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Heinrich Hertz

Durch eine Reihe ausgeklügelter Experimente wies der vor 100 Jahren gestorbene Physiker 1887/88 die Existenz elektromagnetischer Wellen nach. Damit wurde er zum Wegbereiter der modernen Telekommunikation. Zugleich verlagerte sich in der Physik der Forschungsschwerpunkt von den Körpern (Korpuskeln) auf die Felder.


Unter den vielen Denkmälern, die dem Entdecker der elektromagnetischen Wellen gesetzt worden sind, ist der "HEINRICH HERTZ, Dem Sohn der Stadt Hamburg" gewidmete Fernsehturm buchstäblich das herausragendste. In der Hansestadt wurde der spätere Physiker am 22. Februar 1857 als ältestes Kind einer wohlhabenden Familie geboren. Sein Vater, Gustav Ferdinand Hertz, war promovierter Jurist und wurde später zunächst Oberlandesgerichtsrat und schließlich Justizsenator; er entstammte einer Familie jüdischer Bankiers und Juweliere aus Hildesheim, die zum lutherischen Glauben übergetreten war. Seine Mutter, die mit Mädchennamen Anna Elisabeth Pfefferkorn hieß, war die Tochter eines Heeresarztes aus Frankfurt am Main.

Bereits im Alter von drei Jahren beeindruckte "Heins" durch ein erstaunlich gutes Gedächtnis. Wie seine Mutter in ihren "Erinnerungen" berichtet, konnte der Junge alle etwa einhundert Fabeln nacherzählen, die sie ihm vorgelesen hatte. Mit sechs Jahren kam er auf eine von Wichard Lange geleitete renommierte Privatschule, die er bis zur Konfirmation im Alter von 15 Jahren besuchte. In den beiden folgenden Jahren erhielt er Privatunterricht und bereitete sich auf die Aufnahme in das humanistisch geprägte Johanneum vor, eine über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannte Gelehrtenschule; dort legte er ein Jahr später die Abiturprüfung ab. In allen Fächern (mit Ausnahme von Musik und Gesang) zeigte er sich außerordentlich begabt.

Zum heimischen Privatunterricht gehörte auch nach dem Abendessen die Unterweisung durch einen Drehermeister. Mit der professionellen Drehbank, die ihm seine Eltern geschenkt hatten, fertigte der Jugendliche seine ersten physikalischen Apparate, darunter ein Spektroskop.

Schwierige Berufsfindung: vom Ingenieur zum Physiker

Im Johanneum war Hertz Klassenbester in Griechisch; nebenher lernte er sogar Arabisch. Doch seine Zukunftspläne gingen in eine andere Richtung: "Ich gedenke, wenn es mir gelingt, die Maturitätsprüfung zu bestehen, nach Frankfurt am Main zu gehen und dort ein Jahr bei einem preußischen Baumeister zu arbeiten, wie es für die spätere Ablegung von Staatsexamen im Ingenieurfach erforderlich ist; nur in dem Falle, daß ich mich für diesen Beruf nicht geeignet zeigen sollte oder daß meine Neigung zu den Naturwissenschaften noch wachsen sollte, werde ich mich der reinen Wissenschaft widmen. Daß ich dasjenige ergreife, für das ich am tüchtigsten bin, dafür mag Gott sorgen."

Tatsächlich ging er nach bestandener Abiturprüfung für ein Jahr nach Frankfurt. Dort arbeitete er zunächst als technischer Zeichner bei der Bauaufsichtsbehörde und später im Auftrage von Straßenbauingenieuren, für die er unter anderem die Pläne für die große Obermainbrücke anfertigte.

Die Arbeit ließ ihm viel Freizeit, während der er weiterhin klassische Literatur las und auch das Arabische nicht vernachlässigte. Er beschäftigte sich mit Mathematik, besuchte Chemievorlesungen und nahm Kontakt mit der Physikalischen Gesellschaft auf. Außerdem studierte er physikalische Abhandlungen, insbesondere das "Lehrbuch der Experimentalphysik" von Adolf Wüllner. "lch habe auch wieder für die Naturwissenschaften große Lust bekommen, durch die Lektüre des Wüllner, aber ich kann mich nicht überreden, das, was ich mir als schönstes Ziel vorgesteckt habe [Bauingenieur zu werden], aufzugeben."

Im folgenden Semester wechselte Hertz an das Dresdner Polytechnikum. Er teilte den Unterricht dort in interessante und langweilige Kurse ein; zu erstgenannten gehörten die Geschichte der Philosophie und die Mathematik, insbesondere die Lehrveranstaltungen von Leo Königsberger (1837 bis 1921) zur Differential und Integralrechnung und zur analytischen Mechanik.

Im folgenden Hochschuljahr 1876/77 absolvierte er seinen Militärdienst bei einem Eisenbahnregiment in Berlin. Von dort schrieb er seinen Eltern: "lch bin nun 20 Jahre alt und habe so zu sagen ein Drittel meines Lebens hinter mir, und fühle mich doch noch so schwach und unbedeutend und so unfähig, etwas zu tun ... Jeder Tag zeigt mir mehr, wie unbrauchbar ich auf dieser Welt noch bin. Ich weiß etwas Griechisch und etwas Mathematik und etwas dies und das ..., aber daß ich, wenn es hieß: ... Wer kann uns aus dieser oder jener Verlegenheit helfen?, daß ich dann hätte vortreten können, ist mir bisher noch nicht passiert. So erwarte ich denn auch mehr von der Zukunft, als ich mit der Vergangenheit zufrieden bin."

