäre Verursachung von Schizophrenie oder Depression durch Mißhandlungen in der Familie, Mangel an Liebe, Konflikte der Eltern und ähnliches, die in dieser Form zweifellos nicht haltbar und vom Stand der Wissenschaft weit entfernt sind. Die Ergebnisse der "Expressed Emotions"-Forschung, die er – unter anderen – als Beleg heranzieht, sind in dieser Hinsicht nicht stichhaltig: Wenn ein Familienmitglied sich problematisch verhält und die anderen sich darüber sehr negativ äußern und übermäßig emotional involviert sind, weiß man eben nicht, ob nicht das zweite eher Folge des ersten ist als seine Ursache.

Zum anderen stellt der Autor Behauptungen auf, die zumindest für Deutschland unzutreffend sind. So bestehe die Absicht, die Psychotherapie aus dem Kanon der Ausbildung zum Psychiater zu entfernen – genau das Gegenteil ist der Fall –, es würden "Neuroleptika regelmäßig in Krankenhäusern, Einrichtungen für straffällig gewordene Jugendliche und besonders in Institutionen für entwicklungsverzögerte Kinder und Jugendliche" zur Kontrolle unerwünschten Verhaltens verabreicht und Kinder mit Elektrokrampftherapie behandelt.

Trotz all dieser Dinge, die das Lesen wahrlich schwermachen, halte ich das Buch für wichtig. Breggin hat eine Fülle von Materialien zusammengetragen, um zu beweisen,

- daß es bis heute keinerlei eindeutige Hinweise auf eine biologische Ursache von schizophrenen oder depressiven beziehungsweise bipolaren Erkrankungen gibt (ebensowenig wie auf eine Verursachung durch frühkindliche oder frühgeburtliche Erfahrungen, durch die Mutter-Kind-Beziehung oder durch die Familiendynamik),

- daß Psychopharmaka in keiner Weise ursächlich auf diese Erkrankungen wirken (obwohl immer wieder ein Zirkelschluß zwischen physiologischer Wirkung der Psychopharmaka im Gehirn und den Hypothesen über die Ursache dieser Erkrankungen hergestellt wird),

- daß die Wirkung der Neuroleptika wie der Antidepressiva auf einer mehr oder weniger ausgeprägten Hirnfunktionsstörung oder gar Hirnschädigung beruht, wodurch das psychoenergetische Niveau sinkt und der Patient emotional abstumpft, sowie

- daß die teils irreversiblen Langzeitfolgen der Medikamente häufig als Folge der Krankheit gedeutet und damit die Schädigungen durch die Medikamente kleingeredet werden.

In entsprechender Weise trägt er eindrucksvolles Material über die Elektrokrampftherapie zusammen, die heute in Deutschland nach – allerdings verzögerter – Reaktion auf die Schrecken in den psychiatrischen Anstalten während des Dritten Reichs nur geringe Bedeutung hat und erst in jüngster Zeit wieder Befürworter findet.

Breggin stützt seine Argumentation nicht selten auf Arbeiten erklärter Befürworter der Psychopharmaka und der Elektrokrampftherapie. Beispielsweise zitiert er den leitenden Herausgeber der Zeitschrift "Convulsive Therapy", Max Fink, mit der Einschätzung, Hirnfunktionsstörungen in der Folge einer Elektrokrampfbehandlung seien nicht Komplikation oder Nebenwirkung, sondern conditio sine qua non der Wirkungsweise.

Breggins Buch müßte sicherlich kritisch diskutiert werden. Aber diese Diskussion tut not! Sein unbezweifelbares Verdienst liegt darin, unbequeme Fakten zur Sprache zu bringen. Denn die allgemeine Euphorie über biopsychiatrische Konzepte und psychopharmakologische Behandlungserfolge – zweifellos unterstützt von einer an Absatz interessierten Pharmaindustrie – ist mit den Fakten kaum in Einklang zu bringen und angesichts der hohen Zahl der so behandelten Patienten höchst bedenklich.

Sicherlich hätte ich mir ein Buch gewünscht, das differenzierter auch die positiven Seiten der Psychopharmakotherapie berücksichtigt – und sei es auch nur die Möglichkeit, damit außer Kontrolle geratene Patienten unter Kontrolle zu bringen. So hätte der Autor auch der Gefahr begegnen können, daß sein Buch gerade von denen, die es lesen sollten, als unsachlich zur Seite gelegt wird. Doch vielleicht wird man als Einzelkämpfer, der sich starken Interessenverbänden gegenübersieht, notgedrungen bissig.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1997, Seite 113
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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