GPS-Anwendungen im Straßenverkehr
Visionäre prophezeien der Satellitennavigation einen ähnlich kometenhaften Aufstieg wie der drahtlosen Kommunikation, zumal beide Technologien auch im Verbund arbeiten. Die amerikanische Luftfahrtbehörde (Federal Aviation Administration, FAA) plant bereits, bis 1998 insgesamt 35 Bodenstationen für differentielles GPS zu errichten, um die Genauigkeit der Navigation in der zivilen Luftfahrt auf etwa sieben Meter zu verbessern; damit werden sich Fluglinien dichter bündeln und landende Maschinen auf Flughäfen zuverlässiger leiten lassen (freilich hat sich das US-Verteidigungsministerium vorbehalten, die Genauigkeitssteigerung im Krisenfall zumindest lokal zu unterbinden). Geplant ist auch ein europäisches System, das eigenständig oder als Ergänzung zum amerikanischen in erster Linie zivilen Nutzern dienen und von diesen zumindest teilweise auch finanziert werden soll.
Nach einer Studie des weltweit tätigen Marktforschungsunternehmens Frost & Sullivan wird sich die zivile GPS-Nutzung in Westeuropa von 1992 bis 1998 drastisch ändern (Bild 1). Insbesondere dürften Landanwendungen 1998 ein Umsatzvolumen von 1,88 Milliarden Dollar erwirtschaften. Überwiegend sind das Systeme in Kraftfahrzeugen, die der Zielführung, eventuell auch eines Tages der automatischen Steuerung einzelner Fahrzeuge sowie dem Management ganzer Fahrzeugflotten dienen, einen Fahrzeugdiebstahl verhindern oder einen automatischen Notruf auslösen sollen.
Zielführungssysteme
Darunter versteht man in diesem Zusammenhang ein Navigationshilfsmittel, das einen Fahrer auf dem Weg zu einem Ziel in unbekannter Umgebung unterstützt. In Deutschland gibt es erst zwei derartige Produkte (von Bosch und Philips); auf dem japanischen Markt hingegen wurden Zielführungssysteme bereits 1987 eingeführt und sind in mittlerweile mehr als zwanzig verschiedenen Funktionalitätsstufen und Preisklassen als Sonderausstattung wie auch zum Nachrüsten verbreitet. Experten schätzen, daß dort 1995 bereits etwa 150000 Fahrzeuge mit einem solchen Navigationssystem vom Band rollten. Vergleichbare Stückzahlen erwarten sie für Europa erst 1997 bis 1998. Preisgünstige Nachrüstlösungen niedrigerer Funktionalität bis hin zum entsprechend ausgebauten Laptop werden in der Anfangsphase wahrscheinlich ein noch wesentlich höheres Marktvolumen erreichen.
Qualität und Nutzen der Fahrzeugnavigation hängen allerdings davon ab, welche Komponenten mit dem GPS integriert werden:
- Informationsquellen: Eine Voraussetzung sind elektronische Karten im Vektor- oder Rasterformat (erstere beschreiben Anfangs- und Endpunkt einer Strecke und sind deshalb für die Routenfindung geeignet, während sich pixelorientierte Karten zwar durch Abscannen etwa von Papiervorlagen einfach gewinnen lassen, aber kaum die gewünschte Verarbeitung erlauben); mit den Karten lassen sich Zusatzinformationen nach Art der Gelben Seiten oder eines Hotelführers verbinden. Des weiteren bietet das System Angaben zur aktuellen Position und Bewegung über GPS, Radumdrehungsmesser wie den ABS-Radsensor, Magnetkompaß und Drehgeschwindigkeitssensor.
- Verarbeitungsfunktionen: Wesentlich ist die Routenfindung zwischen den gewählten Start- und Zielorten, gegebenenfalls mit Alternativvorschlägen und automatischer Neubestimmung bei Kursabweichung. Sind alle genannten Sensoren vorhanden, läßt sich die über GPS gemessene Position mit dem zurückgelegten Kurs koppeln und mit einer Vektorkarte in Deckung bringen (Map-Matching).
