Geheimnisse: Hinter der Mauer des Schweigens
"Versprich, dass du es für dich behältst", sagte meine Freundin mit beschwörendem Blick. Dann beugte sie sich zu mir vor und flüsterte mir etwas ins Ohr, und plötzlich war es raus – ihr Geheimnis. Jeder von uns lernt in der Kindheit wie das Laufen irgendwann auch, manche Gedanken lieber für sich zu behalten oder nur mit ausgesuchten Menschen zu teilen. Darunter leise und freundliche Dinge, ja Aufregendes: die verschlossenen Mienen vor der Weihnachtsbescherung, Großmutters Käsekuchenrezept, ein Überraschungsbesuch oder eine heimliche Passion. In der Wissenschaft firmieren solche Heimlichkeiten als "minor secrets". Sie gehören zum menschlichen Alltag wie das Zähneputzen, gelten aber als nicht sonderlich ergiebiger Forschungsgegenstand. Anders ist das bei "major secrets", die im Kopf nur schwer zu verstauen sind. Sie belasten und quälen die Betroffenen: ein Seitensprung etwa, sexueller Missbrauch, eine geheim gehaltene Sucht oder Erkrankung.
Für die Psychologin Anita Kelly von der University of Notre Dame (USA) hängt die Wirkung eines Geheimnisses maßgeblich davon ab, wie viel Energie ein Mensch aufwendet, um es zu verbergen. Eine heimlich gerauchte Zigarette ist für den einen kein großes Drama, den anderen kostet sie vielleicht den Job – erst die kognitive Anstrengung macht die Angelegenheit zum "major secret". Stets gilt dabei: Es gehören mindestens zwei dazu. Derjenige, der das Geheimnis bewahrt, und der, vor dem es verborgen wird. Ob es sich nun um Partner, Verwandte oder Freunde, Institutionen oder den Staat als solchen handelt – Geheimhaltung ist immer ein soziales Phänomen. Nicht nur das macht sie für Forscher so spannend. "Major secrets" können laut zahlreichen Studien zu gravierenden gesundheitlichen Beschwerden führen – körperlichen wie psychischen. Viele Wissenschaftler glauben daher: Reden ist heilsam ...
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben