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Glück, Logik und Bluff. Mathematik im Spiel - Methoden, Ergebnisse und Grenzen.

Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden 1998. XIV+357 Seiten, DM 49,80.

Mathematik und Spiel – vielfältig sind die Assoziationen und Querverbindungen zwischen diesen Begriffen, von denen mancher meint, es lägen Welten dazwischen. Fachleute weisen häufig auf den spielerischen Aspekt mathematischer Forschungsarbeit hin, und die mathematische Analyse von Spielen ist ein beliebter, fast schon überstrapazierter Gegenstand der Unterhaltungsmathematik. Am Beispiel der Spieltheorie, deren Bedeutung neben der Anwendung auf Gesellschaftsspiele vor allem in der Modellierung komplexer ökonomischer Systeme liegt, wird der Öffentlichkeit immer wieder die Nützlichkeit von Mathematik demonstriert.

Auf den ersten Blick scheint das vorliegende Buch mit dem gefälligen Titel, dem bunten Umschlag und den locker formulierten Kapitelüberschriften problemlos in die lange Reihe der unterhaltsamen Spielebücher zu passen. Doch schon das Vorwort belehrt den Leser eines Besseren: Hier geht es um eine durchaus ernste Angelegenheit, der mit analytischer Strenge zu Leibe gerückt werden soll.

Ausgangspunkt bilden die drei Unsicherheitsfaktoren, die Verlauf und Ausgang eines Spiels beeinflussen können: der Zufall, die hohe Anzahl möglicher Spielzüge und der jeweilige, eventuell unterschiedliche Informationsstand der Spieler, verkürzend mit „Glück, Logik und Bluff“ charakterisiert. Dabei geht es einerseits um die Analyse von Spielen unter Berücksichtigung dieser Risikofaktoren, andererseits und mindestens so ausführlich um die Theorien und Methoden, die sich den drei Problemkreisen zuordnen lassen. Der Zufall führt dabei naturgemäß zur Wahrscheinlichkeitstheorie; die kombinatorischen Aspekte lassen sich durch eine bunte Mischung mathematischer Methoden beschreiben, und die Lösung der strategischen Fragen ist Aufgabe der Spieltheorie.

Im Rahmen dieses Konzeptes werden die meisten allgemein bekannten Spiele, wie etwa Schach, Backgammon, Skat, Roulette und Mastermind, aber auch einige weniger bekannte wie Hex, Lasker-Nim und Kaltes Go besprochen. Es gelingt dem Autor stellenweise sehr gut, Theoretisches in Beziehung zu konkreten statistischen Daten zu setzen und dadurch aufzuzeigen, wie und inwieweit man mit mathematischen Methoden Gewinnchancen bei Spielen optimieren kann. Dabei kam dem promovierten Mathematiker Bewersdorff sicherlich zugute, daß er sich beruflich mit der Entwicklung von Spielautomaten beschäftigt.

Jedes Kapitel beginnt mit einer praktischen Frage, die als Ausgangsbasis für die Entwicklung eines ganzen Themenkomplexes dient. Bewersdorff legt viel Wert auf die – gut recherchierten – historischen Hintergründe, besonders auf die Wechselwirkung zwischen der praktischen Auseinandersetzung mit Spielen und der Entwicklung mathematischer Theorien.

Mit seiner „aus dem üblichen Rahmen fallende[n] Zusammenstellung“ (Vorwort) sucht der Autor konkrete Spielsituationen auf kurzem Wege mit zum Teil sehr anspruchsvoller Mathematik in Verbindung zu bringen und dabei alle möglichen Aspekte zu berücksichtigen, bringt sich damit aber stellenweise in große Schwierigkeiten.

So führt Bewersdorff im ersten Abschnitt, ausgehend von relativ einfachen Fragen im Zusammenhang mit Würfeln, Lotto, Roulette und ähnlichen Glücksspielen, in hohem Tempo alle wichtigen Grundbegriffe und wesentlichen Aussagen der axiomatischen Wahrscheinlichkeitstheorie ein. Dabei steht die Flut der Definitionen und unbewiesenen Sätze in keinem angemessenen Verhältnis zu den ursprünglich zu lösenden Fragen. Diese können lediglich als eine einfache Anwendung der mathematischen Ergebnisse gelten, die in vielen anderen Bereichen, etwa in der medizinischen Biometrie, eine wichtige Rolle spielen. Letzteres hätte der Autor zumindest erwähnen sollen.

Bei der Analyse kombinatorischer Spiele gerät er in kürzester Zeit zur Theorie der Berechenbarkeit und zur Komplexitätstheorie; vom sogenannten Halteproblem, das der theoretischen Informatik angehört, schwenkt er kühn über zum Gödelschen Unvollständigkeitssatz, zur nichteuklidischen Geometrie und zum erst 1970 als unentscheidbar erwiesenen Problem der Lösbarkeit diophantischer Gleichungen in den ganzen Zahlen.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Bewersdorff die mathematische Analyse von Gesellschaftsspielen mit nahezu allen wichtigen Konzepten der Mathematik in Beziehung setzen wollte. Dies gibt aber dem Laien insgesamt ein schiefes Bild von der Entwicklungsgeschichte der Mathematik. Weniger wäre mehr gewesen!

Die Überfülle des Materials bringt es unausweichlich mit sich, daß die Erwartungen an die mathematischen Vorkenntnisse des Lesers sehr ungleichmäßig verteilt sind. Beispielsweise erklärt der Autor ausführlich, was die Fakultät einer natürlichen Zahl ist, setzt aber einige Seiten später stillschweigend den natürlichen Logarithmus als wohlbekannt voraus. Der sehr sachliche, trockene Stil und die eher spartanische Ausstattung des Buches tragen nicht unbedingt dazu bei, den bisweilen ermüdeten Leser bei der Stange zu halten, und man fragt sich, wo hier beim Spielen – und der Mathematik – der Spaß geblieben ist.

Wer jedoch viel Zeit, ernsthaftes Interesse an Spielen und einiges an mathematischem Know-How mitbringt, dem sei die Lektüre durchaus empfohlen. Der Lohn der Mühe ist eine Fülle sorgfältig zusammengetragener und fundierter Informationen mit zahlreichen weiterführenden Literaturhinweisen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1999, Seite 111
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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