Editorial: Gott spielen im Labor
Als der berühmte Physiker Richard Feynman 1988 starb, stand als einer seiner letzten Anschriebe auf seiner großen Wandtafel am California Institute of Technology: »What I cannot create, I do not understand«. Der Genetiker Craig Venter verstand die Aussage offenbar im Sinne von »Ich verstehe etwas erst dann wirklich, wenn ich es selbst nachbauen kann«. Als er 2010 das Genom eines Mycoplasma-Bakteriums komplett durch neu synthetisierte DNA ersetzte, codierte er unter anderem Feynmans Zitat in das Erbgut hinein. Leider verfälschte er dabei das Original zu »What I cannot build, I cannot understand« – ein Fehler, den er später korrigierte.
Manche feierten Venters Meilenstein als Schaffung der ersten synthetischen Lebensform, auch wenn der Genetiker im Grunde nur ein bereits vorhandenes Erbgut mit einigen Veränderungen nachgebaut und in einen verwandten Organismus eingepflanzt hatte. Andere argumentieren dagegen, wahres »künstliches Leben« bedeute nicht weniger als die komplette Neukonstruktion einer funktionierenden Zelle, einschließlich der Stoffwechselwege und Energieproduktion. Damals klang das noch sehr utopisch.
Aber genau daran arbeiten inzwischen viele Wissenschaftler rund um den Globus, darunter mehrere deutsche wie etwa Petra Schwille am Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie in Martinsried bei München, Joachim Spatz am MPI für medizinische Forschung in Heidelberg und Tobias Erb am MPI für terrestrische Mikrobiologie in Marburg. Unser Titelthema ab S. 12 gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung in dem spannenden Gebiet der Synthetischen Biologie, das in den letzten Jahren rasant an Fahrt gewonnen hat. Es wurde sogar schon als heißer Kandidat für das nächste Flaggschiff-Projekt der EU mit einer Fördersumme von einer Milliarde Euro gehandelt; allerdings scheint dieses aufwändige Programm nun eingestellt zu werden.
Einen bemerkenswerten Anwendungsfall der Synthetischen Biologie beschreibt der Folgeartikel ab S. 20. Derzeit schreiben einige Forscher das Genom des Bakteriums Escherichia coli so um, dass Viren diese Zellen nicht mehr infizieren können. Das wäre ein wichtiger Fortschritt für die Biotech-Industrie, die solche Bakterien in großem Maßstab zur Produktion von Medikamenten und anderen Wirkstoffen einsetzt. Das Ziel ist jetzt in Reichweite; der logisch nächste Schritt ist, auch menschliche Zellen virenresistent zu machen. Das brächte zwar noch ganz andere wissenschaftliche und zudem ethische Probleme mit sich – aber auch die Möglichkeit, dass sich zukünftige Generationen besser vor den gefährlichen Zellpiraten schützen könnten.
Herzlich, Ihr
Hartwig Hanser
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