- Ein- und Ausgaben: Außer der Ausgabe von Texten – etwa von Routenlisten, beispielsweise mit Angabe der an Kreuzungspunkten zu wählenden Richtung – bietet sich die graphische Kartendarstellung auf einem Farbdisplay an, unter Umständen mit Einblendung von Fahrtstrecke oder Fahrempfehlungen und gegebenenfalls mit sprachsynthetischer Ausgabe. Neue Bedienkonzepte wie die sprachorientierte Eingabe sind in der Entwicklung.
Die Erfahrung auf dem japanischen Markt lehrt, daß nur solche Systeme dauerhafte Bedeutung erreichen, die den Fahrer sehr umfassend durch eine detaillierte, mit verkehrsrelevanten Informationen versehene Karte (beispielsweise mit Angaben über Richtungs-, Abbiege- und Wendebeschränkungen) unterstützen, wie sie zur Routenberechnung unabdingbar sind. Andererseits erfordert die aufgrund von Signalabschattung im städtischen Bereich mit GPS allein nicht erreichbare Ortungsgenauigkeit die Ergänzung durch die bereits genannten Sensorsysteme (zur Koppelortung) und Map-Matching-Verfahren. (Ältere Zielführungssysteme verwendeten sogar ausschließlich diese Ortungsverfahren, die GPS-Komponente sichert die Kartenortung ab und verbessert die Kalibrierung von Umdrehungsmessern und Magnetkompaß.) Dementsprechend zeigt eine Analyse vorhandener Systeme, daß GPS nicht als die zentrale Ortungskomponente gesehen wird.
Zudem geht der Trend bei der elektronischen Fahrzeugausrüstung hin zur Integration verschiedener Geräte. Zentrale Komponenten wie Menü- und Sprachbedienung, akustische Ausgabe, CD-ROM-Laufwerk, Prozessor und Farbdisplay werden also auch für andere Zwecke als die Navigation genutzt, beispielsweise zur Bedienung des Audio-Systems, der Klimaanlage und des Mobiltelephons, zur Darstellung einer CCD-Kamera-Sicht nach hinten beim Rangieren bis hin zu Entertainment-Funktionen wie Video-Display und Computerspielen.
Vorhandene Komponenten sind demnach künftig lediglich um Sensoren für die Koppelortung, GPS, Kartendatenbank und Software zu ergänzen. Wird der Aufpreis weniger als 1500 Mark bei guter Funktionalität ausmachen, dürfte sich Fahrzeug-Navigationssystemen der Massenmarkt öffnen. Japan steht bereits am Beginn dieser Phase, in Europa wird sie erst für den Zeitraum 1998 bis 2000 prophezeit.
Automatische Fahrzeugführung
Fahrerlose Transportsysteme gibt es derzeit nur über Leitkabel in Produktionshallen oder als mechanisch spurgeführte Busse. In verschiedenen Forschungsprojekten – unter anderem der europäischen Prometheus-Initiative (vergleiche Spektrum der Wissenschaft Spezial 4 "Schlüsseltechnologien", Seite 52, und Dossier "Verkehr und Auto", Seite 20) – wurde die Erkennung des örtlichen Straßenverlaufs sowie anderer Verkehrsteilnehmer durch eine Kombination von Rechner und Video erprobt.
Mittlerweile wird auch GPS in diesem Zusammenhang genutzt, insbesondere für Bau- und Transportmaschinen in abgeschirmten Bewegungsräumen mit klar definierten Empfangsbedingungen. Im realen Verkehr dürfte das System wohl nur als ergänzendes Element zu Kamera, Radar und Laserscanner eingesetzt werden können. Ob der Nutzen des technisch eventuell Machbaren den unerläßlichen Aufwand nicht weit übersteigt, der für eine wirklich sichere Fahrzeugführung zu treiben wäre, bleibt freilich abzuwarten.
Flottenmanagement
Polizei und Rettungsdienste, Taxizentralen, private Kurierdienste, Speditionen, Logistikunternehmen sowie andere öffentliche und private Betreiber von Fahrzeugflotten organisieren diese im allgemeinen von einer Leitstelle aus. Zur Disposition, Planung und Verwaltung muß sie mit geeigneter Hard- und Software ausgerüstet sein.