Im Oktober 1877 zog er nach München, um am dortigen Polytechnikum Ingenieurwissenschaften zu studieren. Bereits am Ende des Monats hatte er entschieden, welche Fächer er belegen wollte. Von seiner Auswahl schien er freilich nicht allzu überzeugt gewesen zu sein: "Ich habe mir auch das vorgehalten, was ich früher öfters gesagt habe, daß ich lieber ein bedeutender Naturforscher als ein bedeutender Ingenieur, aber lieber ein unbedeutender Ingenieur als ein unbedeutender Naturforscher sein möchte." Wankend geworden, schrieb er seinem Vater: "Wenn Du mir sagst, ich solle Naturwissenschaften studieren, so werde ich dies als ein großes Geschenk von Dir annehmen".

Aber noch bevor dessen bestätigende Antwort eintraf, immatrikulierte Hertz sich kurzentschlossen an der Münchener Universität. Er lernte dort den Physiker Philipp von Jolly (1809 bis 1884) kennen, der ihm empfahl, zunächst Mathematik und Mechanik anhand historischer Quellen zu studieren, darunter die "Mecanique Analytique" von Joseph-Louis de Lagrange (1736 bis 1813) und die "Mecanique Celeste" von Pierre Simon de Laplace (1749 bis 1827), beides französische Mathematiker und Astronomen, sowie die Geschichte der Mathematik von Jean Etienne de Montucla (1725 bis 1799). Ferner besuchte Hertz physikalische und chemische Laborpraktika, einen Kurs zur höheren Mathematik (elliptische und komplexe Funktionen ) und einige andere Lehrveranstaltungen. Er vertiefte sich erneut in Wüllners "Lehrbuch der Experimentalphysik". Zudem las er die "Acta Eruditorum", eine alte, 1682 in Leipzig begründete wissenschaftlichliterarische Monatszeitschrift. Zu den darin beschriebenen, gegen Ende des 17. Jahrhunderts gemachten Entdeckungen in Physik und Mathematik meinte er: "Es tut mir wirklich manchmal leid, daß ich nicht damals gelebt habe, wo es noch so viel Neues gab."

Nach zwei Semestern riet Jolly ihm zum Wechsel an eine andere Universität wie Leipzig, Berlin oder Bonn. Hertz entschied sich für Berlin. Zuvor machte er Ferien in Hamburg, wo er mit seiner Drehbank eine hochempfindliche Tangentenbussole zur Messung der Stromstärke anhand der Abweichung einer Magnetnadel von der Nord-Süd-Richtung fertigte, die noch heute im Deutschen Museum in München zu besichtigen ist. Im Oktober 1878 in Berlin angekommen, schrieb er sich im dritten Semester Physik ein. Er hörte eine Vorlesung des Physikers Gustav R. Kirchhoff (1824 bis 1887), der durch sein Strahlungsgesetz berühmt geworden war, und besuchte daneben nur noch eine weitere Lehrveranstaltung, eine theoretische Vorlesung zur analytischen Dynamik.

Die Berliner Jahre: erste Lorbeeren

Hertz war rasch fasziniert vom Physiklabor der Berliner Universität, dem fortschrittlichsten seiner Zeit, das der Mediziner und Naturwissenschaftler Hermann von Helmholtz (1821 bis 1894) im Jahre 1870 eingerichtet hatte. Voller Bewunderung beschrieb er seinen Eltern den eigenen Laborplatz, der mit Werkzeugen, Gebläsetisch, Gas und fließendem Wasser ausgestattet war. Elektrischer Strom wurde von Batterien geliefert, die man in einem Nebenraum installiert hatte, um Belästigungen durch Säuredämpfe zu vermeiden. Die Drehspulgalvanometer saßen auf einer in die Wand eingelassenen eisernen Konsole, die auf gemauerten, massiven, im Erdreich verankerten Pfeilern ruhte, damit die von den vorbeifahrenden Kutschen hervorgerufenen Schwingungen die Experimente nicht beeinträchtigen konnten. Hertz vermißte nur eines: seine Bussole.

Bereits im Jahre 1870 hatte Helmholtz eine Studie über das Dickicht der verschiedenen elektrodynamischen Theorien veröffentlicht, die auf der Grundlage der Untersuchungen des französischen Mathematikers und Physikers Andre Marie Ampère (1775 bis 1836) entwickelt worden waren. Dabei handelte es sich um sogenannte Fernwirkungstheorien; denn sie erklärten die Kraftwirkungen zwischen elektrischen Strömen und die Induktion neuer Ströme durch ein instantanes (augenblicklich bis ins Unendliche wirkendes) elektrodynamisches Potential ähnlich dem elektrostatischen Potential, auf das die Coulombschen Kräfte zwischen elektrischen Ladungen und die Induktion neuer Ladungen zurückgeführt worden waren. Helmholtz löste das Rätsel, warum die diversen Theorien des elektrodynamischen Potentials trotz ihrer sehr unterschiedlichen mathematischen Formulierungen mit den experimentellen Ergebnissen in Einklang standen. Er konnte nämlich zeigen, daß die mathematischen Ausdrücke jeweils das gleiche Resultat liefern, wenn man sie zur Berechnung der Spannung geschlossener Leiterkreise (den einzigen damals experimentell untersuchten) integriert.

Helmholtz stellte ebenfalls die damals neue Theorie des schottischen Physikers James Clerk Maxwell (1831 bis 1879) vor, über die bis dahin nur drei Artikel veröffentlicht worden waren. Sie beruhte auf Experimenten des englischen Naturforschers Michael Faraday (1791 bis 1867) und dessen Schlußfolgerungen und war eine typische Feldtheorie der zeitlichen Ausbreitung von Nahwirkungen. Helmholtz allerdings wertete sie lediglich als eine weitere eletrodynamische Theorie mit einer neuen Beschreibung des elektrischen Potentials, wonach in Dielektrika Polarisationswellen mit ähnlichen Eigenschaften wie Lichtwellen entstehen können. Helmholtz' Neuinterpretation machte, wenn auch mit etwas verzerrter Sichtweise, die Theorien von Faraday und Maxwell auf dem europäischen Kontinent bekannt. In dieser Form lernte auch Hertz sie kennen.

