Hinter den Schlagzeilem: Als aus Patienten Terroristen wurden
Als der junge Psychiater Wolfgang Huber im Februar 1970 nach einem Streit mit seinen Vorgesetzten der psychiatrischen Klinik kurzerhand entlassen wird, brennt in Heidelberg die Luft: Diensträume der Klinik werden besetzt, einige von Hubers Patienten treten in den Hungerstreik. Die Universitätsleitung kommt ihnen entgegen. Sie setzt Huber wieder auf die Gehaltsliste und stellt seinen Patienten sogar ein eigenes Quartier zur Verfügung – die Geburtsstunde des Sozialistischen Patientenkollektivs, kurz SPK.
In den gerade einmal 17 Monaten ihrer Existenz radikalisiert sich die Gruppe zunehmend. Nach ihrer "Zerschlagung" durch die Ermittlungsbehörden im Sommer 1971 schließen sich viele ehemalige SPK-Anhänger der Roten Armee Fraktion (RAF) an. In den folgenden Jahren sind sie an mehreren Anschlägen beteiligt, darunter an der Geiselnahme von Stockholm am 24. April 1975, bei der die Terroristen zwei Menschen töteten. Auch an der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer wirkten Exmitglieder des SPK mit. Wie aus den Psychiatriepatienten RAF-Terroristen wurden, erklärt Ralf Forsbach vom Medizinhistorischen Institut der Universität Bonn.
Herr Doktor Forsbach, wie entstand das Sozialistische Patientenkollektiv?
Gerade in der Bundesrepublik Deutschland waren die psychiatrischen Kliniken damals äußerst reformbedürftig. In der Zeit des Nationalsozialismus war der Anschluss an internationale Standards verloren gegangen, die Psychiatrie zur Stätte von Medizinverbrechen geworden. Das wirkte nach 1945 fort. Manche Anstalt erinnerte eher an ein Gefängnis als an einen Ort der Therapie. In den 1960er Jahren wuchs dann der Einfluss meist junger Psychiater, die den autoritären Charakter der Psychiatrie zu verändern suchten. Es ist also nicht so, dass diese Ideen erst vom SPK gekommen wären: Diejenigen, die sich ernsthaft mit Veränderungen auseinandergesetzt haben, etwa der bekannte Psychiatriereformer Klaus Dörner, waren schon Jahre davor aktiv. ...
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