Die mobilen Einheiten stehen per Sprach- und gegebenenfalls Datenübertragung mit der Zentrale in Verbindung. Insbesondere beim Flottenmanagement im städtischen Bereich ist es sehr hilfreich, wenn die gegenwärtigen Fahrzeugstandorte stets bekannt sind, um Einsatzziele aufgrund der aktuellen Positionen kurzfristig umplanen und optimieren zu können; dazu ist im Automobil eine Ortungskomponente integriert, deren Positionsmessungen entweder zyklisch oder auf Abruf an die Zentrale übermittelt werden. Während früher Funkortungsverfahren verwendet wurden, setzen neuere Systeme zunehmend das GPS ein.
Automatischer Notruf
Bereits im Prometheus-Projekt entstanden Konzepte, die Mercedes Benz derzeit zur Marktreife weiterentwickelt. Die Idee ist, daß automatisch ein Notruf erzeugt und via Mobilkommunikation an eine Notrufzentrale abgesetzt wird, wenn ein Crashsensor einen Unfall des Fahrzeugs registriert. Das Gesamtsystem verfolgt die Fahrzeugposition fortwährend durch die integrierte GPS-Einheit, so daß Unfallort und – wichtig bei Autobahnen – Fahrtrichtung mit übertragen werden können.
Unfallfolgen sollten sich dadurch mindern lassen, weil schnellere Hilfe für Schwerverletzte ebenso möglich wird wie ein rascherer und gezielterer Zugriff bei verunglückten Gefahrguttransporten. Zudem lassen sich andere Verkehrsteilnehmer frühzeitiger warnen.
Entsprechende Systeme werden vermutlich zunächst als Sonderausstattungen auf den Markt kommen. In einem künftigen integrierten Fahrzeugsystem mit GPS und Mobilkommunikation als gegebenen Komponenten wäre der automatische Notruf eine einfache, nur mit geringen Mehrkosten aufrüstbare Zusatzfunktion.
Diebstahlsicherung
Viele Käufer von Neuwagen, insbesondere von Fahrzeugen der oberen Preisklasse, verlangen mittlerweile elektronische Wegfahrsperren. Sie bieten aber nur dann Sicherheit, wenn der Dieb nicht in den Besitz des physischen Schlüssels oder des elektronischen Codes gelangt. Zunehmende Gewaltbereitschaft in der organisierten Kriminalität zeigt sich in den USA und Lateinamerika bereits in Form des sogenannten Car-Jacking: Der Fahrzeugbesitzer wird unter Umständen mit vorgehaltener Waffe gezwungen, die Sicherungsmittel seines Fahrzeugs preiszugeben.
Dem ließe sich durch solche mit Fernwirkung entgegentreten. Zum einen bietet es sich an, mittels Mobil- und Satellitenkommunikation zum Beispiel die Wegfahrsperre auszulösen oder zyklisch Freigabeanforderungen des Fahrzeugs an eine Zentrale zu leiten. Des weiteren gibt es gegenwärtig schon nachrüstbare Kombinationen von Mobilkommunikation und GPS, um gestohlene Fahrzeuge zu verfolgen. Auch ließen sich fahrzeugautonome Sperrkonzepte realisieren: Der Wagen darf sich beispielsweise nur innerhalb einer vorher definierten Zone aufhalten; das Sicherheitssystem im Fahrzeug prüft dies stetig mit Hilfe seiner GPS-Ortung und verriegelt die Wegfahrsperre bei Ausfahrt aus der vorgegebenen Region. Eine Änderung der Freifahrtzone kann nicht der Fahrer selbst, sondern nur nach einer Legitimationsprüfung eine Zentralstelle vornehmen – er kann das Sicherungsmittel bei einem Car-Jacking gar nicht herausgeben (was aber eine solche Situation eventuell noch kritischer macht).
Wie alle Nachrüstlösungen haben diese Systeme den Nachteil, kein integraler Bestandteil der Funktionsstruktur zu sein: Ein nachgerüstetes Fahrzeug kann mit entsprechendem Sachverstand und Technologieeinsatz auch wieder abgerüstet werden. Um genügende Sicherheit im Hinblick auf das sich verändernde Kriminalitätsprofil zu bieten, sollte die Automobilindustrie entsprechende Konzepte in die Serienentwicklung künftiger Modellreihen einbringen.