Helmholtz' Untersuchungen belebten zudem den alten Streit mit dem Physiker Wilhelm Eduard Weber ( 1804 bis 1891), der in seiner Göttinger Schule seit 1847 die eleganteste unter den elektrodynamischen Fernwirkungstheorien entwickelt hatte. Zur Klärung lobte die Universität Berlin einen Preis für den Nachweis aus, daß "sich Elektrizität in den Körpern mit träger Masse bewegt". (Heute würden wir sagen, daß der Quotient zwischen Masse und Ladung des Elektrons ungleich null ist; aber damals war das Elektron noch nicht bekannt.) Im Falle der Bestätigung hätten die Induktionsgesetze geändert werden müssen.

Als Nachweismöglichkeit bot sich an, die Stärke von selbstinduzierten Strömen in einem Leiterkreis beim Öffnen oder Schließen präzise zu messen. Helmholtz schlug Hertz vor, sich mit diesem Problem zu beschäftigen, und stellte ihm Literatur sowie sein Labor zur Verfügung.

Im November 1878 machte sich Hertz an die Arbeit, und am 4. Mai des folgenden Jahres legte erwohlversiegeltseine Ergebnisse unter dem Titel "Versuche zur Feststellung einer oberen Grenze für die kinetische Energie der elektrischen Strömung" vor. Darin wies er nach, daß eine eventuelle Masse der Elektrizität so klein sein müsse, daß ihre Trägheitswirkung völlig überdeckt werde von derjenigen, die auf der Energie des jeden Strom begleitenden Magnetfeldes (Selbstinduktion) beruht. Obwohl er das gestellte Problem also eigentlich nicht gelöst hatte, wurde ihm am 3. August 1879 der ausgelobte Preis verliehen.

Helmholtz gratulierte und schlug ihm ein neues Thema vor, über das er promovieren könne; dabei ging es um die von der Preußischen Akademie der Wissenschaften gestellte Preisaufgabe, "irgend eine Beziehung zwischen den elektrodynamischen Kräften und der dielektrischen Polarisation der Isolatoren experimentell nachzuweisen".

Im Sommer 1879 prüfte Hertz die Möglichkeiten dazu, ohne jedoch einen erfolgversprechenden Weg zu finden. "Es blieb aber", so schrieb er, "mein Ehrgeiz, die damals aufgegebene Lösung später dennoch ... zu finden." Dies war der Ausgangspunkt der entscheidenden Arbeiten, welche er später ab 1884 an der Technischen Hochschule Karlsruhe durchführen sollte. Er verfaßte einen Bericht über seine negativen Schlußfolgerungen und legte ihn im Oktober 1879 Helmholtz vor, der sich allerdings kaum dafür interessierte.

Statt die von seinem Mentor vorgeschlagenen Experimente durchzuführen, begann Hertz bald darauf eine theoretische Arbeit über die von Magneten induzierten elektrischen Ströme in rotierenden Kugeln, die er in wenigen Monaten abschloß und als Doktorarbeit vorlegte. Mitte Januar 1880 erhielt er vom Ministerium eine Sondergenehmigung zur Doktorprüfung, obwohl er insgesamt nur vier Semester Physik (je zwei in München und in Berlin) studiert hatte. Er bestand das Examen im Alter von knapp 23 Jahren "magna cum laude" ("sehr gut"), was damals durchaus etwas Besonderes war, zumal Kirchhoff und Helmholtz der Prüfungskommission angehörten.

Des Theoretisierens einstweilen überdrüssig, kehrte Hertz noch im Februar desselben Jahres in sein Labor zurück. Er nahm Helmholtz' Angebot an und blieb zweieinhalb Jahre als dessen Assistent in Berlin. Allerdings mußte er im Rahmen dieser Tätigkeit zu seinem Leidwesen auch täglich fünf Stunden Laborpraktika beaufsichtigen und das Material verwalten. Mit großem Interesse nahm er dagegen an den Sitzungen der Physikalischen Gesellschaft unter Vorsitz des Elektrophysiologen Emil Du Bois-Reymond (1818 bis 1896) teil, in denen er auch selbst vortrug, und wohnte den Treffen akademischer Zirkel bei, in denen außer Helmholtz der Ingenieur und Industrielle Werner von Siemens (1816 bis 1892), der Mathematiker Karl T. Weierstraß (1815 bis 1897) und andere berühmte Wissenschaftler und Unternehmer zusammenkamen.

In dieser Zeit veröffentlichte er auch eine Reihe von Artikeln zu verschiedenen Themen aus der theoretischen und experimentellen Physik wie Elastizität, Hydrodynamik, Wärmelehre, Glimmentladungen in Geißler-Röhren, fühlte sich jedoch von der Fülle der Arbeit überlastet und klagte: "Wieviel Geduld ist nicht auch in bezug auf die eigene Arbeit nötig! In einem Tag kann man sich mehr Versuche und Arbeiten ausdenken, als man in einem Jahr machen kann."

Interludium: über Kiel nach Karlsruhe

Im März 1883 bot die Universität Kiel Hertz eine Stelle als Privatdozent an, die er annahm. Im Mai habilitierte er sich dort mit der Arbeit "Versuche über die Glimmentladung". Fortan hatte er weniger Lehrverpflichtungen und auch nicht so viele Studenten zu betreuen. Dennoch trauerte er seinem Berliner Labor nach; denn aus Mangel an Geldmitteln und Laborausrüstung mußte er sich in Kiel weitgehend auf theoretische Themen aus Bereichen wie Hydrodynamik, Meteorologie und Elektromagnetismus verlegen.

So beschäftigte er sich intensiv mit dem 1873 von Maxwell veröffentlichten zweibändigen Werk "A Treatise on Electricity and Magnetism" (1883 als "Lehrbuch der Electricität und des Magnetismus" auf deutsch erschienen), in dem dieser sein Konzept des elektromagnetischen Feldes darlegte. Danach erzeugen Ladungen ein elektrisches Feld, und ein Magnetfeld wird nicht nur durch elektrische Ströme induziert, sondern auch durch Änderungen des elektrischen Feldes. Dementsprechend deutete Maxwell Licht als Wellenphänomen, das durch Koppelung der räumlichen Änderung eines elektrischen mit der zeitlichen Variation eines magnetischen Feldes und umgekehrt zustandekomme. Er drückte diese Zusammenhänge durch einen Satz dynamischer, asymmetrischer Gleichungen aus, wobei er die erste Beziehung direkt, die zweite hingegen (in der Tradition von Faradays "elektrotonischem Zustand") über ein "Vektorpotential" formulierte.

Im Januar 1884 beschäftigte sich Hertz laut Tagebuch mit "elektrodynamischen Strahlen" und der "elektromagnetischen Lichttheorie", im April mit "magneto-dynamischen Wirkungen". Ergebnis dieser Beschäftigung mit Maxwells Lehrbuch und den Grundlagen der Elektrodynamik war sein im Mai/Juni 1884 publizierter, später berühmt gewordener Artikel "Über die Beziehungen zwischen den Maxwell'schen elektrodynamischen Grundgleichungen und den Grundgleichungen der gegnerischen Elektrodynamik". Beeinflußt von Helmholtz' Arbeiten, leitete Hertz darin die Maxwellschen Beziehungen auf der Grundlage der Einheit von elektrischer und magnetischer Kraft neu ab und formulierte sie zum ersten Mal als symmetrische Gleichungen ohne Vektorpotential. Merkwürdigerweise schrieb Hertz diese Pionierleistung später anderen zu; weil er die eigene Veröffentlichung darüber auch nie mehr erwähnte, scheint er sie einfach vergessen zu haben.

Im Dezember 1884 erhielt Hertz einen Ruf als ordentlicher Professor an die Technische Hochschule Karlsruhe, wohin er im folgenden März überwechselte. Dort blieb er genau vier Jahre, von denen zwei seine kreativsten waren. Während die ersten anderthalb Jahre gleichsam den Auftakt bildeten, in denen er seine geistigen Kräfte spannte, diente das letzte halbe Jahr dem Bekanntmachen seiner Entdeckung.

Die Auftaktphase, die mit der Antrittsrede "Über den Energiehaushalt der Erde" begann, war für Hertz eine Zeit tiefer Selbstzweifel und Niedergeschlagenheit. Sie endete mit seiner Hochzeit mit Elisabeth Doll, der Tochter eines Karlsruher Geodäsie-Professors, am 31. Juli 1885. Auch wenn seine Frau keine Expertin für Elektromagnetismus war, arbeitete sie stets mit ihm zusammen: Sie begleitete ihn ins Labor, unterstützte ihn zu Hause beim Anfertigen wichtiger Zeichnungen und nahm ihm, wenn er durch die Belastungen seiner Forschungsarbeit nervös und angespannt war, die Korrespondenz mit seinen Eltern ab, denen sie die bedeutenden Entdeckungen auf ihre Art schilderte.

Erste Erfolge: der Hertzsche Oszillator

Die fruchtbarste Schaffensperiode dauerte etwa von Oktober 1886 bis Oktober 1888. Seinen ersten großen Erfolg erzielte Hertz mit der Konstruktion jenes Geräts, das heute als Hertzscher Oszillator oder Hertzscher Dipol bekannt ist. In diesem offenen Schwingkreis fließt ein Strom in sehr schnellem Wechsel (hochfrequent) hin und her. Das Neue dabei war die zuvor unerreichte Frequenz wir würden heute von mehreren hundert Megahertz sprechen.

Der britische Mathematiker und Physiker Sir William Thomson (1824 bis 1904), besser bekannt als Lord Kelvin, hatte im Jahre 1853 theoretisch bewiesen, daß die Frequenz eines Schwingkreises eine Funktion seiner Kapazität und seiner Induktivität ist. Hertz entwarf einen linearen Schwingkreis aus zwei Metallkugeln mit bekannter Kapazität, die über einen Metalldraht mit ebenfalls bekannter Selbstinduktion miteinander verbunden waren.

Die entscheidende Idee von Hertz war es, den Draht in der Mitte zu unterbrechen, so daß die hochfrequenten elektrischen Wechselströme den Zwischenraum in Form von Funken überspringen mußten. An den bis dahin unbekannten Eigenschaften der Entladung entlang dieser Funkenstrecke lag es, daß so schnelle Schwingungen entstanden. Angeregt und aufrechterhalten wurden sie durch einen Wechselstrom wesentlich niedrigerer Frequenz, den Hertz mittels eines Ruhmkorffschen Induktors produzierte.

Der vom Oszillator oder Primärkreis erzeugte Wechselstrom ruft in einem in der Nähe befindlichen Sekundärschwingkreis Induktionswirkungen hervor. Obwohl die dabei erzeugten elektrischen Ströme äußerst schwach waren, vermochte Hertz sie nachzuweisen. Er setzte dazu eine Nebenfunkenstrecke in den Sekundärkreis, deren Länge er mit einer Mikrometerschraube regulieren konnte. Auf diese Weise erhielt er hundertstel Millimeter große Funken, die zwar kaum noch sichtbar, wohl aber hörbar waren. Diesen sekundären Schwingkreis bezeichnet man heute als Resonator. Hertz konnte ihn durch Abstimmung von Kapazität und Selbstinduktion in Resonanz mit dem Primärkreis bringen.

Von diesem Versuchsaufbau ist eine von Hertz selbst aufgenommene und entwickelte Photographie erhalten (Bild 2). Sie zeigt den Oszillator, der durch einen Ruhmkorffschen Induktor mit Spannung versorgt wurde, sowie einen relativ komplizierten Resonator aus im Rechteck gespannten Drähten. Heute erkennen wir darin einen einfachen Sender und einen noch einfacheren Empfänger für Radiowellen; für Hertz hingegen handelte es sich um einen hochfrequenten Primärkreis, der Schwingungen in einem Sekundärkreis induzieren konnte. Obwohl diese Experimente bereits im Dezember 1886 abgeschlossen waren, veröffentlichte er sie erst im März 1887 unter dem Titel "Über sehr schnelle elektrische Schwingungen".