Perspektiven für Fahrzeug-Ortungssysteme
Die in den beschriebenen Anwendungen enthaltene GPS-Komponente erfüllt in den jeweiligen Systemen sehr unterschiedliche Funktionen. Dementsprechend variieren auch die Anforderungen an Positionsgenauigkeit, Zuverlässigkeit und Datenintegrität (Bild 2).
Tatsächlich ist sowohl für Diebstahlsicherungssysteme als auch für interregionales Flottenmanagement eine GPS-Ortung entbehrlich. Für die beiden ersteren existieren alternative Konzepte, bei letzterem ist die Ortung sekundär – die Kommunikation und die zentrale Disposition sind hier die wesentlichen Elemente. In allen drei Fällen wurden GPS-basierte Konzepte nur aufgrund ihrer vergleichsweise niedrigen Kosten erwogen. Für automatische Notrufsysteme ist GPS allerdings unerläßlich.
Bei der Zielführung und der automatischen Fahrzeugführung ist GPS nur ein Element des Ortungssystems, das zusätzlich Sensoren und Instrumente wie Kreisel, Odometer, Kamera und Radarsensoren sowie Map-Matching einsetzen muß, da GPS und wohl auch denkbare Nachfolgesysteme in städtischen Straßennetzen unzureichend sind.
Die weltweit garantierte Satellitenverfügbarkeit ebenso wie Angaben zur erreichbaren Positionsgenauigkeit gelten nämlich nur bei freier Sicht von Horizont zu Horizont, also für Luft- und Schiffahrt während des Streckenflugs beziehungsweise auf hoher See sowie zu Lande bei Fahrten in kaum bewohnten, flachen Regionen mit spärlichem Baumbestand. Die typischen Anwendungsumgebungen für die hier besprochenen Zielführungs- und Flottenmanagementsysteme sind aber Innenstädte. Dort vermindern sich sowohl die Verfügbarkeit der GPS-Signale infolge Abschattung durch Gebäude und Bewuchs als auch die Genauigkeit der Positionsbestimmung, weil die in Straßenschluchten sichtbaren Satellitenkonstellationen geometrisch ungünstig sind (die Kreisschnitte stehen dann nur wenig orthogonal zueinander, siehe Seite 104); außerdem erzeugen Reflexionen des Signals Mehrdeutigkeiten und verschlechtern somit die Integrität der Daten.
Weil sich die Umgebungsbedingungen unablässig ändern, läßt sich schwer abschätzen, wie lange im Einzelfall mit verminderter Genauigkeit, systematischen Fehlern oder mit dem Ausfall der Ortung gerechnet werden muß. Bei Messungen in städtischer Umgebung registrierte man zwei Minuten als längste ununterbrochene Sequenz, wogegen die längste Signalunterbrechung vier Minuten dauerte.
Am Beispiel Münchens wurden mittlere Dimensionen von Straßenschluchten untersucht. Bei seitwärtiger Position des Automobils und glatten Häuserfronten besteht demnach ein recht hohes Risiko von sogenannter Mehrwegeausbreitung (Bild 3 links). Die Modellrechnung ergab, daß lediglich 14,5 Prozent der Einstrahlwege direkt ohne Mehrdeutigkeiten verlaufen; weitere 12,1 Prozent aller aufgenommenen Signale sind Überlagerungen aus direkt empfangenen und einfach reflektierten (Bild 3 rechts). Sind durchschnittlich sechs Satelliten bei freier Sicht von Horizont zu Horizont verfügbar, wären es in diesem Szenario im Mittel nur 1,8 Satelliten – davon lediglich einer ohne Mehrwege-Risiko.
Die satellitengestützte Ortung in Städten kann deshalb vermutlich nie für sich allein stehen. Die Automobilindustrie wird mithin kaum höhere Genauigkeit, Verfügbarkeit und Datenintegrität fordern, die für die Luftfahrt vorrangig sind, sondern vielmehr geringere Kosten. In der Diskussion um künftige Satellitenortungssysteme ist zu berücksichtigen, daß dies die erreichbaren Marktdimensionen der Anwendungen im Kraftfahrzeugverkehr entscheidend bestimmt.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1996, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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