Ursache der Verzögerung war ein seltsamer Effekt, der die Experimente störte: Die Nebenfunkenstrecke des Sekundärkreises funktionierte völlig unregelmäßig, sobald sie von den Funken des Primärkreises beleuchtet wurde. Zunächst glaubte Hertz an ein neues elektrisches Phänomen bei mit hoher Frequenz überspringenden Funken, das sich vom elektrostatischen und elektrodynamischen Verhalten von Ladungen und Strömen unterschied. Doch bald darauf konnte er zeigen, daß diese Erscheinung nichts mit schnellen Schwingungen zu tun hatte, sondern vom ultravioletten Anteil des Lichts herrührte, das die Funken des Primärkreises aussandten. Diese Untersuchungen sind in der Abhandlung "Über einen Einfluß des ultravioletten Lichtes auf die elektrische Entladung" zusammengefaßt. Es ist der erste Artikel über ein Phänomen, das 20 Jahre später als licht oder photoelektrischer Effekt zu einer der experimentellen Grundlagen der Quantenmechanik wurde.


Sinneswandel: Konversion zur Theorie des Elektromagnetismus

ln der Folgezeit wandelte sich Hertz vom Anhänger der klassischen elektrodynamischen Lehre, die ausschließlich fernwirkende Ladungen und Ströme in Leitern als real anerkannte, zum Verfechter der neuen Nahwirkungstheorie elektromagnetischer Felder, welche sich im Raum selbst im völlig leeren aufbauen, verändern und ausbreiten.

Dieses Umdenken vollzog sich im Herbst und Winter 1887/88 in drei Phasen. Zunächst überzeugte sich Hertz davon, daß auch in Isolatoren hochfrequente elektrische Ströme auftreten können, die durch elektrodynamische Induktion nachweisbar sind (die "Verschiebungsströme" der Maxwellschen Theorie). Dabei löste er mit achtjähriger Verspätung die Preisaufgabe der Preußischen Akadamie von 1879, auf die sich Hertz trotz des Drängens von Helmholtz damals nicht eingelassen hatte, weil er keinen gangbaren Lösungsweg sah.

Auch jetzt mißlangen seine ersten Versuche, die er entsprechend seinen ursprünglichen Überlegungen durchführte, obwohl er einen Oszillator mit Rekordfrequenz zur Verfügung hatte. Der Erfolg kam schließlich zwischen Anfang September und Anfang November 1887 mit einer Anordnung, bei der Oszillator und Resonator eine "Inductionswaage" bildeten, deren symmetriebedingtes Gleichgewicht sich darin äußerte, daß keine Nebenfunken im Resonator übersprangen. Sie geriet jedoch aus der Balance, wenn man parallel zum Oszillator einen Leiter (etwa einen Draht) in die Nähe brachte; in diesem wurden dann Ströme induziert, die ihrerseits Induktionseffekte und damit Funken im Resonator hervorriefen.

Hertz zeigte, daß das elektrodynamische Ungleichgewicht, das ein dünner Draht auslöste, auch durch einen schweren Isolatorblock erzeugt werden konnte und daß sich bei symmetrischer Anordnung von Leiter und Isolator das Gleichgewicht wieder einstellte. Am 5. November sandte er der Berliner Akademie eine diesbezügliche Mitteilung. Helmholtz antwortete ihm am 7. November mit einem begeisterten "Bravo ! ! ".

Der Nachweis, daß in Isolatoren hochfrequente elektrische Ströme auftreten können, bildete wohl lediglich den Auftakt zum Wandel im Denken von Hertz. Möglicherweise glaubte er weiterhin an instantane elektrodynamische Fernwirkungen; als neue Erkenntnis kam nur hinzu, daß sich elektrische Ladungen bei hochfrequenten Schwingungen in Nichtleitern ähnlich wie in Leitern verhalten.

Als nächstes überzeugte sich Hertz davon, daß die elektrodynamische Induktion nicht instantan wirkt, wie von der klassischen Theorie der Elektrodynamik behauptet, sondern mit endlicher Geschwindigkeit durch den Raum übermittelt wird. Dazu überlagerte er die von seinem Oszillator erzeugten, direkt durch die Luft übertragenen Induktionseffekte mit jenen des Wechselstromes in einem Draht, den er über eine Metallplatte kapazitativ mit einer der beiden Endplatten des Oszillators gekoppelt hatte.

Damals war er sich noch nicht sicher, daß es sich bei den durch die Luft übertragenen Induktionswirkungen um Wellen handelte; dagegen erkannte er den Wellencharakter der durch den Draht laufenden hochfrequenten Wechselströme daran, daß sich durch Reflexion am Drahtende stehende Wellen bildeten. An Helmholtz schrieb er, er könne "dieselben fast so deutlich sichtbar machen wie die Knoten einer schwingenden Saite". Die Laboraufzeichnungen vom 6. November enthalten eine eindrucksvolle Zeichnung stehender Wellen in einem Draht mit Platten an beiden Enden, an denen die Wellen erzeugt und reflektiert werden (Bild 3).

Als Hertz die reflektierende Endplatte entfernte und den Draht durch den Hochschulgarten auf 60 Meter verlängerte, entstanden darin fortschreitende Wellen derselben Frequenz wie zuvor, die sich auch gemäß der herkömmlichen Elektrodynamik zwar mit sehr großer, aber eben nur endlicher Geschwindigkeit ausbreiten sollten (nämlich nahezu mit der des Lichts). Hertz untersuchte bei verschiedenen Entfernungen zum Oszillator, wie sich der Induktionseffekt dieser Drahtwellen mit der direkt durch den Luftraum übertragenen Kraft überlagerte. Zum Separieren der beiden elektrodynamischen Effekte (Induktion und direkte Übertragung) mußte er die Intensität der Funken bei unterschiedlicher Orientierung des Resonators und verschiedener Lage der Funkenstrecke ermitteln.

Falls sich die direkten Kräfte unendlich schnell durch den Raum ausbreiteten, sollte sich ein Interferenzmuster ergeben, das exakt der Wellenlänge im Draht entspräche; wäre ihre Geschwindigkeit hingegen zwar etwas größer als die der Wellen im Draht, aber dennoch endlich, müßten die Knoten im Interferenzmuster etwas größere Abstände aufweisen. Die Interferenzen, die Hertz anderthalb Monate lang (vom 10. November bis zum 23. Dezember 1887) beobachtete, schienen der Wellenlänge im Draht zu entsprechen und somit auf eine unendliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der direkten Wirkungen hinzudeuten. Dies schloß elektromagnetische Wellen in der Luft aus, so daß Hertz an der Maxwellschen Theorie zu zweifeln begann.

Doch am Nachmittag des 23. Dezember fand er erstmals Anzeichen dafür, daß die Interferenzabstände größer als die Wellenlänge im Draht waren und die Ausbreitungsgeschwindigkeit der direkten Wirkungen darum endlich sein mußte. Diese Befunde bestätigten sich am 26. Dezember. Den früheren Mißerfolg schrieb Hertz dem anomalen Verhalten der direkten Wirkungen bei sehr geringer Entfernung zu, weil nach seiner damaligen Vorstellung "in der Nähe die elektrostatische ... Kraft des Oszillators überwiegt".

Den dritten Schritt in seinem Sinneswandel bedeutete die Erkenntnis, daß sich diese direkten Wirkungen wellenförmig im Raum ausbreiteten. Dies war eine Konsequenz der früheren Ergebnisse, zu der sich Hertz allmählich durchrang. Bereits am 27. Dezember sprach er, als er die Ausbreitungsgeschwindigkeit abschätzte, von der Wellennatur dieser direkten Kräfte. Er gebrauchte in diesem Zusammenhang die Ausdrücke "Inductionswellen" und "Luftwellen": zweifellos die ersten Bezeichnungen für das, was wir heute elektromagnetische Wellen nennen.

Am 29. Dezember machte Hertz die überraschende Entdeckung, daß solche Wellen durch Metallplatten abgeschirmt und von ihnen reflektiert werden. Daraufhin beschloß er, sie auch außerhalb der geraden Linie, auf der er sie bis dahin nachgewiesen hatte, zu beobachten. "Durch den ganzen Hörsaal nach allen Seiten" vermaß er die mittlere Ausrichtung des elektrischen Feldes in horizontaler Ebene. Auf diese Weise erhielt er ein statisches Bild der von seinem Oszillator ausgehenden Wellenlinien, das in seiner Phantasie jedoch Bewegung annahm (Bild 4).

Hertz war zum überzeugten Anhänger der Theorie der elektromagnetischen Wellen geworden. Vorerst reichten seine indirekten Beweise aber nicht aus, die an induktive Femwirkung glaubenden Anhänger der elektrodynamischen Lehre zu überzeugen.

Experimentum crucis: Nachweis elektromagnetischer Wellen

Im Frühjahr und Sommer 1888 führte Hertz deshalb den direkten experimentellen Nachweis. Seine Idee war, in der Luft ähnliche stehende Wellen zu erzeugen wie zuvor in den Drähten. Voller Überzeugung schrieb er im März an Helmholtz: "... ich glaube, daß man die Wellennatur des Schalles im freien Raum nicht so deutlich vor die Augen stellen kann wie die Wellennatur dieser elektrodynamischen Ausbreitung." Er war in seinem elektromagnetischen Gedankengebäude gewissermaßen von der Beobachtung der schwingenden Saite zu der des Tones selbst übergegangen.

Das Experiment stellte in der Form, in der er es durchführte, eine einzigartige Glanzleistung dar. Die Hauptschwierigkeit war, daß seine "Luftwellen" eine Länge von etwa zehn Metern hatten und der größte ihm zur Verfügung stehende Raum ( der Hörsaal ) nur etwa 15 Meter lang war. Erst in den Osterferien 1888 konnte er alle Gaslampen mit ihren herabhängenden Zuleitungen entfernen und in mittlerer Höhe auf den Tischen einen störungsfreien Korridor mit möglichst geringen Reflexionen von Boden und Decke schaffen. In dieser Höhe erzeugte er schließlich die stehenden Wellen, indem er die vom Oszillator abgestrahlten mit den von einer Metallplatte an der gegenüberliegenden Wand reflektierten elektrischen Wellen interferieren ließ.

Zum Nachweis diente die Variation in Zahl und Stärke der im Resonator überspringenden, wenige hundertstel Millimeter großen Nebenfunken an verschiedenen Stellen des Raumes. Dazu war der Hörsaal abgedunkelt, und Hertz achtete darauf, den Wellen auszuweichen, um sie in ihrer Ausbreitung nicht zu behindern. Er identifizierte Knoten, an denen keine Funken übersprangen, und Bäuche mit maximaler Funkenzahl und ordnete sie Wellen einer Länge von 9,6 Metern zu. Das Ergebnis beschrieb er in seinem Artikel "Über elektrodynamische Wellen im Luftraume und deren Reflexion" vom April des Jahres 1888.

Aufgrund dieser Versuche akzeptierte er schließlich die Maxwellsche Theorie als einfachste Erklärung und bemühte sich, in ihrem Rahmen die Wellenstruktur zu erhellen. Die theoretische Interpretation seiner experimentellen Befunde gab er in dem Artikel "Die Kräfte elektrischer Schwingungen, behandelt nach der Maxwell’schen Theorie". In dieser beispielhaften Arbeit ging er von den Maxwellschen Gleichungen und der Theorie des britischen Physikers John Henry Poynting (1852 bis 1914) zur Übertragung elektromagnetischer Energie durch den Raum aus, um die Erzeugung der Radiowellen in der Umgebung seines Oszillators zu berechnen (siehe nebenstehenden Kasten ). Diesen betrachtete er dabei idealisierend als Dipol mit entgegengesetzten Ladungen an den Enden, die symmetrisch mit außerordentlich hoher Frequenz hin und her schwingen. Die Berechnung war klar und einfach, denn Hertz legte ihr die Maxwellschen Gleichungen in symmetrischer Form zugrunde und benutzte anstelle der Potentiale einen Vektor.

Aufgrund dieser theoretischen Berechnung mußte er allerdings auch frühere Vorstellungen teilweise korrigieren. Das betraf in erster Linie seine Erklärung für die unendlich scheinende Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektrostatischen Wellen in der Nähe des Oszillators, wonach dort die (als instantan angenommene) elektrostatische Kraft dominiere. Im Maxwellschen Bild gibt es aber nur eine Art von (nicht instantaner) elektrischer Kraft. Hertz löste das Rätsel, indem er zeigte, daß sich die Wellen in der ersten Phase (bis zum Erreichen einer Kugelform) schneller als Licht ausbreiten.

Dies gelang ihm mit der Feststellung, daß die Welle nicht exakt im Mittelpunkt des Oszillators entsteht, "sondern aus den Zuständen des ganzen umgebenden Raumes hervorgeht, welch letzterer nach unserer Theorie der eigentliche Sitz der Energie ist". Ausgehend von dieser Annahme, konnte er auch die abgestrahlte elektromagnetische Energie berechnen. Dies alles bestärkte ihn in seinem frisch erworbenen Glauben an die Realität des elektromagnetischen Feldes, das durch die vier Maxwellschen Gleichungen beschrieben wird.

All dies waren jedoch theoretische Uberlegungen; zudem gelang es anderen Wlssenschaftlern nicht, die früheren Ergebnisse von Hertz zu reproduzieren. Deshalb mußte er sich ein Experiment ausdenken, das in allen Laboratorien der Welt leicht nachvollzogen werden konnte und die Existenz der Wellen unwiderleglich bewies. Dieses Problem beschäftigte ihn in den letzten Monaten seiner Professur in Karlsruhe; die Lösung beschrieb er in dem Artikel "Uber Strahlen electrischer Kraft".

Hertz gelang der Bau eines wesentlich kleineren Oszillators, welcher den alten Hochfrequenzrekord noch überbot und Wellen mit einer Länge von weniger als einem Meter erzeugte. Indem er diesen in die Brennlinie eines zylindrischen Parabolspiegels (einer entsprechend gekrümmten, zwei mal zwei Meter großen Folie) setzte, erzeugte er einen "Strahl electrischer Kraft", der, wie seine Versuche damit ergaben, sämtliche optischen Eigenschaften eines Lichtstrahls sehr großer Wellenlänge aufwies und zudem eine Million mal stärker war als normales Licht.

Obwohl unsere Augen solche Strahlen nicht wahrnehmen, lassen sie sich mit einem – am besten geradlinigen Resonator – nachweisen, der in der Brennlinie eines zweiten, gleich großen Hohlspiegels aufgestellt ist. So war es ein leichtes, die lineare Ausbreitung und Polarisation der Wellen (mit einem Gitter aus drei Zentimeter voneinander entfernten Kupferdrähten) zu demonstrieren sowie zu bestätigen, daß sie die Gesetze der Reflexion und der Brechung (in einem 600 Kilogramm schweren Prisma aus Asphaltmasse) befolgen.

Diese Experimente wurden auf der ganzen Welt nachvollzogen und bejubelt. "Übrigens", schrieb Hertz bescheiden an seine Eltern, "ist natürlich meine letzte Arbeit nur dasjenige, was der Welt in die Augen springt", während seiner Ansicht nach das Hauptverdienst seinen Vorgängern gebühre, die den Weg vorgezeichnet hätten.

Finale: Ruhm und früher Tod

Mit dem Ruhm kam das Angebot von Lehrstühlen in Graz, in Worcester (US-Bundesstaat Massachusetts ) sowie in Gießen, Berlin und Bonn. Hertz entschied sich für Bonn, das ihm am ruhigsten und somit am geeignetsten für seine Arbeit schien. Im April 1889 zog er um. Seine Lehrverpflichtungen wurden reduziert. So notierte der Vertreter des Ministeriums: "Wir legen H. Prof. Hertz nur die Verpflichtung auf, die Experimentalphysik zu lesen und das Laboratorium zu leiten, er soll freie Zeit zu seinen Arbeiten behalten und seine Ausbreitungsgeschichten ruhig zu Ende bringen."

Gestört wurde die zurückgezogene Tätigkeit allerdings durch die Vielzahl von Preisen und Ehrungen, mit denen Hertz überhäuft wurde – von den Akademien in Berlin, Paris und Rom sowie von Naturwissenschaftlichen Gesellschaften in Manchester, Genf, Erlangen, Sankt Petersburg, Neapel, London, Moskau, Bologna, Cambridge und Turin erhielt er Auszeichnungen. Die größte Ehrung erwies ihm allerdings die deutsche Wissenschaft mit der Einladung, am 20. September 1889 auf der 62. Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte den Hauptvortrag zu halten. Unter dem Titel "Über die Beziehungen zwischen Licht und Electrizität" stellte Hertz seine Arbeiten in historischem Kontext als Beweis für den optischen Charakter seiner Strahlen elektrischer Kraft und somit für den elektromagnetischen Charakter des Lichtes vor.

Während des Hochschuljahres 1889/90 in Bonn ergänzte Hertz die experimentellen Arbeiten in Karlsruhe durch theoretische Untersuchungen über die Grundgleichungen der Elektrodynamik tür ruhende und bewegte Körper. Diesje Studien, darunter die berühmten "Untersuchungen über die Ausbreitung der Electrischen Kraft" aus dem Jahre 1892, beeinflußten später unmittelbar den jungen Albert Einstein bei der Entwicklung der speziellen Relativitätstheorie. Ende November 1890 unternahm Hertz eine Reise nach London und Cambridge, wo er unter anderem mit den Vertretern der Maxwellschen Theorie George F. FitzGerald (1858 bis 1901), Sir Oliver Joseph Lodge (1851 bis 1940) und Thomson zusammentraf, mit denen er bis dahin nur brieflich verkehrt hatte.

Im März 1891 nahm er sich eines neuen theoretischen Forschungsthemas an, das ihn während seiner beiden verbleibenden Lebensjahre beschättigte und den lnhalt seines letzten großen Werkes ("Die Principien der Mechanik, in neuem Zusammenhange" ) bildete. Darin regte er an, die Mechanik von – wie er meinte – obskuren, überholten Ideen wie der; Newtonschen Kraftbegriff oder der potentiellen Energie von Lagrange zu befreien. Seine eigene Mechanik gründete er auf Systeme punktförmiger Massen, zwischen denen bestimmte Verbindungen bestehen und deren mögliche Bewegungen Bahnen in einem gekrümmten, mehrdimensionalen Raum entsprechen.

Darin drückt sich eine Verallgemeinerung des Prinzips der Trägheit aus, die einen Massenpunkt zur Bewegung entlang einer geodätischen Linie zwingt. Diese Betrachtungsweise weckte zwar wissenschaftsphilosophisches Interesse, hat die heutige Physik und die Entwicklung der technischen Zivilisation jedoch zweifellos weit weniger beeinflußt als die Entdeckung der Radiowellen.

Im Sommer 1892 erkrankte Hertz an einer schweren Kieferinfektion, die sich wie eine hartnäckige Erkältung äußerte und zunächst für Heuschnupfen gehalten wurde. "Zur Zeit", schrieb er seinen E1tern, "ist meine Nase meine Welt." Bei Semesterbeginn im Oktober sah er sich außerstande, seinen Lehrverpflichtungen nachzukommen. Er mußte sich nacheinander zwei Operationen unterziehen, einer "größere[n] Operation in der Nase" und einer "Aufmeißelung des Mastoideus", also des Warzenfortsatzes des Schläfenbeins. Nach einer längeren Rekonvaleszenzperiode wurde im September 1893 ein dritter Eingriff vorgenommen. Am 9. Dezember muß Hertz den nahenden Tod gespürt haben, als er seinen Eltern schrieb: "Wenn mir wirklich etwas geschieht, so sollt Ihr nicht trauern, sondern sollt ein wenig stolz sein und denken, daß ich dann zu den besonders Auserwählten gehöre, die nur kurz leben und doch genug leben." Am 1. Januar 1894 starb er an Blutvergiftung .

Die Radiowellen haben unsere Kommunikationsmöglichkeiten enorm erweitert. Schon 1895 realisierten der russische Physiker Alexander Stepanowitsch Popow (1859 bis 1906) und insbesondere der italienische Ingenieur und Physiker Guglielmo Marconi (1874 bis 1937) damit die drahtlose Telegraphie. Marconi gelang es, 1899 zunächst den Ärmelkanal und 1901 auch den Atlantik zu überbrücken. Schon bald wurden die Radiowellen zum Bestandteil des menschlichen Alltags; Rundfunk, Fernsehen und Satellitenkommunikation lassen die Welt zum globalen Dorf zusammenschnurren. Die Radioastronomie liefert Informationen über ferne Sterne und Galaxien, und der Satellit Cobe untersucht den Nachhall des Urknalls anhand von elektromagnetischen Wellen im Millimeterbereich (siehe Spektrum der Wissenschaft, März 1990, Seite 78 und Juni 1992, Seite 18).

Meiner Ansicht nach hat sich die Hertzsche Entdeckung aber noch nachhaltiger auf die Physik selbst ausgewirkt und ihre Sicht der Welt grundlegend verschoben: Der Forschungsgegenstand der klassischen Physik nach Galileo Galilei und Sir Isaac Newton waren Körper und Teilchen (also sogenannte Massenpunkte), und durch die Elektrodynamik kam die elektrische Ladung als Eigenschaft solcher Korpuskeln hinzu; die Radiowellen aber haben der Physik einen neuen Untersuchungsgegenstand erschlossen das elektromagnetische Feld. Ohne den Feldbegriff wäre die Entwicklung der relativistischen wie der Quantenphysik undenkbar gewesen.

Literaturhinweise

Heinrich Rudolf Hertz: a Collection of Articles and Addresses. Herausgegeben von Joseph F. Mulligan. Garland, New York 1994.

Heinrich Hertz als Physiker und Philosoph. Von Armin Hermann in: Physikalische Blätter, 50. Jahrgang, Heft 5, Seiten 450 bis 453, Mai 1994.

On the Process of Hertz’s Conversion to Hertzian Waves. Von Manuel G. Doncel in: Archive for History of Exact Sciences, Band 43, Seiten I bis 27 (1991).

Heinrich Hertz. Festschrift anläßlich der Erforschung der elektromagnetischen Wellen vor 100 Jahren. Von Lutz Ihlenburg, Rasit Tepe, Wolf von Reden und Reimund Gerhard-Multhaupt. HeinrichHertz-lnstitut für Nachrichtentechnik, Berlin 1988, Nachdruck 1994.

Heinrich Hertz: Erinnerungen, Briefe, Tagebücher. Zusammegestellt von Johanna Hertz, herausgegeben von Mathilde Hertz und Charles Susskind. Physik-Verlag, Weinheim 1977.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1994, Seite 88
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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